Wahlprognose
wuerg, 20.09.2005 20:02
Zur Zeit wird vielfach auf die Wahlprognostiker geschimpft. Da frage ich mich, ob meine Zahlen unter den obwaltenden Umständen besser gewesen wären, denn auf einem anderen Gebiet habe ich ebenfalls Prognosen mit geringem finanziellen Einsatz erstellt, die oftmals noch weiter von der Realität entfernt waren. Wenn eine Woche vor der Wahl die erfragten Werte für die CDU um 5 Prozent sinken, dann wäre ich angesichts der kleinen Stichprobe auch vorsichtig gewesen und hätte davon 4 Prozent dem Zufall zugerechnet und mich um 1 Prozent nach unten bewegt. Auch dann, wenn die Journalisten nicht umfragegläubig und wechselgierig gewesen wären, ihre Finger am Puls des Volkes gehabt und einen Einbruch berichtet hätten. Denn Programme oder Parameter kurz vor dem Ziel zu ändern, ist unredlich.
Allerdings hätte meine Korrektur um 1 Prozent etwas anders ausgesehen. Ich hätte von 37 bis 47 Prozent auf 36 bis 46 Prozent korrigiert. Die wahren 35 Prozent wären auch von mir damit nicht getroffen worden, doch darf ich mir das in einem von 20 Fällen leisten. Und der wäre eben diesmal gewesen, weil die hohe Zahl der von der FDP abgegriffenen Zweitstimmen sehr plötzlich kam. Für die schwarz-gelbe Koalition hätte ich mich von 43 bis 53 Prozent auf 42 bis 52 Prozent korrigiert und damit richtig gelegen. Und ich bin sicher, so mancher schlichte Mitarbeiter in den Meinungsforschungsinstituten ist mit mir einer Meinung: Auf der Basis der erhobenen Daten sind keine genaueren Angaben möglich, sofern sie in 19 von 20 Fällen auch zutreffen sollen.
Doch interessieren solche Zahlen kaum einen Menschen. Als EMNID sich im Jahre 1987 die Prognose
Die Kritik ist also nur teilweise an den Methoden der Wahlprognostiker anzusetzen. Der von Fritz Ulmer [1] Wahlbetrug genannte Hauptmangel besteht darin, daß von den Zahlen nur der Mittelwert veröffentlicht wird, und der auch noch mit einer Nachkommastelle, ohne auch nur einen kleingedruckten Hinweis auf die wirkliche Genauigkeit. Zu verantworten haben das zunächst die Verbreiter dieser durch Präzision geschönten Zahlen, dann aber auch deren Lieferanten, die solche Angaben unwidersprochen lassen.
Und leider ist auf der Basis dieser wechselseitigen Abhängigkeiten Schlimmeres zu vermuten: Die CDU wurde über Jahrzehnte aufgewertet. Wahrscheinlich aus dem redlichen Motiv heraus, die aus Scham erfolgten Fehlangaben der Befragten auszugleichen. Abgewertet wurde sie praktisch nur dann, wenn eine prognostizierte absolute Mehrheit zur Abstrafung geführt hätte. Auch das ist ein redliches Motiv, doch leider unwissenschaftlich. Auch an der 5‑Prozent-Hürde entscheiden mehr die Meinungen als die Zahlen: Aus Angst vor dieser Grenze und weil die Grünen drei Jahre zuvor 8,3 Prozent erreichten, prognostizierte man ihnen im Jahre 1990 bis kurz vor der Wahl noch 7 Prozent, von denen sie dann 4,8 erreichten. Es ist also alles nicht neu.
[1] Fritz Ulmer: Der Dreh mit den Prozentzahlen.
Projektion
Allerdings hätte meine Korrektur um 1 Prozent etwas anders ausgesehen. Ich hätte von 37 bis 47 Prozent auf 36 bis 46 Prozent korrigiert. Die wahren 35 Prozent wären auch von mir damit nicht getroffen worden, doch darf ich mir das in einem von 20 Fällen leisten. Und der wäre eben diesmal gewesen, weil die hohe Zahl der von der FDP abgegriffenen Zweitstimmen sehr plötzlich kam. Für die schwarz-gelbe Koalition hätte ich mich von 43 bis 53 Prozent auf 42 bis 52 Prozent korrigiert und damit richtig gelegen. Und ich bin sicher, so mancher schlichte Mitarbeiter in den Meinungsforschungsinstituten ist mit mir einer Meinung: Auf der Basis der erhobenen Daten sind keine genaueren Angaben möglich, sofern sie in 19 von 20 Fällen auch zutreffen sollen.
Doch interessieren solche Zahlen kaum einen Menschen. Als EMNID sich im Jahre 1987 die Prognose
CDU 42,3 bis 49,2 Prozent SPD 32,9 bis 41,1 Prozent FDP 5,8 bis 10,2 Prozent Grüne 5,8 bis 10,2 Prozentmit einer Sicherheit von 90% notariell bestätigen ließ, gab es nur Spott: Genauso könne man vorhersagen, daß Helmut Kohl zwischen 100 und 200 Kilogramm wiege.
Die Kritik ist also nur teilweise an den Methoden der Wahlprognostiker anzusetzen. Der von Fritz Ulmer [1] Wahlbetrug genannte Hauptmangel besteht darin, daß von den Zahlen nur der Mittelwert veröffentlicht wird, und der auch noch mit einer Nachkommastelle, ohne auch nur einen kleingedruckten Hinweis auf die wirkliche Genauigkeit. Zu verantworten haben das zunächst die Verbreiter dieser durch Präzision geschönten Zahlen, dann aber auch deren Lieferanten, die solche Angaben unwidersprochen lassen.
Und leider ist auf der Basis dieser wechselseitigen Abhängigkeiten Schlimmeres zu vermuten: Die CDU wurde über Jahrzehnte aufgewertet. Wahrscheinlich aus dem redlichen Motiv heraus, die aus Scham erfolgten Fehlangaben der Befragten auszugleichen. Abgewertet wurde sie praktisch nur dann, wenn eine prognostizierte absolute Mehrheit zur Abstrafung geführt hätte. Auch das ist ein redliches Motiv, doch leider unwissenschaftlich. Auch an der 5‑Prozent-Hürde entscheiden mehr die Meinungen als die Zahlen: Aus Angst vor dieser Grenze und weil die Grünen drei Jahre zuvor 8,3 Prozent erreichten, prognostizierte man ihnen im Jahre 1990 bis kurz vor der Wahl noch 7 Prozent, von denen sie dann 4,8 erreichten. Es ist also alles nicht neu.
[1] Fritz Ulmer: Der Dreh mit den Prozentzahlen.
Projektion
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wuerg,
21.09.2005 18:55
Mir geht es nicht anders als den meisten: Die Fehlprognose zum letzten Sonntag wird als grobe Fehlleistung, von manchen gar als Manipulation empfunden, die teilweise noch größeren Fehlgriffe der Vergangenheit aber sind vergessen. Und wenn die 35 statt 42 Prozent für die CDU zurnächsten Wahl noch im Gedächtnis sein sollten, dann wegen der Medienschelte des Bundeskanzlers. Mag man ihn mit seiner Frau auch für seinen Ton rügen, so ist im Kern doch eine unangenehme Wahrheit angesprochen. Und da die meisten Journalisten zwar parteilich sind, doch nicht absichtlich manipulieren, fühlen sie sich ertappt und zeigen sich nach einigen Entschuldigungen fordernden Pflichtübungen teilweise auch selber schuldbewußt. Natürlich geben sie einen Teil dieser Schuld an die Demoskopen weiter, gleichwohl Journalisten im Gegensatz zum gemeinen Volk um die Unsicherheit und Korrektur der Umfrageergebnisse wußten.
Zur Erinnerung schreibe ich aus einem Aufsatz von Fritz Ulmer ab: „Wer hat noch nicht vergessen, dass im Vorfeld der BTW 2002 Frau Noelle-Neumann und ihr Allensbach-Institut der FDP in der FAZ über Wochen Werte um die 12% in Aussicht stellten? Eine Plattform für den Überflieger Möllemann zum Abheben in Richtung 18%. Noch am Tage vor der Wahl wurden 9,5% in der FAZ verbürgt. Die Bruchlandung erfolgte bei 7,4%. […] Noch spektakulärer entfaltete sie ihre Kochkunst bei der Landtagswahl im Saarland 1985: Zeyer (CDU) contra Lafontaine (SPD). Sie prophezeite der CDU die absolute Mehrheit, den Grünen 6,5%, der FDP mit 1,9% das Aus. Die absolute Mehrheit kam zustande, allerdings für die SPD. Auch die FDP lachte sich mit 10% ins Fäustchen, während die Grünen sich mit 2,5% die Augen rieben.“ [1]
Die meisten letzten Prognosen vor dem Wahltermin weisen deutliche Abweichungen vom Wahlergebnis auf. Fritz Ulmer nennt zahlreiche Beispiele, von denen ich nur noch eines erwähnen will, weil es die gleichen Zahlen wie letzten Sonntag zeigt, wenn auch für eine andere Partei: Noch wenige Tage vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Jahre 1998 wurden 41 bis 44 Prozent der SPD in Aussicht gestellt, wovon sie nur 35,9 erreichte. Zum Ausgleich erhielt die DVU mit 12,9 Prozent das Doppelte der Prognose.
[1] Fritz Ulmer: Grabmal für die unbekannte Fehlprognose.
Zur Erinnerung schreibe ich aus einem Aufsatz von Fritz Ulmer ab: „Wer hat noch nicht vergessen, dass im Vorfeld der BTW 2002 Frau Noelle-Neumann und ihr Allensbach-Institut der FDP in der FAZ über Wochen Werte um die 12% in Aussicht stellten? Eine Plattform für den Überflieger Möllemann zum Abheben in Richtung 18%. Noch am Tage vor der Wahl wurden 9,5% in der FAZ verbürgt. Die Bruchlandung erfolgte bei 7,4%. […] Noch spektakulärer entfaltete sie ihre Kochkunst bei der Landtagswahl im Saarland 1985: Zeyer (CDU) contra Lafontaine (SPD). Sie prophezeite der CDU die absolute Mehrheit, den Grünen 6,5%, der FDP mit 1,9% das Aus. Die absolute Mehrheit kam zustande, allerdings für die SPD. Auch die FDP lachte sich mit 10% ins Fäustchen, während die Grünen sich mit 2,5% die Augen rieben.“ [1]
Die meisten letzten Prognosen vor dem Wahltermin weisen deutliche Abweichungen vom Wahlergebnis auf. Fritz Ulmer nennt zahlreiche Beispiele, von denen ich nur noch eines erwähnen will, weil es die gleichen Zahlen wie letzten Sonntag zeigt, wenn auch für eine andere Partei: Noch wenige Tage vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Jahre 1998 wurden 41 bis 44 Prozent der SPD in Aussicht gestellt, wovon sie nur 35,9 erreichte. Zum Ausgleich erhielt die DVU mit 12,9 Prozent das Doppelte der Prognose.
[1] Fritz Ulmer: Grabmal für die unbekannte Fehlprognose.
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