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160-Stunden-Inzidenz
wuerg, 31.03.2021 22:43
Die Überschriften bei Google-News durchscrollend lese ich „Sieben-Tage-Inzidenz geht leicht zurück“ und denke mir, der eine oder andere Schreiberling hätte es durchschaut. [1] Der Beginn des Artikels mit „meldet 7.051 neue Corona-Fälle ‒ etwa 1200 mehr“ und „dennoch sinkt die Sieben-Tage-Inzidenz“ ließ auf Widerspruchserkennung hoffen. Doch weit gefehlt, es wird einfach hingeschrieben, was vom RKI angeblich gemeldet wurde, daß die Siebentageinzidenz von 135,2 auf 132,5 gefallen sei. Dann noch ein paar weitere Zahlen und Bildchen, und das Zeilenhonorar ist eingestrichen.
Gelegentlich hatte ich das RKI verdächtigt, Fälle auf das Ansteckungsdatum rückzudatieren und damit zu niedrige aktuelle Werte rauszuhauen, die dann in den Folgetagen von der Öffentlichkeit unbemerkt angehoben werden. Das triftt für den R-Wert wohl auch zu. Für die Siebentageinzidenz ist es schlichter und brutaler: Die im Laufe des gestrigen Tages gemeldeten neuen Fälle kommen in die Spalte „Differenz zum Vortag“. Unter „Fälle in den letzten 7 Tagen“ werden von diesen nur solche gesammelt, die von den Gesundheitsämtern auch auf einen Tag der vergangenen Woche datiert wurden. Ich muß also ein Lob aussprechen: Eine Abweichung beider Zahlen von nur 5 Prozent läßt darauf schließen, das zwei Drittel aller Fälle noch am gleichen Tage übermittelt werden. [2]
Es bleibt dabei, was ich zum 20. März schrieb: RKI nennt 104, ich sehe für die vergangene Woche 108, was aktuell wohl 126 sein werden. Und heute: RKI 132 und ich 142 für die vergangene Woche, etwa 160 aktuell. [3] Man kann sich nicht damit entschuldigen, die Berechnungsmethode genannt zu haben. Zur guten und redlichen Wissenschaft gehört, Begriffe und Kennzahlen angemessen zu bilden. Ich sähe gerne, daß Corona nicht nur die Beliebigkeit im Denken fördert, sondern auch zur oft behaupteten neuen Wissenschaftlichkeit beiträgt. Virologie mit seichter Statistik und Medizin als Handwerk werden das nicht bewirken.
Wochenverlauf meiner Inzidenzen (blau) und der des RKI (rot) (png)
Nun ist ein Tag vergangen. Das RKI und ich mußten unsere 160- bzw. 168-Stunden-Inzidenz beide um 2 anheben. [4] Die vorstehende Abbildung zeigt die Verläufe des letzten Monats. Den säkularen Unterschied von etwa 5 Prozent hatte ich gestern erläutert. Heute ein paar weitere Bemerkungen, die verdeutlichen sollen, daß es sich nicht nur um zufällige Schwankungen handelt, sondern auch um schlichte Fehlberechnungen, sei es aus Naivität, Verbesserungsangst oder vorsätzlicher Augenwischerei.
Vor einem Jahr erwies sich der Viertage-R‑Wert trotz Glättung als stark schwankend und wochengängig. Der Siebentage-R‑Wert hat das naturgemäß abgemildert. Es blieben aber die Schwankungen dieser zweiten Ableitung der Gesamtinfektionszahlen. [5] Die erste Ableitung ist numerisch stabiler zu bestimmen und zu plötzlichen starken Schwankungen kaum in der Lage. Es war also geschickt, den R‑Wert vergessen zu machen und auf die Siebentageinzidenz zu setzen, von der man eigentlich nicht nur dem Namen nach eine geringe Wochengängigkeit erwarten sollte. Das ist grundsätzlich auch so. Geringe Zuwächse am Wochenende werden durch ebenso geringe Abgänge eine Woche zuvor ausgeglichen. Nur holt man sich einen Teil dieser vermeidbaren Schwankungen wieder herein, wenn man die Zahlen im Wochenverlauf ungleichmäßig stutzt. Dem Bild ist deutlich zu entnehmen, wie die vom RKI rausgehauenen Inzidenzen auf Mittwoch einbrechen, weil der Meldeverzug am Wochenbeginn besonders hoch ist. Da reicht ein kleiner lokaler Aussetzer, und schon kann es wie gestern trotz säkularen Wachstums von täglich 4 Prozent zu rückläufigen Werten kommen.
Ich bin sicher, die richtigen Wissenschaftler des RKI haben schon längst vorgeschlagen, die Berechnung der Inzidenzen auf realistischere und allein schon dadurch stabilere Beine zu stellen. Das könnte von der Leitung abgeschmettert worden sein, die dem Volk keine weiteren Änderungen zumuten will. Plötzlich leicht höhere Werte sind politisch nicht gewollt und diskreditieren die vergangenen Verlautbarungen. Image wird vor Redlichkeit gehen. Mehr erwarte ich auch gar nicht von einer Behörde eines unverständigen Volkes. Nur sollte man immer dann, wenn vom Einfluß der Wissenschaft auf die Politik die Rede ist, neben den Ethikräten auch das RKI außen vor lassen.
Ich könnte diesen Mangel dem RKI schriftlich vortragen, gehe jedoch davon aus, daß er bereits lange Zeit bekannt ist. Außerdem sollen Anfragen regelmäßig mit dem Überlastungsargument abgeschmettert werden. Und für blöde Antworten benötige ich das RKI nicht. Da reichen mir Vodafone und Lidl. Vielleicht wird irgendwann im Elfenbeinturm der wahre Sachverhalt geklärt. Nur interessiert es dann weder die dumpfe Masse noch die sich Journalisten nennenden Überschriftsakrobaten. Obwohl: Ganz frei bin ich davon auch nicht, sonst hätte ich nicht mit „160-Stunden-Inzidenz“ überschrieben, sondern „Vorschläge zur Verbesserung der Kalkulationsgenauigkeit von Inzidenzen auf Basis zensurierter Meldedaten“ als Titel gewählt.
Wieder ist ein Tag vergangen, nämlich der Gründonnerstag, an dem Katholiken Grünkohl mit fettiger Wurst essen dürfen, sich aber im Umfeld merkwürdiger Umtriebe wohl lieber mit einheimischen Spezialitäten den Magen vollschlagen, auch mit Fisch. [6] Möglicherweise hat ihr religiöser Eifer während der heiligen Karwoche ein paar Corona-Fälle als weniger wichtig auf dem Schreibtisch liegen lassen. Jedenfalls läßt das RKI die Siebentageinzidenz heute erneut bei 134 verharren. Ein Zeichen dafür, daß die Meldequote der letzten Tage deutlich hinter das normale Maß zurückfiel. [7]
Ganz so schlimm ist es nicht, denn die vom RKI behauptete Stagnation beruht zumindest zu Teil tatsächlich darauf, daß es in den letzten drei Tagen weniger forsch nach oben ging als in den zehn zuvor. Ist es nur vorösterliche Melde- und Testmüdigkeit oder fromme Einsicht? Jedenfalls sehe ich es einen Funken besser als die dauernd vom exponentiellen Wachstum und der dritten Welle brabbelnden Institutsleiter, Politiker, Nachrichtensprecher, Talkschau-Teilnehmenden und -Moderätorinnen: Die Wachtumsrate geht zurück. Bleibt es dauerhaft dabei, ist nicht mit einem Anstieg durch die Decke zu rechnen, sondern nur mit einer Bergspitze, so hoch sie auch sein mag. [8] Und von einer dritten Welle würde ich erst sprechen, wenn die derzeitige Entwicklung anhält und sich nicht als erneute Delle in der zweiten Welle erweist.
Wieder ist ein Tag vorüber. Und auf den heutigen Karsamstag ist sowohl meine, als auch die Siebentageinzidenz des RKI um 3 gesunken. Drei Tage in Folge liegt mein Wert um stolze 10 höher. Das ist recht viel und Folge eines in der Karwoche zu erwartenden wachsenden Meldeverzuges, der sich auch im Gesamtvolumen deutlich bemerkbar macht, wodurch selbst meine Werte gedrückt werden. Ein weiterer Grund für den Einbruch der Siebentageinzidenz sind in der Karwoche zurückgestellte, unterlassene und unbearbeitete Tests. Im besten Falle führte das rasante Wachstum der letzten Wochen zu Angst oder gar vorösterlicher Einsicht. In einer Woche wird sich alles normalisieren, auf welchem Niveau auch immer.
Heute ist Mittwoch nach Ostern, und zum erstenmal höre ich in den Fernsehnachrichten, daß die Siebentageinzidenz auf unvollständigen Daten beruhe. Wohl keine selbstbewußte Entscheidung der Redaktion, sondern wie andere falsche und richtige Mitteilungen wohl einfach Folge eines neuen Warnhinweises des RKI am Beginn ihrer täglichen Verlautbarungen. Ehrlicher als solche Interpretationsbeigaben, die viele überhören und andere nicht benötigen, wären zwei Möglichkeiten: Nur noch winzigen Änderungen unterliegende Siebentageinzidenzen von vor einer Woche anzugeben und diese Verzögerung mit der gleichen Penetranz zu erläutern mit der auch der R‑Wert erklärt wurde. Oder ein ordentliches Modell benutzen, das aktuelle Werte möglichst gut prognostiziert, vor allem im Mittel nicht von der Realität abweicht. Das sollte doch möglich sein, denn so spontan entwickeln sich die wahren Verhältnisse nicht.
[1] Sieben-Tage-Inzidenz geht leicht zurück. FAZ, 30.03.2021. Leider keinen Autor gesehen. Und Schreiberling/liese bzw. Schreiberling_in waren mir etwas zu sperrig.
[2] Grobe Rechnung: Werden von täglich 100 Fällen 65 noch vor Mitternacht gemeldet, die restlichen 35 wenigstens am nächsten Tag, so berücksichtigt das RKI wöchentlich 665 der insgesamt 700. Das sind 5 Prozent zuwenig.
[3] Das geht mit Schulmathematik: RKI-Zahl vergessen. Gesamtzahl der letzten Woche von der heutigen abziehen (2.808.873−2.690.523=118.350) und durch 835 teilen ergibt die 142. Da wir (gegen Mittag) dem Mittel der vergangenen Woche um vier Tage voraus sind, fügt es sich gut, daß der R-Wert auf vier Tage berechnet wird: Also einfach mit dem aktuellen R=1,13 multiplizieren, und schwupps ist man bei realistischen 142⋅1,13=160 für heute.
[4] Ich spreche spaßeshalber von einer 160-Stunden-Inzidenz des RKI, weil deren Werte um etwa fünf Prozent zu klein sind. Da 7 Tage 168 Stunden haben und nach Abzug von 5% nur noch 160 bleiben.
[5] Meine R‑Werte waren glatter und realistischer. Warum das RKI diese Genauigkeit nicht überbieten konnte, kann ich mir nur damit erklären, daß man in der Anfangshektik ein wenig realistisches Modell zusammengekloppt und später vor einer Verbesserung oder Ersetzung Angst hatte. Und die ist berechtigt, wenn man bedenkt, wie sensibel und gemein das deutsche Volk jede Korrektur beobachtet und verurteilt.
[6] Und zwar mit echtem Fisch, keine ertränkten Schweine, auch keine Hühner, die zu Karpfen wurden, so wie Wein zu Blut. Jedenfalls erinnere ich mich, daß in meiner Kindheit, da die Kühlkette noch mit Wasser-, nicht Trockeneis aufrecht erhalten werden mußte, am Palmsonntag norddeutsche Protestanten Lastwagen mit Fisch vollstopften, nach dem süddeutschen Katholiken in der heiligen Woche der Sinn stand. Der Handel überwand schon immer Glaubesgrenzen und damals noch vorhandene Rassenunterschiede.
[7] Daß heute in der sächsischen Gesamtsumme 1000 Fälle fehlten, hat nichts damit zu tun. Ich erwähne es nur, weil ich lange suchen mußte, nachdem ich bemerkte, daß meine Addition der Länder um 1000 geringer ausfiel. Als ich die Differenz fand, hatte das RKI seine Angaben bereits korrigiert. Da ich auch bei mir Fehler suche, zog ich eine Sinnestäuschung in Betracht. Leider hatte ich nichts gespeichert und muß Google loben. Dort standen noch 222.859 statt 223.859 für Sachsen im Cache. Da die tägliche Fallzahl von 1.595 von Anfang an stimmte, also eine innere Inkonsistenz der Tabelle vorlag, darf ich annehmen, daß die Zahlen nicht automatisch einer Datenquelle entnommen, sondern von Menschen abgeschrieben werden. Auch eine Plausibilitätsprüfung scheint es nicht zu geben. Früher hätten Buchhalter die Neunerprobe gemacht. Das kann alles passieren. Man darf auch vergessen, die Aktualisierungszeit hochzusetzen. Oder versteht das RKI darunter nur den gelegentlich bis in die Mittagsstunden reichenden Zeitpunkt, da der Vortagesbericht durch einen aktuellen ersetzt wird?
[8] Und für die mir in letzter Zeit nicht wegen ihrer Grundauffasssung, sondern mit anhaltenden merkwürdigen Argumentationen und Spitzfindigkeiten auf den Sack gehenden Querdenker: Ich weiß, daß durch die Endlichkeit der Deutschen jedes Wachstum ein Ende findet und es in jedem Falle auch wieder bergab gehen wird. Ich meine mit Berg einfach einen, der deutlich hinter die Gesamtpopulation zurückfällt.
99,9 | Disziplinlosigkeit | Virologenschnack | Prognose | Lebenswert | Ethikraten | Herdenimmunität | Unredlichkeit | Tote | Nationalstaaten | Erste Welle | Rattenschwanz | Förderalismus | Unterleben | Reproduktion | Siebentage‑R | Zweite Welle | Dritte Welle | Dritte Ableitung | Zack! :Peng! | Notbremse | Triduum Sacrum
Gelegentlich hatte ich das RKI verdächtigt, Fälle auf das Ansteckungsdatum rückzudatieren und damit zu niedrige aktuelle Werte rauszuhauen, die dann in den Folgetagen von der Öffentlichkeit unbemerkt angehoben werden. Das triftt für den R-Wert wohl auch zu. Für die Siebentageinzidenz ist es schlichter und brutaler: Die im Laufe des gestrigen Tages gemeldeten neuen Fälle kommen in die Spalte „Differenz zum Vortag“. Unter „Fälle in den letzten 7 Tagen“ werden von diesen nur solche gesammelt, die von den Gesundheitsämtern auch auf einen Tag der vergangenen Woche datiert wurden. Ich muß also ein Lob aussprechen: Eine Abweichung beider Zahlen von nur 5 Prozent läßt darauf schließen, das zwei Drittel aller Fälle noch am gleichen Tage übermittelt werden. [2]
Es bleibt dabei, was ich zum 20. März schrieb: RKI nennt 104, ich sehe für die vergangene Woche 108, was aktuell wohl 126 sein werden. Und heute: RKI 132 und ich 142 für die vergangene Woche, etwa 160 aktuell. [3] Man kann sich nicht damit entschuldigen, die Berechnungsmethode genannt zu haben. Zur guten und redlichen Wissenschaft gehört, Begriffe und Kennzahlen angemessen zu bilden. Ich sähe gerne, daß Corona nicht nur die Beliebigkeit im Denken fördert, sondern auch zur oft behaupteten neuen Wissenschaftlichkeit beiträgt. Virologie mit seichter Statistik und Medizin als Handwerk werden das nicht bewirken.
Wochenverlauf meiner Inzidenzen (blau) und der des RKI (rot) (png)
Nun ist ein Tag vergangen. Das RKI und ich mußten unsere 160- bzw. 168-Stunden-Inzidenz beide um 2 anheben. [4] Die vorstehende Abbildung zeigt die Verläufe des letzten Monats. Den säkularen Unterschied von etwa 5 Prozent hatte ich gestern erläutert. Heute ein paar weitere Bemerkungen, die verdeutlichen sollen, daß es sich nicht nur um zufällige Schwankungen handelt, sondern auch um schlichte Fehlberechnungen, sei es aus Naivität, Verbesserungsangst oder vorsätzlicher Augenwischerei.
Vor einem Jahr erwies sich der Viertage-R‑Wert trotz Glättung als stark schwankend und wochengängig. Der Siebentage-R‑Wert hat das naturgemäß abgemildert. Es blieben aber die Schwankungen dieser zweiten Ableitung der Gesamtinfektionszahlen. [5] Die erste Ableitung ist numerisch stabiler zu bestimmen und zu plötzlichen starken Schwankungen kaum in der Lage. Es war also geschickt, den R‑Wert vergessen zu machen und auf die Siebentageinzidenz zu setzen, von der man eigentlich nicht nur dem Namen nach eine geringe Wochengängigkeit erwarten sollte. Das ist grundsätzlich auch so. Geringe Zuwächse am Wochenende werden durch ebenso geringe Abgänge eine Woche zuvor ausgeglichen. Nur holt man sich einen Teil dieser vermeidbaren Schwankungen wieder herein, wenn man die Zahlen im Wochenverlauf ungleichmäßig stutzt. Dem Bild ist deutlich zu entnehmen, wie die vom RKI rausgehauenen Inzidenzen auf Mittwoch einbrechen, weil der Meldeverzug am Wochenbeginn besonders hoch ist. Da reicht ein kleiner lokaler Aussetzer, und schon kann es wie gestern trotz säkularen Wachstums von täglich 4 Prozent zu rückläufigen Werten kommen.
Ich bin sicher, die richtigen Wissenschaftler des RKI haben schon längst vorgeschlagen, die Berechnung der Inzidenzen auf realistischere und allein schon dadurch stabilere Beine zu stellen. Das könnte von der Leitung abgeschmettert worden sein, die dem Volk keine weiteren Änderungen zumuten will. Plötzlich leicht höhere Werte sind politisch nicht gewollt und diskreditieren die vergangenen Verlautbarungen. Image wird vor Redlichkeit gehen. Mehr erwarte ich auch gar nicht von einer Behörde eines unverständigen Volkes. Nur sollte man immer dann, wenn vom Einfluß der Wissenschaft auf die Politik die Rede ist, neben den Ethikräten auch das RKI außen vor lassen.
Ich könnte diesen Mangel dem RKI schriftlich vortragen, gehe jedoch davon aus, daß er bereits lange Zeit bekannt ist. Außerdem sollen Anfragen regelmäßig mit dem Überlastungsargument abgeschmettert werden. Und für blöde Antworten benötige ich das RKI nicht. Da reichen mir Vodafone und Lidl. Vielleicht wird irgendwann im Elfenbeinturm der wahre Sachverhalt geklärt. Nur interessiert es dann weder die dumpfe Masse noch die sich Journalisten nennenden Überschriftsakrobaten. Obwohl: Ganz frei bin ich davon auch nicht, sonst hätte ich nicht mit „160-Stunden-Inzidenz“ überschrieben, sondern „Vorschläge zur Verbesserung der Kalkulationsgenauigkeit von Inzidenzen auf Basis zensurierter Meldedaten“ als Titel gewählt.
Wieder ist ein Tag vergangen, nämlich der Gründonnerstag, an dem Katholiken Grünkohl mit fettiger Wurst essen dürfen, sich aber im Umfeld merkwürdiger Umtriebe wohl lieber mit einheimischen Spezialitäten den Magen vollschlagen, auch mit Fisch. [6] Möglicherweise hat ihr religiöser Eifer während der heiligen Karwoche ein paar Corona-Fälle als weniger wichtig auf dem Schreibtisch liegen lassen. Jedenfalls läßt das RKI die Siebentageinzidenz heute erneut bei 134 verharren. Ein Zeichen dafür, daß die Meldequote der letzten Tage deutlich hinter das normale Maß zurückfiel. [7]
Ganz so schlimm ist es nicht, denn die vom RKI behauptete Stagnation beruht zumindest zu Teil tatsächlich darauf, daß es in den letzten drei Tagen weniger forsch nach oben ging als in den zehn zuvor. Ist es nur vorösterliche Melde- und Testmüdigkeit oder fromme Einsicht? Jedenfalls sehe ich es einen Funken besser als die dauernd vom exponentiellen Wachstum und der dritten Welle brabbelnden Institutsleiter, Politiker, Nachrichtensprecher, Talkschau-Teilnehmenden und -Moderätorinnen: Die Wachtumsrate geht zurück. Bleibt es dauerhaft dabei, ist nicht mit einem Anstieg durch die Decke zu rechnen, sondern nur mit einer Bergspitze, so hoch sie auch sein mag. [8] Und von einer dritten Welle würde ich erst sprechen, wenn die derzeitige Entwicklung anhält und sich nicht als erneute Delle in der zweiten Welle erweist.
Wieder ist ein Tag vorüber. Und auf den heutigen Karsamstag ist sowohl meine, als auch die Siebentageinzidenz des RKI um 3 gesunken. Drei Tage in Folge liegt mein Wert um stolze 10 höher. Das ist recht viel und Folge eines in der Karwoche zu erwartenden wachsenden Meldeverzuges, der sich auch im Gesamtvolumen deutlich bemerkbar macht, wodurch selbst meine Werte gedrückt werden. Ein weiterer Grund für den Einbruch der Siebentageinzidenz sind in der Karwoche zurückgestellte, unterlassene und unbearbeitete Tests. Im besten Falle führte das rasante Wachstum der letzten Wochen zu Angst oder gar vorösterlicher Einsicht. In einer Woche wird sich alles normalisieren, auf welchem Niveau auch immer.
Heute ist Mittwoch nach Ostern, und zum erstenmal höre ich in den Fernsehnachrichten, daß die Siebentageinzidenz auf unvollständigen Daten beruhe. Wohl keine selbstbewußte Entscheidung der Redaktion, sondern wie andere falsche und richtige Mitteilungen wohl einfach Folge eines neuen Warnhinweises des RKI am Beginn ihrer täglichen Verlautbarungen. Ehrlicher als solche Interpretationsbeigaben, die viele überhören und andere nicht benötigen, wären zwei Möglichkeiten: Nur noch winzigen Änderungen unterliegende Siebentageinzidenzen von vor einer Woche anzugeben und diese Verzögerung mit der gleichen Penetranz zu erläutern mit der auch der R‑Wert erklärt wurde. Oder ein ordentliches Modell benutzen, das aktuelle Werte möglichst gut prognostiziert, vor allem im Mittel nicht von der Realität abweicht. Das sollte doch möglich sein, denn so spontan entwickeln sich die wahren Verhältnisse nicht.
[1] Sieben-Tage-Inzidenz geht leicht zurück. FAZ, 30.03.2021. Leider keinen Autor gesehen. Und Schreiberling/liese bzw. Schreiberling_in waren mir etwas zu sperrig.
[2] Grobe Rechnung: Werden von täglich 100 Fällen 65 noch vor Mitternacht gemeldet, die restlichen 35 wenigstens am nächsten Tag, so berücksichtigt das RKI wöchentlich 665 der insgesamt 700. Das sind 5 Prozent zuwenig.
[3] Das geht mit Schulmathematik: RKI-Zahl vergessen. Gesamtzahl der letzten Woche von der heutigen abziehen (2.808.873−2.690.523=118.350) und durch 835 teilen ergibt die 142. Da wir (gegen Mittag) dem Mittel der vergangenen Woche um vier Tage voraus sind, fügt es sich gut, daß der R-Wert auf vier Tage berechnet wird: Also einfach mit dem aktuellen R=1,13 multiplizieren, und schwupps ist man bei realistischen 142⋅1,13=160 für heute.
[4] Ich spreche spaßeshalber von einer 160-Stunden-Inzidenz des RKI, weil deren Werte um etwa fünf Prozent zu klein sind. Da 7 Tage 168 Stunden haben und nach Abzug von 5% nur noch 160 bleiben.
[5] Meine R‑Werte waren glatter und realistischer. Warum das RKI diese Genauigkeit nicht überbieten konnte, kann ich mir nur damit erklären, daß man in der Anfangshektik ein wenig realistisches Modell zusammengekloppt und später vor einer Verbesserung oder Ersetzung Angst hatte. Und die ist berechtigt, wenn man bedenkt, wie sensibel und gemein das deutsche Volk jede Korrektur beobachtet und verurteilt.
[6] Und zwar mit echtem Fisch, keine ertränkten Schweine, auch keine Hühner, die zu Karpfen wurden, so wie Wein zu Blut. Jedenfalls erinnere ich mich, daß in meiner Kindheit, da die Kühlkette noch mit Wasser-, nicht Trockeneis aufrecht erhalten werden mußte, am Palmsonntag norddeutsche Protestanten Lastwagen mit Fisch vollstopften, nach dem süddeutschen Katholiken in der heiligen Woche der Sinn stand. Der Handel überwand schon immer Glaubesgrenzen und damals noch vorhandene Rassenunterschiede.
[7] Daß heute in der sächsischen Gesamtsumme 1000 Fälle fehlten, hat nichts damit zu tun. Ich erwähne es nur, weil ich lange suchen mußte, nachdem ich bemerkte, daß meine Addition der Länder um 1000 geringer ausfiel. Als ich die Differenz fand, hatte das RKI seine Angaben bereits korrigiert. Da ich auch bei mir Fehler suche, zog ich eine Sinnestäuschung in Betracht. Leider hatte ich nichts gespeichert und muß Google loben. Dort standen noch 222.859 statt 223.859 für Sachsen im Cache. Da die tägliche Fallzahl von 1.595 von Anfang an stimmte, also eine innere Inkonsistenz der Tabelle vorlag, darf ich annehmen, daß die Zahlen nicht automatisch einer Datenquelle entnommen, sondern von Menschen abgeschrieben werden. Auch eine Plausibilitätsprüfung scheint es nicht zu geben. Früher hätten Buchhalter die Neunerprobe gemacht. Das kann alles passieren. Man darf auch vergessen, die Aktualisierungszeit hochzusetzen. Oder versteht das RKI darunter nur den gelegentlich bis in die Mittagsstunden reichenden Zeitpunkt, da der Vortagesbericht durch einen aktuellen ersetzt wird?
[8] Und für die mir in letzter Zeit nicht wegen ihrer Grundauffasssung, sondern mit anhaltenden merkwürdigen Argumentationen und Spitzfindigkeiten auf den Sack gehenden Querdenker: Ich weiß, daß durch die Endlichkeit der Deutschen jedes Wachstum ein Ende findet und es in jedem Falle auch wieder bergab gehen wird. Ich meine mit Berg einfach einen, der deutlich hinter die Gesamtpopulation zurückfällt.
99,9 | Disziplinlosigkeit | Virologenschnack | Prognose | Lebenswert | Ethikraten | Herdenimmunität | Unredlichkeit | Tote | Nationalstaaten | Erste Welle | Rattenschwanz | Förderalismus | Unterleben | Reproduktion | Siebentage‑R | Zweite Welle | Dritte Welle | Dritte Ableitung | Zack! :Peng! | Notbremse | Triduum Sacrum
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