Treueherzen
Heute ist der letzte Tag, um meine 40 Treue­herzen bei Tengel­mann einzu­lösen. Dafür bekomme ich eine Müsli­schale oder unter Zuzahlung von 9,99 Euro ein fünf­teiliges Gedeck. Stünde mir der Sinn nach mehr Geschirr, könnte ich zusätz­lich eine Müsli­schale für 9,99 Euro und ein Gedeck für 39,99 Euro erwerben. Was soll ich tun? Das ist die einfa­chere von zwei Fragen. Da mir ein einzelnes Gedeck keine 9,99 wert ist und zwei nicht 49,98 Euro, ist die Entscheidung klar: Ich werde heute die Müsli­schale abholen. Eigent­lich wollte ich das schon gestern tun, doch gab es natür­lich keine mehr.

Die zweite Frage treibt mich schon eine Weile um und muß nun endlich beant­wortet werden. Wie kalku­liert Tengel­mann den Wert der Herzen, um wieviel Prozent Rabatt handelt es sich da eigent­lich? In meiner Kind­heit gab es einfach 3 Pro­zent. Ein Rabatt­marken­buch zu 50 DM erbrachte eins-​fuffzig. Heutzu­tage geht es nicht mehr ohne Verwir­rung: Es gibt nur für voll­stän­dige 5 Euro ein Herz und auch kein direkt ver­rechen­bares Geld zurück, sondern irgend­welche über­bewer­teten Sachen. Der Wert ist unklar, über­zählige Herzen verfallen, und es wird der Eindruck erweckt, man könne durch Zuzah­lung ein Schnäpp­chen machen. Vielen Kunden ist das zu blöd. Sie nehmen keine Herzen mit oder holen die Prämien nicht ab.

Nun aber zurück zu einer hypothe­tischen Kalku­lation im Falle der Tengel­mann-​Treue­herzen, die heute noch einge­löst werden können. Es gibt:

1. eine Müslischale zu 9,99 Euro
2. eine Müslischale für 40 Herzen
3. ein Gedeck für 39,99 Euro
4. ein Gedeck für 40 Herzen und 9,99 Euro
5. ein Gedeck für 120 Herzen

Zunächst dachte ich daran, die späteren Herzen könnten mehr wert sein als die ersten, damit die Leute viel Umsatz machen nach dem Motto: Nimm drei, zahl zwei. Doch so scheint es nicht zu sein. Die Müsli­schale bekommt man für 40 Herzen oder 9,99 Euro, beim Gedeck benötigt man aber 80 Herzen zur Vermeidung von 9,99 Euro Zuzahlung.

Aus den fünf genannten Fakten leite ich drei Gleichungen ab, in die ich drei Unbe­kannte ein­fließen lassen kann, die wahren Werte t des Treue­herzens, m der Müsli­schale und g des Gedecks.

aus 2. ergibt sich: m = 40t
aus 4. ergibt sich: g = 40t + 10
aus 5. ergibt sich: g = 120t

Zur Vereinfachung habe ich mir erlaubt, die optische Täuschung rückgängig zu machen und alle Preise um einen Cent erhöht, um das zu können, was Geschäfte vermeiden wollen, nämlich im Kopf zu rechnen. Es wären zwei Gleichun­gen (zu 1. und 3.) mehr möglich, doch geht es ja darum zu über­prüfen, inwieweit m=10 und g=40 reali­stisch sind. Das Ergebnis lautet wenig über­raschend g=15, m=5 und t=1/8. Das Geschirr ist nach dieser Rechnung also höchstens die Hälfte wert. Ein Treue­herz von 1/8 Euro oder 12,5 Cent auf 5 Euro ergibt einen beschei­denen Rabatt von 2,5 Pro­zent.

In jedem Fall sollte man seine Herzen einlösen, zuzahlen aber nur, wenn einem die Sachen mehr als die Hälfte des Kauf­prei­ses wert sind, weil man sie benö­tigt oder teurer weiter­ver­kaufen kann. Voll­kauf wird sich kaum lohnen, auch wenn man ganz scharf auf das Geschirr ist, denn woanders wird es nicht unbe­dingt teurer sein. Am liebsten wäre mir ein Handel mit Treue­herzen an der Börse. Es würde mich nicht wundern, wenn sie dort mit 15 Cent über den Tresen gingen, ab 5 Cent würde ich verkaufen und auf Geschirr ver­zichten. Dann hätte ich 2,50 Euro für alle meine 50 Herzen.

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Das ist doch
mal praxisnah gerechnet, Kompliment. Meine Frau und ich gehören ja eher zu der Kategorie Menschen, denen das Spiel als solches zu blöd ist. Mich nervt dieses ganze Kunden-Dialog-Gedöns ohnehin zusehends, weil es die Aufenthaltsdauer in der Schlange vor der Kasse noch mehr erhöht, und für mich ist Zeit nun mal auch Geld. Und bis da jeder vor mir die Fragenbatterie (Karte oder bar? Herzchen? Kundenkarte? Postleitzahl?) zur Zufriedenheit des Kassenpersonals beantwortet hat, könnte ich mir einen Vollbart stehen lassen. Was ich hingegen ganz ok finde ist das System der Agip-Tanke. Da sammelt man auch Treuepunkte und kriegt irgendwann ne gute Pulle Wein, ohne Zuzahlung und weiteren Hassel. Und da sich der Sprit preislich eh nichts schenkt mit der Shell nebenan, braucht man auch nicht lange rumrechnen, ob das nun der Bringer ist oder nicht...

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Bekommt man an Ihrer Tankstelle auch Benzin­gut­scheine, wenn man nachts dort seinen Alkohol kauft?

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Noch nicht ausprobiert
Aber das wäre ein logische Fortentwicklung des Kundenbindungsprogramms.

Ich muss mich übrigens korrigieren, ein Euro Zuzahlung ist doch im Spiel für die Flasche Wein.

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In einem Billig-Laden habe ich schon 1,5 Liter für 99 Cent gesehen. Nicht Benzin, Wein! Der fährt aber nicht so gut wie Pflan­zenöl.

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Ein Image-Pfleger von Tengelmann könnte mir entgegen­halten, die Voll­preise von 9,99 und 39,99 Euro entsprä­chen bis auf den einen Cent Abzug zum psychologischen Preis dem wahren Wert und hätten von mir berück­sichtigt werden müssen. Doch das kann nicht sein, denn dann hätten die Herzen im vierten Falle (40 Stück und Zuzah­lung) mit 75 Cent einen Wert, der einem Rabatt von 15% ent­spräche.

Ich bin aber bereit, die Vollkauf­preise nicht als reine Phan­tasie abzutun, wahre Preise m für die Müslischale, g für das Gedeck und t für ein Treue­herz anzu­setzen und mich zu fragen, bei welchen Werten, die fünf verschie­denen Kauf­varianten die kleinsten Abweich­ungen von wahren Wert zeigen. Die Rechnung ist etwas umständ­lich und nicht frei von will­kürli­cher Gewich­tung. Dennoch hier mein Ergebnis: m=10,50, g=31,40 und t=0,28 Euro. Damit kommt heraus, was überschlagsmäßig zu erwarten ist:
Prämie     Herzen Zuzahlg gezahlt  ‚Wert‘
Müslischale    40       -   11,20   10,50
Müslischale     -    9,99    9,99   10,50
Gedeck        120       -   33,60   31,40
Gedeck         40    9,99   21,19   31,40
Gedeck          -   39,99   39,99   31,40
Nach dieser Tabelle wäre ich eigent­lich dumm, meine 40 Herzen im Werte von 10,50 Euro für eine Müsli­schale zu ver­schwenden und sollte lieber weitere 9,99 Euro zuzahlen, um für rechne­rische 21 Euro an ein Gedeck im wahrem Wert von 31,40 Euro zu kommen. Doch werde ich das nicht machen, denn auch diese tengel­mann­freund­liche Rechnung belegt für mich: Die Voll­kaufs­preise sind zu hoch ange­setzt, um den Wert der Herzen höher erscheinen zu lassen.

Trotz allem muß ich aber einräumen, daß es Tengel­mann wohl nicht um einen hohen Geschirr­umsatz geht. Die ganze Rabatt­aktion soll eher groß­zügig und flexibel aussehen, Schnäp­pchen in Aussicht stellen und dafür zum Lebens­mittel­einkauf verführen. Deshalb gibt es in der neuen Treue­herzen­aktion nicht nur fünf, sondern ganze 24 Mög­lich­keiten:
Prämie          Preis   Herzen+Zuzahlung  nur Herzen
Kochtopf 24cm   45,99   30+19,99   23,74  200  25,00
Kochtopf 20cm   37,99   30+17,99   21,74  170  21,25
Wokpfanne       45,99   30+19,99   23,74  200  25,00
Deckelpfanne    43,99   30+19,99   23,74  190  23,75
Pfanne 20cm     21,99   30+09,99   13,74  100  12,50
Pfanne 26cm     29,99   30+14,99   18,74  130  16,25
Mz-Form 1,5l    09,99   10+04,99   06,24   40  05,00
Mz-Form 2,6l    11,99   10+05,99   07,24   50  06,25
Ich werde wieder das billigste Produkt für 40 Herzen nehmen. Es kostet mich rechne­risch gerade die Hälfte des angegeben Vollkauf­preises. Bei den übrigen Produkten ist die Spanne nicht ganz so hoch. Insofern hat der Filial­leiter von Tengelmann recht mit seiner Meinung, diese neue Aktion sei besser.

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Heute ist der Tag gekommen, da mein Beitrag zu den Tengelmann-​Herzen in die Mostread-​Liste auf den 25. und letzten Platz vorge­drungen ist. Das mag an der vor Tagen abge­laufenen zweiten Aktion liegen. An der habe ich mich mangels Masse nicht mehr beteiligt und die wenigen Herzen verschenkt.

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„Mit Treue, Herz und Handtuch sparen Sie über 80%*“ lese ich im Falt­blatt zum neuesten Tengelmann-​Herzen-​Rabatt, doch nirgendwo finde ich den Stern erläutert. Er meint wohl, daß es mehr als 80 Pro­zent Ersparnis sind, wenn einem die Tücher „mit ‚Laura Ashley‘-​Sticke­rei“ die Ohne-​Herz-​Preise wert sind. Wer würde von den drei Angeboten

60 Herzen und 2,99 Euro statt 19,99 Euro
60 Herzen und 3,99 Euro statt 24,99 Euro
60 Herzen und 5,99 Euro statt 39,99 Euro

schon das erste nehmen, wenn man beim dritten doch 57 Cent pro Herz spart? Aber­mals frage ich mich, was ein Herz und die angebo­tenen Waren denn nun wirk­lich wert sein müßten, wenn alle drei Angebote einiger­maßen gleich günstig sind. Dazu setze ich für ein Herz den Wert h und für die Waren einen abwer­tenden Faktor f an und erhalte bei Aufrun­dung um jeweils einen Cent:

3 + 60h = 20/f
4 + 60h = 25/f
6 + 60h = 40/f

Das sind drei Gleichungen mit zwei Unbe­kannten. Aus den ersten beiden Gleich­ungen ergibt sich mit 5 die freund­lichste Lösung für f, aus den letzten beiden die für h mit knapp 8 Cent. Damit will ich nicht sagen, daß alles nur 20% des ange­gebenen Preises wert ist und der Rabatt durch Herzen deutlich unter 2 Prozent liegt. Nur ist es auch nicht dumm, wenn man seine Herzen ver­fallen läßt, denn eine Alter­native zur Zuzah­lung gibt es ja nicht.

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Ich sammle keine Herzen mehr, seit man für sie nichts zuzah­lungsfrei mehr bekommt. Von der Kassie­rerin erfuhr ich gestern den Grund: Im Zuge der ersten Aktion tauchten die Herzen rollen­weise zum Verkauf im Internet auf.

Heutzutage gibt es eben keine Lücke mehr, die nicht von Leuten besetzt wird, die Öffent­lichkeit, Arbeits­platz und Inter­net als Fort­setzung ihres krimi­nellen Wohn­zimmers sehen. Ihret­wegen sind für alles und jedes Schutz­maß­nahmen, Verord­nungen, Gesetze, Kontrollen und Strafen erfor­derlich.

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Keiner verkauft mehr Treue­herzen, aber es gibt ja immer wieder Gelegen­heit für dubiose Geschäfte. Wenn man als Migrant keinen der wenigen dummen Linken findet, der einem eine Bezahl­karte eins zu eins gegen Bares tauscht, dann muß man eben weiter­hin Mineral­wasser kaufen, um das Leergut einlösen. Dagegen hülfe eine Kontrolle von Ausweis­papieren. Da das zu kompli­ziert und nicht gewollt ist, besser Halbie­rung der Bezüge und deren Auszah­lung in Natu­ralien.

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