Dur
Schon vor der Erfindung der Musik wiesen die Laute des Menschen und der Natur eine spek­trale Zusammen­setzung in vorzugs­nähe­rungs­weisen [1] klein­zahli­gen Frequenz­verhält­nissen auf. Späte­stens die alten Griechen erkannten Saiten­längen in den Ver­hält­nis­sen 2:1 (Oktave) und 3:2 (Quinte) als harmo­nisch zusammen­klingend. Doch die Götter ver­sagten ihnen auch hier kommen­surable Verhält­nisse. Keine m Quinten würden jemals genau n Oktaven treffen. Zum Trost gaben sie recht kleinen Verhält­nissen noch heute gebräuch­liche Namen:
    23  : (3/2)5 = 28  / 35  =    256/243    = Diesis  ≈ 1,054
(3/2)7  : 24     = 37  / 211 =   2187/2048   = Apotome ≈ 1,068
(3/2)12 : 27     = 312 / 219 = 531441/524288 = Komma   ≈ 1,014
Das gibt Anlaß zu Oktavteilungen in 5, 7 oder 12 Töne, die durch Stape­lung von 4, 6 oder 11 Quin­ten ent­ste­en. Vom letzten zum ersten Ton liegt dann keine reine Quinte, sondern eine Diesis mehr bzw. eine Apo­tome oder ein Komma weniger. Teilt man diese Ver­stim­mungen gleich­mäßig auf, sind alle Quinten um 90 Cent zu groß bzw. 16 oder 2 Cent zu klein. Letz­teres liegt unter der Hörbar­keits­grenze, weshalb es bzgl. der Quinten an der gleich­stufi­gen Zwölf­ton­leiter nichts auszu­setzen gibt.

Dank der Volksmusik setzte sich die Sieben­teilung durch. Sie besteht pytha­gore­isch aus fünf großen Ganz­tö­nen (9/8) und zwei Die­sen (256/243). Eine gleich­mäßige Ver­kleine­rung aller Quin­ten um eine sieb­tel Apotome, also eine Teilung in sieben gleiche Inter­valle scheidet weniger wegen der dann um 16 Cent zu kleinen Quinte aus, sondern dadurch, daß die halben Töne genauso groß würden wie die ganzen, die offen­sicht­lich im mensch­lichen Gesang lie­gende Dia­tonik ver­loren ginge. Man kann also bei der pytha­gore­ischen Tei­lung bleiben oder eine andere ins Auge fassen, die beide halben Ton­schritte in etwa halb so groß läßt wie die ganzen. [2]

Zur Rechtfertigung einer reinen pytha­gore­ischen Tei­lung errich­teten die Grie­chen Gebäude aus Tetra­chorden, deren nur teil­weise rich­tige Neuent­deckung im Mittel­alter wir letzt­lich die sieben Töne F–c–g–d'–a'–e"–h" im Abstand reiner Quinten ver­dan­ken. Durch Okta­vierung und Anhän­gen von -is oder -es für jede Erhö­hung bzw. Ernie­dri­gung um eine Apo­tome entsteht das heute pytha­gore­isch genannte Uni­ver­sum von Tönen und Inter­vallen.

Auch die Griechen kamen auf den Trichter, über die 3‑glat­ten Ver­hält­nisse zu den 5- oder gar 7‑glatten aufzu­steigen. Und mit den Jahr­hunder­ten wurde auch das gut sing­bare Ver­hält­nis 5:4 als harmo­nisch aner­kannt. Damit standen für eine Teilung der Oktave nicht nur die Inter­valle 3/2, 4/3, 9/8, 32/27, 81/64, 32/27, 256/243, … sondern mit 5/4, 6/5, 10/9, 16/15, 25/24, 27/25, 81/80, 128/125, 135/128, … auch eine ganze Reihe neuer geringer Größe bei klein­zah­ligen Verhält­nissen zur Ver­fügung.

Automatisch entsteht die Frage, wie man aus bis zu dreien dieser Inter­valle eine Oktave exakt zusam­men­setzen kann. Nicht alle Kombi­nati­onen sind sinnvoll oder gar möglich. Hier nur die drei Sieben­tei­lungen mit Inter­vallen, deren Zähler und Nenner 256 nicht über­steigen und von denen das größte kleiner ist als zwei der klein­sten:
1. (125/108)1 ⋅ (10/9)3 ⋅ (27/25)3 = 2  (140/10)
2.   (9/8)1   ⋅ (10/9)4 ⋅ (27/25)2 = 2  (105/9)
3.   (9/8)3   ⋅ (10/9)2 ⋅ (16/15)2 = 2  (210/18)
In Klammern die Anzahl der Möglich­keiten insge­samt und solche, die unter Rotation und Spie­gelung ver­schieden sind. Betrach­tet man die insge­samt 37 Fälle, so sticht einer mit sechs reinen Quin­ten hervor. Alle anderen weisen keine fünf auf. Diese eine Teilung führt auf die ein­zig akzep­tablen Abfol­gen
... G K G H:G K H G K G H:G K H G K G H ...  (Dur)
... G K:G H K G H G K:G H K G H G K G H ...  (Moll)
mit G=9/8 (großer Ganzton), K=10/9 (kleiner Ganzton) und H=16/15 (diato­nischer Halb­ton). Es handelt sich um die Dur- und die Moll-​Tei­lung der Oktave, zu denen Musiker die mit einem Doppel­punkt gekenn­zeich­neten Posi­tionen als Grund­ton sehen. Es verwun­dert nicht, daß diese beiden die kompak­teste Darstel­lung im Euler­schen Ton­netz [3] auf­weisen. Hier für C‑Dur und ‚a‑moll:
‚a  ‚e  ‚h     ‚d--‚a--‚e--‚h     5/4
 |\  |\  |\      \  |\  |\  |      |
 | \ | \ | \      \ | \ | \ |      |
 |  \|  \|  \      \|  \|  \|      |
 f---c---g---d      f   c   g     1/1---3/2
Man sieht nicht nur die drei Dur- bzw. Moll-​Drei­klänge (Drei­ecke mit Spitze oben bzw. unten) und das um ein syntoni­sches Komma (81/80) abwei­chen­de d, sondern auch, daß Dur den größten gemein­samen Unter­ton umfaßt (f in C‑Dur), Moll jedoch nicht (’b in a‑moll). Damit ist die Dur-​Teilung nicht eine von zwei guten oder gar vielen, sondern die beste und natürliche. [4] Sich damit raus­zureden, daß eine Moll-​Ton­leiter dafür den kleinsten gemein­samen Oberton enthält (h im Falle von a‑moll), Dur jedoch nicht, geht an der physika­lischen Rea­lität vorbei.

[1] Im folgenden geht es um die Tei­lung der unge­streck­ten reinen Oktave, gleich­wohl die Schwin­gungs­verhält­nisse der Natur keines­wegs immer exakt rati­onal sind. An ihnen hat der normale Mensch sein Gehör ausge­bildet, nicht am Mono­chord, am Stimm­gerät, in der Hoch­schule für Musik oder auf dem Reiß­brett.

[2] Am einfachsten ist es, die halben Töne genau halb so groß zu machen wie die ganzen. Dann betten sich die sieben Töne in die gleich­stufige Zwölf­teilung ein. In der mittel­tönigen Stim­mung bilden zwei ganze Töne zu √(5/4) eine große Terz. Auch Werck­meister verkürtzte alle zwölf Quinten um ein Zwölftel des pythagoreischen Kommas, die nach ihm benannten Teilungen aber sehen ungleich­mäßig als Zu- und Abschläge Viel­fache von einem Drittel, Viertel bzw. Siebtel eines pytha­gorei­schen Kommas vor.

[3] Das Eulersche Tonnetz zeigt alle 5‑glat­ten Inter­valle. Ein Schritt nach rechts ent­spricht einem Fak­tor 3, einer nach oben einem Fak­tor 5. Sich um 2 unter­schei­dende Töne werden als gleich gesehen. Töne mit n führen­den Tief- bzw. Hoch­kommas sind n syn­to­nische Komma­ta­tes (81/80) tiefer bzw. höher als die gleich­namigen pythago­reischen.

[4] Zu diesem Ergebnis kam schon Ptole­mäus, weshalb im amerikanischen Sprach­raum die Inter­valle mit einer 5 im Nenner oder Zähler im Kontrast zu pytha­­gorean gerne ptole­­maic genannt werden.

Oktave | Quinte

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