Projektion
Hätte Gerhard Schröder die Medien nicht gescholten, woraufhin die Journa­listen den Demo­skopen die Schuld zuschieben wollten, wäre deren aber­maliges Versagen schnell in Verges­sen­heit geraten. Doch diesmal hat es sogar eine Presse­konferenz gegeben, auf der die Beschul­digten ihre Zahlen vornehm­lich dadurch zu vertei­digen suchten, daß sie deren Bedeutung herunter­spielten. Es habe niemals Prog­nosen gegeben, sondern nur Stimmungs­bilder, allenfalls Projek­tionen.

Stimmungs­bild meint, daß Leute befragt (zufrieden, unzufrieden, weiß nicht) und deren Ergeb­nisse besten­falls voll­ständig und unkorri­giert wieder­gegeben werden. Und nichts anderes wollen die Wahl­forscher auf einmal getan haben. Sie schämen sich noch nicht einmal, sich damit selbst zu reinen Umfra­gern zu degra­dieren, die lediglich Mittel­werte aus Frage­bögen wieder­geben. Solche Ergeb­nisse über­prüfen zu wollen ist gleicher­maßen unmög­lich wie sinnleer. Daß Stim­mungs­bilder im Rahmen normaler zufäl­liger Schwan­kungen die Stim­mung wieder­geben, glaube ich gerne.

Wenn es gelegentlich doch mehr als ein Stimmungs­bild gewesen ist, wie zum Beispiel bei der berühmten Sonntags­frage, „in der länger­fristige Bindungen berück­sichtigt sind“, dann wird das auch nicht mehr so gerne als Prognose, sondern allenfalls als Projek­tion gesehen. Eigent­lich gelte die am Dienstag vor der Wahl gestellte Sonntags­frage nur für diesen Dienstag und nicht für den in fünf Tagen folgenden Wahl­sonntag. Man dürfe darin also keine Prognose sehen, sondern nur eine Projek­tion eines Stimmungs­bildes auf eine mög­liche Wahl, die aber am Erhe­bungstag nicht statt­findet, wodurch sich alles einer Über­prüfung entzieht.

Diese Selbstreduktion der Demoskopen zu reinen Datener­hebern führt aber nicht zur Beschei­denheit. Vielmehr wird behauptet, die maximale Abwei­chung einer Vorher­sage habe bis zu dieser letzten Wahl 1,9 Pro­zent betragen. Der Wähler habe erstmals sein Verhalten so schnell geändert, daß eine Prognose unmöglich folgen konnte. Das kann aber nicht völlig neu sein. Viele Wahlen haben schon Fehler weit über 5 Pro­zent erbracht, daß die genannten 1,9 Pro­zent sich allen­falls auf die Bundes­tags­wahlen beziehen können. Für die war es in der Vergan­genheit aber einfach, da es von Wahl zu Wahl kaum Bewe­gungen gab. Alle großen Verände­rungen in der Bundes­regie­rung beruhen mehr auf geän­derten Bünd­nissen als verän­derten Zahlen.

Vielleicht bezogen sich die 1,9 Pro­zent maxi­malen Fehlers auch nur auf das, was wohl immer noch Prognose genannt wird, nämlich auf die mit Schlie­ßung der Wahl­lokale ver­öffent­lichte Schät­zungen, denen dann schnell die Hoch­rech­nungen folgen, die in der Tat nur wenig Verän­derung bringen. Doch gerade sowas möchte ich nicht als Prognose bezeichnen, denn es wird nur etwas vorher­gesagt, was zum Zeit­punkt der Befra­gung schon weit­gehend einge­treten war. Wähler nach dem Urnen­gang am Sonntag zu befragen und daraus ein Wahler­gebnis zu berechnen, führt selbst­ver­ständ­lich zu einem besseren Ergebnis als auf der Basis einer Befra­gung am Samstag zuvor: Der syste­mati­sche Fehler ist geringer, weil nur Wähler und die auch noch nach der Tat befragt werden. Der zufäl­lige Fehler ebenso, weil die Anzahl der Befragten wesent­lich höher ist als bei den üblichen Telefon­inter­views.

Die Genauigkeit der 18‑Uhr-​Prognose und der große Fehler in den ‚Projektionen‘ der Tage zuvor, verführt zu der Behaup­tung, die Wähler seinen durch ihre „Volatilität“ selbst daran schuld, denn so schnelle Ände­rungen habe man nicht sehen können. Einmal davon abge­sehen, daß damit schon wieder einer dieser ekel­haften Ausdrücke aus der Welt des Geldes (sich für die Koali­tions-​Verhand­lungen optimal „aufstellen‘, doch nicht zu lange verhar­ren, denn die Inder und Chi­nesen „sind unterwegs“) in die Sprache der Poli­tiker eindringt, gibt es diese plötz­liche Bewegung der Wähler auch nicht. Selbst die zuneh­mende Zahl der Unent­schlos­senen ent­scheidet sich nicht erst an der Urne vorwie­gend für eine Rich­tung. Verände­rungen sind allen­falls über Wochen einge­treten, in denen die Menschen sich von dem Versatz­stück „gebt den Reichen viel, dann bekomme ich wenig­stens etwas“ verab­schiedet haben.

Ich persönlich kann wie die Demoskopen auch nur Behaup­tungen auf­stellen, doch ganz andere: Nur ein Teil der Abwei­chungen ist auf Kirchhof und die Mehr­wert­steuer zurück­zuführen, und die Zweit­stimmen­kampagne der FDP hat nur die Gewichte im schwarz-​gelben Lager verschoben. Vielmehr nahmen die Demo­skopen an, was in früheren Jahren galt: Die Befragten schämen sich ihrer Liebe zur CDU. Das wurde regel­mäßig durch Zuschläge von einigen Pro­zenten ausge­glichen. Diesmal aber war es umge­kehrt: Es war ‚angesagt‘, aus Verär­gerung über die Politik Schröders nun die CDU wählen zu wollen. Somit erfolgten die Korrek­turen in die falsche Richtung. Und daran gemessen ist die Abwei­chung der Realität von der Prognose eigentlich gar nicht so groß.

Wahlprognose

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Wahlprognose
Zur Zeit wird vielfach auf die Wahl­progno­stiker geschimpft. Da frage ich mich, ob meine Zahlen unter den obwal­tenden Umstän­den besser gewesen wären, denn auf einem anderen Gebiet habe ich eben­falls Prognosen mit geringem finan­ziellen Einsatz erstellt, die oftmals noch weiter von der Realität entfernt waren. Wenn eine Woche vor der Wahl die erfrag­ten Werte für die CDU um 5 Prozent sinken, dann wäre ich ange­sichts der kleinen Stich­probe auch vor­sichtig gewesen und hätte davon 4 Prozent dem Zufall zuge­rechnet und mich um 1 Prozent nach unten bewegt. Auch dann, wenn die Journa­listen nicht umfrage­gläubig und wechsel­gierig gewesen wären, ihre Finger am Puls des Volkes gehabt und einen Einbruch berichtet hätten. Denn Programme oder Para­meter kurz vor dem Ziel zu ändern, ist unred­lich.

Allerdings hätte meine Korrektur um 1 Prozent etwas anders ausgesehen. Ich hätte von 37 bis 47 Pro­zent auf 36 bis 46 Pro­zent korri­giert. Die wahren 35 Pro­zent wären auch von mir damit nicht getroffen worden, doch darf ich mir das in einem von 20 Fäl­len leisten. Und der wäre eben diesmal gewesen, weil die hohe Zahl der von der FDP abge­grif­fenen Zweit­stimmen sehr plötz­lich kam. Für die schwarz-​gelbe Koali­tion hätte ich mich von 43 bis 53 Pro­zent auf 42 bis 52 Pro­zent korri­giert und damit richtig gelegen. Und ich bin sicher, so mancher schlichte Mitar­beiter in den Meinungs­for­schungs­insti­tuten ist mit mir einer Meinung: Auf der Basis der erho­benen Daten sind keine genau­eren Angaben möglich, sofern sie in 19 von 20 Fäl­len auch zutref­fen sollen.

Doch interessieren solche Zahlen kaum einen Menschen. Als EMNID sich im Jahre 1987 die Prognose
CDU   42,3 bis 49,2 Prozent
SPD   32,9 bis 41,1 Prozent
FDP    5,8 bis 10,2 Prozent
Grüne  5,8 bis 10,2 Prozent
mit einer Sicherheit von 90% notariell bestä­tigen ließ, gab es nur Spott: Genauso könne man vorher­sagen, daß Helmut Kohl zwischen 100 und 200 Kilo­gramm wiege.

Die Kritik ist also nur teilweise an den Methoden der Wahl­progno­stiker anzu­setzen. Der von Fritz Ulmer [1] Wahl­betrug genannte Haupt­mangel besteht darin, daß von den Zahlen nur der Mittel­wert ver­öffent­licht wird, und der auch noch mit einer Nach­komma­stelle, ohne auch nur einen kleinge­druckten Hinweis auf die wirk­liche Genauig­keit. Zu verant­worten haben das zunächst die Ver­breiter dieser durch Präzi­sion geschönten Zahlen, dann aber auch deren Liefe­ranten, die solche Angaben unwider­sprochen lassen.

Und leider ist auf der Basis dieser wechsel­seitigen Abhängig­keiten Schlim­meres zu vermuten: Die CDU wurde über Jahr­zehnte aufge­wertet. Wahr­schein­lich aus dem redli­chen Motiv heraus, die aus Scham erfolg­ten Fehl­angaben der Befrag­ten auszu­gleichen. Abge­wertet wurde sie praktisch nur dann, wenn eine progno­sti­zierte absolute Mehrheit zur Abstra­fung geführt hätte. Auch das ist ein redli­ches Motiv, doch leider unwis­senschaft­lich. Auch an der 5‑Prozent-​Hürde ent­scheiden mehr die Mei­nungen als die Zahlen: Aus Angst vor dieser Grenze und weil die Grünen drei Jahre zuvor 8,3 Pro­zent erreich­ten, progno­sti­zierte man ihnen im Jahre 1990 bis kurz vor der Wahl noch 7 Pro­zent, von denen sie dann 4,8 erreich­ten. Es ist also alles nicht neu.

[1] Fritz Ulmer: Der Dreh mit den Prozentzahlen.

Projektion

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4 von 7
Auch wenn das Endergebnis noch nicht feststeht: Je zwei Punkte an SPD und CDU, einer an FDP, Grüne und Linke. Vier von diesen sieben reichen für eine Regierung aus. Das ist besser als befürchtet.

Die zu hohe Zahl der FDP-Wähler scheint nicht mehr zu wissen, wie sehr diese Partei ihre Fahne in den Wind gehängt hat und bestrebt ist, ihre hohe mittlere Quote von Mini­stern pro Mitglied zu halten. Ähnli­ches gilt für die Grünen, daß neben der großen Koali­tion auch beide *‑gelb-​grünen reali­stisch sind.

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Vermischtes
20six | wieso, weshalb, warum | 9,8 Pro­zent | Steige­rung | Sterne | Dreh­sinn | Ziffern | Vier­tei­lung | Formeln | Folge, Reihe, Serie | Jahr 0 | Minus-0 | Null Null | Symme­trie­argu­ment | Freitag, der 13. | kom­mende Woche | noon | Zufalls­duell | Oktave | Quinte | Terz | Epog­doon | Dur | Inter­valle | Ober-​Unter | Teil­bar­keits­regel | Unter­strich | Klam­mer­affe | Dollar | Eszett | Umlaute | ASCII | DIN-A4 | Confed-​Zahlen | Live 8 | Mathe­matik und Rech­nen | Star Quiz | Mega­lithic Yard | NUM­B3RS | Kirch­hoff­sche Gesetze | 4 von 7 | Zer­gliede­rung  | Prog­nose | Projek­tion | Treue­herzen | besur­fed | gemein­same Nenner | 06.01.06 | Pol­izei­ruf 110 | My Way | mostread | Homming­berger Gepar­den­forelle | Angst | Roll­rich­tung | Geburts­tag | Prim­zahl­kreuz | DMS | Löschungen | Wetter | Erkennt­nis | Mathe­ma­tiker­witze | Spiegel | Letzte Ände­rungen | Sabine Chri­sti­ansen | Sandra Maisch­berger | Spieler­frauen | Sudoku 1 2 3 | Arsch­geweih | Der Wahrheit | Quadrat­wurzel­gesetz | jeder - alle | Bibel 2.0 | Fron­leich­nam | Mir ist nicht nach Afrika | Teilerinnen | Non-​Binär-​Tag

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Zahlwörter
zwanzigeins statt einundzwanzig
Zahlsprech, Evolution oder Reform
Großziffern, Dreierblöcke zur Basis 1000
Zahlreform, systematische Schreib- und Sprechweise
Zwanzigeins, zwanzig, zweizehn oder zweizig
Billion, Milliarden, Billionen und billions
Googol, 10 hoch 100 und Google
Myriade, 10.000, Archimedes und Sandkörner
Zwanzighundert statt zweitausend
Endziffer 06 und noch längere

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Zahlenfolgen
Primzahlen 2,3,5,7,11,13,17,19,23,29,31,37,...
Quadratzahlen 1,4,9,16,25,36,49,64,81,100,121,...
Dreieckszahlen 1,3,6,10,15,21,28,36,45,55,66,...
Fünfeckzahlen und andere normale Polygonalzahlen
Sechseckzahlen und andere zentrierte Polygonalzahlen
Fibonaccizahlen 1,1,2,3,5,8,13,21,34,55,89,144,...
Armstrongzahlen 1-9,153,370,371,407,1634,8208,...
Harshadzahlen 1-9,10,12,18,20,21,24,27,30,36,...
Friedmanzahlen 25,121,125,126,127,128,153,216,...
Vampirzahlen 126,153,688,1206,1255,1260,1395,...
EPORN 2520,4030,5740,7360,7650,9760,10080,...

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Zahlen ab 1000
1024 1200 1206 1255 1260 1260 1290 1296 1335 1347 1395 1428 1435 1444 1521 1530 1592 1681 1729 1827 1998
2000 2187 2520 2701 2732 3548 4263 6880 8128 9899
19683 46656 63504
117067 125460 153153 196560 524288
531441 739397
13078260 73939133
5267275776
94892254795
945000000000
16758243290880 24959017348650
1125899906842624 2459319153459529
18393222420692992
6670903752021072936960
357686312646216567629137
115132219018763992565095597973971522401

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