Zweieck
Es soll immer noch arme Leute geben, die noch nie ein Zweieck gesehen haben. Dabei kommen sie sogar im tägli­chen Leben vor. Schneidet man aus der Erdober­fläche eine Zeit­zone, wie sie einmal gedacht waren, also ohne will­kürliche, geogra­phische oder poli­tische Verhun­zungen, dann entsteht ein Zweieck, das am Äquator immer­hin 1670 Kilo­meter breit ist und die beiden Pole als Ecken besitzt. Aber auch der gesamte Rest der Erdober­fläche, der nicht in dieser Zeit­zone liegt, bildet ein Zweieck, wenn es auch nicht so aussieht. Es hat die gleichen Ecken und Kanten, nur eben eine andere, viel größere Fläche.

Beim Dreieck ist es nicht anders. Male ich eines auf ein Blatt Papier, so entstehen zwei Gebiete. Das konvexe, endliche ist das Innere, der Rest das Äußere. Wenn ich vom Papierrand abstrahiere, ist es unendlich groß. Das Dreieck Frank­furt-​Berlin-​Hamburg mag einem ebenso vorkommen. Das Innere liegt inner­halb Deutsch­lands, der Rest der Welt bildet das Äußere. Warum eigent­lich? Was passiert, wenn ich die Hamburg-​Ecke zum Nordpol, die Frank­furt-​Ecke zum Südpol und dann die Berlin-​Ecke Richtung Osten über Tokio nach New York verschiebe?

Zurück zu den Zweiecken. Die idealen Zeit­zonen sind gute Beispiele für solche Zweiecke. Sie sehen wie eine Sichel oder Nudel aus und können auf flachem Papier auch so gemalt werden. Vom Dogma der gerad­linigen Verbin­dung zweier Punkte als die kürzeste muß man dazu natür­lich abrücken. Aber wir erkennen ja auch Dreiecke als solche, wenn die Kanten ausge­beult sind, wie im Inneren eines Wankel­motors. Beim Rech­teck heißt es tonnen­förmige Verzer­rung.

Neunmalkluge meinen, es dürfe nicht Dreieck und Viereck, sondern müsse Dreiseit bzw. Vierseit heißen, denn in drei Dimen­sionen nenne man einen Würfel ja auch Sechs­flächner oder gar Sechs­flach und nicht Zwölf­kant oder Acht­punkt. Grund­sätz­lich haben sie Recht. Man kann sich einen Polyeder als ein Gerüst aus Ecken und Kanten vor­stellen, in das Flächen einge­setzt sind. Sinn­voller mag die Vorstel­lung sein, wie ein Schreiner vom Gesamt­raum mehrfach etwas abzu­schleifen, bis ein k‑Fläch­ner übrig bleibt. Analog entsteht ein ebenes k‑Seit auch durch mehrfache Beschnei­dung mit der Schere, nicht nur durch Verbin­dung von Punkten.

Hilft uns diese Vorstel­lung beim Zweieck oder Zweiseit? Bei ausschließ­lich geraden Schnitten offen­sicht­lich nicht. Und ich möchte mir nicht vor­stellen, welche Anfor­derun­gen an gekrümmte Schnitt­linien zu stellen wären. So hat sich der mensch­liche Sprach­gebrauch wohl doch für die sinn­haf­tere Bezeich­nung ent­schieden und zieht das k-Eck dem k-Seit vor. Deshalb ist ein Zweiseit nichts anderes als ein Zweieck, und das besteht aus zwei Punkten, die kreu­zungs­frei durch zwei Linien ver­bunden sind, die sich evtl. über­lagern, im Extrem­fall iden­tisch sind.

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