Kongruenzsätze
Da die Schüler der achten Klasse ange­sichts des Vier­eckes natür­lich vom Dreieck nichts mehr wußten, wurden ihnen zur häus­lichen Auf­frischung die vier Kon­gruenz­sätze für Dreiecke diktiert. Ich wüßte gerne, was das soll. Einmal abge­sehen davon, daß meine Tochter nach Gehör Konkruents geschrie­ben hatte, ist es genau der falsche Weg, diese Sätze in einer ver­queren Schul­sprache aufzu­schreiben, wenn man sie lernen, verstehen oder anwen­den will [1]. Wer es nicht glaubt, der sehe sie sich in der Wiki­pedia [2] an, wo sie noch recht schlicht for­mu­liert sind. Der Königs­weg zeigt genau in die ent­gegen­gesetzte Rich­tung: Man verin­ner­licht den simplen Sach­verhalt und kann ohne Nomen­klatur­kurs sofort alles anwenden. Doch in der Schule gilt es, die Sätze korrekt nume­riert und erwar­tungs­konform nieder­zuschreiben.

Wegen der bis auf Kon­gruenz (Verschiebung, Drehung und Spiegelung) drei Freiheits­grade, reichen drei unab­hängige Angaben aus, um unter allen Dreicken eine endliche Anzahl auszu­sondern. Sie sind auch erfor­derlich. Sind nur Seiten­längen und bis zu zwei Winkel gegeben, sind im allge­meinen alle zugehörigen Dreiecke kongruent. Dann darf man die Lösung eindeutig nennen. Daraus Kon­gruenz­sätze zu machen, ist recht albern. Es reicht zu beachten, daß nur in seltenen Fällen inkon­gruente Lösungen existie­ren. Und wer mehr an allgemeinen Erkennt­nissen interes­siert ist, sollte sich eher merken: Gibt es kein Dreieck zu den Vorgaben, so sind natür­lich alle Lösungen kongruent.

Die Kongruenz­sätze sind auch deshalb von geringer Bedeutung, weil man mehr sagen kann: Alle die drei Seiten- und Winkel­angaben erfül­lenden Dreiecke sind nicht nur kongruent, sie sind sogar ohne Geo­dreieck, Maßband und Computer aus zeich­nerisch vorge­gebenen Strecken und Winkeln allein mit Zirkel und Lineal bis auf Ver­schie­bung, Drehung und Spiege­lung ein­deutig kon­stru­ierbar. Auch von zwei spiegel­bild­lichen Lösungen scheidet eine aus, sofern genauer spezi­fiziert ist, in welcher Dreh­rich­tung die Seiten und Winkel zu sehen sind.

Weil die Dreiecke zu den Vorgaben also nicht nur an sich existieren, sondern mit Zirkel und Lineal konstru­ierbar sind, sollte meines Erach­tens die Kon­struk­tion im Vorder­grund stehen, nicht ein sich daraus trivaler­weise ableit­barer Satz. Deshalb war ich schon versucht, die Über­schrift in „Dreiecks­kon­struk­tionen“ zu ändern, habe aber „Kon­gruenz­sätze“ belassen, weil in Schule und Wiki­pedia [2] alles unter diesem mathe­matische Weisheit vortäu­schen­den Begriff läuft.

Weil man aus zwei Winkeln den dritten bilden kann, fehlt unter den drei Vor­gaben immer einer. Für die rest­lichen Ele­mente (drei Seiten und zwei Winkel) gibt es 10 Mög­lich­keiten, drei aus diesen fünfen auszu­wählen:
S W S W S   Typ   #
S W S . .   SWS   2
S W . W .   SWW   -
S W . . S   SSW   4
S . S W .   SSW   4
S . S . S   SSS   1
S . . W S   SSW   4
. W S W .   WSW   3
. W S . S   SSW   4
. W . W S   SWW   -
. . S W S   SWS   2
Da man Dreiecke drehen und spiegeln [3] kann, redu­zieren sich diese zehn Fälle auf fünf Typen. Vier haben eine Nummer, SWW nicht, weil man aus den gegebenen zwei Winkel, den dritten bilden kann und SWW so in WSW übergeführt wird. Es bleiben also nur vier Fälle, aus denen die vier Kongruenzsätze gezimmert sind:
1. SSS  alle drei Seiten gegeben
2. SWS  zwei Seiten mit gemeinsamen Winkel
3. WSW  zwei Winkel mit gemeinsamer Seite
4. SSW  zwei Seiten mit nicht gemeinsamen Winkel
Manche versuchen, ein moder­nes Aussehen zu errei­chen, indem alle W und S klein geschrieben werden. Und der vierte Fall SSW wird oftmals auch mit SsW, Ssw oder noch abartiger bezeichnt, um anzu­deuten, daß die dem Win­kel W gegen­über­lie­gende Seite S größer sein soll als die dem Winkel anlie­gende s, um Mehr­deutig­keit auszu­schlie­ßen und so Kongruenz für den vierten Satz zu erzwingen. Das ist das einzig Inter­essante an den Sätzen und Kon­struk­tionen. Natürlich ist es in allen Fällen auch möglich, daß es keine Lösung gibt oder das Dreieck entartet ist und nicht als solches akzep­tiert wird. Das macht den zuge­hörigen Kon­gruenz­satz aber nicht ungül­tig.

[1] Auch ich erläutere die Kongruenz­sätze nicht in Bildern oder durch leicht ver­ständ­liche Worte, denn es geht hier nicht darum, sie zu erler­nen und mög­lichst effektiv im Klein­hirn zu verankern, sondern um eine Kritik an ihrer Dar­stellung in der Schule, die mäßige Schüler abschreckt und den mathe­matisch begabten nichts bringt.

[2] Wikipedia. Unter Kongruenz­satz werden der SSS-, der SWS-, der WSW- und der SSW‑Satz als erster bis vierter Kon­gruenz­satz nume­riert. Ein SWW‑Satz ist erwähnt, aber keiner Nummer für wert erachtet. Bewie­sen werden sie durch die ‚eindeu­tige‘ Kon­struier­bar­keit, doch gibt es keinen Artikel zur Dreiecks­kon­struk­tion.

[3] Bei Dreiecks­konstruk­tionen in der Schule ist von zwei gespie­gelten Lösungen zumeist nur eine richtig. Um diese Ein­deutig­keit zu erlangen, sind den Drehsinn fest­legende Angaben erfor­derlich. Am einfach­sten durch Benen­nung der gege­benen Sei­ten (a,b,c) und Winkel (α,β,γ) im posi­tien Dreh­sinn (links herum, gegen den Uhr­zeiger­sinn).

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