Venti
Der moderne Mensch möchte nicht ange­sprochen werden, auch nicht von Personal in Gast­stätten, besonders Cafes. Lieber stellt er sich an, sagt kurz und voll­ständig, was er haben will, nimmt alles regungs­los entgegen und dackelt in eine Ecke, wo wenig andere ihn stören und er lange rumlun­gern kann, ohne gefragt zu werden, ob er noch etwas möchte. In einem unauf­fälligen Moment steht er auf, verkrümelt sich und läßt seinen Dreck stehen, denn auf dem Weg zur Geschir­rück­gabe besteht die Gefahr: "Darf ich Ihnen das abnehmen?"

Fragt oder disku­tiert man bei der Bestel­lung zu lang, sagt aus der Schlange heraus natür­lich keiner etwas, es wird ledig­lich genervt das Gesicht verzogen oder nervös von einem Fuß auf den anderen gewech­selt. Auch das Personal ist nicht gerade begei­stert, wenn man den Rahmen der üblichen Erkundi­gungen sprengt. So ging es mir, als ich im letzten Jahr erst­malig einen Starbucks-Laden betrat, um einen Kaffee zu trinken. Wo ein üblicher Betrieb neben dem normalen Latte Macchi­ato allenfalls noch einen großen anbietet, sind es bei Sta­rbucks nicht der kleine, mitt­lere oder große, auch nicht wie bei Unter­hosen small, medium und large, sondern tall, grande und venti.

"Zwanzig was?" habe ich nicht nur mich, sondern auch den Mann hinter dem Tresen gefragt. Er wußte es nicht. Und schon wurden die Leute hinter mir nervös. Ich habe die einma­lige Gelegen­heit genutzt und einen Venti mit Kara­mell genommen. Letz­teres kann auf den Magen schlagen und einen Kaffee zu einer Süß­speise machen. Man benö­tigt eine gewisse Zeit um solche Riesen­dinger zu schlucken. Sie kommen aber dem ameri­kani­schen Hang zum Gigan­tismus entgegen und vermeiden Nach­bestel­lungen, die erneut den Umgang mit Menschen erfor­dern. So kann man stundenlang ungestört mit dem Smart­phone spielen oder sich hinter einem Note­book ver­stecken.

Beides habe ich nicht in der Tasche oder im Rucksack, doch zuhause konnte ich mich erkun­digen: Für Kaffee stehen die Größen tall, grande und venti für 12, 16 bzw. 20 Unzen. Es müssen fl oz (US), also amerikanische Flüssigkeits-Unzen zu 29,5735 Milli­litern sein, denn das Internet nennt 355, 473 bzw. 591 Milli­liter. Da es sich um Kaffee handelt, darf in solch merkwür­digen Größen ausge­schenkt werden. Wie und ob man sich an die deutschen Ausschank­maße für Kaltge­tränke hält, sei dahin­gestellt. Die gibt es zumindest in den USA als venti zu 26 Unzen und in der Monster­größe trenta mit 30 oder auch 31 Unzen. Mit letzterem frönt man der anglo­amerika­nischen Unsitte eines Aufschla­ges oder Rabat­tes wie der Guinee zu 21 Schil­ling oder dem Score zu 21 Chal­dron.

Früher müssen auch die Ameri­kaner sich gemäßigt haben, denn es gibt auch klei­nere Becher. Nicht etwa small oder medium, aber short mit 8 und demi mit 3 Unzen. Das alles mag Amis und Liberianern geläufig sein, kann aber Menschen der metrischen Welt auch dann verwirren, wenn sie mit der engli­schen Sprache und den anglo­amerika­nischen Maßen vertraut sind. Einem solchen erzählte ich von der Größen­bezeich­nung venti, die Star­bucks sich hat schützen lassen, und den 20 Unzen. Spontan meinte er, es handele sich um ein Pint. Doch gefehlt: Das amerikanische Pint hat nur 16 ameri­kanische Unzen und ist mit 473 Milli­liter deutlich kleiner als das englische Pint mit 568 Milli­litern aus 20 etwas klei­nerern engli­schen Unzen. Venti ist deshalb mit 591 Milli­litern noch etwas größer.

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