Hohlmaße
Die wesent­lichen Maße sind die des MKS-Systems, der Meter, das Kilo­gramm und die Sekunde. Da die Sekunde allen Maß­systemen gemein ist, sind für Umrech­nungen von einem zum anderen eigent­lich nur zwei Festlegungen erfor­derlich, eine für die Länge, eine für die Masse. Wenn da nicht die Hohl­maße wären, für die sich heute keiner mehr interes­siert, denn wir leben in einer Zeit, da ein Liter ein Kubik­dezimeter ist, nicht mehr und nicht weniger. Deshalb gibt es die Hohlmaße eigent­lich nur noch aus histo­rischer Sicht, schon gar nicht unter­schieden nach Flüssig­keits­maßen für Wasser, Bier, Wein, Öl und Trocken­maßen für Getreide, Mehl, Kohle, Holz. Das ist alles Geschichte aus einer Zeit, da man diese Maße kannte, benutzte oder gar besaß, aber nur ungenau oder gar nicht eines in das andere umrech­nen konnte.

Ich persönlich mag die Bezeich­nung Liter außer­halb von Tank­stellen und Getränke­läden nicht beson­ders, denn ein Liter ist heute wieder einfach eine alter­native Bezeich­nung für einen Kubik­dezimeter. Sie hält sich aber auch in der Wissen­schaft hart­näckig, und es ist für manche eine Glaubens­frage, ob der Liter mit großem oder kleinen L abzu­kürzen ist, weshalb man sich immer noch nicht zu einer Normung hat entschlie­ßen können. In meiner Kindheit war der Liter ein echtes Hohlmaß, also ein Volumen, das über die Masse eines Stoffes fest­gelegt wurde. Für den Liter war es Wasser, und zwar das Volumen von einem Kilo­gramm Wasser bei höch­ster Dichte, zuletzt bei 4 Grad. [1]

In dieser Zeit hatte der Liter 1,000025 bis 1,000028 Kubik­dezimeter. Daß dieser Wert fast genau bei 1 liegt, ist dem Urkilo­gramm zu verdan­ken, das möglichst gut der Masse von einem Kubik­dezimeter Wasser entspre­chen sollte. Zuvor war der Urmeter als der zehn­tausendste Teil des Meri­dians durch Paris vom Nordpol zum Äquator ange­fertigt worden. Es stellte sich auch hier eine Abwei­chung heraus. Der Meridian ist 2 Kilometer länger. Mit diesen beiden Defi­nition orien­tierte man sich zwar am Wasser und an der Erde, legte durch sog. Verkör­perungen aber Einhei­ten fest, die genauer waren als die bishe­rigen Ablei­tungen aus vermeint­lichen Natur­konstanten.

Noch während meiner Schulzeit hat man einge­sehen, daß der Unter­schied zwischen Liter und Kubik­dezimeter zwar im Alltag ohne Bedeu­tung ist, aber bei genauen Messungen eine Quelle von Verwech­selungen dar­stellt. Und da es recht sinnlos ist, zwei Raum­maße mit nur 0,03 Pro­mille Unter­schied zu verwenden, wurde der Liter wieder zu einem Kubik­dezimeter gemacht, wie er 1793 in Frank­reich defi­niert wurde. Doch weil selbst der Revolu­tionär an altem Schwach­sinn hängt, wurde neben dem Kilo­gramm ein Grave defi­niert, der Masse von von einem Liter Wasser, also etwa 0,999975 Kilo­gramm.

In England verfuhr man ähnlich. Ein Pfund bestand aus 16 Unzen. Die Gallone zu 160 Flüs­sig-​Unzen war als das Volumen von 10 Pfund Wasser defi­niert, aller­dings bei 62 Grad Fahrenheit, was fast 17 Grad Celsius entspricht und wo die Dichte des Wassers nur noch 0,998836 Gramm pro Kubik­zenti­meter beträgt. Inzwischen sind das Pfund mit exakt 453,59237 Gramm und die Gallone mit exakt 4,54609 Kubik­dezimeter an die SI-Ein­heiten ange­schlossen. Damit ist die Bindung an das Wasser bei 62 Grad Fahren­heit aufge­geben. Eine Flüssig­keits-Unze Wasser mit der Masse einer Gewichts-​Unze muß nunmehr eine Dichte von 0,997763 Gramm pro Kubik­zenti­meter haben, wozu ich einer Tabelle 71,7 Grad Fahren­heit entnom­men habe.

Da auch der Zoll mit exakt 2,54 Zen­ti­meter an das SI-System ange­schlossen ist, haben wir drei Umrech­nungen und damit eine weitere für Volu­mina auf der Basis von Kubik­zoll. Im anglo­amerika­nischen System sind also zwei Raum­maße gebräuch­lich, das normale Volu­menmaß auf der Basis des Zolls und die Hohl­maße auf der Basis von Gallo­nen. Damit umfaßt eine Gal­lone 277,4194328 Kubik­zoll. Und das ist keine Folge des Anschlus­ses an die SI-Ein­heiten. Ein Faktor von etwa 277 war immer schon im anglo­amerika­nischen Maßsystem angelegt, wenn auch nur den wenig­sten bewußt. Wir haben dieses Problem nicht, weil wir die Hohl­maße prak­tisch wegge­worfen haben, was uns durch eine gute Defi­nition der Masse­einheit Kilo­gramm erleich­tert wurde.

Daß eine Flüssigkeits-​Unze 28,41306 Kubik­zenti­meter, eine Gewichts-​Unze aber nur 28,349523 Gramm hat, fällt natür­lich nicht auf, wenn man sich ausschließ­lich im anglo­amerika­nischen System bewegt. Man mag sich auch an viele verschie­dene Umrechnungs­faktoren wie 4, 5, 11, 12, 16 usw. gewöhnen, doch die Abbil­dung der Hohl­maße auf normale Volu­mina mit einem ganz krummen Faktor ist eine selbst­gemachte Schwäche, die durch Strei­chung von Gallone, Pint und Konsor­ten zu besei­tigen nun zu spät ist, da zumin­dest in Groß­britan­nien das alte Maßsystem offi­ziell aufge­geben wurde und das neue den Menschen schmack­haft gemacht werden soll. Die Amis konnten sich dazu noch nicht durch­ringen und leisten sich beim Anschluß an das SI-System noch Extra­würste.

[1] Der Druck ist nicht so wichtig wie die Tempe­ratur. Einmal ist es der Normal­druck von 1013,25 Hek­to­pascal, ein ander­mal nur 0,6 Hek­to­pascal am Tripel­punkt mit 0,01 Grad Celsius.
[2] Wolfgang Trapp und Heinz Wallerus: Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeit­rechnung. Reclam Stutt­gart, 6. Auf­lage, 2012.

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