Planetengeschlecht
Der Mensch verspürt das unstill­bare Verlangen, alles in zwei Grup­pen zu tei­len, in Wahr­heit und Lüge, in gut und böse, in männ­lich und weib­lich. Wenn diese Willkür als Yin und Yang aus Asien daher­kommt oder in den eige­nen Kram paßt, heißt sie nicht dua­li­stisch, sondern beschö­ni­gend polar und ist in einem schlich­ten Welt­bild will­kom­men. In der Opfer­rolle zwi­schen den Ge­schlech­tern aber wird in letz­ter Zeit der nor­male Mensch als bipo­lar diffa­miert. Durch die im Kern pleo­nasti­sche Wort­bil­dung soll wohl eine Reduk­tion der ver­meint­li­chen Viel­falt auf zwei Pole ange­deu­tet wer­den. [1] Und es wird den selbst­erwähl­ten Geg­nern vor­gewor­fen, ihr Den­ken auf diese zwei Pole zu be­schrän­ken, ein streng dua­listi­sches Welt­bild zu haben, das andere Mög­lich­kei­ten leugnet.

Natürlich ist dualistisches Denken zumeist nicht ange­mes­sen. Eine Zwei­tei­lung kann aber das Den­ken ver­ein­fachen. [2] Auf der ande­ren Seite ziehen manche ihr gan­zes Selbst­bild aus dem Glau­ben, daß diese Zwei­tei­lung falsch, unvoll­stän­dig, über­lap­pend, unsym­me­trisch, unge­recht, gemein oder weiß sei. [3] Dabei ist es ganz nor­mal, Ord­nung, Über­blick und begriff­li­che Klar­heit in einen gro­ßen, kaum über­schau­baren, viel­leicht sogar unend­li­chen Bereich zu brin­gen, indem zu­nächst große Teile ausge­son­dert wer­den. Die mögen sich als über­lap­pend und un­voll­stän­dig erweisen, erleich­tern aber die Be­trach­tung des mög­licher­weise sehr inter­es­san­ten Restes. [4]

Bei der Aufteilung der Planeten in männ­liche und weib­liche gibt es ein Pro­blem: Nur zwei der zuge­ord­neten Götter, näm­lich Luna und Venus sind weib­lich. Außer­dem sind ihre Num­mern 7 und 5 unge­rade, also nach der allge­mei­nen Auf­fas­sung männ­lich. Eine Zwei­tei­lung schei­det wegen der Sie­ben­zahl so und so aus. Doch das hielt Astro­logen, Anthro­poso­phen und andere Spin­ner nicht von einer Auf­tei­lung ab, gerne in Form von Hexa­gram­men. Die beste­hen aus einem männ­lichen Drei­eck, dessen Spitze symbol­träch­tig in den Him­mel ragt, und einem nach unten wei­sen­den weib­li­chen mit eben­sol­cher ein­deu­tiger Sym­bo­lik, die vor dem Zeit­alter der Intim­rasur kei­nem erklärt wer­den mußte.
        1-So                     Ma-rot
         /\                        /\
6-Ve____/__\____4-Sa    So-ora____/__\____Mo-vio
    \  /    \  /              \  /    \  /
     \/      \/                \/      \/
     /\      /\                /\      /\
    /__\____/__\              /__\____/__\
9-Ma    \  /    3-Ju    Me-gelb   \  /    Ju-blau
         \/                        \/
        2-Mo                     Sa-grün
Im linken Hexagramm wurde der Saturn weib­lich gemacht. [5] Merkur fehlt und wird gerne mit der Nummer 5 in die Mitte gestellt. Und es wurde neu nume­riert, weil 1, 3, 9 männ­lich und 2, 4, 6 weib­lich sind. Merkur wäre damit männ­lich und kein Herm­aphro­dit ☿. Die 7 und die 8 fehlen, und Mars hat die 9 des auf­rech­ten Man­nes im Kon­trast zur kopf­stehen­den 6 der Venus. Die Anthro­poso­phen unter­neh­men wie im rechten Dia­gramm keine beson­de­ren Anstren­gun­gen und sehen abwei­chende Zuord­nun­gen nicht als Makel, son­dern als Viel­falt. [6] Für sie sind die Spek­tral­far­ben wich­tiger als Zah­len und Ge­schlecht. Deshalb fehlt die Venus, der aber indigo zuge­ord­net wird. Was ein Armuts­zeugnis!

Von diesem Zeug allgemein durch­gesetzt hat sich ledig­lich die Zuord­nung von Venus und Mars auf die Geschlech­ter weib­lich und männ­lich, die deshalb auch mit den Sym­bo­len für diese bei­den Plane­ten be­zeich­net we­rden. Mit der vermeint­li­chen Auf­lö­sung der Ge­schlech­ter ent­stand natür­lich das Bedürf­nis, den neuen Klein- und Phan­tasie­grup­pen Sym­bole zuzu­ord­nen. Für sie und die Zwei-, Drei- und Mehrfach­bezie­hun­gen unter­ein­ander gibt es eine schier end­lose, die Alche­mi­sten fast in den Schat­ten stel­lende Fülle von Sym­bo­len, die es gro­ßen­teils sogar in den Uni­code ge­schafft haben. [7]

Einigermaßen vernünftig erscheint mir das Bemü­hen, aus den be­kann­ten Pla­neten­sym­bolen eines auszu­wäh­len, unter dem alle zusam­men­fin­den kön­nen, die sich zumin­dest nicht dauer­haft ein­deu­tig dem Mars oder der Venus zuord­nen wol­len. Zu­nächst kommt die Erde zwi­schen Venus und Mars in Be­tracht. Für sie gibt es zwei Zei­chen. Da das astro­logi­sche Zei­chen wie das der Venus auf dem Kopf aus­sieht, kommt mehr das astro­nomi­sche in­frage, ein Kreis mit einem Kreuz in Form eines Plus­zei­chens darin. [8] Doch auch Merkur ist ein guter Kandi­dat. Sein Zei­chen ☿ ergänzt das der Venus um eine Schüs­sel auf dem Kopf, die Flügel dar­stel­len soll. Das Metall des Mer­kur ist das Queck­sil­ber, das so fluide ist wie manche gerne ihr Ge­schlecht sehen.

Zwar können vier Typen durch Ankreuzen oder Frei­las­sung von zwei Fel­dern für männ­lich und weib­lich unter­schie­den wer­den, wodurch die vier Codes der inter­natio­nalen Norm abdeck­bar sind, doch ist es wohl nicht zumut­bar, erlaubt oder inhalt­lich ange­mes­sen, bei­des anzu­kreu­zen. [9] Des­halb hat ein deut­sches Gericht eine wei­tere Option gefor­dert. Wieder einmal wurde bis zu einer sol­chen Ent­schei­dung gewar­tet, statt im Vor­feld über­le­gen zu han­deln, näm­lich das Ge­schlecht aus dem Gebur­ten­regi­ster zu strei­chen. Für Sta­tisti­ken muß man es so und so erfra­gen, und in der ge­schlechts­sensi­tiven For­schung gibt man sich schon lange nicht mehr mit zweien zufrie­den. So wird alles wei­tere Blüten trei­ben, und es wer­den sich mehr oder min­der die glei­chen Sek­tie­rer gegen jetzt für pro­gres­siv gehal­tene Bezeich­nun­gen wie MC für „male changed to female“ wenden.

[1] Natürlich gibt es auch Quadru­pole und die Suche nach den magneti­schen Mono­polen. Ohne Zusatz aber meint polar immer zwei Pole.
[2] Am liebsten ohne Rest und ohne Über­lappung. Der Höhe­punkt besteht darin, wenn die beiden Klas­sen auch noch bijek­tiv unter Erhal­tung grund­legen­der Bezie­hun­gen aufein­ander abge­bi­ldet werden können.
[3] Die Aufteilung der ganzen Zahlen in posi­tive und nega­tive ist auch nicht gerecht. Die Multi­plika­tion führt aus den positiven nicht heraus, aus den nega­tiven aber schon.
[4] Es ist nicht nur legi­tim, sondern nahe­lie­gend, unter allen Grup­pen nur die endli­chen zu betrach­ten und unter die­sen nur die ein­fachen, in denen man mehrere sog. Fami­lien mit beson­de­ren Eigen­schaf­ten fin­det. Es ist kein Problem, wenn diese Fami­lien sich über­lap­pen. Und sehr, sehr inter­es­sant sind die 26 spora­di­schen Gruppen, die keiner dieser Fami­lien ange­hören.
[5] Pilecki, Michael: Der Kosmos in den Zahlen. One World Verlag, Berlin.
[6] Peter, Wolfgang: Sieben Planeten. Anthrowiki.
[7] Das muß nicht beun­ruhigen, denn im Unicode gibt es auch Gesich­ter und Men­schen aller Art in mehre­ren Haut­far­ben (neu­tral ist gelb wie die Simp­sons), Grinse­monde, Ham­bur­ger und Scheiß­hau­fen.
[8] Die Symbole ♁ und ⊕ bezeich­nen die Erde. In der Astro­no­mie wird gerne letz­te­res ver­wendet.
[9] ISO 5218 kennt männ­lich (1), weib­lich (2), unbe­kannt (0) und unzu­tref­fend (9). Die alten IBM-Menü-Akro­ba­ten würden sagen: Nine wie nein, ich weiß nix oder will mich nicht fest­le­gen. Wie­der sind die Ameri­ka­ner an­ders, mögli­cher­weise voraus: M, F, U, H, A, MP, FP, MC und FC.

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