Damm-Schnitt
wuerg, 31.01.2007 20:59
Gestern waren Damm-Querschnitte zu konstruieren. Mit beiden Wörtern, Damm und Querschnitt, wußte meine Tochter nichts anzufangen. Wer genau wissen möchte, was damit gemeint war: Gleichschenklige Trapeze. [1] In Teilaufgaben a bis c war der Damm stets aus drei der fünf Größen Dammsohle, Dammkrone, Dammhöhe, Böschungslänge und Böschungswinkel zu konstruieren. Wer meint, diese Begriffe würden sich Achtkläßlern aus der Schuhsohle und der Königskrone, notfalls aus der Abbildung im Buch erklären, hat allenfalls jüngere Kinder. Und was konstruieren bedeutet, ist wahrscheinlich auch dem Lehrer nicht klar. Darüber lasse ich mich später einmal aus. Hier soll es nur um den affengeilen Teil d der Aufgabe gehen:
Argumentiere, warum stets drei Bestimmungsstücke
für die Konstruktion eines Dammes ausreichen.
Offensichtlich wollen die Schulbuchautoren damit ihre fachliche Kompetenz beweisen oder Hochbegabten auch noch einen Anreiz bieten. Ich habe gar nicht mehr versucht, meiner Tochter eine allgemeine Überlegung nahezulegen, die auch in anderen Fällen gut funktioniert, sondern nur „argumentiert“, wie die Anzahl 3 aus schon bekannten Behauptungen ableitbar ist, zumal zuvor ja schon mit den Kongruenzsätzen für Dreiecke genervt wurde:
Für ein allgemeines Dreieck sind drei Bestimmungsgrößen erforderlich, für ein gleichschenkliges nur zwei. Ein Damm-Querschnitt entseht durch waagerechtes Abschneiden der Spitze in einer gewissen Höhe. Es kommt also wieder eine Bestimmungsgröße hinzu. Damit sind es drei für den Damm-Querschnitt.
Da moderne Schüler auch Lösungshefte (in Kopie) besitzen, hat mich die Antwort darin doch interessiert. Ich zitiere aus der Erinnerung:
Ein Damm-Querschnitt ist ein achsensymmetrisches
Viereck und benötigt deshalb drei Bestimmungsstücke.
Eine solche Antwort erwarte ich von einer Gouvernante, nicht von einem Mathematiker. Zum einen werden drei Freiheitsgrade für ein achsensymmetrisches Viereck als bekannt vorausgesetzt. Zum anderen wird nicht erklärt, noch nicht einmal behauptet, daß alle achsensymmetrischen Vierecke (ohne Punkte auf der Achse!) Damm-Querschnitte sind.
Und wie kommt man darauf, daß ein achsensymmetrisches Viereck drei Bestimmungsstücke benötigt? Weil es ein Damm Querschnitt ist? Ha ha! Das würde ich Schulbuchautoren zutrauen. Und wieviele Freiheitsgrade sind es für allgemeine Vierecke? Es sind fünf. Und warum vernichtet die Symmetrie zwei davon? Bei Dreicken geht durch Symmetrie doch auch nur einer verloren. Wenn das Unterrichtsfach Mathematik und nicht Anschauungslehre heißt, dann halte ich eine allgemeine Ableitung für angebracht.
Ein ebenes n‑Eck ist durch die Lage seiner n Ecken bestimmt. In der Ebene hat jede Ecke zwei Koordinaten, womit 2n Freiheitsgrade entstehen. Da jedes n Eck noch in zwei Richtungen verschoben und dazu gedreht werden darf, sind im allgemeinen 2n−3 Bestimmungsgrößen erforderlich und ausreichend. Beim Dreieck sind es 2·3−3=3 und beim Viereck 2·4−3=5.
Bei n-Ecken mit Symmetrieachsen kann man sich bezüglich Verschiebungen und Drehungen leicht irren. Deshalb zunächst auch für allgemeine n‑Ecke eine meines Erachtens einfachere Überlegung: Der erste Punkt kann auf den Ursprung eines cartesischen Koordinatensytems gelegt werden. Er hat keinen Freiheitsgrad. Der zweite mit einem Freiheitgrad auf die x‑Achse und die übrigen n−2 mit jeweils zwei Freiheitsgraden völlig beliebig. Das ergibt wieder 0+1+(n−2)⋅2=2n−3.
Ähnlich kommt man auch auf die Freiheitsgrade bei einer Symmetrieachse. Die sei einfach die y‑Achse. Ein allgemeines n‑Eck kann keinen, einen oder zwei Punkte auf der y‑Achse haben, denn mit dreien oder mehr ist es schon ein über die einfache Symmetrie hinaus spezielles. Drei Fälle:
Keine Ecke auf der Symmetrieachse: Die Ecken 2i−1 und 2i für i=1,…,n/2 (n muß gerade sein!) liegen symmetrisch zueinander. Die ersten beiden Ecken auf der x‑Achse mit einem Freiheitsgrad, die übrigen n/2−1 Paare frei in der Ebene mit zusammen jeweils zwei Freiheitsgraden. Insgesamt sind es 1+(n/2−1)⋅2=n−1.
Eine Ecke auf der Symmetrieachse: Diese kommt ohne Freiheitsgrad in den Ursprung. Die übrigen Ecken 2i und 2i+1 für i=1,…,(n−1)/2 (n muß ungerade sein!) haben paarweise zusammen je zwei Freiheitsgrade. Insgesamt sind es wieder 0+((n−1)/2)⋅2=n−1.
Zwei Ecken auf der Symmetrieachse: Die erste im Ursprung ohne Freiheitsgrad, die zweite auf der y‑Achse mit einem, und wieder die Ecken 2i+1 und 2i+2 für i=1,…,(n−2)/2 (n muß gerade sein!) als Paare mit gemeinsam zwei Freiheitsgraden Zusammen erneut 0+1+((n−2)/2)⋅2=n−1.
In jedem Falle sind es für ein n‑Eck mit einer Symmetrieachse n−1 Freiheitsgrade. Das kann man sicherlich auch ohne Fallunterscheidung exakt beweisen. Die Überlegung ist einfach: Ein Punkt auf der Symmetrieachse hat einen Freiheitsgrad, ein Punktepaar außerhalb zwei. Das ist ein Freiheitsgrad pro Punkt. Und einer geht ab für die Verschiebung längs der Achse.
Für n=3 sind es also zwei Bestimmungsstücke, zum Beispiel Höhe und Basis eines gleichschenkligen Dreieckes. Für n=4 sind es die bereits behaupteten drei. Im Falle zweier gespiegelter Punktpaare (gleichschenkeliges Trapez) kann es neben den beiden Abständen von der Achse die Entfernung der beiden Verbindungslinien sein, also der Abstand von Sohle und Krone. Bei zwei Ecken auf der Achse (Drachen [2]) bestimmen die vier Abstände der Ecken vom Schnittpunkt der Diagonalen das Viereck. Zwei sind gleich, also drei Bestimmungsgrößen.
Mit einer Symmetrieachse büßt ein n‑Eck also (2n−3)−(n−1)=n−2 Freiheitsgrade ein. Das Dreieck einen von 3 auf 2, das Viereck zwei von 5 auf 3.
[1] Warum Damm-Schnitte oder gar ganze Dämme auf beiden Seiten den gleichen Böschungswinkel aufweisen, erschließt sich einem normal denkenden Menschen nicht. Und wenn Seedeiche auch Dämme sind, dann ist die Wasserseite nicht nur wesentlich flacher, sondern auch nicht gerade.
[2] Es spielt hier keine Rolle, ob der Drachen konvex sein muß, der Diagonalschnittpunkt also immerhalb des Viereckes liegt. Auch könnte man ohne Einfluß auf die Freiheitsgrade sowohl beim Trapez als auch dem Drachen sich kreuzende Kanten zulassen, denn die endliche Anzahl von Eckpermutationen vermag keinen Freiheitsgrad zu erzeugen.
Schulmathematik | Zinseszinsen | Fallunterscheidungen | Kongruenzsätze | Was ist P(8|9)?
Argumentiere, warum stets drei Bestimmungsstücke
für die Konstruktion eines Dammes ausreichen.
Offensichtlich wollen die Schulbuchautoren damit ihre fachliche Kompetenz beweisen oder Hochbegabten auch noch einen Anreiz bieten. Ich habe gar nicht mehr versucht, meiner Tochter eine allgemeine Überlegung nahezulegen, die auch in anderen Fällen gut funktioniert, sondern nur „argumentiert“, wie die Anzahl 3 aus schon bekannten Behauptungen ableitbar ist, zumal zuvor ja schon mit den Kongruenzsätzen für Dreiecke genervt wurde:
Für ein allgemeines Dreieck sind drei Bestimmungsgrößen erforderlich, für ein gleichschenkliges nur zwei. Ein Damm-Querschnitt entseht durch waagerechtes Abschneiden der Spitze in einer gewissen Höhe. Es kommt also wieder eine Bestimmungsgröße hinzu. Damit sind es drei für den Damm-Querschnitt.
Da moderne Schüler auch Lösungshefte (in Kopie) besitzen, hat mich die Antwort darin doch interessiert. Ich zitiere aus der Erinnerung:
Ein Damm-Querschnitt ist ein achsensymmetrisches
Viereck und benötigt deshalb drei Bestimmungsstücke.
Eine solche Antwort erwarte ich von einer Gouvernante, nicht von einem Mathematiker. Zum einen werden drei Freiheitsgrade für ein achsensymmetrisches Viereck als bekannt vorausgesetzt. Zum anderen wird nicht erklärt, noch nicht einmal behauptet, daß alle achsensymmetrischen Vierecke (ohne Punkte auf der Achse!) Damm-Querschnitte sind.
Und wie kommt man darauf, daß ein achsensymmetrisches Viereck drei Bestimmungsstücke benötigt? Weil es ein Damm Querschnitt ist? Ha ha! Das würde ich Schulbuchautoren zutrauen. Und wieviele Freiheitsgrade sind es für allgemeine Vierecke? Es sind fünf. Und warum vernichtet die Symmetrie zwei davon? Bei Dreicken geht durch Symmetrie doch auch nur einer verloren. Wenn das Unterrichtsfach Mathematik und nicht Anschauungslehre heißt, dann halte ich eine allgemeine Ableitung für angebracht.
Ein ebenes n‑Eck ist durch die Lage seiner n Ecken bestimmt. In der Ebene hat jede Ecke zwei Koordinaten, womit 2n Freiheitsgrade entstehen. Da jedes n Eck noch in zwei Richtungen verschoben und dazu gedreht werden darf, sind im allgemeinen 2n−3 Bestimmungsgrößen erforderlich und ausreichend. Beim Dreieck sind es 2·3−3=3 und beim Viereck 2·4−3=5.
Bei n-Ecken mit Symmetrieachsen kann man sich bezüglich Verschiebungen und Drehungen leicht irren. Deshalb zunächst auch für allgemeine n‑Ecke eine meines Erachtens einfachere Überlegung: Der erste Punkt kann auf den Ursprung eines cartesischen Koordinatensytems gelegt werden. Er hat keinen Freiheitsgrad. Der zweite mit einem Freiheitgrad auf die x‑Achse und die übrigen n−2 mit jeweils zwei Freiheitsgraden völlig beliebig. Das ergibt wieder 0+1+(n−2)⋅2=2n−3.
Ähnlich kommt man auch auf die Freiheitsgrade bei einer Symmetrieachse. Die sei einfach die y‑Achse. Ein allgemeines n‑Eck kann keinen, einen oder zwei Punkte auf der y‑Achse haben, denn mit dreien oder mehr ist es schon ein über die einfache Symmetrie hinaus spezielles. Drei Fälle:
Keine Ecke auf der Symmetrieachse: Die Ecken 2i−1 und 2i für i=1,…,n/2 (n muß gerade sein!) liegen symmetrisch zueinander. Die ersten beiden Ecken auf der x‑Achse mit einem Freiheitsgrad, die übrigen n/2−1 Paare frei in der Ebene mit zusammen jeweils zwei Freiheitsgraden. Insgesamt sind es 1+(n/2−1)⋅2=n−1.
Eine Ecke auf der Symmetrieachse: Diese kommt ohne Freiheitsgrad in den Ursprung. Die übrigen Ecken 2i und 2i+1 für i=1,…,(n−1)/2 (n muß ungerade sein!) haben paarweise zusammen je zwei Freiheitsgrade. Insgesamt sind es wieder 0+((n−1)/2)⋅2=n−1.
Zwei Ecken auf der Symmetrieachse: Die erste im Ursprung ohne Freiheitsgrad, die zweite auf der y‑Achse mit einem, und wieder die Ecken 2i+1 und 2i+2 für i=1,…,(n−2)/2 (n muß gerade sein!) als Paare mit gemeinsam zwei Freiheitsgraden Zusammen erneut 0+1+((n−2)/2)⋅2=n−1.
In jedem Falle sind es für ein n‑Eck mit einer Symmetrieachse n−1 Freiheitsgrade. Das kann man sicherlich auch ohne Fallunterscheidung exakt beweisen. Die Überlegung ist einfach: Ein Punkt auf der Symmetrieachse hat einen Freiheitsgrad, ein Punktepaar außerhalb zwei. Das ist ein Freiheitsgrad pro Punkt. Und einer geht ab für die Verschiebung längs der Achse.
Für n=3 sind es also zwei Bestimmungsstücke, zum Beispiel Höhe und Basis eines gleichschenkligen Dreieckes. Für n=4 sind es die bereits behaupteten drei. Im Falle zweier gespiegelter Punktpaare (gleichschenkeliges Trapez) kann es neben den beiden Abständen von der Achse die Entfernung der beiden Verbindungslinien sein, also der Abstand von Sohle und Krone. Bei zwei Ecken auf der Achse (Drachen [2]) bestimmen die vier Abstände der Ecken vom Schnittpunkt der Diagonalen das Viereck. Zwei sind gleich, also drei Bestimmungsgrößen.
Mit einer Symmetrieachse büßt ein n‑Eck also (2n−3)−(n−1)=n−2 Freiheitsgrade ein. Das Dreieck einen von 3 auf 2, das Viereck zwei von 5 auf 3.
[1] Warum Damm-Schnitte oder gar ganze Dämme auf beiden Seiten den gleichen Böschungswinkel aufweisen, erschließt sich einem normal denkenden Menschen nicht. Und wenn Seedeiche auch Dämme sind, dann ist die Wasserseite nicht nur wesentlich flacher, sondern auch nicht gerade.
[2] Es spielt hier keine Rolle, ob der Drachen konvex sein muß, der Diagonalschnittpunkt also immerhalb des Viereckes liegt. Auch könnte man ohne Einfluß auf die Freiheitsgrade sowohl beim Trapez als auch dem Drachen sich kreuzende Kanten zulassen, denn die endliche Anzahl von Eckpermutationen vermag keinen Freiheitsgrad zu erzeugen.
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