Tod im Netz
Früher ging man zu Beerdi­gungen, sah den Sarg in die Grube fahren und wußte: Der kommt nicht mehr zurück, es ist vorbei. Soziale Medien bieten zunehmend Dienste für diesen Fall an. Gele­gent­lich melden sich Tote, wie mein verstor­bener Neffe über Facebook. Zum einen wurde noch in seinen Bereich geschrie­ben, zum anderen hatte er wohl Automa­tismen losge­treten. Nun aber ist er ganz gestorben, da ich so gut wie nie mehr Facebook aufrufe.

Doch diesen Beitrag schreibe ich nicht, weil Tote im Netz weiter­leben wollen oder müssen, sondern umgekehrt: Sie ver­schwinden sang- und klang­los als seien sie tot. Irgend­wie irri­tiert mich das. Wüßte ich doch gerne, ob es sie noch gibt, gleich­wohl ich sie nie gesehen habe. Nicht, um groß­artig zu trauern, sondern wegen des geschil­derten Rituals: Wer in die Grube fährt, der kommt nicht mehr zurück!

Ich habe mir eine Unzahl von Siedler-IV-Missi­onen unter Youtube angesehen. Eine über­schaubare Gruppe produ­ziert immer noch Filme. Dazu gehörte auch IRClevor, der unter "Settlers Saturday" einmal wöchent­lich seine Bemü­hungen fort­führte. Er betonte wie wichtig es ihm sei, wirklich jeden Samstag etwas hochzu­laden. Und plötz­lich war gar nichts mehr zu sehen. Wäre ein Sinnes­wandel, viel Arbeit oder eine schwere Krank­heit der Grund, könnte er doch wenig­stens eine Kommentar­zeile schreiben, ein Lebens­zeichen senden, um das viele ihn gebeten haben. Es ist, als sei er plötz­lich gestorben. Vielleicht ist er wirklich tot, und keiner seiner Nachfahren konnte oder wollte es mitteilen.

Und da ist die Mohamme­danerin, die kurze Zeit hier auf blogger.de ihren Blog führte. Plötz­lich und uner­wartet wurde auch ich Objekt ihrer chaoti­schen Kritik. Plötz­lich war nichts mehr von ihr zu lesen, der letzte Beitrag sogar entfernt. Und nun habe ich Angst, sie könne sich dem Mann vor der Moschee an den Hals geworfen haben. Ich werde es wohl nie heraus­finden. Es ist eigent­lich schade. Der Streit war völlig über­flüssig. Viel­leicht liest sie dies und meldet sich noch einmal. Viel­leicht reakti­viert sie ihren Blog wieder, schließ­lich war er inter­essanter als viele anderen. Und eine gewisse Kontro­verse ver­größert doch den Leser­kreis. [1]

Im letzten Falle bin ich selbst gestorben. Eines Tages wollte ich wissen, was die Menschen in der Straßen­bahn so hin und her schieben, habe mich bei Candy Crush auf Ebene 160 hochge­spielt und dann aufgehört. Und obwohl die Kommuni­kation dort auf wenige Standard-Meldungen einge­schränkt ist, manche sogar meinen, die Mit­spieler seien vom Computer simu­liert, habe ich ständig auf die Hilfe anderer gewartet und sie auch erhalten, weil ich ihnen meiner­seits half weiter­zukommen. Als ich aufhörte, fehlte mir etwas. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, die noch aktiven Spieler allein gelassen zu haben. Auch könnten sie meinen, ich sei gestorben.

[1] Was ich hier geschrieben habe, ist schon ein paar Tage alt. Und eben sehe ich die Mohamme­danerin wieder in der Liste der letzten Ände­rungen. Sofort hatte sie zehn Klicks von blogger.de zu ver­zeichnen, doch konnte ich keine inhalt­liche Änderung erkennen. Viel­leicht war es wieder eine Löschung.

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