Apriori
Schön am Leben eines alternden Bloggers ist, anhand aktueller Ereignisse und Diskus­sionen immer wieder an Details aus jungen Jahren erinnert zu werden, die nicht auf der Müll­halde aus Belang­losig­keiten vergessen wurden. Dazu gehört auch eine Begrün­dung der Apriori-Wahr­schein­lich­keit abseits philo­sophi­schen Geschwa­fels: Wenn man von einer Wahr­schein­lich­keit im engeren Sinne nicht sprechen kann, weil sie nicht durch eine Annahme oder zwin­gende Eigen­schaft bestimmt ist und auch nicht durch ständige Wieder­holung (a poste­riori) immer genauer bestimmt werden kann, so darf man dennoch sagen, daß irgendein Ereignis mit einer gewissen Wahr­schein­lich­keit (a priori) eintritt. [1]

Je nach Umstand, Geschmack, Etikette, Verblendung, Wunsch­denken, aber auch gemäß ihrer Entfer­nung von einer reali­stischen Einschät­zung wird eine Apriori-Wahr­schein­lich­keits-Behaup­tung empört als dumpfes Vorur­teil abge­lehnt oder still­schwei­gend ohne jedes Wimpern­zucken akzep­tiert. Wenn der Wetter­frosch im Fern­sehen behauptet, es regne morgen mit einer Wahr­schein­lich­keit von 70 Pro­zent, dann nehmen wir es ihm ab, ohne sofort einen Facebook-Beitrag abzu­lassen: Du Spast, es regnet morgen gar nicht oder zu 100 Pro­zent. Auch kann nicht jeder Tropfen gleich Regen genannt werden, der zudem von Dir als minder­wertig diffa­miert wird.

Natürlich besteht immer der Verdacht, die Wahr­schein­lich­keiten seien nur so dahin­gesagt oder zu grob geraten. Im Beispiel könnte die Aussage durch die Bereit­schaft erhärtet werden, 7 zu 3 auf Regen oder 3 zu 7 dagegen zu wetten. Ich würde es nicht machen, denn ich bin kein Lotto­spieler und fürchte, am nächsten Tag darüber disku­tieren zu müssen, was ein Regen sei. Außerdem könnte ein anderer mehr Kenntnis erlangt haben und vermuten, daß umge­kehrt 30 Pro­zent eher zutreffen. Wenn ich aber an einer Wette nicht vorbei­komme, dann würde ich zumin­dest 1 zu 1 einen hohen Betrag auf Regen setzen. Und ist der andere wirk­lich von seiner Gegen­behaup­tung überzeugt, wird er die Wette annehmen.

Gute Vorurteile sind Apriori-Einschätzungen, die vorhandene Infor­mati­onen ange­messen berück­sichtigen. Von naiven Menschen werden sie trotzdem gerne als nega­tive Vorein­genommen­heit gewertet, sofern sie nicht in den Kram passen, selbst wenn sie sich mit der Zeit bewahr­heiten. Mir aber kommt es mehr auf Wahr­heit und begrün­dete Über­zeugung als Gesin­nung an. Deshalb mußte ich auch das ein oder andere meiner Vorur­teile korri­gieren oder vergessen, auch wenn das mit dem Alter nicht nur wegen zuneh­menden Starr­sinnes immer seltener erforder­lich wird, denn Erfah­rung macht auch das Vorur­teil treff­sicherer. Zumin­dest bekomme ich keine Magen­geschwüre, weil ich in mir spontan hoch­kommende Vorur­teile verschweige oder gar verdränge.

Der geneigte Leser wird schon ahnen, worauf es hinaus­läuft: Auf Rassen, Frauen, Juden, Zigeuner, Ausländer, Vandalen, Proleten, Säufer, Motorrad­fahrer, Täto­wierte, Krimi­nelle, Angeber, Reiche, Poli­zisten, Poli­tiker, Viro­logen. Viel­leicht wäre es einfa­cher, diese Mode­gruppen zu igno­rieren, mir kein Vorur­teil oder gar rechts­kräf­tiges Urteil anzumaßen. Doch leider geht das nicht in einer Zeit, da nicht nur korrekte Meinung, sondern auch Haltung gefor­dert ist, überall die heilige Vielfalt lauert und man durch jedes unbe­dachte oder lockere Wort als vorur­teils­beladen klassi­fiziert und beschimpft werden kann. [2]

[1] Dazu muß das Ereignis nicht unbedingt in der Zukunft liegen. Es gilt auch für vergangene oder gar zeitlose Ange­legen­heiten, deren Kenntnis noch unvoll­ständig, evtl. auch nie zu erlangen ist. Ein Beispiel: Wahr­schein­lich (also zu 100 Pro­zent, aber nicht sicher) gibt es keine ungerade voll­komene Zahl. Sollte irgend­wann eine gefunden werden, wäre das ausge­spro­chenes Pech und zugleich über­großes Glück.

[2] Glücklicherweise ist die Rente sicher und ich muß mein Geld nicht durch Meinungs­äußerung oder gar Satire verdienen. Immer weniger vermögen Ernst von Spaß, Satire von Hetze zu unter­scheiden. Einige wollen es auch nicht. Sie ereilt eine dem frommen Bibel­ausleger analoge Strafe: Sie können mit der Zeit normale oder gar blumen­reiche Sprache nicht mehr verstehen.

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Siebentage-R
Daß ich das noch erleben durfte! Wer hat es erfunden? Das Robert-​Koch-​Institut gewiß nicht. Auch ich kann es nicht in Anspruch nehmen. Zum einen weicht das 7-Tage-R von meinen Wochen­werten w in Details ab. Zum anderen kann man auf der Hand liegende Kenn­zahlen nicht erfinden oder entdecken. [1] Ich hoffe, mit dem neuen 7-Tage-R wird nicht der gleiche Schind­luder getrieben wie mit den Vorgängern.

Heute habe ich gelesen, es sei günstig, Wochen­mittel zu verglei­chen. Schön, das führte auf meine w-Werte, die immer schon besser als die R-Faktoren waren. Jetzt zu wechseln, ist nicht ratsam. Sofort entstünde der Verdacht, man wolle mit w=0,88 statt R=0,93 die Werte schönen. Und weil man das Viertage-​Dogma nicht aufgibt, werden die Mittel­werte zweier Wochen im Abstand von vier Tagen in Rela­tion gesetzt. Dadurch fließen drei Werte sowohl in den Zähler als auch den Nenner ein. Das bewirkt eine gewisse Glättung. Besser wäre jedoch, die realen Zahlen nicht nur durch Now­casting an die vermutete Realität anzu­passen, sondern vor ihrer Verrech­nung zu glätten. Was ist daran kompli­ziert?

Meine einfachste Erklärung für die holprigen Werte der Vergan­genheit lautet, daß die Verkün­diger des Robert-​Koch-​Instituts den falschen Ergeb­nissen ihrer Stati­stiker blind vertrauten. Wie sind solche Fehl­griffe möglich? Zum Beispiel durch Anpas­sung einer Exponen­tial­funktion an die Werte weniger Tage, um sodann aus dem Expo­nenten den R-Faktor abzulesen. Ich will keine abstrusen Sonder­fälle konstru­ieren und einfach die Werte der letzten 15 Tage vom 30. April bis zum 14. Mai betrachten:

1639 945 793 679 685 947 1284 1209 1251 667 357 933 798 933 913

Ein exponentieller Ausgleich auf diese Werte liefert für die vorderen zwei Wochen (1639 bis 933) den R-Fak­tor 0,837 und nur einen Tag später für die hinteren zwei Wochen (945 bis 913) mit 0,972 einen weit höheren Wert. Weshalb werden solche Sprünge von einem Tag auf den anderen nicht nur täglich verkündet, sondern möglicher­weise von Experten wirk­lich errechnet? Weil man selbst als Mathe­matiker blau­äugig glauben kann, man hätte durch wochen­weise Anpassung bekannter Funk­tionen die regel­mäßigen Melde­verzüge ausge­glichen. [2] Das ist offen­sicht­lich nicht der Fall. [3]

Es ist kaum zu glauben, doch die einfachen Methoden liefern bessere, gleich­mäßigere und vor allem glaub­würdi­gere Ergeb­nisse. So bilde ich einfache Verhält­nisse zweier aufein­ander­fol­gender Wochen, woraus sich der R-Faktor gemäß R=w^(4/7) ergibt:

w = (1209+...+933) / (1639+...+1284) = 6148 / 6972 = 0,882   R=0,931
w = (1251+...+913)  /  (945+...+1209) = 5852 / 6542 = 0,895   R=0,938

Und nach der vermuteten Robert-​Koch-​7-Tage-R-​Methode auf Basis gemeldeter statt genow­casteter Zahlen:

R = (1209+...+933) / (679+...+667) = 6148 / 6722 = 0,915
R = (1251+...+913) / (685+...+357) = 5852 / 6400 = 0,914

Die Ergebnisse sind ähnlich. Man muß sich also nicht fragen, weshalb andere zu stark abwei­chenden Ergeb­nissen kommen. Ich vertraue meinen ein­fachen Berech­nungen: Seit dem 1. Mai stieg der R-Faktor langsam und stetig von 0,75 bis maxi­mal 0,95 an. In den letzten vier Tagen lag er nach meinen Kalku­lati­onen bei 0,94±0,01. Wenn das Robert-​Koch-​Institut heute 0,88 nennt, so liegt das noch im Rahmen. Die näch­sten Tage werden es zeigen, denn Now­casting, Glät­tung und Wochen­auswahl hin oder her: Wenn das Robert-​Koch-​Institut wirk­liche 7-Tage-​Mitte­lungs-​4-Tage-​Inkuba­tionszeit-​R-Faktoren bestimmt, dann muß deren siebte Potenz im Mittel der vierten meiner w-Werte ent­sprechen.

[1] Es ist kein Patent darauf anmeldbar, aber auch keine Urheber­schaft zu benennen. Das ist das Schöne an der Mathematik, es gibt sie ohne jeden lebenden oder gestor­benen Menschen. Trotzdem gebürt Ehre dem, der wich­tige Zusammen­hänge gefunden oder gar bewiesen hat. Der 7-Tage-​R-Faktor gehört nicht dazu.
[2] Warum wird die Wochengängigkeit schlechter als erwartet ausge­glichen? Ich nenne es einmal eine mathe­matische Täuschung. Die Ausgleichs­kurve wird nicht nur vom Trend beein­flußt, sondern auch vom Wochen­verlauf. Zur Veran­schau­lichung schneide man aus einer Säge­zahn­kurve zwei Zacken aus, einmal von Spitze zu Spitze und einmal von Mitte zu Mitte. Sie stehen für zwei Wochen von gemel­deten Neu­infek­tionen. Sollte ich mit der Hand durch diese zwei Verläufe möglichst gut eine Gerade oder Exponen­tial­funktion legen, so wäre die erste fallend, die zweite steigend. Das erinnert mich an eine akusti­sche Täuschung, in der stets gleiche Töne beständig aufzu­steigen scheinen, weil ihr internes Spektrum sich schnell aufwärts bewegt.
[3] Wer es nicht glaubt, trage in einem Tabellenkalkulations­programm in die erste Spalte 0 bis 14 (für 30. April bis 14. März) und in die zweite und dritte Spalte die Tageszahlen der neu Infizierten (1639 bis 913) ein und lösche in der zweiten Spalte den letzten Wert 913 und in der dritten den ersten 1639. Trägt man sodann in einer Grafik die Werte der zweiten und dritten Spalte gegen die der ersten auf, so sind zwei Verläufe zu sehen, die sich größten­teils über­lappen, aber gut sichtbar werden, wenn man für den zweiten weit größere Symbole verwendet. Wählt man nun für beide Zahlenreihen einen exponentiellen Ausgleich, so ist der erste wesent­lich steiler als der zweite. Das liegt natür­lich auch daran, daß beim Über­gang von der ersten zur zweiten Spalte vorne mit 1639 viel entfällt, hinten aber nur 913 hinzukommt. Das allein aber erklärt nicht alles. Um das zu erkennen, ersetze man 1639 einfach durch zu w=0,9 erwar­tende 1300. Selbst 1000 läßt noch einen Resteffekt.

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Rattenschwanz
Meine Prognosen für den ersten und hoffentlich letzten Berg mit Gipfel zunächst Ende März, dann Anfang April sind zumindest für den absteigenden Ast überholt. Seit ein paar Tagen ist die Zeit des in der nach­stehenden Abbil­dung deut­lich zu erken­nenden Ratten­schwanzes gekommen, längs dessen es nicht mehr so schnell herunter geht wie es die schwarze Linie der an die Werte bis zum 19. April ange­paßten Normal­verteilung erwarten ließ.


Rattenschwanz der neu Infizierten (png)

Bis zum Muttertag wäre die Epidemie praktisch über­wunden. Doch die Oster­exzesse läuteten weitere Nach­lässig­keiten ein. Die berühmten R-Zahlen sinken nicht mehr, sie kleben unter der Eins und schicken sich an, diese Linie zu über­schreiten. Die bei anhal­tender Diszi­plin zu erwar­tenden 160.000 Erkrankten sind bereits Geschichte. Bald wird das vorstehende Bild aktualisiert und zeigen, wohin die Reise geht. [1,2]

Das alles mag im Vergleich zu dem, was wir bereits hinter uns haben, unbe­deutend erscheinen, doch wurde das für den 1. Mai erreich­bare Ziel von unter hundert täglich neu Infi­zierten schon jetzt weit in die Zukunft geschoben. Es wäre auch für die Wirt­schaft günstiger gewesen, jede Öffnung noch ein paar Wochen zu verschieben und Verlet­zungen der Vorschriften rigoros zu verfolgen. Die gedul­dete Diszi­plinlosig­keit zu Ostern und die nach Öffnungs­diskus­sions­orgien in einigen Ländern egoi­stisch erlaubten Locke­rungen lassen die Krise länger als nötig andauern.

[1] 12.06.2020: Die realen Zahlen vom 19. April bis zum 11. Juni 2020 sind als rote Punkte darge­stellt. In dieser Zeit wurden 44.000 neu infiziert. Das ist auch für die beiden roten Ausgleichs­linien der Fall. Die durchgehende geht von konstan­tem R0=0,86 aus, die gestrichelte nimmt eine tägliche Stei­gerung von drei Promille an. Vor dem Anstieg zu einem zweiten Berg erreicht sie ziem­lich genau in der Mitte des Jahres bei R0=1,01 ein Minimum. Das beruht auf meiner zu 80 Pro­zent angenom­menen Dunkel­ziffer der Infi­zierten, die Rt=R0·(1-5·192.000/83.520.000)=1 bewirkt.
[2] 17.07.2020: Wäre die Reproduktionszahl konstant geblieben (rote durch­gehende Linie), gäbe es heute 11.000 Infi­zierte weniger. Selbst mit einem unter­stellten Wachstum von 3 Pro­mille täglich (rote gestri­chelete Linie) fehlten noch 6.500 an den heute gemel­deten gestrigen 201.372. Da Tönnies und Konsorten soviel nicht hergeben, muß man wohl einge­stehen, daß die Dreck­spatzen der Nation im Schatten lokaler Ausbrüche die Epidemie voran­getrieben und den Aufstieg zu einem zweiten Berg in Angriff genommen haben.

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Förderalismus
Was auch passiert, es liegt am Förderalismus. Der stört uns, obgleich wir die Staaten [1] genannten Länder der USA für ganz normal halten und deren Unter­schiede hinter denen deutscher Länder nicht zurück­fallen. [2] Ich meine mich auch an ein Buch über Staaten­geo­grafie zu erinnern, in dem Staaten nach ihrer Größe aufge­tragen und zwei deut­liche Berge zu erkennen waren: Einer in der Größen­ordnung von Holland und der andere von Deutsch­land. Für erstere ist eine Unter­glie­derung in teil­unabhän­gige Pro­vinzen mit Regie­rung, Parla­ment, Verwal­tung und Rechts­sprechung nicht sinnvoll, für letztere aber schon.

Immer wieder wird beklagt, daß unser Bildungssystem der Länder­hoheit unter­liegt, das Abitur in manchen Ländern leichter, aber auch weniger ange­sehen ist. [3] Was aber nützt es einem Bayern im Ausland, wenn man seinen eigen­artigen Dialekt nicht erkennt und ihn dort für einen Bremer hält? Gäbe es keine Länder­unter­schiede bliebe immer noch das Ansehen von Nationen, Städten, Schulen, Univer­sitäten, Insti­tuten. Und Gleich­heit in der Welt ist noch lange nicht erreicht. [4] Sonst wäre es nicht möglich, sich mit dubiosen oder gekauften Abschlüssen samt Ausländer­bonus an deut­schen Univer­sitäten durch­zumogeln.

In der Corona-Krise wird zwar gelegentlich betont, daß dank der förde­ralen Stuktur unseres Landes schnell vor Ort reagiert werden konnte, doch in den berühmten Meinungs­bildern unseres linearen Fern­sehens beklagt sich das deutsche Volk ständig über Unter­schiede. Und Journa­listen legen nach: Es fällt schwer, den Über­blick zu behalten. Muß ich aber auch gar nicht. Ich bin kein Möbelhaus-​Tourist und verlasse Hessen nicht. Wollte ich es genau wissen, müßte ich nur nach „Corona Hessen“ googeln, und schon würde mir alles mitgeteilt.

Ein Vorteil der Unterschiede könnte darin bestehen, die Wirksam­keit gewisser Maßnahmen oder die Schäd­lichkeit von Öffnungen zu belegen oder auch nicht. Wenn Thüringen in den letzten Tagen hinter dem Bundes­durch­schnitt zurück­fällt, so haben die Masken wohl nicht viel gebracht, in Sachsen mögli­cher­weise schon. Wenn Bremen seinen Vorteil gegen­über dem umge­benden Nieder­sachsen verspielt hat, sollte man nach Ursachen fragen. Wenn das gebeu­telte Bayern es in den letzten zwei Wochen endlich geschafft hat, sich gemessen an anderen leicht zu verbes­sern, mag das der Hart­näckig­keit von Markus Söder zu verdanken sein.

Nun geht es uns wieder etwas besser, und schon beginnen einzelne Bundes­länder mit Öffnungen ohne voran­gehende Diskus­sions­orgien. In Sachen-​Anhalt mag das wegen der nach Mecklen­burg-​Vorpom­mern zweit­niedrig­sten Infek­tions­zahlen noch verständ­lich sein, auch im ganzen corona­armen Osten, der dadurch auch einmal einen Vorteil nutzen könnte. Doch das Saar­land hat sich nun wahr­lich nicht mit Ruhm bekleckert: Zu Beginn weit­gehend verschont, doch dann wohl dank mangelnder Abschot­tung zu Frank­reich eine bestän­dige Zunahme um den Faktor zwei von 35 Pro­zent unter auf 35 Pro­zent über dem Bundes­durch­schnitt. Wenn man es so sehen mag: Die „Infek­tions­kurve flacht deut­lich ab“. Das reicht dem Dritt­plat­zierten für Öffnungen!

[1] Von den Stadtstaaten abgesehen nennen sich Bayern, Sachsen und Thüringen sogar Freistaaten.
[2] Meines Wissens hat Hessen 2018 als letztes Bundesland die Todesstrafe gestrichen.
[3] Wer fernsieht, bleibt auch von artigen Jungs nicht verschont, die sich von Abitur­prüfungen viel verspre­chen und Angst haben, als Corona-​Jahrgang abge­stempelt zu werden. Es fehlt eben ein Schul­fach, in dem man vom Schleim befreit lernt, daß schon nach kurzer Zeit keiner mehr nach der Durch­schnitts­note und dem Bundes­land fragt. Wir haben das Kurz­schul­jahr und G8 schadlos über­standen.
[4] Früher gab es zum Diplom zwei Blätter, eine Urkunde und ein Prüfungs­zeugnis. Heute wird dem Bachelor eine Mappe beige­fügt, in der auch auf englisch alle Leistun­gen aufge­führt sind, unser Ausbil­dungs­system erläu­tert wird und Prozent­sätze zu den einzelnen Noten genannt werden.

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Unterleben
Aus dem Füllhorn des Robert-​Koch-​Institutes ergießt sich nun die Exzeß­morta­lität in die deut­schen Lande. Für jeden verständ­lich als Übersterb­lichkeit? Das soll die Sterbe­rate über das normale Maß hinaus sein, für eine Risiko­gruppe oder eine Zeit, da eine Krank­heit gras­siert. Und wer hätte es gedacht: Die gegen­wärtige Über­sterb­lich­keit über­steigt die Zahl der offi­ziell an Corona Verstor­benen. Und da die Grippe­welle wohl vorüber ist und über die üblichen hinaus keine töd­lichen Krank­heiten zu sehen sind, kann man davon ausgehen, daß diese Über­sterb­lich­keit Corona zu verdanken ist. Würde sie beziffert und mit den offi­ziellen Sterbe­fällen vergli­chen, käme man auf eine Dunkel­ziffer. Die ist immer gut zur Angst­mache, bei Toten, bei Anti­körper­trägern, bei Infi­zierten, bei Erkrankten, bei sexu­ellen Über­griffen und Taschen­dieb­stählen.

Man ist gut beraten, sich an offi­zielle Zahlen zu halten, so falsch und sprung­haft sie auch sein mögen. Wer sich ausdrück­lich auf sie stützt, bean­sprucht gar nicht der Realität näher zu sein als Dunkel­ziffer­schätzer oder Nowcaster. Dennoch glaube ich, auf der Basis weniger offi­zieller Zahlen ohne medizi­nische Fürze bessere Ergeb­nisse zu erzielen als die wankel­mütigen Verkün­digun­gen des Robert-​Koch-​Institutes. Die lassen durchaus vermuten, den poli­tischen Erforder­nissen angepaßt zu sein und sicher­heits­halber alles schlimmer darzu­stellen als es wirk­lich ist.

Meine Überschrift „Unterleben“ ist formal eine umkeh­rende Wort­spielerei zur „Über­sterb­lich­keit“. Ich will es aber präzi­sieren: Unterleben soll die Zahl der vollen Lebens­spannen sein, die durch Corona verloren gehen. Die zu bestimmen ist nicht leichter als die der „Über­toten“ und erst nach langer Zeit einiger­maßen genau möglich. Aber man kann sich ein Bild von der Größen­ordnung machen: Unter der Annahme, daß aus einer Gruppe von e Men­schen im Alter a mit einer rest­lichen Lebens­erwar­tung von b ein Anteil i binnen kurzer Zeit an Corona erkrankt, von diesem wiederum ein Anteil l sofort stirbt und sich das weitere Leben eines Anteiles r der Gene­senen im Mittel halbiert, ergibt sich eine Verkürzung der Lebens­erwar­tung um

c = bil + bi(1-l)r/2 ≈ b(m+ir/2)   (= 2bm für r=2l)

Darin ist m=il die Mortalität, der Anteil Toter t an der Gesamtgruppe von e Personen. Wie groß r ist, weiß zur Zeit keiner, könnte aber in den nächsten Jahren nicht nur aus den Krankenakten, sondern auch aus der Übersterblichkeit ermittelt werden. Für meine nachfolgenden Kalkulationen gehe ich einfach von dem bequemen r=2l aus, was bedeutet: Zu jedem verlorenen Lebensjahr durch unmittelbaren Tod kommt noch einmal eines durch Langzeitfolgen der Überlebenden hinzu.

Von den 83,5 Millionen Bundesbürgern haben 18,2 das 65. Lebensjahr vollendet (e=18,2/65,3"). Wenn alles wie erwartet weitergeht, werden t=7.600/700 davon sterben. Das ergibt eine Mortalität von m=t/e=420/11ppm. Bei einer geschätzen restlichen Lebenserwartung von b=12/44 Jahren, ergibt sich ein mittlerer Lebenszeitverlust von c=2bm=80/8 Stunden. Alte Menschen büßen also trotz hohen Alters im Mittel zehnmal soviel Lebenszeit ein wie jüngere.

Wenn man aber bedenkt, was Corona jeden von uns schon Zeit, Geld und Nerven gekostet hat, dann wirken die wenigen Stunden mitt­lerer Lebens­zeit­verkür­zung wie Pipifax. Die meisten würden sofort mit dem Sensen­mann eine Verein­barung schließen: Drei Tage früher sterben, dafür ist Corona sofort vorbei. Doch darum geht es nicht. Es gilt die Herden­immu­nität zu vermeiden, auch wenn sie erst nach zwei Jahren und bei nur 10 Mil­lio­nen Infi­zierter erreicht ist, weil dann zwei Nullen an alle extensive Größen zu hängen wären. Gelänge das Flatten, vielleicht kein Problem für unsere Intensiv­stationen und Krematorien, doch wer möchte statt drei Tagen ein ganzes Jahr einbüßen? Deshalb darf ich wieder­holen: Es ist erfor­derlich, die Ausbrei­tung rigoros einzu­dämmen und im Inter­esse aller Zuwider­hand­lungen kompro­mißlos zu ahnden.

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Reproduktion
Bruttoreproduktionsziffer ist mir schon Jahrzehnte als schönes Wort im Kopf. Es ist die mittlere Anzahl der lebend­gebo­renen Mädchen von Müttern im gebär­fähigen Alter. [1] Diese Zahl beschreibt recht gut das Wachstum der Bevöl­kerung ohne Zu- und Abwande­rungen. Warum? Weil es auf die Zahl der zeugungs­fähigen Männer nicht ankommt und man davon ausgehen kann, daß es auch in Zukunft nur unwe­sent­lich mehr Männer als Frauen geben wird. Man kann allein aus der Brutto­repro­duktions­ziffer r recht gut das Wachstum der Bevöl­kerung abschätzen, weil der Zeit­raum einer Ver-r-fachung einiger­maßen konstant sein sollte. Ich kenne ihn nicht genau, gehe aber bei­spiels­weise davon aus, daß die mitt­lere Tochter im Alter von 33 Jahren geboren wird. Dann wächst die Bevöl­kerung in 100 Jahren etwa um den Faktor r hoch 3. Natürlich ist es hoffent­lich umge­kehrt: Aus dem Wachstum der Bevöl­kerung schließt man auf die Brutto­reproduk­tions­ziffer. Sie dient mehr der Anschau­ung als einer detail­lierten Prognose.

Mit dem modernen R0-Faktor, der Basisreproduk­tions­zahl in Zeiten von Corona ist es ähnlich. Auch wenn der Eindruck erweckt wird, Viro­logen oder Medi­ziner kennten den R0-Faktor und seien in der Lage, aus ihm die globale Entwick­lung vorher­zusagen, so kann es eigent­lich nur umge­kehrt sein: Aus der Entwick­lung der Infek­tions­zahlen wird der R0-Faktor errechnet. Aber nicht mit der gleichen Präzi­sion wie in der Demo­grafie, weil nicht genügend genau bekannt ist, nach wievielen Tagen ein Erkrankter R0 andere ansteckt. Aber eines bleibt: Egal, ob es lange dauert oder schnell geht, liegt R0 über 1, so breitet sich das Virus aus, unter­halb von 1 geht es Richtung Ausrot­tung. Auch hier ohne Zu- und Abwan­derung.

Leider schwanken die Zahlen der neu Infi­zier­ten n(t) sehr stark, auch abhängig vom Wochentag. Deshalb berechne ich Wochen­mit­tel w(t) zum Tag t, indem ich die Wochen­summe n(t-3)+...+n(t+3) um t herum durch die der Vor­woche n(t-10)+...+n(t-4) divi­diere. [2] Damit ergibt sich folgen­des Bild:


Entwicklung der wöchtlichen Zuwächse Erkrankter (png)

Auch wenn man nicht weiß, in welchem Abstand andere infiziert werden, kann im darge­stellten Verlauf dennoch grob der R0-Faktor gesehen werden. Er mag sich flacher oder eher extremer entwickeln, doch liegen R0-Faktor und w zumeist auf der glei­chen Seite der 1. Der w-Wert zeigt gleich dem R0-Faktor durch seine Rela­tion zur 1 an, ob das Virus sich aus­breitet oder abschwächt. Und es wird auch so sein, daß die R0-Fak­toren besten­falls auf eine ähn­liche Art und Weise errech­net werden, auch wenn die verkün­deten mehr der Phan­tasie, den Wünschen und Erwar­tungen ent­springen. Eine Diffe­renz zwischen dem Verlauf der w-Werte und dem R0-Faktor ist aber bedeu­tender als die leichte Verzer­rung der Bevöl­kerungs­zahlen im Jahre 2015: Werden von außen Infi­zierte einge­tragen, erhöht sich bei konstan­tem R0-Faktor der w-Wert. Das ist im Bild deut­lich zu sehen.

Am 13. März habe ich eine Prognose der Erkrankten gewagt. Die blauen w-Werte ließen einen schnellen Abstieg unter die 1 erwarten, woraufhin ich von einer recht kurzen Epi­demie mit nur 30.000 In­fi­zier­ten ausging. So ähn­lich wäre es wohl auch gekommen, wenn man die neu­deutsch Contain­ment genannte Verfol­gung von Einzel­fällen weiter durch­gezogen hätte. Das wurde wohl unmög­lich, nachdem Scharen von Urlau­bern ohne Quaran­täne aus den Seuchen­gebieten zurück­kehrten und man vor den Kontakt­beschrän­kungen noch eine Gedenk­woche einlegte. Das zeigen die plötz­lich nach oben schie­ßenden roten w-Werte, die sich anschlie­ßend dank Ansteckungs­angst und Vorsicht trotzdem Rich­tung 1 ent­wickel­ten. Ich mußte meine alte blaue Prognose durch einen neue rote ersetzen. Die Kurve wurde nicht geflatte­nettet, sondern mehr als doppelt so breit und viermal so hoch. Das Maximum verschob sich um zwei Wochen auf Anfang April, und es wurden von mir 300.000 In­fi­zierte erwartet.

Dann kamen die Kontaktbeschränkungen. Mindestens eine Woche zu spät konnten sie nicht mehr alles retten, aber die w-Werte und damit den R0-Faktor letzt­lich beständig unter 1 drücken, lange bevor das Robert-​Koch-​Institut sich zu dieser Wahr­heit durch­ringen konnte. Das behaup­tete noch am letzten Woch­ende einen Wert von 1,3. Bis heute soll er auf 0,6 gefallen sein. [3] Wie kann das sein? Hat sich irgend­etwas abrupt geändert? Egal, es ist wohl den ergrif­fenen Maßnahmen zu verdanken, daß ich nunmehr auf der Basis der schwarzen w-Werte nur noch mit der Hälfte, näm­lich 160.000 Er­krank­ten rechne. Der Höhe­punkt wurde in den ersten April­tagen über­schritten. Schon andert­halb Wochen lang liegen die w-Werte und damit der R0-Faktor unter 1, was auch ohne Rech­nung mit bloßem Auge dem Verlauf der Neuer­kran­kungen zu entnehmen ist.

Das bedeutet nicht, die Einschrän­kungen nun abblasen zu können, denn dann könnte die Entwick­lung deut­lich von einer Normal­vertei­lung abwei­chen und einen auslau­fenden Ratten­schwanz, neu­deutsch long tail ent­wickeln, bei Unacht­samkeit auch einen zweiten Berg. Geht aber alles den bishe­rigen Gang, dann erwarte ich am berühmten 19. April nur noch 800 neu Infi­zierte und 150 Tote. [4] Rechne­risch sind es am Mutter­tag weniger als zehn. [5,6] Doch darauf will ich nicht wetten, da ein paar Subkul­turen bleiben werden, die höhere R0-Fak­toren pflegen und so für einen höheren Boden­satz sorgen. Der aber ist bedeu­tungslos, wie es auch keinen deutschen monogam lebenden Menschen inter­essieren muß, ob es noch Aids-​Kranke gibt. [7,8]

[1] So ähnlich habe ich es in der allwissenden Müll­halde gelesen, dachte aber immer, die Töchter müßten die Geburt nicht nur überleben, sondern ihrerseits die Wechsel­jahre erreichen. Andern­falls garantiert 1,001 noch kein Wachstum. Außerdem ist Netto auch hier nur ein Teil des Bruttos. Für die Biodeut­schen ist der feine Unterschied zwischen der Brutto­repro­duktions­ziffer und dem wirk­lichen Wachstum irrele­vant, da deren Frauen es nur auf 1,6 Kinder bringen.
[2] Die Zuordnung auf den mittleren Tag der zweiten Woche erscheint mir aus folgendem Grunde sinn­voll: Steckt jeder vom 4. bis zum 10. Tag nach seiner Infek­tion, also in der Folge­woche gleich­verteilt R0 andere an und sinkt diese Zahl wegen ergrif­fener Maß­nahmen von einem Tag zum anderen t von konstant 3 auf konstant 2, so entwickelt sich der w-Wert binnen einer Woche von unge­fähr 3 auf unge­fähr 2 und erreicht am Tage t+4, also in der Wochen­mitte einen Wert in der Nähe von 2,5.
[3] 16.04.2020: Zwischenzeitlich behauptet das Robert-​Koch-​Institut, der R0-Faktor sei schon am 20. März unter 1 gesunken. Haben sich die Berech­nungen oder nur die Propa­ganda­ziele geändert?
[4] 20.04.2020: Es wurden nur 110 Tote gemeldet. Realistisch sind viel­leicht 180. Auch neu Infi­zierte gab es dreimal soviele, nämlich gemel­dete 1775 und reali­stische 2500. Das liegt gewiß an meiner zu engen Ausgleichs­kurve, aber wohl auch an nach­lassender Diszi­plin und einigen kleinen, aber sehr an­stecken­den Bevöl­kerungs­gruppen, die bei sinken­den Zahlen zuneh­mend ins Gewicht fallen. Die ungleich­mäßige Vertei­lung des R-Faktors ist eine Gefahr, weshalb eine Epi­demie durchaus wieder auf­leben kann, auch wenn er im Mittel unter 1 liegt.
[5] 24.04.2020: Dieses Ziel haben wir verspielt, seit in den letzten Tagen der R-Faktor im Einklang mit meiner w-Zahl beständig ansteigt. Meine letzte Fort­schrei­bung der Infizierten ließ eine Gesamt­zahl von 160.000 erwarten. Es werden wohl mehr werden, weil sich ein von einer Normal­vertei­lung abwei­chender Ratten­schwanz ent­wickelt, den ich darauf zurück­führe, daß ein kleiner Teil der Bevöl­kerung sich nicht an die Regeln hält. Haben sie einen R-Faktor über 1, werden sie vorzugs­weise sich selbst und dann alle durch­seuchen. Ein Durch­schnitts­wert von derzeit immer noch R=0,9 wird das nicht verhin­dern. Der normale Mensch kann Masken tragen und Abstand halten. Es nützt aber wenig, solange nicht gleich­zeitig die Haupt­verbrei­tungs­wege radikal unter­bunden werden: Zuviele Leute in engen Räumen, Zusammen­rottungen, gemein­sames Saufen und Sabbern. Bestärkt wurde ich in dieser meiner Auffas­sung durch Cem Özdemir, der keinen in seiner Familie ange­steckt hat.
[6] 29.04.2020: Ich wollte noch ein paar Tage mit der Fort­schrei­bung meines Bildes warten. Doch in den letzten Tagen ist mir zuviel mit einem von unten gegen 1 stre­benden R-Faktor die Rede. Das ist nicht wahr, der R-Faktor fällt wieder. Eine zweite Welle droht zur Zeit also nicht. Es bleibt aber ein dauer­hafter Schaden der Oster­tage. Mit Diszi­plin hätten wir auf der schwarzen Linie bleiben und mit 160.000 Infi­zierten aus der Krise gehen können. Das werden wir nicht mehr schaffen, selbst wenn der R-Faktor sofort auf 0 fiele. Und bei dieser Gelegen­heit ein erneuter Blick auf Teilver­läufe: Die sinkenden blauen Werte entspre­chen der wach­senden Vorsicht in der Anfangs­zeit, der rote Berg entstand durch den Eintrag rück­keh­render Urlauber. Nach dem 23. März fielen die Werte ein paar Tage lang ab und ließen einen blei­benden Vorteil erwarten, der aller­dings zu Ostern verspielt wurde. Die in der Folge­woche angestie­genen Werte liegen nun dauerhaft zu hoch, um auf ein schnelles Ende hoffen zu können. Wenn Kinder deshalb vier Wochen länger zu Hause bleiben müssen, sollten sie sich mit den dank der Nach­lässig­keit ihrer Eltern in freier Natur oder bei Verwandten gefun­denen Eier trösten.
[7] 12.05.2020: Ich habe das Bild erneuert, weil nunmehr deutlich zu sehen ist, daß der R-Wert nach dem 1. Mai ebenso dramatisch ansteigt wie nach Ostern. Allerdings sehe ich den R-Faktor immer noch deutlich unter 1. Im Gegensatz zum Robert-​Koch-​Institut, das nach merkwürdig schnell schwan­kenden Werten nunmehr verkündet, in Zukunft den R-Wert glätten zu wollen. Das ist nicht ganz korrekt und beschö­nigend ausge­drückt, denn der R-Wert ist viel, viel glatter. Geglät­tet werden allen­falls die berech­neten oder gar geschätzen Werte. Und wenn die beim Robert-​Koch-​Institut durch Division von Vier­tages­blöcken entstehen, dann ist natür­lich Schwach­sinn zu erwarten. Ich benutze wenigsten Sieben­tages­blöcke, um besser zu glätten und vor allem die Wochen­gängig­keit weit­gehend auszu­gleichen. Mein heutiger Wochen­wert, den ich dem 8. Mai zuordne, ist w=6648:7523=0,88. Das entspricht R=w^(4/7)=0,93.
[8] 06.07.2020: Heute habe ich das Bild letztmalig aktualisiert. Zum einen muß alles ein Ende haben, zum anderen ist der weitere Verlauf in einem anderen Bild zu sehen, und zum dritten treten wegen gefallener Absolut­zahlen zunehmend inhalts­leere Schwan­kungen auf. Von den fleisch­zerle­genden Dreck­spatzen ging zwar nur eine lokale Gefahr aus, doch reichte es für einen deut­lichen Berg in den bundes­weiten Infek­tions­zahlen, dem eine Welle der R-Werte folgen mußte. Wir werden sehen, ob in ein paar Tagen sich die seit Ostern abzeich­nende Entwick­lung fortsetzt und wir bei stei­gen­den R=1 landen oder die auf alle ausstrah­lende Angst diesen Trend stoppen kann.

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Unredlichkeit
Die berühmte exponen­tielle Entwick­lung kommt in der Natur vor allem fallend, also in der Form

y = a·e-λx = a·e-x = a·2-x/h = a·bx = a·(1-z)x   (a,λ>0)

mit der Zerfalls­konstanten λ vor. Das Parade­beispiel ist der radio­aktive Zerfall, in dem x für die Zeit steht. Jedes noch nicht zerfal­lene Teil­chen kann mit einer weiteren Lebens­zeit von τ=1/λ rechnen. Inner­halb dieser Spanne redu­ziert sich ihre Anzahl auf 1/e=0,36788, also etwa 37 Prozent. Eine Halbie­rung findet in der Halb­werts­zeit h=τ·ln2=0,69·τ statt. Ist x dimenen­sionslos, so kann man b=1/e^λ bilden. Das ist der Faktor, mit dem sich y von Schritt zu Schritt (Δx=1) ändert. Er unter­schrei­tet 1 um den rela­tiven Verlust z=1-b.

Theoretisch gibt es auch das exponen­tielle Wachstum, in der Praxis zumeist nur nähe­rungs­weise oder für eine kurze Zeit.

y = a·eλx = a·ex = a·2x/d = a·bx = a·(1+z)x   (a,λ>0)

Jetzt ist λ die Wachstums­konstante. An die Stelle der Halb­werts­zeit tritt die Verdop­pelungs­zeit d=ln2/λ=0,69/λ. Für τ=1/λ fällt mir keine griffige allge­meine Bezeich­nung ein. Ist jedoch y eine mit der Zeit x wachsende Menge neu erschaf­fener Objekte, so wäre τ deren durch­schnitt­liches Alter. Es ist die Zeit­spannne, in der ein Wachstum um den Faktor e=2,71 eintritt. Ist x dimen­sionslos, kann man wieder einen Faktor b=e^λ bilden, der das Wachstum inner­halb eines Schrittes beschreibt. Diesmal ist z=b-1 die zuge­hörige relative Zunahme.

Im weniger realen Leben der Schule kommt auch ein sehr lang­atmiges exponen­tielles Wachstum vor. Gerne in der Aufgabe: Hätte Jesus einen Euro zur Bank gebracht, der jähr­lich mit 3 Pro­zent verzinst worden wäre, wieviel Geld hätte er heute? Nehmen wir an, er hätte den Euro vor genau x=2000 Jahren einge­zahlt. Bei einem Zins­satz z=0,03 pro Jahr wäre er bei viertel­jährlicher Verzin­sung dank einer Verdop­pelungs­zeit von 23 Jahren heute stolzer Besitzer von (1+0,03/4)^(2000·4), etwa 91 Quadril­lionen Euro und könnte jeden Rettungs­schirm aufspannen.

Für die kleine Virologenschule geeignet wäre auch die folgende Aufgabe: Am 6. April waren 99.225 Personen infiziert, am 27. März 42.547 und am 28. März 48.582. Bestimmen Sie die Verdoppelungszeit d auf einen halben Tag genau unter der Annahme einer exponentiellen Entwicklung. Nehmen Sie weiterhin an, jeder am Tag t neu Infizierte würde genau Δt Tage später R0=1,5 weitere Personen infizieren. Wie lang ist diese Inkuba­tions­zeit Δt? Antwort: Die Verdop­pelungs­zeit beträgt d=9,5 Tage. In Δt Tagen tritt ein Wachstum von 1,5=R0=2^(Δt/d) ein. Daraus ergibt sich eine Inkuba­tions­zeit von Δt=5,5 Tagen.

Stimmt also, was uns heute erzählt wurde? Liegt der berühmte R0-Faktor tatsäch­lich wie behauptet zwischen 1,2 und 1,5? Ist die Inku­bations­zeit wegen d=9,5 wirklich nur 2,5 bis 5,5 Tage? Oder ist sie länger und der R0-Faktor entspre­chend höher? Werden wir am Oster­sonntag 165.000 Infi­zierte haben, die auf Oster­montag um mehr als 11.000 anwachsen? Nein! Alles Quatsch! Von Instituts­leitern nach­geplap­perte Pseudo­analyse! Doch warum stimmt das nicht, was ist falsch an der oben­stehenden Rech­nung? Ganz einfach! Es liegt keine exponen­tielle Entwick­lung vor, noch nicht einmal nähe­rungs­weise für einen angemes­senen Zeit­raum! Die Rechnung ist nicht falsch, ihre Voraus­setzungen model­lieren einfach nicht die Realität!

Wenn es keine Lügen sind, dann unermeß­liche Unfähig­keit. Anderes erwarte ich auch gar nicht von den meisten Experten, die sicher­lich gute Viro­logen, Mikro­bilogen und Medi­ziner sind, sei es für Mensch oder Tier. In ihrer Welt kommen ordent­liche Stati­stiken kaum vor, sie haben Medizin studiert, um den Menschen zu helfen und das Rechnen zu vermeiden. Gleich den Geistes­wissen­schaft­lern haben sie sich durch die Prüfungen zur Stati­stik gequält. Aber sie fertigen Studie um Studie auf Basis magerer Zahlen an. Ihre öffentlichen Äußerungen sind weit von Six-Sigma entfernt.

Ich halte es für wissenschaftlich unredlich, eine Verdop­pelungs­zeit von 9,5 Tagen zum Anlaß für die Behaup­tung zu nehmen, wir seien noch nicht über den Berg und der R0-Faktor nicht unter 1,2. Ganz häß­lich ist es, sich auf Sterbe­raten raus­zureden. Die werden nach Ostern fallen, wie es die Neuin­fekti­onen schon seit einer Woche tun. Gar nicht ausstehen kann ich das Gefasel von der Verdop­pelungs­zeit, die bis zu Ostern selbst dann nicht über 16 Tage steigen kann, wenn sich über­haupt keiner mehr ansteckt. Es ist unan­ständig, die Verdop­pelungs­zeit einer nicht gege­benen exponen­tiellen Entwick­lung gleich­zusetzen mit der Anzahl von Tagen in die Vergan­genheit, da nur die Hälfte infiziert war.

Was ist das Motiv, jetzt gegen Ende der Epidemie die Verdop­pelungs­zeit zu betonen? Ich unter­stelle einfach, daß die Politik aus heutiger Sicht die derzei­tigen Maßnahmen nicht vor Führers Geburtstag lockern und die Bevöl­kerung auf eine Fort­setzung einstimmen oder vorbe­reiten möchte. Da ist es natür­lich günstig einen R0-Faktor deutlich über 1 zu postu­lieren und Verdop­pelungs­zeiten unterhalb von zwei Wochen in den Raum zu stellen. Denn eines haben die Menschen von Leuten wie Herrn Lanz gelernt: Heute 100.000, in zwei Wochen 200.000 und in einem halben Jahr 8 Mil­lionen. Viel­leicht ist es entgegen meiner Kritik aber richtig, von einem Monster im See zu erzählen, damit die kleinen Kinder nicht ertrinken.

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