Kußzahlen
Billardspieler haben Angst vor dem double kiss, wenn Kugeln erneut und unge­plant zusammen­treffen. Und so heißt Kußzahl (kis­sing number) die maxi­male Zahl gleich­großer Kugeln, die an eine zen­trale ange­legt werden können. Wer sich Stapel von Apfel­sinen ansieht, wird vor­schnell 12 annehmen. Aber erst 1953 wurde bewie­sen, daß eine 13. Kugel nicht dranpaßt, obwohl zwi­schen zwöl­fen noch recht viel Luft ist. Schlimmer noch: Die Luft kann man noch nicht einmal nut­zen, um Kugeln dichter zu stapeln als bisher bekannt. Diese Kepler­sche Vermu­tung wird erst 2017 bewie­sen. Newton hatte recht, 12 ist richtig, die dich­teste Packung ist die in der Natur rea­li­sierte mit einer Dichte von (π/6)√2, etwa 74 Pro­zent. Etwas mehr als ein Viertel eines Apfel­sinen­stapels muß also aus Luft bestehen.

In zwei Dimensionen weiß jedes Kind, daß man sechs Münzen an eine anlegen kann. Da wackelt nichts mehr, sieben sind offen­sicht­lich unmög­lich. Ein­dimen­sional sind Kugeln Strecken, an die zwei andere stoßen können. In der vierten Dimension hat man schnell 24 Hy­per­kugeln ange­legt. Daß eine 25. nicht mehr geht wird auch erst 2008 gezeigt. Umso über­raschen­der ist es, daß man für die 8. und die 24. Di­men­sion die Kuß­zah­len 240 und 196.560 kennt, weil man die Kugeln gitterförmig anlegen kann und nicht mehr Luft bleibt als unbe­dingt erforderlich.

Sich auf Gitter zu beschrän­ken, verein­facht das Problem. Man könnte meinen, daß in drei Dimensionen die 12 als Gitter­kuß­zahl schon ewig bekannt ist, doch erst Gauß konnte es bewei­sen. Inzwi­schen kennt man sie in 1 bis 9 und eben 24 Dimen­sio­nen. [1] Sie ent­spricht der Kußzahl, so letz­tere bekannt ist. Das ist nicht selbst­ver­ständ­lich. In der Dimen­sion 9 kennt man zwar die Kuß­zahl nicht, es geht aber unregel­mäßig mit 306 dichter als mit 272 im Gitter.

Das mag man alles für mathe­matische Spin­nerei halten. [2] Auch die über­raschen­den Bezie­hungen zu ande­ren Zahlen und Gebie­ten kann rein theo­reti­scher, gar zufäl­liger Natur sein, so wie 24 als vierte Fakul­tät allent­halben auf­taucht. Auch könnte die String­theorie in 8 und 24 Di­men­sio­nen ein nur darauf auf­bauen­des Hirn­ge­spinst sein. Es bleibt aber der berech­tigte Wunsch, die Ant­wort auf die Frage nach dem Leben, dem Uni­ver­sum und dem ganzen Rest nicht an einen all­mächti­gen Schöp­fer oder Pro­gram­mie­rer weiter­zulei­ten, der die Ant­wort auch nicht kennt, zumin­dest nicht verrät, sondern etwas zu finden, das geeig­net groß, aber dennoch endlich an sich exi­stiert. Gewisser­maßen die Umkehrung der Frage von John Conway, warum es die Monster­gruppe gibt. [3]

[1] Gabriele Nebe: Table of the Highest Kissing Numbers Pre­sently Known.

[2] Die scheinheilige Frage nach der Anwend­barkeit, die nicht nur naive Men­schen und Inge­nieure, son­dern auch ange­wandte Mathe­mati­ker gerne stellen, kann dank Daten­verar­bei­tung beant­wortet werden: Sieben Fehler erken­nender und drei korri­gie­render Golay-Code von 12 Bit in 24.

[3] Life, Death and the Monster (John Conway) - Number­phile. In dem Youtube-Filmchen sagt der an Corona verstor­bene John Conway in seiner Küche: „I would like to know what it's all about. You know, why it's there … that the one thing I'd really like to know before I die is why the monster group exists.“

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