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Mogadischu
wuerg, 30.11.2008 22:51
Der gerade im Fernsehen laufende Film Mogadischu soll angeblich nicht beschönigen und auch nicht übertreiben. In jedem Falle bestätigt er mein seit über vierzig Jahren unverändertes Gefühl, lieber neben einem schwer bewaffneten Israeli als einem gefesselten Palästinenser zu stehen.
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Buß- und Bettag
wuerg, 19.11.2008 09:36
Weil die Sachsen im Pisa-Test so gut abschnitten, dürfen heute auch die Eltern zu Hause bleiben [1] und den Buß- und Bettag feiern, den die übrige deutsche Christenheit sich hat streichen lassen, um die Pflegeversicherung zu unterstützen. So kann der notleidende Zulieferer für den Bau offensichtlich verzichtbarer Neuwagen seine Arbeiter heute in den Urlaub oder die Gleitzeit zwingen, nicht aber in die Kirche.
In ihrer grenzenlosen Güte ging die katholische Kirche mit der Streichung des Buß- und Bettages dazu über, ökumenische Gottesdienste anzubieten. Das geschah auch am Reformationstag, als die Protestanten nicht mehr genug Leute in die Kirche bekamen. Doch ein wahrhaft großes Herz hätte eher so abstruse katholische Zusatzfeiertage wie Heilige Drei Könige, Fronleichnam oder Allerheiligen geopfert.
Letzteres breitet sich in einer heidnischen Variante mit Kürbissen nicht nur am Vorabend aus. Die allgemeine Wiederbelebung des Reformationstages wird deshalb ein frommer Wunsch bleiben. Und in hundert Jahren lauten unsere Hauptfeiertage: Halloween, Valentinstag, Rosenmontag, Fastnacht und Welt-Aids-Tag.
[1] In Bayern nur Schüler. Im ungebildeten Norden ist auch heute für alle Pauken und Arbeiten angesagt.
Reformationstag | Fronleichnam | Karfreitag
In ihrer grenzenlosen Güte ging die katholische Kirche mit der Streichung des Buß- und Bettages dazu über, ökumenische Gottesdienste anzubieten. Das geschah auch am Reformationstag, als die Protestanten nicht mehr genug Leute in die Kirche bekamen. Doch ein wahrhaft großes Herz hätte eher so abstruse katholische Zusatzfeiertage wie Heilige Drei Könige, Fronleichnam oder Allerheiligen geopfert.
Letzteres breitet sich in einer heidnischen Variante mit Kürbissen nicht nur am Vorabend aus. Die allgemeine Wiederbelebung des Reformationstages wird deshalb ein frommer Wunsch bleiben. Und in hundert Jahren lauten unsere Hauptfeiertage: Halloween, Valentinstag, Rosenmontag, Fastnacht und Welt-Aids-Tag.
[1] In Bayern nur Schüler. Im ungebildeten Norden ist auch heute für alle Pauken und Arbeiten angesagt.
Reformationstag | Fronleichnam | Karfreitag
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Lug und Trug
wuerg, 15.11.2008 23:08
Schon nach wenigen Minuten der noch laufenden Sendung „Uri Geller live ‒ Ufos & Aliens: Das unglaubliche TV-Experiment“ habe ich soviel Schwachsinn gehört, daß ich ein ganzes Jahr darüber bloggen und mich aufregen könnte. Schon zu Beginn wurde eine Figur verwendet, die ich nicht rhetorisch, sondern unredlich nennen möchte:
Erst wird eine abstruse, zumindest aber spekulative Behauptung A aufgestellt, dann wird über eine schwächere Aussage A′ schwadroniert und Zustimmung erheischt, um die dann als eine zu A auszugeben. Wenn dies einer bemerkt und den ganzen Vorgang nicht in die Tonne haut, sondern auf diesen Trick, auf den übersehenen Strich aufmerksam macht, dann ist er ein Ungläubiger, ein Ignorant, ein Positivist.
In der Sendung steht A für „uns haben Außerirdische besucht“ und A′ für „es gibt außerirdisches Leben“. Immer und immer wieder sagen Leute, daß sie an die Existenz von Außerirdischen glauben, und regelmäßig macht vor allem Uri Geller daraus einen Beleg für die Existenz von Ufos und Aliens auf der Erde.
Ungläubige zu diffamieren, hat man im Fernsehen natürlich nicht nötig, schließlich bestimmt man umfassend selbst, was gesendet wird und was nicht. Lieber integriert man einen moderaten Skeptiker und befragt telefonsich die Bevölkerung: „Was meinen Sie: Gibt es außerirdisches Leben?“ Vor der Sendung waren es 16 Prozent [1]. Heute abend würden mich 60 nicht wundern.
Auch vor anderen Versatzstücken schrecken Uri Geller und die Effekthascher des Fernsehens bekanntlich nicht zurück. Mehr dazu in den Kommentaren.
[1] 16 Prozent der Deutschen glauben an Außerirdische: … News aktuell, 29.10.2008
Fernsehen | Next Uri Geller | Cosmic Connection
Erst wird eine abstruse, zumindest aber spekulative Behauptung A aufgestellt, dann wird über eine schwächere Aussage A′ schwadroniert und Zustimmung erheischt, um die dann als eine zu A auszugeben. Wenn dies einer bemerkt und den ganzen Vorgang nicht in die Tonne haut, sondern auf diesen Trick, auf den übersehenen Strich aufmerksam macht, dann ist er ein Ungläubiger, ein Ignorant, ein Positivist.
In der Sendung steht A für „uns haben Außerirdische besucht“ und A′ für „es gibt außerirdisches Leben“. Immer und immer wieder sagen Leute, daß sie an die Existenz von Außerirdischen glauben, und regelmäßig macht vor allem Uri Geller daraus einen Beleg für die Existenz von Ufos und Aliens auf der Erde.
Ungläubige zu diffamieren, hat man im Fernsehen natürlich nicht nötig, schließlich bestimmt man umfassend selbst, was gesendet wird und was nicht. Lieber integriert man einen moderaten Skeptiker und befragt telefonsich die Bevölkerung: „Was meinen Sie: Gibt es außerirdisches Leben?“ Vor der Sendung waren es 16 Prozent [1]. Heute abend würden mich 60 nicht wundern.
Auch vor anderen Versatzstücken schrecken Uri Geller und die Effekthascher des Fernsehens bekanntlich nicht zurück. Mehr dazu in den Kommentaren.
[1] 16 Prozent der Deutschen glauben an Außerirdische: … News aktuell, 29.10.2008
Fernsehen | Next Uri Geller | Cosmic Connection
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Sudoku, Teil 5
wuerg, 15.11.2008 00:42
Nach fast einem Jahr Sudoku-Pause habe ich mir wieder ein Sudoku-Heft gekauft. Und zwar für 3,50 Euro die September-Ausgabe von "Su-Doku Extreme" [1] mit 67 Rätseln der Stufe 6 bis 7. Zwar gibt es Sudoku allenthalben umsonst, doch lohnen sich 5 Cent für ein Rätsel, wenn es groß genug ist und ordentlich aussieht. Das erleichtert die Arbeit und hebt das Vergnügen. Ich habe das ganze Heft durchgearbeitet und mein Scheitern oder meine Lösung im Vergleich mit der eines Computers aufgeschrieben. Damit will ich die Menschheit verschonen, nicht aber mit einer Zusammenfassung.
Die ersten 16 Sudoku des Heftes sind der Stufe 6, die letzten 20 der Stufe 7 zugeordnet. Die mittleren 31 sind mit "6-7" bezeichnet. Gemäß meinem Erfolg habe ich jedem Rätsel einen persönlichen Schwierigkeitgrad zugeordnet [4]:
Bis zur Stufe 6,5 hatte ich keine Schwierigkeiten, doch eine Stufe höher erreichte ich meine Leistungsgrenze. Scanraid muß erst etwas später zu fortgeschrittenen Methoden über Einer, Paare und Tripel hinaus greifen. Das Programm suexrate bewertet bis 6,5 die Rätsel mit 59 Punkten, weil Einer reichen und 81-59=22 Ziffern bereits vorgegeben sind. Danach wird zwar höher bewertet, die allmähliche Steigerung der Schwierigkeit wird aber kaum erkannt.
[1] Su-Doku Extreme 9/2008, Editions Megastar
[2] Andrew Stuart, Sodoku-Solver
[3] Günter Stertenbrink, Sudoku
[4] Allmählig geht mir der Verfolgungswahn auf den Keks. Ich wollte eine Liste mit <ol start=0> schreiben. Und was ist passiert? Mir wird "start=0" entfernt, also stur bei 1 statt 0 mit der Aufzählung begonnen! Auch gefallen mir keine reingehauenen </li>. Ganz zu schweigen von den angeklatschen Bildern, auch wenn man vor und nach <%image%> eine Freizeile läßt.
Die ersten 16 Sudoku des Heftes sind der Stufe 6, die letzten 20 der Stufe 7 zugeordnet. Die mittleren 31 sind mit "6-7" bezeichnet. Gemäß meinem Erfolg habe ich jedem Rätsel einen persönlichen Schwierigkeitgrad zugeordnet [4]:
0. ohne Notizen und ohne Mühe gelöst 1. ohne Notizen gelöst, Paare genutzt 2. ohne Notizen gelöst, Zweier genutzt 3. ohne Notizen gelöst, Fälle unterschieden 4. versteckte Zweier notiert und gelöst 5. mit notierten Fällen gelöst 6. ohne Notizen gescheitert, Irrtum 7. versteckte Zweier ohne Erfolg notiert 8. Fälle ohne Erfolg notiert 9. sehr viele Notizen ohne ErfolgZur Kontrolle und Einordnung meiner Leistung habe ich alle Sudoku durch ein Lösungsprogramm [2] laufen lassen. Gemäß den bemühten Techniken, habe ich eine weitere Einordnung vorgenommen [4]:
0. versteckte Einer allein reichen aus 1. nackte und versteckte Einer reichen 2. Einer, nackte Paare und Tripel reichen 3. zusätzlich versteckte Paare genutzt 4. auch versteckte Tripel betrachtet 5. Zweier genutzt (pointing pairs) 6. einfache Färbung führte ins Ziel 7. es mußte zu Y-Wings gegriffen werden 8. Eindeutigkeit von Rechtecken genutzt 9. es wurde eine XY-Kette bemühtDas Ergebnis ist recht einfach: Die ersten 37 Rätsel sind allein mit nackten und versteckten Einern zu bewältigen und wurden bis auf einzelne Aussetzer von mir ohne Notizen gelöst. Danach wird es zunehmend anstrengender. Sowohl der Computer als auch ich müssen im Mittel alle fünf Rätsel in unserer Tabelle einen Schritt weiter gehen.
Das studierte Heft mit seinen 67 Rätseln stuft sich selbst mit 6,5 ein und deckt anderthalb dieser Stufen ab. Deshalb ordne ich den Rätseln um die Nummer 12 herum die Stufe 6 zu, und denen um die Nummer 56 herum die Stufe 7. Wie schwer es mir (wuerg) und dem Lösungsprogramm (scanraid) fiel und wie ein Bewertungsprogramm (suexrate [3]) die Rätsel einschätzt, gibt die Tabelle wieder:
Nummer | Stufe | wuerg | scanraid | suexrate |
01 | 5,75 | 0,0 | 0,8 | 59 |
12 | 6,00 | 0,2 | 0,9 | 59 |
23 | 6,25 | 0,5 | 1,0 | 59 |
34 | 6,50 | 1,5 | 1,2 | 59 |
45 | 6,75 | 3,0 | 2,0 | 95 |
56 | 7,00 | 5,0 | 4,5 | 100 |
67 | 7,25 | 7,0 | 7,5 | 105 |
Bis zur Stufe 6,5 hatte ich keine Schwierigkeiten, doch eine Stufe höher erreichte ich meine Leistungsgrenze. Scanraid muß erst etwas später zu fortgeschrittenen Methoden über Einer, Paare und Tripel hinaus greifen. Das Programm suexrate bewertet bis 6,5 die Rätsel mit 59 Punkten, weil Einer reichen und 81-59=22 Ziffern bereits vorgegeben sind. Danach wird zwar höher bewertet, die allmähliche Steigerung der Schwierigkeit wird aber kaum erkannt.
[1] Su-Doku Extreme 9/2008, Editions Megastar
[2] Andrew Stuart, Sodoku-Solver
[3] Günter Stertenbrink, Sudoku
[4] Allmählig geht mir der Verfolgungswahn auf den Keks. Ich wollte eine Liste mit <ol start=0> schreiben. Und was ist passiert? Mir wird "start=0" entfernt, also stur bei 1 statt 0 mit der Aufzählung begonnen! Auch gefallen mir keine reingehauenen </li>. Ganz zu schweigen von den angeklatschen Bildern, auch wenn man vor und nach <%image%> eine Freizeile läßt.
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Viererbande
wuerg, 04.11.2008 23:16
Unter Linken ist es nicht nur üblich zu diskutieren, zu streiten und sich zu spalten, sondern auch den politischen Gegner gemeinsam zu bekämpfen. Daran haben sich die vier hessischen Renegaten Jürgen Walter, Carmen Everts, Silke Tesch und Dagmar Metzger nicht gehalten. Sie haben Grüne, Hell- und Dunkelrote für nichts wochenlang hart arbeiten lassen. Unterlegen zu sein, keine Posten abzustauben oder neben der Mauer zu leben, haben nichts mit einem Gewissen zu tun, das für bürgerliche Heuchler so und so nur ein Synonym für Motive und Interessen ist.
Da viele sich eine deratige Dreistigkeit und Gemeinheit ohne starke Gründe, Interessen, Intrigen oder Verschwörungen nicht vorstellen können, ließ die Vermutung nicht lange auf sich warten, die Bundesspitze der SPD hätte ihre Finger im Spiel. Deshalb werde ich mir die vier Namen merken und beobachten, ob ihre Parteikarriere beendet ist oder doch noch in Schwung kommt. Dann oder falls Andrea Nahles Vorsitzende wird, trete ich nach über vierzig Jahren doch noch aus.
Da viele sich eine deratige Dreistigkeit und Gemeinheit ohne starke Gründe, Interessen, Intrigen oder Verschwörungen nicht vorstellen können, ließ die Vermutung nicht lange auf sich warten, die Bundesspitze der SPD hätte ihre Finger im Spiel. Deshalb werde ich mir die vier Namen merken und beobachten, ob ihre Parteikarriere beendet ist oder doch noch in Schwung kommt. Dann oder falls Andrea Nahles Vorsitzende wird, trete ich nach über vierzig Jahren doch noch aus.
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Regeln, Regeln, Regeln, Regeln
wuerg, 02.11.2008 16:49
In der auch das normale Leben prägenden modernen Welt des Internets, der Prominenten und des Finanzmarktes ohne Moral, in der alles darf und nichts muß, in der Schein und Sein verschwimmen, in der vor allem der Erfolg zählt, sind Regeln eine lästige Angelegenheit. Man bräche sogar die Naturgesetze, wäre dies von Erfolg gekrönt. Lug, Trug und Diebstahl sind erlaubt. Auch Ehrlichkeit, Loyalität und Großmut sind sinnvoll, wenn sie ins Ziel führen. Dieses Ziel umfaßt nicht nur Geld und Macht, sondern auch Anerkennung und Wohlbefinden.
Der unerschütterliche Glaube dieser modernen Nihilisten, daß persönliche Vorteilsnahme zwar einem anderen schaden kann, der für sein Mißgeschick selber verantwortlich ist, im Großen und Ganzen aber das System und die allgemeine Wohlfahrt mehr befördert als Verzicht, Solidarität oder Gesetzestreue, hat in den letzten Wochen einen Dämpfer erhalten. Vielleicht ein zu kleiner nur auf den Finanzmarkt und die Wirtschaft beschränkter, der den allgemeinen Hedonismus nur ankratzt.
"Jetzt hat sich aber gezeigt, daß es immer noch eine Gruppe gibt von Akteuren, die externalisieren wie Konquistadoren des 18. und 19. Jahrhunderts. Die werden im Augenblick durch diese Krise eingefangen oder zurückgepfiffen. Deswegen hört man ja auch nur ein Wort, ich glaube es ist auch das Wort, das am häufigsten festgestellt werden wird, wenn man eines Tages eine Sprachstatistik unseres großen Crashs erstellen wird. Das ist das Wort Regeln. Regeln, Regeln, Regeln, Regeln. Ich glaube, man hat seit dem Beginn der Schöpfung dieses Wort noch nie so häufig gebraucht wie in diesen Tagen, nicht einmal in einem Wittgenstein-Seminar hat man das Wort Regel so häufig und so emphatisch benutzt wie jetzt, und seltsamerweise mit einer so positiven Betonung."
Das sagt Peter Sloterdijk im Gespräch mit Frank A. Meyer [1] und übertreibt gewiß erneut, denn die Geschichte wird unsere derzeitige Finanzkrise nur als eine in einer langen Reihe sehen und möglicherweise andere Wörter als wichtiger erachten. Trotzdem wird es wieder zu strengeren Regeln kommen, möglicherweise zu staatlich verordneten oder aus einer Gegenbewegung der nach wie vor moralisch orientierten Mehrheit heraus. Dann wird sich macher wünschen, Seinesgeichen hätten sich rechtzeitig wenigstens an die Grundregeln des Anstandes gehalten.
Es bedarf immer mehrerer Einbrüche, um die Grundlagenfehler zu sehen und keinen Unfall anzunehmen. Jetzt ist klar geworden, daß die Profitmaximierung unabhängiger Egoisten eben nicht das haushoch überlegenen System darstellt. Daß einige sich unmäßig an vielen bereichern, ist darin durchaus vorgesehen. Doch die Betrogenen finden sich damit nicht ab. Sie springen nicht einzeln vom Dach oder strampeln sich erneut nach oben. Sie schlagen als Gruppe zurück, als Zivilgesellschaft, die es in Europa noch immer gibt.
Aber auch unabhängig von der Wehrhaftigkeit der Betrogenen und Verlierer weist das Finanzsystem des neoliberalen Kapitalismus mindestens eine Strukturschwäche auf. Es entspricht nicht einem Millionen-Personen-Spiel, in dem ich die zahlreichen Gegner wie statistische Größen kalkulieren kann. Plötzlich verhalten sie sich anders als berechnet, möglicherweise chaotisch und im schlimmsten Falle aus einem vielleicht verborgenen Grunde uniform. Zum Beispiel dann, wenn viele das gleiche Programm zum automatischen Aktienhandel benutzen oder wenn wie bei der VW-Aktie viele auf die gleiche Schnapsidee kommen.
Peter Sloterdijk, Vis a Vis, Schweizer Fernsehen, 12.10.2008, 6. Minute
Der unerschütterliche Glaube dieser modernen Nihilisten, daß persönliche Vorteilsnahme zwar einem anderen schaden kann, der für sein Mißgeschick selber verantwortlich ist, im Großen und Ganzen aber das System und die allgemeine Wohlfahrt mehr befördert als Verzicht, Solidarität oder Gesetzestreue, hat in den letzten Wochen einen Dämpfer erhalten. Vielleicht ein zu kleiner nur auf den Finanzmarkt und die Wirtschaft beschränkter, der den allgemeinen Hedonismus nur ankratzt.
"Jetzt hat sich aber gezeigt, daß es immer noch eine Gruppe gibt von Akteuren, die externalisieren wie Konquistadoren des 18. und 19. Jahrhunderts. Die werden im Augenblick durch diese Krise eingefangen oder zurückgepfiffen. Deswegen hört man ja auch nur ein Wort, ich glaube es ist auch das Wort, das am häufigsten festgestellt werden wird, wenn man eines Tages eine Sprachstatistik unseres großen Crashs erstellen wird. Das ist das Wort Regeln. Regeln, Regeln, Regeln, Regeln. Ich glaube, man hat seit dem Beginn der Schöpfung dieses Wort noch nie so häufig gebraucht wie in diesen Tagen, nicht einmal in einem Wittgenstein-Seminar hat man das Wort Regel so häufig und so emphatisch benutzt wie jetzt, und seltsamerweise mit einer so positiven Betonung."
Das sagt Peter Sloterdijk im Gespräch mit Frank A. Meyer [1] und übertreibt gewiß erneut, denn die Geschichte wird unsere derzeitige Finanzkrise nur als eine in einer langen Reihe sehen und möglicherweise andere Wörter als wichtiger erachten. Trotzdem wird es wieder zu strengeren Regeln kommen, möglicherweise zu staatlich verordneten oder aus einer Gegenbewegung der nach wie vor moralisch orientierten Mehrheit heraus. Dann wird sich macher wünschen, Seinesgeichen hätten sich rechtzeitig wenigstens an die Grundregeln des Anstandes gehalten.
Es bedarf immer mehrerer Einbrüche, um die Grundlagenfehler zu sehen und keinen Unfall anzunehmen. Jetzt ist klar geworden, daß die Profitmaximierung unabhängiger Egoisten eben nicht das haushoch überlegenen System darstellt. Daß einige sich unmäßig an vielen bereichern, ist darin durchaus vorgesehen. Doch die Betrogenen finden sich damit nicht ab. Sie springen nicht einzeln vom Dach oder strampeln sich erneut nach oben. Sie schlagen als Gruppe zurück, als Zivilgesellschaft, die es in Europa noch immer gibt.
Aber auch unabhängig von der Wehrhaftigkeit der Betrogenen und Verlierer weist das Finanzsystem des neoliberalen Kapitalismus mindestens eine Strukturschwäche auf. Es entspricht nicht einem Millionen-Personen-Spiel, in dem ich die zahlreichen Gegner wie statistische Größen kalkulieren kann. Plötzlich verhalten sie sich anders als berechnet, möglicherweise chaotisch und im schlimmsten Falle aus einem vielleicht verborgenen Grunde uniform. Zum Beispiel dann, wenn viele das gleiche Programm zum automatischen Aktienhandel benutzen oder wenn wie bei der VW-Aktie viele auf die gleiche Schnapsidee kommen.
Peter Sloterdijk, Vis a Vis, Schweizer Fernsehen, 12.10.2008, 6. Minute
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Mathematisierende Spinner
wuerg, 02.11.2008 00:16
Als ich letzten Montag noch einmal alle vierzig Fernsehsender durchging, sah ich Peter Sloterdijk im Gespräch mit Frank A. Meyer. Es war eine Wiederholung der Sendung "Vis a Vis" des Schweizer Fernsehens vom 12. Oktober. Man mag über Peter Sloterdijk geteilter oder gespaltener Meinung sein, wie auch über diese Einschätzung [1]:
"... daß wir seit 200 Jahren eine Wirtschaftswissenschaft haben, die keine Wissenschaft ist, ... die ihre Unwissenschaftlichkeit hinter einem riesigen Aufwand an Mathematik verbirgt. Das kann man übrigens in allen Wissenschaften sehen: Je unwissenschaftlicher sie sind, desto mathematischer werden sie. Auch die positivistische Psychologie unserer Tage, die den Menschen eigentlich überhaupt nicht mehr kennt, arbeitet auch sehr gern mit mathematischen Modellen. Die Wirtschaftswissenschaft im letzten halben Jahrhundert ist ja ein reines Spielfeld für mathmatisierende Spinner geworden."
Dem kann ich nur zustimmen. In der Wirtschaftswissenschaft wird wirklich viel herumgerechnet und gleichzeitig auf die Mathematik als einer Hilfswissenschaft herabgeblickt. Es ist nicht alles so trivial wie das Oligopol-Modell, mit dem ein Student der Mathematik zwei Semester Betriebswirtschaft bewältigen kann, oder so beliebig wie die Chartanalyse, für die durchaus mathematische Kenntnisse erforderlich sind, wie die Astrologie nicht ohne astronomische auskommt. Doch letztlich sind alle mathematischen Methoden kraftlos, wenn sie auf ein falsches Modell der Wirklichkeit angesetzt werden.
[1] Peter Sloterdijk, Vis a Vis, Schweizer Fernsehen, 12.10.2008, 42. Minute
"... daß wir seit 200 Jahren eine Wirtschaftswissenschaft haben, die keine Wissenschaft ist, ... die ihre Unwissenschaftlichkeit hinter einem riesigen Aufwand an Mathematik verbirgt. Das kann man übrigens in allen Wissenschaften sehen: Je unwissenschaftlicher sie sind, desto mathematischer werden sie. Auch die positivistische Psychologie unserer Tage, die den Menschen eigentlich überhaupt nicht mehr kennt, arbeitet auch sehr gern mit mathematischen Modellen. Die Wirtschaftswissenschaft im letzten halben Jahrhundert ist ja ein reines Spielfeld für mathmatisierende Spinner geworden."
Dem kann ich nur zustimmen. In der Wirtschaftswissenschaft wird wirklich viel herumgerechnet und gleichzeitig auf die Mathematik als einer Hilfswissenschaft herabgeblickt. Es ist nicht alles so trivial wie das Oligopol-Modell, mit dem ein Student der Mathematik zwei Semester Betriebswirtschaft bewältigen kann, oder so beliebig wie die Chartanalyse, für die durchaus mathematische Kenntnisse erforderlich sind, wie die Astrologie nicht ohne astronomische auskommt. Doch letztlich sind alle mathematischen Methoden kraftlos, wenn sie auf ein falsches Modell der Wirklichkeit angesetzt werden.
[1] Peter Sloterdijk, Vis a Vis, Schweizer Fernsehen, 12.10.2008, 42. Minute
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