Reihe
Ich nenne Zahlenfolgen normalerweise nicht Sequenz oder Serie, nur unter gewissen Umständen Pro­gres­sion und niemals Reihe. Doch ist der Sprach­gebrauch schwan­kend. Mit Wör­tern wie series, sequence, pro­gres­sion auch der engli­sche. Das führt gele­gent­lich zu Verwir­rungen, doch dient die Viel­falt der Bezeich­nungen eigent­lich nur der Einord­nung oder Bedeu­tung für den Menschen, mathe­matische Inhalte ändern sich dadurch nicht.

Hardy und Wright über­schreiben mehrere Kapitel ihres berühm­ten Zahlen­theorie-​Buches [1] mit „The Series of Primes“, darun­ter auch ein Abschnitt „The sequence of primes“. Sie unter­scheiden also zwischen einer aufzäh­lenden Abfolge (sequence) und der Gesamt­heit (series), womit jedoch nicht einfach die Menge der Prim­zahlen (set of primes) gemeint ist. Die Über­setz­ungen sind für mich nicht einfach Sequenz (sequence) und Serie (series), denn diese Wörter erinnern mich zu sehr an eine endlich Abfolge, wie eine Ton-​Sequenz oder eine Gewinn-​Serie.

Von einer Reihe sollte man im Zusam­men­hang mit Folgen nur spre­chen, wenn man nicht nur die einzel­nen Folge­glieder aufzählt, sondern sie irgend­wie ver­bindet. Es gibt eine Unzahl von solchen Reihen­bil­dunden, viele haben einen eige­nen Namen und nicht in allen kommt das Wort Reihe vor. Die nahe­liegend­ste Verknüp­fung ist die Addition wie in

1 + 1/2 + 1/3 + 1/4 + 1/5 + 1/6 + …

Das ist die harmo­nische Reihe. Diese Bezeich­nung soll verdeut­lichen, daß es nicht einfach nur um die Folge der Summan­den oder die Partial­summen geht, sondern um ein irgend­wie gear­tetes Gesamt­kunst­werk. Viel­leicht kann man sich die Unter­schiede wie folgt verdeut­lichen:
Folge a:          a1,a2,a3,a4,...  1,  1/2,  1/4,  1/8,  1/16,  ...
Partialsummen s:  s1,s2,s3,s4,...  1,  3/2,  7/4, 15/8, 31/16,  ... → 2
Reihe R:          a1+a2+a3+a4+...  1 + 1/2 + 1/4 + 1/8 + 1/16 + ... = 2
Zu jeder Zahlen­folge a kann man eine Summen­folge s (Folge der Partial­summen) und auch eine Reihe R bilden. Wenn die Summen­folge gegen einen Grenz­wert (hier 2) konver­giert, heißt er auch einfach Wert der Reihe. Der Grenz­wert der Aus­gangs­folge a inter­essiert nicht, zumal er bei konver­gie­render Reihe so und so 0 ist. Läge der Schwer­punkt des Inter­esses auf der Folge a und betrach­tete man die zuge­hörige Reihe R nur nebenbei oder gar nicht, würde ich sie schlicht und ergrei­fend Summen­folge nennen. Reihe ist sozu­sagen ein Ehren­titel.

Reihen erfreuen sich aus minde­stens zwei Gründen einer großen Beliebt­heit und füllen wie Inte­grale viele Seiten von Formel­samm­lungen. Zum einen hat man oft­mals die Glieder einer unend­lichen Folge zu addie­ren, bildet also eine Reihe. Zum anderen gestat­tet eine Reihen­darstel­lung eines Grenz­wertes dessen nähe­rungs­weise Berech­nung. Im voran­gehen­den Beispiel ist es zwar inter­essant, die 2 als den Wert der Reihe zu erkennen, die umge­kehrte Betrach­tung, nämlich die Zerlegung der Zahl 2 in diese Reihe, ist jedoch von wenig Nutzen, zumal keiner zur Nähe­rung der Zahl 2 diese Reihe benö­tigt. Für andere Zahlen wie die Euler­sche Zahl e=2,718... aber ist eine Zerle­gung wie
e = 1/0! + 1/1! + 1/2! + 1/3! + 1/4! + 1/5! + 1/6! + ...
  = 1 + 1 + 1/2 + 1/6 + 1/24 + 1/120 + 1/720 + ...
von mehr Inter­esse und könnte der nähe­rungs­weisen Berech­nung der Zahl e dienen. Für π gibt es eben­falls eine Unzahl solcher Reihen­darstel­lungen, und viele Men­schen­leben sind allein in das Bemü­hen geflos­sen, immer schneller konver­gie­rende Reihen zu finden, um mög­lichst schnell mög­lichst viele Stellen von π berech­nen zu können.

[1] Hardy, Wright: An Introduction to the Theory of Numbers. Oxford Uni­ver­sity Press, London, 4. Auf­lage, 1968.

Summenfolge | Serienmörder

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