Metrisierung
wuerg, 12.04.2018 23:53
Die Amis wissen, daß sie sich von ihrem Maßsystem verabschieden müssen. In vielen Bereichen wird bereits metrisch gearbeitet, auch bei der Nasa. Doch solange das angloamerikanische System von anderen noch verwendet wird, bleiben Verwechselungen mit katastrophalen Folgen nicht aus. Bei Youtube habe ich einige Filmchen gesehen, die das metrische System anpreisen und erklären. Das fand ich nicht immer angemessen, jedenfalls nicht für Anfänger wie die Amerikaner. Ich meine danach aber zu verstehen, warum manche uns simpel erscheinende Umstände zumindest schlichten Gemütern Schwierigkeiten und auch Angst bereiten können.
Eine Angst besteht darin, in allen Bereichen des Lebens mit neuen Einheiten konfrontiert zu werden und dauernd umrechnen zu müssen. [1] Sie ist aber wenig begründet. So sind auch in Deutschland immer noch veraltete Einheiten nicht nur auf Spezialgebieten, sondern auch im Alltag gebräuchlich. Dank doppelten Angaben ist eine Umrechnung zumeist nicht erforderlich. Gesetzliche Einheiten und weitere Vorschriften schaffen Klarheit und Vergleichbarkeit, ohne alte Maße schlagartig zu verdrängen. [2] Für den amerikanischen Alltag sind die neuen Einheiten eigentlich nur Meter, Kilogramm und Liter.
Im metrischen System bildet man kleinere und größere Einheiten durch Vorsilben, was uns natürlich einfacher erscheint als eine konfuse Palette von Maßen und ihren Beziehungen. Die sind vielen Amerikanern auch nur soweit geläufig, wie sie in ihrem Leben von Bedeutung sind. Nun viele Präfixe wie dezi, centi, milli, mikro, nano, deka, hekto, kilo, mega, giga zu verinnerlichen, erscheint als mühsame Belastung. [3] Wer diese Systematik zu sehr ausbreitet, macht es den Menschen unnötig schwer. Für den Anfang reichen cm, m, km, g, kg, mL und L. Zwar ist der Liter im SI‑System zugelassen, doch eigentlich überflüssig. Unschön ist auch das große L nach Chemiker-Art. Aber man hat sich offensichtlich darauf eingeschossen.
Obwohl in vielen Bereichen wie Geld und Hundertmeterzeiten mit Nachkommastellen gerechnet wird, sind sie bei groben und alltäglichen Maßangaben im angloamerikanischen System eher selten. Brüche wie ½, ¼, ¾ werden bevorzugt, sogar mit Achteln und Sechzehnteln. Obwohl das metrische System die Addition von Maßen deutlich vereinfacht, ist der Dezimalpunkt gefürchtet, weshalb einige die australische Vorschrift, alle Baumaße in Millimetern anzugeben, für überlegen halten, ja sogar meinen, ein Schullineal wäre falsch beschriftet, wenn es von 0 bis 30 und nicht von 0 bis 300 ginge.
Einen Kilometer können sich die meisten Amerikaner vorstellen, auch miles per hour und Kilometer pro Stunde in eine angemessene Relation setzen. Daß es sich bei einem Kilometer um 1000 Meter handelt, ist schön zu wissen. Es reicht aber, den Kilometer mit der Meile und den Meter mit dem Yard zu vergleichen. Daß ein Meter aus 100 Zentimetern besteht, sollte leicht zu verstehen sein, schließlich hat ein Dollar ja auch 100 Cent. Und mit Geld können die meisten gut rechnen. Eigentlich müssen die Amerikaner sich nur an ein normales Lineal gewöhnen, das wie unsere alten Zollstöcke zusätzlich eine Teilung in Zoll tragen kann.
Die Flächenmaße werden zumeist stiefmütterlich behandelt, wenn das metrische System schmackhaft gemacht wird. Vielleicht aus Angst, ein Quadratzentimeter könnte für den hundertsten Teil eines Quadratmeters gehalten werden. Leichter ist es auch hier, sich den Quadratzentimeter getrennt vom Quadratmeter vorzustellen. Außerdem ist den Amerikanern das Bezeichnungsschema grundsätzlich bekannt, denn die Voranstellung von square hat die gleiche Bedeutung wie die von Quadrat. Zur Belohnung dürfen sie die Kreisflächen mit circular vergessen.
Zwar kennen die Amerikaner auch die Raummaße mit vorangestelltem cubic, doch hat man sich für Liter statt Kubikdezimeter und Milliliter statt Kubikzentimeter entschieden. Das vermeidet zumindest die Vorsilbe dezi. Im Alltag ist es ausreichend und genügend genau, sich einen Liter Wasser als Kilogramm und einen Milliliter als ein Gramm vorzustellen. Beides aber ist Amerikanern nicht geläufig, weshalb sie sich zunächst an g und kg so gewöhnen müssen wie an m und km, indem sie sich eine bildliche Vorstellung erarbeiten. Zu einem Gramm haben viele Deutsche auch kein Bild im Kopf. Es ist etwas mehr als ein halbes dram. Und ein Kilogramm ist etwas mehr als zwei pound.
Eigentlich müssen die Amerikaner sich nur einen Ruck geben, denn so schwer ist eine Umstellung nicht, zumal weite Bereiche verschont bleiben oder sich bereits etabliert haben. Neue Zeiteinheiten sind nicht zu lernen, auch Festplattengrößen und Übertragungsraten bleiben. Von einem Terabyte haben die Deutschen keine genaueren Vorstellungen als die Amerikaner. Beide sind sicher, daß 100 Megabit pro Sekunde mehr als 10 sind, obgleich sie nicht wissen, ob Mega für 1.000.000 oder 1.048.576 steht, schon gar nicht, wieviele Bits ein Byte hat. Hauptsache das Bild des 65‑Zoll-Fernsehers ist groß genug. Wieviele Zentimeter das wo gemessen sind, muß man nicht wissen, solange der Nachbar nur 55 Zoll hat.
[1] Es sind nicht nur alte Leute, die bei einem Preis von 8 Euro für einen Eisbecher sagen: Das sind ja 16 Mark.
[2] Wer die alten Einheiten nicht kennt, hat zumeist auch mit den neuen Schwierigkeiten. Eine Nachhilfeschülerin, die heute mehr als 50 Jahre alt sein müßte, konnte mir nicht spontan sagen, wieviel Pfund ein Zentner hat. Meine Angabe von 500 Gramm und 50 Kilogramm half auch nicht. Und es stellte sich heraus, daß ihre Vorstellung von 125 Gramm Leberwurst die Realität so schlecht traf wie die von einem viertel Pfund.
[3] Leider habe ich auch gesehen, wie dem einfachen Amerikaner Dekagramm oder Hektopascal verkauft werden sollte. Offensichtlich wußten die Vortragenden nicht, daß Dekagramm abseits österreichischer Kochbücher ausgestorben ist und keiner die Wetterkarte besser versteht, wenn er weiß, daß hekto für 100 steht und Pascal für Newton pro Quadratmeter.
Menschenmaß | Venti | Lsd
Eine Angst besteht darin, in allen Bereichen des Lebens mit neuen Einheiten konfrontiert zu werden und dauernd umrechnen zu müssen. [1] Sie ist aber wenig begründet. So sind auch in Deutschland immer noch veraltete Einheiten nicht nur auf Spezialgebieten, sondern auch im Alltag gebräuchlich. Dank doppelten Angaben ist eine Umrechnung zumeist nicht erforderlich. Gesetzliche Einheiten und weitere Vorschriften schaffen Klarheit und Vergleichbarkeit, ohne alte Maße schlagartig zu verdrängen. [2] Für den amerikanischen Alltag sind die neuen Einheiten eigentlich nur Meter, Kilogramm und Liter.
Im metrischen System bildet man kleinere und größere Einheiten durch Vorsilben, was uns natürlich einfacher erscheint als eine konfuse Palette von Maßen und ihren Beziehungen. Die sind vielen Amerikanern auch nur soweit geläufig, wie sie in ihrem Leben von Bedeutung sind. Nun viele Präfixe wie dezi, centi, milli, mikro, nano, deka, hekto, kilo, mega, giga zu verinnerlichen, erscheint als mühsame Belastung. [3] Wer diese Systematik zu sehr ausbreitet, macht es den Menschen unnötig schwer. Für den Anfang reichen cm, m, km, g, kg, mL und L. Zwar ist der Liter im SI‑System zugelassen, doch eigentlich überflüssig. Unschön ist auch das große L nach Chemiker-Art. Aber man hat sich offensichtlich darauf eingeschossen.
Obwohl in vielen Bereichen wie Geld und Hundertmeterzeiten mit Nachkommastellen gerechnet wird, sind sie bei groben und alltäglichen Maßangaben im angloamerikanischen System eher selten. Brüche wie ½, ¼, ¾ werden bevorzugt, sogar mit Achteln und Sechzehnteln. Obwohl das metrische System die Addition von Maßen deutlich vereinfacht, ist der Dezimalpunkt gefürchtet, weshalb einige die australische Vorschrift, alle Baumaße in Millimetern anzugeben, für überlegen halten, ja sogar meinen, ein Schullineal wäre falsch beschriftet, wenn es von 0 bis 30 und nicht von 0 bis 300 ginge.
Einen Kilometer können sich die meisten Amerikaner vorstellen, auch miles per hour und Kilometer pro Stunde in eine angemessene Relation setzen. Daß es sich bei einem Kilometer um 1000 Meter handelt, ist schön zu wissen. Es reicht aber, den Kilometer mit der Meile und den Meter mit dem Yard zu vergleichen. Daß ein Meter aus 100 Zentimetern besteht, sollte leicht zu verstehen sein, schließlich hat ein Dollar ja auch 100 Cent. Und mit Geld können die meisten gut rechnen. Eigentlich müssen die Amerikaner sich nur an ein normales Lineal gewöhnen, das wie unsere alten Zollstöcke zusätzlich eine Teilung in Zoll tragen kann.
Die Flächenmaße werden zumeist stiefmütterlich behandelt, wenn das metrische System schmackhaft gemacht wird. Vielleicht aus Angst, ein Quadratzentimeter könnte für den hundertsten Teil eines Quadratmeters gehalten werden. Leichter ist es auch hier, sich den Quadratzentimeter getrennt vom Quadratmeter vorzustellen. Außerdem ist den Amerikanern das Bezeichnungsschema grundsätzlich bekannt, denn die Voranstellung von square hat die gleiche Bedeutung wie die von Quadrat. Zur Belohnung dürfen sie die Kreisflächen mit circular vergessen.
Zwar kennen die Amerikaner auch die Raummaße mit vorangestelltem cubic, doch hat man sich für Liter statt Kubikdezimeter und Milliliter statt Kubikzentimeter entschieden. Das vermeidet zumindest die Vorsilbe dezi. Im Alltag ist es ausreichend und genügend genau, sich einen Liter Wasser als Kilogramm und einen Milliliter als ein Gramm vorzustellen. Beides aber ist Amerikanern nicht geläufig, weshalb sie sich zunächst an g und kg so gewöhnen müssen wie an m und km, indem sie sich eine bildliche Vorstellung erarbeiten. Zu einem Gramm haben viele Deutsche auch kein Bild im Kopf. Es ist etwas mehr als ein halbes dram. Und ein Kilogramm ist etwas mehr als zwei pound.
Eigentlich müssen die Amerikaner sich nur einen Ruck geben, denn so schwer ist eine Umstellung nicht, zumal weite Bereiche verschont bleiben oder sich bereits etabliert haben. Neue Zeiteinheiten sind nicht zu lernen, auch Festplattengrößen und Übertragungsraten bleiben. Von einem Terabyte haben die Deutschen keine genaueren Vorstellungen als die Amerikaner. Beide sind sicher, daß 100 Megabit pro Sekunde mehr als 10 sind, obgleich sie nicht wissen, ob Mega für 1.000.000 oder 1.048.576 steht, schon gar nicht, wieviele Bits ein Byte hat. Hauptsache das Bild des 65‑Zoll-Fernsehers ist groß genug. Wieviele Zentimeter das wo gemessen sind, muß man nicht wissen, solange der Nachbar nur 55 Zoll hat.
[1] Es sind nicht nur alte Leute, die bei einem Preis von 8 Euro für einen Eisbecher sagen: Das sind ja 16 Mark.
[2] Wer die alten Einheiten nicht kennt, hat zumeist auch mit den neuen Schwierigkeiten. Eine Nachhilfeschülerin, die heute mehr als 50 Jahre alt sein müßte, konnte mir nicht spontan sagen, wieviel Pfund ein Zentner hat. Meine Angabe von 500 Gramm und 50 Kilogramm half auch nicht. Und es stellte sich heraus, daß ihre Vorstellung von 125 Gramm Leberwurst die Realität so schlecht traf wie die von einem viertel Pfund.
[3] Leider habe ich auch gesehen, wie dem einfachen Amerikaner Dekagramm oder Hektopascal verkauft werden sollte. Offensichtlich wußten die Vortragenden nicht, daß Dekagramm abseits österreichischer Kochbücher ausgestorben ist und keiner die Wetterkarte besser versteht, wenn er weiß, daß hekto für 100 steht und Pascal für Newton pro Quadratmeter.
Menschenmaß | Venti | Lsd
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