Ober-Unter
Gehen wir eine Treppe mit fünf Stufen hoch, so führte die erste Stufe von der Grund­ebene 0 zur Ebene 1, die zweite von dieser zur Ebene 2 bis zur letzten und fünften Stufe auf die Ebene 5.
                        o--- Ebene 5
Stufe 5                 |
                    +---+ Ebene 4
Stufe 4             |
                +---+ Ebene 3
Stufe 3         |
            +---+ Ebene 2
Stufe 2     |
        o---+ Ebene 1
Stufe 1 |
--------+ Ebene 0
Über diese Numerierung sollte es keinen Streit geben. Und es ist auch klar, wohin die Markie­rungen für Blinde kommen, nämlich an die mit o gekenn­zeich­nete An- und Austritts­stufe auf der ersten und der obersten Ebene. Diese Vorstel­lung wandeln wir ab, wenn die Stufen etwa drei Meter hoch sind:
           +-----------+ Ebene 5
4. Stock   |           |
           +-----------+ Ebene 4
3. Stock   |           |
           +-----------+ Ebene 3
2. Stock   |           |
           +-----------+ Ebene 2
1. Stock   |           |
           +-----------+ Ebene 1
Erdgeschoß |           |
-----------+-----------+ Ebene 0
Die n‑te Stufe heißt nun (n−1)‑ter Stock. Vor allem in Büro­hoch­häusern ist die Bezeich­nung Ober­geschoß üblich, zumal es normaler­weise auch mehrere Unter­geschosse gibt. Das sugge­riert eine Sym­me­trie beider zum Erdge­schoß (0). Doch ist diese Sym­metrie dadurch gestört, daß ein Haus mit m Ober- und n Unter­geschossen m+1 Stock­werke hoch, ober nur n tief ist. Die Benen­nung der Stock­werke birgt also eine ähn­liche Proble­matik wie das Jahr 0. Hätte es ein solches gegeben, wäre das zweite Jahr­tausend nicht erst am 31. De­zem­ber 2000, sondern schöner­weise mit dem 31. De­zem­ber 1999 zuende gegan­gen. Doch das erste vorchrist­liche Jahrtausend läge dann immer noch von 1000 bis 1 vor Christus oder über­lappte sich im Jahre 0 mit dem ersten nach­christ­lichen. Es war also gar nicht so blöd, kein Jahr 0 vorzu­sehen, denn dann gilt vor und nach der Zeiten­wende: Das n‑te Jahr­tau­send umfaßt die Jahre 1000(n−1)+1 bis 1000n.

Das soll nicht heißen, daß unsere Stock­werks­nummern blöd­sinnig sind und die ame­ri­kanische Zählung über­legen ist. Man darf nur nicht reflex­artig eine Ober-​Unter-​Sym­me­trie annehmen, auch wenn viele Menschen dazu neigen, Dua­lität und Sym­me­trie in die Welt zu dichten. Wahr und falsch, positiv und negativ sind keines­wegs im strengen Sinne sym­me­trisch oder polar und im Gegensatz zu Mann und Frau noch nicht einmal gleich­wertig.

Man muß bei Numerierungen aufpassen. Ist Herr Ratzinger nun der 265. Papst oder der 265. Nach­folger Petri? Ergeben eine Quarte und eine Quinte eine None? Und warum malen manche eine 16 über den Violin­schlüs­sel, wenn zwei Oktaven höher gespielt werden soll? Warum haben wir in acht Tagen den gleichen Wochen­tag, den nächsten aber in 14? Liegt der zweite Oberton eine Oktave oder eine Duo­dezime höher? Zumeist ist eine Ansicht die angeneh­mere. Bei Inter­vallen und Tages­zählun­gen von Sonntag zu Sonntag oder Ostern bis Pfing­sten hat man sich für die unge­schick­tere ent­schieden. Das verdanken wir den beide End­punkte mit­zählen­den Römern, gleich­wohl auch sie eine Meile für 1000 und nicht 1001 Schritte hielten.

Zumeist ist es besser, additiv bei 0 und multi­pli­kativ bei 1 zu beginnen. Deshalb sollte man den Begriff Oberton meiden und die n‑fache Frequenz n‑ten Teilton, n‑te Harmonische oder n‑ten Naturton nennen. Dann ist die m‑te Harmo­nische über der n‑ten einfach der die mn‑te. Voll­komme­ner Quatsch ist es, den m‑ten zum n‑ten Ober­ton als den (mn+m+n)‑ten zu bestim­men. Additiv ist es nicht so dramatisch, denn unab­hängig von der Zählung des Par­terres liegt das siebte Geschoß immer drei über dem vierten und fünf Jahre nach 1998 schreiben wir das Jahr 2003, ob es nun ein Jahr 0 gegeben hat oder nicht.

Additiv kann man auch gut unter die Null in den negativen Bereich gehen, multipli­kativ nur schlecht unter die Eins. Zwar ist es nahe­liegend, einen Ton mit einem n‑tel der Fre­quenz n‑te Sub­harmo­nische oder gar (n−1)‑ten Unter­ton zu nennen, doch fügen sich diese beiden Bereiche mit den Harmoni­schen und den Ober­tönen alge­braisch nicht zusammen. Außerdem kommt Unter­tönen nicht die physi­kali­sche Rea­lität der Ober­töne zu, wie auch Ober beim Doppel­kopf ange­nehmer sind als Unter.

Man rettet die Symmetrie auch nicht dadurch, daß die n‑te Sub­harmoni­sche die n‑fache Wellen­länge hat, denn der Mensch hört die Frequenz, nicht die Wellen­länge, auch wenn die Griechen Töne mit klei­nerer Frequenz als die höhe­ren sahen, weil ihre Saiten länger waren. Gerne kann man zu einem Ton eine Sub­harmoni­sche anschla­gen, um ihn so zu einem Oberton zu machen und zu ver­stärken. Von selbst erklingen sie aber nur selten. Auch kann man Noten­blätter auf den Kopf stellen oder Musik­stücke rück­wärts spielen. Das ist eine nette Spielerei, doch voll­kommene Symme­trie wird dadurch nicht erreicht, wie Wasser auch leichter aus der Flasche fließt als hinein.

Jahr 0 | Intervalle

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