Siebentage-R
Daß ich das noch erleben durfte! Wer hat es erfunden? Das Robert-​Koch-​Institut gewiß nicht. Auch ich kann es nicht in Anspruch nehmen. Zum einen weicht das 7-Tage-R von meinen Wochen­werten w in Details ab. Zum anderen kann man auf der Hand liegende Kenn­zahlen nicht erfinden oder entdecken. [1] Ich hoffe, mit dem neuen 7-Tage-R wird nicht der gleiche Schind­luder getrieben wie mit den Vorgängern.

Heute habe ich gelesen, es sei günstig, Wochen­mittel zu verglei­chen. Schön, das führte auf meine w-Werte, die immer schon besser als die R-Faktoren waren. Jetzt zu wechseln, ist nicht ratsam. Sofort entstünde der Verdacht, man wolle mit w=0,88 statt R=0,93 die Werte schönen. Und weil man das Viertage-​Dogma nicht aufgibt, werden die Mittel­werte zweier Wochen im Abstand von vier Tagen in Rela­tion gesetzt. Dadurch fließen drei Werte sowohl in den Zähler als auch den Nenner ein. Das bewirkt eine gewisse Glättung. Besser wäre jedoch, die realen Zahlen nicht nur durch Now­casting an die vermutete Realität anzu­passen, sondern vor ihrer Verrech­nung zu glätten. Was ist daran kompli­ziert?

Meine einfachste Erklärung für die holprigen Werte der Vergan­genheit lautet, daß die Verkün­diger des Robert-​Koch-​Instituts den falschen Ergeb­nissen ihrer Stati­stiker blind vertrauten. Wie sind solche Fehl­griffe möglich? Zum Beispiel durch Anpas­sung einer Exponen­tial­funktion an die Werte weniger Tage, um sodann aus dem Expo­nenten den R-Faktor abzulesen. Ich will keine abstrusen Sonder­fälle konstru­ieren und einfach die Werte der letzten 15 Tage vom 30. April bis zum 14. Mai betrachten:

1639 945 793 679 685 947 1284 1209 1251 667 357 933 798 933 913

Ein exponentieller Ausgleich auf diese Werte liefert für die vorderen zwei Wochen (1639 bis 933) den R-Fak­tor 0,837 und nur einen Tag später für die hinteren zwei Wochen (945 bis 913) mit 0,972 einen weit höheren Wert. Weshalb werden solche Sprünge von einem Tag auf den anderen nicht nur täglich verkündet, sondern möglicher­weise von Experten wirk­lich errechnet? Weil man selbst als Mathe­matiker blau­äugig glauben kann, man hätte durch wochen­weise Anpassung bekannter Funk­tionen die regel­mäßigen Melde­verzüge ausge­glichen. [2] Das ist offen­sicht­lich nicht der Fall. [3]

Es ist kaum zu glauben, doch die einfachen Methoden liefern bessere, gleich­mäßigere und vor allem glaub­würdi­gere Ergeb­nisse. So bilde ich einfache Verhält­nisse zweier aufein­ander­fol­gender Wochen, woraus sich der R-Faktor gemäß R=w^(4/7) ergibt:

w = (1209+...+933) / (1639+...+1284) = 6148 / 6972 = 0,882   R=0,931
w = (1251+...+913)  /  (945+...+1209) = 5852 / 6542 = 0,895   R=0,938

Und nach der vermuteten Robert-​Koch-​7-Tage-R-​Methode auf Basis gemeldeter statt genow­casteter Zahlen:

R = (1209+...+933) / (679+...+667) = 6148 / 6722 = 0,915
R = (1251+...+913) / (685+...+357) = 5852 / 6400 = 0,914

Die Ergebnisse sind ähnlich. Man muß sich also nicht fragen, weshalb andere zu stark abwei­chenden Ergeb­nissen kommen. Ich vertraue meinen ein­fachen Berech­nungen: Seit dem 1. Mai stieg der R-Faktor langsam und stetig von 0,75 bis maxi­mal 0,95 an. In den letzten vier Tagen lag er nach meinen Kalku­lati­onen bei 0,94±0,01. Wenn das Robert-​Koch-​Institut heute 0,88 nennt, so liegt das noch im Rahmen. Die näch­sten Tage werden es zeigen, denn Now­casting, Glät­tung und Wochen­auswahl hin oder her: Wenn das Robert-​Koch-​Institut wirk­liche 7-Tage-​Mitte­lungs-​4-Tage-​Inkuba­tionszeit-​R-Faktoren bestimmt, dann muß deren siebte Potenz im Mittel der vierten meiner w-Werte ent­sprechen.

[1] Es ist kein Patent darauf anmeldbar, aber auch keine Urheber­schaft zu benennen. Das ist das Schöne an der Mathematik, es gibt sie ohne jeden lebenden oder gestor­benen Menschen. Trotzdem gebürt Ehre dem, der wich­tige Zusammen­hänge gefunden oder gar bewiesen hat. Der 7-Tage-​R-Faktor gehört nicht dazu.

[2] Warum wird die Wochengängigkeit schlechter als erwartet ausge­glichen? Ich nenne es einmal eine mathe­matische Täuschung. Die Ausgleichs­kurve wird nicht nur vom Trend beein­flußt, sondern auch vom Wochen­verlauf. Zur Veran­schau­lichung schneide man aus einer Säge­zahn­kurve zwei Zacken aus, einmal von Spitze zu Spitze und einmal von Mitte zu Mitte. Sie stehen für zwei Wochen von gemel­deten Neu­infek­tionen. Sollte ich mit der Hand durch diese zwei Verläufe möglichst gut eine Gerade oder Exponen­tial­funktion legen, so wäre die erste fallend, die zweite steigend. Das erinnert mich an eine akusti­sche Täuschung, in der stets gleiche Töne beständig aufzu­steigen scheinen, weil ihr internes Spektrum sich schnell aufwärts bewegt.

[3] Wer es nicht glaubt, trage in einem Tabellenkalkulations­programm in die erste Spalte 0 bis 14 (für 30. April bis 14. März) und in die zweite und dritte Spalte die Tageszahlen der neu Infizierten (1639 bis 913) ein und lösche in der zweiten Spalte den letzten Wert 913 und in der dritten den ersten 1639. Trägt man sodann in einer Grafik die Werte der zweiten und dritten Spalte gegen die der ersten auf, so sind zwei Verläufe zu sehen, die sich größten­teils über­lappen, aber gut sichtbar werden, wenn man für den zweiten weit größere Symbole verwendet. Wählt man nun für beide Zahlenreihen einen exponentiellen Ausgleich, so ist der erste wesent­lich steiler als der zweite. Das liegt natür­lich auch daran, daß beim Über­gang von der ersten zur zweiten Spalte vorne mit 1639 viel entfällt, hinten aber nur 913 hinzukommt. Das allein aber erklärt nicht alles. Um das zu erkennen, ersetze man 1639 einfach durch zu w=0,9 erwar­tende 1300. Selbst 1000 läßt noch einen Resteffekt.

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