Kußzahlen
wuerg, 19.03.2005 18:49
Billardspieler haben Angst vor dem double kiss, wenn Kugeln erneut und ungeplant zusammentreffen. Und so heißt Kußzahl (kissing number) die maximale Zahl gleichgroßer Kugeln, die an eine zentrale angelegt werden können. Wer sich Stapel von Apfelsinen ansieht, wird vorschnell 12 annehmen. Aber erst 1953 wurde bewiesen, daß eine 13. Kugel nicht dranpaßt, obwohl zwischen zwölfen noch recht viel Luft ist. Schlimmer noch: Die Luft kann man noch nicht einmal nutzen, um Kugeln dichter zu stapeln als bisher bekannt. Diese Keplersche Vermutung wird erst 2017 bewiesen. Newton hatte recht, 12 ist richtig, die dichteste Packung ist die in der Natur realisierte mit einer Dichte von (π/6)√2, etwa 74 Prozent. Etwas mehr als ein Viertel eines Apfelsinenstapels muß also aus Luft bestehen.
In zwei Dimensionen weiß jedes Kind, daß man sechs Münzen an eine anlegen kann. Da wackelt nichts mehr, sieben sind offensichtlich unmöglich. Eindimensional sind Kugeln Strecken, an die zwei andere stoßen können. In der vierten Dimension hat man schnell 24 Hyperkugeln angelegt. Daß eine 25. nicht mehr geht wird auch erst 2008 gezeigt. Umso überraschender ist es, daß man für die 8. und die 24. Dimension die Kußzahlen 240 und 196.560 kennt, weil man die Kugeln gitterförmig anlegen kann und nicht mehr Luft bleibt als unbedingt erforderlich.
Sich auf Gitter zu beschränken, vereinfacht das Problem. Man könnte meinen, daß in drei Dimensionen die 12 als Gitterkußzahl schon ewig bekannt ist, doch erst Gauß konnte es beweisen. Inzwischen kennt man sie in 1 bis 9 und eben 24 Dimensionen. [1] Sie entspricht der Kußzahl, so letztere bekannt ist. Das ist nicht selbstverständlich. In der Dimension 9 kennt man zwar die Kußzahl nicht, es geht aber unregelmäßig mit 306 dichter als mit 272 im Gitter.
Das mag man alles für mathematische Spinnerei halten. [2] Auch die überraschenden Beziehungen zu anderen Zahlen und Gebieten kann rein theoretischer, gar zufälliger Natur sein, so wie 24 als vierte Fakultät allenthalben auftaucht. Auch könnte die Stringtheorie in 8 und 24 Dimensionen ein nur darauf aufbauendes Hirngespinst sein. Es bleibt aber der berechtigte Wunsch, die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest nicht an einen allmächtigen Schöpfer oder Programmierer weiterzuleiten, der die Antwort auch nicht kennt, zumindest nicht verrät, sondern etwas zu finden, das geeignet groß, aber dennoch endlich an sich existiert. Gewissermaßen die Umkehrung der Frage von John Conway, warum es die Monstergruppe gibt. [3]
[1] Gabriele Nebe: Table of the Highest Kissing Numbers Presently Known.
[2] Die scheinheilige Frage nach der Anwendbarkeit, die nicht nur naive Menschen und Ingenieure, sondern auch angewandte Mathematiker gerne stellen, kann dank Datenverarbeitung beantwortet werden: Sieben Fehler erkennender und drei korrigierender Golay-Code von 12 Bit in 24.
[3] Life, Death and the Monster (John Conway) - Numberphile. In dem Youtube-Filmchen sagt der an Corona verstorbene John Conway in seiner Küche: „I would like to know what it's all about. You know, why it's there … that the one thing I'd really like to know before I die is why the monster group exists.“
24
In zwei Dimensionen weiß jedes Kind, daß man sechs Münzen an eine anlegen kann. Da wackelt nichts mehr, sieben sind offensichtlich unmöglich. Eindimensional sind Kugeln Strecken, an die zwei andere stoßen können. In der vierten Dimension hat man schnell 24 Hyperkugeln angelegt. Daß eine 25. nicht mehr geht wird auch erst 2008 gezeigt. Umso überraschender ist es, daß man für die 8. und die 24. Dimension die Kußzahlen 240 und 196.560 kennt, weil man die Kugeln gitterförmig anlegen kann und nicht mehr Luft bleibt als unbedingt erforderlich.
Sich auf Gitter zu beschränken, vereinfacht das Problem. Man könnte meinen, daß in drei Dimensionen die 12 als Gitterkußzahl schon ewig bekannt ist, doch erst Gauß konnte es beweisen. Inzwischen kennt man sie in 1 bis 9 und eben 24 Dimensionen. [1] Sie entspricht der Kußzahl, so letztere bekannt ist. Das ist nicht selbstverständlich. In der Dimension 9 kennt man zwar die Kußzahl nicht, es geht aber unregelmäßig mit 306 dichter als mit 272 im Gitter.
Das mag man alles für mathematische Spinnerei halten. [2] Auch die überraschenden Beziehungen zu anderen Zahlen und Gebieten kann rein theoretischer, gar zufälliger Natur sein, so wie 24 als vierte Fakultät allenthalben auftaucht. Auch könnte die Stringtheorie in 8 und 24 Dimensionen ein nur darauf aufbauendes Hirngespinst sein. Es bleibt aber der berechtigte Wunsch, die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest nicht an einen allmächtigen Schöpfer oder Programmierer weiterzuleiten, der die Antwort auch nicht kennt, zumindest nicht verrät, sondern etwas zu finden, das geeignet groß, aber dennoch endlich an sich existiert. Gewissermaßen die Umkehrung der Frage von John Conway, warum es die Monstergruppe gibt. [3]
[1] Gabriele Nebe: Table of the Highest Kissing Numbers Presently Known.
[2] Die scheinheilige Frage nach der Anwendbarkeit, die nicht nur naive Menschen und Ingenieure, sondern auch angewandte Mathematiker gerne stellen, kann dank Datenverarbeitung beantwortet werden: Sieben Fehler erkennender und drei korrigierender Golay-Code von 12 Bit in 24.
[3] Life, Death and the Monster (John Conway) - Numberphile. In dem Youtube-Filmchen sagt der an Corona verstorbene John Conway in seiner Küche: „I would like to know what it's all about. You know, why it's there … that the one thing I'd really like to know before I die is why the monster group exists.“
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