Neun-Live III
Als ich mir gestern kurz vor 23 Uhr wieder einmal Neun-Live nicht verkneifen konnte, lag eine Mode­ratorin mit
P A P A
P L U S
P E C H
P F A D
P . . . 
P . . .
in den letzten Zügen. Gleich zwei mega­schwere Wörter waren zu finden. Eines traute mir sie noch zu, aber zwei nicht:
P H O N
P I L Z
P N E U
P O S T
P R I M
P U T E
Als echter Mitspieler hätte ich von 22:59 bis maximal 23:02 etwa zwanzig­mal angerufen. Bei 1000 Anrufen pro Minute und dem möglichen Gewinn von 2000 Euro, hätte ich nach Abzug der 10 Euro Telefonkosten mit 3 Euro Gewinn gerechnet. Irgendwie lohnt sich das nicht.

Aber immerhin stimmte meine Ein­schätzung des Zeitraumes, denn tatsächlich wurde dem Hot-Button kurz nach 23 Uhr erlaubt, einen Anrufer auszuwählen. Als erstes Wort nannte die Frau PULS. Oder meinte sie PULZ? Und so wurde das Rätsel leider nicht termin­gerecht gelöst.

Nach der Mode­ratorin kam wieder Jürgen, der angeblich gerne seine eigenen Spiele beginnen wollte, doch erst das seiner Vorgän­gerin beenden müsse. Daß dies nicht bald geschehen würde, erkannte ich sofort an den zusätz­lichen Geld­leitungen, auch wenn sie nicht über 1000 Euro gingen. Als ich nach Mitter­nacht ins Bett ging, warf ich einen letzten Kontroll-Blick auf Neun-Live. Jürgen war immer noch an der gleichen Stelle, zwischen­zeitlich aber mit 3000 Euro und sieben Geldleitungen.

Es wird immer wieder der Vorwurf erhoben, die Fehl­anrufe seien getürkt. Grund­sätzlich traue ich das windigen Geschäfte­machern zu, nicht aber Neun-Live. Sollten sie auffliegen, müssen sie nicht nur eine nächtliche Quiz­sendung absetzen, sondern können ihren ganzen Sender schließen. Außerdem sehe ich in vorgetäuschten Anrufen keinen Sinn, zumindest keinen Nachteil für mich, wenn ich denn mitspielen würde.

Ich gehe davon aus, daß das gestrige Spiel nach einer Gesamt­laufzeit von drei Stunden für 5000 Euro über den Tresen ging. Warum sollte dann nach einer vermu­teten Stunde bei einem Gewinn von 2000 Euro eine Falsch­antwort vorsätzlich eingespielt worden sein? Im Falle einer richtigen Antwort hätten Meister Jürgen doch kosten­neutrale 3000 Euro für zwei Stunden zur Verfügung gestanden.

Selbst wenn vorge­täuschte Falsch­antworten hektische Anrufe provozieren und dem Zuschauer suggerieren sollen, er sei der einsame Spitzen­tüftler, dann schaden sie mir doch nicht. Gewiß ist es ärgerlich, wenn nach sehr kurzer Zeit tatsächlich noch einer mit der richtigen Antwort durch­dringt, weil ich dann nicht angerufen und auch nichts gewonnen habe. Wenn aber danach die große Schau erst beginnt, ich mir einen Spielfilm ansehen kann und gegen Ende eine eben­solche Chance auf 5000 Euro habe wie vorher auf 2000, dann ist das doch nur zu meinem Vorteil. Ich spiele ja nicht gegen einen ehrlichen oder raffi­nierten Sender, sondern gegen die Masse der Mitspieler. Und wenn Neun-Live diese mit mehr oder minder schönen Methoden verwirrt, ist das doch zu meinem Vorteil.

So kann ich nicht bedingungslos einstimmen in die Neun-Live-Kritik. Gewiß ist es gesamt­wirtschaftlich völlig überflüssig, Leuten mit viel Aufwand Geld abzunehmen, ohne irgendetwas zu produzieren oder eine sinnvolle Dienst­leistung zu erbringen, wenn ich einmal von der Befrie­digung der Spielsucht und der Geldgier absehe. Das ganze bis zur Täuschung gehende Gequatsche der Mode­ratoren und der Hinter­grund­sprecher aber fördert die Gerech­tigkeit in dem Sinne, daß der gute Spieler bevorzugt wird. Es ist um Klassen ehrlicher als die in allen Fernseh­programmen üblichen Gewinn­spiele: Was trägt der Pfarrer in der Kirche? Einen Talar (A) oder einen Tartar (B)?

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