Median
Zur Zeit wundern sich einige nicht nur über die privaten Reichtümer in armen Ländern, sondern auch über die enorme Abweichung des durchschnittlichen Vermögens eines deutschen Haushaltes von 195.200 Euro im Vergleich zum sogenannten Medianwert von nur 51.400 Euro [1]. Und obwohl ebenfalls zur Zeit allenthalben erklärt wird, was diese Werte bedeuten, will ich es wiederholen: Verteilt man das gesamte Privatvermögen der Deutschen gleichmäßig auf alle, so besitzt jeder Haushalt 195.200 Euro, aber die Hälfte dieser Haushalte hat weniger als 51.400 Euro. Was bedeutet das? Was wir eigentlich alle wissen: Die Vermögen sind ungleich verteilt! Aber wäre die Gesellschaft gerecht, wenn Median und Mittelwert beieinander lägen oder gar identisch wären? Nicht unbedingt:

Haben 37 Menschen jeweils 18 Euro in der Tasche, so sind Mittelwert und Median mit 18 Euro gleich groß, weil die 666 Euro so schön gleichmäßig verteilt sind. Geben wir aber dem ärmsten nichts, dem nächsten einen Euro bis hin zum letzten, der 36 Euro erhält, so sind Mittelwert und Median ebenfalls gleich, beide wiederum 18 Euro. Geht es noch ungerechter, ohne Median und Mittelwert auseinander zu bringen? Natürlich: Die ersten 18 bekommen nichts, nächsten 18 jeweils 18 Euro und der 37. den ganzen Rest von 342 Euro.

Das legt die Frage nahe: Wieviel ungerechter müssen die Vermögen verteilt sein, wenn der Mittelwert den Median fast um den Faktor vier übersteigt? Mathematiker machen immer einen schönen Ansatz: Haben wir eine große Zahl von Meßwerten, tragen sie nach Größe sortiert von x=0 bis x=1 in gleichmäßigen Abständen als sog. Y-Werte auf und erhalten einen quadratischen Verlauf a+bx+cx^2, dann ergibt sich ein Mittelwert M=a+b/2+c/3 und ein Median m=a+b/2+c/4, also c=12(M-m) und a+b/2=4m-3M. Für eine vollständige Bestimmung der Parameter a, b und c fehlt eine dritte Information.

In unserem Extremfall, da 4m-3M stark negativ ist, können wir vom für die Geldsäcke angenehmsten Fall b=0 ausgehen. Damit ergeben sich a=4m-3M=-380.000 Euro und c=12(M-m)=1.725.600 Euro. In Millionen Euro liegt also eine parabolische Vermögens­verteilung v(x)=1,7256x^2-0,38 vor. In Worten: Das reichste Prozent hockt auf mehr als 1,3 Millionen, das ärmste Prozent hat mehr als 350.000 Schulden. Die Nullstelle liegt bei sqrt(-a/c)=0,47. Das bedeutet: 47 Prozent haben gar nichts. Integriert man v(x), kommt V(x)=x(0,572x^2-0,38) mit V(0,9)/V(1)=0,4 heraus. In Worten: Die obersten 10 Prozent besitzen 60 Prozent des Vermögens.

In Wirklichkeit gelten nur halb soviele Haushalte als verschuldet. Zum Ausgleich werden die Vermögensverhältnisse an den Rändern noch extremer sein. Eine quadratische Näherung 1,7256x^2-0,38 trifft aber die Realität mit einer einfachen Formel. Vor allem meine, die mir aber zuvor bereits klar war: Trotz bescheidener Verhältnisse haben drei von sieben noch weniger. Und könnte ich mein Guthaben verzehnfachen, hätten immer noch drei von sieben mehr. Das allein macht schon deutlich, wie weit gespreizt die Vermögensverteilung ist.

[1] So reich und arm sind die Deutschen, Süddeutsche Zeitung, 21.03.2013

... comment

 
Danke, dass Sie das einmal so schön verdeutlicht haben.

... link  


... comment
 
Die folgenden Mediane und Mittelwerte der Vermögen privater Haushalte in Euro konnte ich der Presse entnehmen:
Land          Median   Mittel
Deutschland   51.400  195.000  
Österreich    76.400
Frankreich   113.500  229.000
Italien      163.900
Spanien      178.300  285.000
Man gewinnt den Eindruck, daß zumindest in der Eurozone sowohl Median als auch Mittel­wert mit dem Polwinkel zunehmen, was einen normal denkenden Menschen zu der Auffassung verleiten könnte, die notlei­denden Staaten hätten aus­reichend vermö­gende Bürger, die in der Not beispringen können.

Sofort stehen Schönredner auf der Matte, verweisen auf den in anderen Ländern stärker verbreiteten Immobilien­besitz und den vergleich­baren Reichtum deutscher Haus­eigentümer. So ein Schwachsinn! Wohnen Deutsche etwa beengter? Fließen Miet­wohnungen nicht über die Vermieter in das Vermögen ein? Gut, der Median könnte bei uns durch einseitige Wohn­eigentums­verteilung geringer sein, nicht aber der Mittelwert.

Als nächstes führen die Gutmenschen an, woanders müsse man mehr für die Alters­vorsorge ansparen, obwohl die Abgaben­quoten in anderen Ländern nicht hinter unseren zurückfallen. Früher hielten sich Unter­nehmer und Frei­berufler auch hierzulande für schlau und strichen sieben Prozent Rendite ein statt in die Gemein­schafts­kasse zu zahlen. Wie die nun gern zitierte zyprische Oma mit 150.000 Euro auf dem Konto und einer monat­lichen Zinser­wartung von 1.000 Euro.

Wir haben unser Geld ausgegeben für Gemein­schafts­leistungen, für Alters­sicherung, für Infrastruktur, für ordent­liche Straßen, für Sicherheit, für die Müll­abfuhr und auch für Arme, wodurch der im Vergleich zu anderen auf ungerechte Verteilung hinwei­sende hohe Quotient von Mittel­wert und Median sich relativiert: Die stärkeren und besseren Leistungen unseres Gemein­wesens kommen allen einiger­maßen gleich­mäßig zugute.

... link  


... comment
 
Spiegel Online hat sich des Themas auch angenommen, wenngleich mit etwas anderem Schwerpunkt.

... link  

 
Da man Geld gut messen und frei tauschen kann, ist der normale Mittelwert ein gutes Maß. Der Median ist keine schöne Größe, aber eine leicht vorstellbare. Sind beide Werte gleich, mag es trotzdem ungerecht zugehen. Dieser Binsen­weisheit stimme ich gerne zu. Im Falle der Vermögen kann aber ohne weiteres davon ausge­gangen werden, daß die mittleren Vermögen über den Reichtum der Bürger insgesamt Auskunft geben und das Verhältnis von Mittelwert zu Median mit der Unge­rechtig­keit steigt.

Daß in einigen Ländern am Staat vorbei gewirt­schaftet wird, er auch bei hoher Abgaben­quote auf keinen grünen Zweig kommt und das der Rentenkasse vorent­haltene Geld sich auf Privat­konten häuft, kann ich mir gut vorstellen. Ebenso die durch Mentalität, Fertilität und hohe Mieten größeren Haushalte. Mit dem Spiegel bin ich gerne bereit, den Median zu vergessen, Haus­halts­größen zu berück­sichtigen, sogar den armen Osten rauszulassen, Sizilien aber drin. Dann sind die mittleren Vermögen in der gleichen Größen­ordnung bei 110.000 Euro pro Kopf [1]. Genug zur Rettung des eigenen Staates aus der Portokasse.

Ginge es uns schlecht, würden wir an die eigenen Geld­säcke gehen, die dicken wie die dünnen. So mancher Staat stand vor der Pleite, die Bürger haben den Gürtel enger geschnallt und gearbeitet, Hilfen wurden unauffällig ange­nommen. Es wurde nicht in endlosen Fernsehbildern von Stolz gefaselt, über verlorene Millionen geheult und Geld von Nazis gefordert. Meinet­wegen kann man Süd­länder auf 50.000 Euro pro Kopf runter­rechnen, immer noch genug.

[1] Ich gehöre auch zu den Skeptikern, die über 10 Billionen Privatvermögen nicht einfach hinweglesen. Reflexartig teile ich durch 80 Millionen Köpfe, komme wie der Spiegel auf 125.000 Euro pro Kopf und 250.000 pro Haushalt. Nur sehe ich keinen Widerspruch zu den 195.000 Euro der Bundesbank, denn dort sind die Schulden mitgezählt.

... link  

 
Ich finde diesr Rechnung ganz imposant, vor allem der Aspekt mit der 37 war für mich sehr anschaulich. Bei den abseits vom Mathematischen geführten Alltagsdebatten in der letzten Zeit frage ich mich aber, ob "Vermögen" in den mittleren Bereichen wirklich exakt erfaßt ist. Also in "Lebensvermögen". Bei Spon gab es mal die Meldung, der Durchschnittshaushalt würde aufs Leben gerechnet 300.000 Euros für Autos und Unterhalt ausgeben. Das ist eine beträchtliche Summe, legte man sie aufs Sparkonto. Ein Vermögen. Nur sehen sich die meisten Normalverdiener, die (inklusive Urlaube und höherer Ausgaben für einen gewissen Wohn- und Lebensstandard) als deutlich "ärmer". Sie haben dieses "Geld" (also "Mittel") aber mal in irgendeiner Form gehabt. (Bei den oberen zehn Prozent spielt das natürlich keine Rolle. Da ist das Ist-Vermögen immer größer als das Lebensleistungs-Vermögen.)

... link  

 
Meinten Sie 300.000 für die Anschaffung von Autos und deren Unterhalt? Dann komme ich auf keine zehn Prozent davon. Locker erreiche ich aber diese Summe für normale Unter­halts­zahlungen. Dieses Lebens­vermögen fehlt auf meinem Konto und wird hoffentlich besser verzinst und vererbt.

Den Gesamtumsatz eines Menschen würde ich im Median mit einer Million ansetzen, netto drunter, brutto drüber. Der Mitttelwert wird nur doppelt so hoch sein, denn natur­gemäß sind Gehälter gerechter verteilt als Vermögen. Letztere neigen stärker zur Selbst­vermehrung.

Berücksichtigt man das Lebensvermögen, also neben dem Bank­konto das regel­mäßige Ein­kommen, Erfahrung, Zivili­sation und innere Werte, so macht uns das im Vergleich mit anderen vielleicht etwas reicher. Haben aber wollen sie nicht diesen Reichtum, ihnen reicht das Geld.

... link  


... comment
 
Die Menschen der südlichen Ländern müssen einfach ärmer sein als wir, weil wir uns für besser halten und nicht zugeben können, auf deren Gejammer rein­gefallen zu sein. Deshalb müssen wir uns reich rechnen, streichen den Immo­bilien­besitz, halten unsere Haushalte für nur halb so groß, rechnen Renten­ansprüche hinzu und lassen unser Armenhaus außen vor.
              Mittelwert   Median Verhältnis
Deutschland     195.200    51.400    3,80
abzgl. DDR       67.500    21.400    3,15
ergibt uns      230.240    78.900    2,92
Daran interessiert mich einzig die Frage, warum das Verhältnis von Mittelwert und Median für das gesamte Deutsch­land über dem der beiden Teile liegt. Stimmen hier die Zahlen nicht, wie es viele vermuten, denen sie nicht in den Kram passen? Deshalb habe ich Ost und West nach meinem einfachen Modell v(x)=c·x^2+a zusammengefügt:
        c-Wert  a-Wert Anteil   Median-Gewichte        
West     1,816  -0,374  0,785  0,785*0,553=0,434
Ost      0,553  -0,117  0,215  0,215*1,816=0,390
Gesamt   1,726  -0,380               Summe=0,824
Der Anteil östlicher Haushalte von 21,5 Prozent ist aus den Mittel­werten abgeleitet. Für den Median gelten andere Gewichte. Die angegebenen sind gute Näherungen. Damit liefert mein Modell aus den Medianen 78.900 für den Westen und 21.400 für den Osten einen von
( 0,434*78.900 + 0,390*21.400 ) / 0,824 = 51.685
für das Gesamt­gebiet, erstaun­lich nahe an den 51.400 Euro. Es ist also durchaus nicht ungewöhnlich, daß der Quotient von Mittelwert und Median im Gesamt­gebiet höher liegt als in beiden Teilen. Nimmt man gedank­lich zum Westen den Osten hinzu, so sackt der Mittelwert nur wenig ab, der Median aber deutlich, womit der Quotient tatsächlich steigt. Menschelnd gesprochen: Das Gefälle von West nach Ost macht die Ungleich­heit in der Gesamt­gesell­schaft größer als sie ihren Teilen bereits ist.

... link  


... comment
 
Auch Frau Merkel sieht Südländer nur „rein statistisch reicher“ [1] als uns. Solche Äußerungen unterstellen, statistische Zahlen lägen regelmäßig neben der Wirklichkeit und seien eigentlich nichts wert. Gewiß kann man durch geschickte Auswahl von Fakten und Modellen sich gewünschten Zahlen nähern. Zumeist aber ist nur ihre Interpretation falsch. So stimme ich gerne zu, daß Südländer ärmer sind, nicht jedoch an Vermögen, auch wenn Frau Merkel weiteres für uns entdeckt hat, nämlich im Ausland.

Damit bei der nächsten Pleite die Deutschen nicht auf ihr bescheidenes Bankkonto blicken, schlägt im gleichen Artikel ein Wirtschaftsprofessor Paul De Grauwe vor, das Geld zu holen, wo die Deutschen es häufen, bei den einkommensstarken Haushalten und der Wirtschaft. Warum nicht bei den zwei Drittel Einheimischen, die in und über dem Median Geld gehortet haben, das sie ihrem Gemeinwesen vorenthielten.

[1] Wie Kanzlerin Angela Merkel die Deutschen reich rechnet. Focus, 19.04.2013

... link  


... comment