Gigantismus
wuerg, 17.09.2018 01:16
Ich habe immer gerne die Unterschichtenvernügen besucht, die je nach Landschaft Jahrmarkt, Kirmes oder Rummel heißen, in Frankfurt Dippemess. Im wörtlichen Sinne gibt es letztere seit zwei Jahren nicht mehr, der Dippebereich ist geschlossen. Dieses Jahr fehlten auch das Riesenrad und die Achterbahn. Ältere Menschen sind kaum noch zu sehen, nur noch junge Kleinfamilien oder Gruppen Jugendlicher. Und davon auch nur noch die Hälfte. Liegt es an den hohen Preisen oder an der Angst?
Kein Riesenrad mehr, aber noch Riesenattraktionen, Riesenspaß, ein Riesenfeuerwerk und auch Riesenküsse. Das sind große Schaumküsse in verschiedenen Farben und Mustern. Noch nehmen die Riesen das hin, proben keinen Zwergenaufstand wie die Tierschützer gegen das Ponyreiten. Hau den Lukas heißt jetzt nicht etwa Memet, sondern Dampfhammer. An Eierlaufen kann ich mich nicht erinnern, Dosenwerfen aber gibt es noch. Sogar mit größeren Bällen für Frauen. Zum Ausgleich zahlen sie den gleichen Preis wie Männer und Kinder, nicht 21 Prozent weniger.
Prekarioten | N-Wort mit Gazelle
Kein Riesenrad mehr, aber noch Riesenattraktionen, Riesenspaß, ein Riesenfeuerwerk und auch Riesenküsse. Das sind große Schaumküsse in verschiedenen Farben und Mustern. Noch nehmen die Riesen das hin, proben keinen Zwergenaufstand wie die Tierschützer gegen das Ponyreiten. Hau den Lukas heißt jetzt nicht etwa Memet, sondern Dampfhammer. An Eierlaufen kann ich mich nicht erinnern, Dosenwerfen aber gibt es noch. Sogar mit größeren Bällen für Frauen. Zum Ausgleich zahlen sie den gleichen Preis wie Männer und Kinder, nicht 21 Prozent weniger.
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mark793,
17.09.2018 01:45
Die Rheinkirmes mit ihrem Gigantismus habe ich immer gemieden, aber auf das überschaubare Volksfest auf dem hiesigen Dorfplatz gehe ich ganz gerne. Da hat sich an den Buden und Fahrgeschäften in den vergangenen 10 Jahren so gut wie nichts geändert. Ich stelle nur fest, dass ich für so manche Bespaßungszentrifuge nicht mehr fit genug bin.
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wuerg,
17.09.2018 02:11
Weil mit zunehmenden Alter das Bindegewebe den Querbeschleunigungen stärker nachgibt, bin ich eigentlich auch nur noch für das Riesenrad geeignet. Und das scheint keinen mehr zu interessieren. Daß Sie nicht mehr so fit sind, habe ich natürlich mitbekommen, wollte mich aber nicht einreihen in die Phalanx der Genesungswünsche. Deshalb nehme ich diese Gelgenheit wahr, Ihnen weitere Fortschritte zu wünschen.
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mark793,
17.09.2018 15:55
Vielen lieben Dank! Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich auch schon vor der Erkrankung Fahrgeschäfte mit allzugroßer Querbeschleunigung und hoher Umdrehungszahl gemieden habe.
Was ich übrigens auch auf größeren Volksfesten schon lange nicht mehr gesehen (und gerochen) habe, sind Motor-Gokarts. Sind wahrscheinlich verschärften Abgas- und Feinstaub-Normen geopfert worden.
Was ich übrigens auch auf größeren Volksfesten schon lange nicht mehr gesehen (und gerochen) habe, sind Motor-Gokarts. Sind wahrscheinlich verschärften Abgas- und Feinstaub-Normen geopfert worden.
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wuerg,
17.09.2018 17:44
Je kleiner der Motor, desto schwieriger ist der Betrieb mit Dieselöl. Eigentlich für Schiffe, Maschinen und Lastwagen gedacht gelangte es auch in normale Autos und wurde zu Vorzugspreisen an die bedächtigen Sparbrötchen verkauft. Gokarts sind zu klein und fahren mit Benzin, wenn nicht elektrisch. Auf der Dippemess habe ich noch die übliche zweigeschossige Gokartbahn gesehen, auch gerochen und gehört. Beides könnte natürlich vorgetäuscht sein. Nach dem einen von Frau Arboretum herausgesuchten Artikeln ist es aber noch das alte Traditionsgeschäft.
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arboretum,
17.09.2018 15:25
Es gibt kein Riesenrad auf der Dippemess im Herbst, weil sich wegen Personalmangeld im Schaustellergewerbe und der kurzen Dauer der Herbst-Dippemess kein Riesenradbetrieb um die Teilnahme beworben hat. Zeitung lesen macht halt schlauer. ;-)
Und die Keramiker verkaufen ihre Dippe inzwischen mehr online. Das war bereits zur Frühjahrs-Dippemess Thema:
Auf der Dippemess' sind in diesem Jahr nur noch 14 Händler zu finden
Drei Wochen lang locken ein buntes Familienprogramm und Fahrattraktionen mit Nervenkitzel Groß und Klein zur Frühjahrs-Dippemess’ auf den Frankfurter Festplatz. In Folge 4 unserer Serie erzählen Karl und Ronny Seifert, Senior- und Juniorchef des letzten Stands, der sich ausschließlich auf den Verkauf von Keramik spezialisiert hat, wie viel „Dippe“ 2018 noch in der Dippemess’ steckt.
Wenn Angst der Grund wäre, nicht auf die Dippemess zu gehen, wie kommt es, dass sich Familien mit Kindern trotzdem hintrauen? Ältere Menschen sind entweder oft einfach weniger aktiv und bleiben daheim oder sie sind häufig so aktiv, dass sie gar nicht die Zeit haben, alles mitzunehmen - und ein Volksfest verliert halt im Laufe des Lebens auch etwas an Attraktion, weil man schon auf genügend war.
Und die Keramiker verkaufen ihre Dippe inzwischen mehr online. Das war bereits zur Frühjahrs-Dippemess Thema:
Auf der Dippemess' sind in diesem Jahr nur noch 14 Händler zu finden
Drei Wochen lang locken ein buntes Familienprogramm und Fahrattraktionen mit Nervenkitzel Groß und Klein zur Frühjahrs-Dippemess’ auf den Frankfurter Festplatz. In Folge 4 unserer Serie erzählen Karl und Ronny Seifert, Senior- und Juniorchef des letzten Stands, der sich ausschließlich auf den Verkauf von Keramik spezialisiert hat, wie viel „Dippe“ 2018 noch in der Dippemess’ steckt.
Wenn Angst der Grund wäre, nicht auf die Dippemess zu gehen, wie kommt es, dass sich Familien mit Kindern trotzdem hintrauen? Ältere Menschen sind entweder oft einfach weniger aktiv und bleiben daheim oder sie sind häufig so aktiv, dass sie gar nicht die Zeit haben, alles mitzunehmen - und ein Volksfest verliert halt im Laufe des Lebens auch etwas an Attraktion, weil man schon auf genügend war.
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wuerg,
17.09.2018 17:22
Vielen Dank für Ihre Hinweise auf die Zeitungsartikel, die zu lesen zwar schlauer macht, aber leider nicht sehr viel, weshalb ich mich auf die Frankfurter Rundschau im Bistro beschränke. Da kann ich endlose Sportseiten überblättern, ohne sie bezahlt zu haben, jedenfalls nicht direkt.
Daß es kein Riesenrad mehr gibt, hatte ich schon vorher gehört. Personalmangel liegt nahe. Und während unseres Besuches der Dippemess gab ich noch zum besten: Früher hing an jedem Autoscooter ein Schild "Junger Mann zum Mitreisen gesucht". Vielleicht sucht man ihn heute immer noch, findet aber keinen, der für wenig Geld nicht nur während der Fahrt Mädchen beeindrucken will, sondern auch auf- und abbauen kann.
Natürlich gehört die Dippemess wie der Zirkus zu den Vergnügungen mit abnehmender Anziehungskraft, wodurch auch das Angebot dünner wird. Akrobatik verlagert sich in geschlossene Räume mit Bewirtung, Fahrvergnügen in große Freizeitparks, Dippeverkauf ins Internet. Und ich war auch kein guter Kunde. Namenstassen vergangener Jahre und Ehen verstauben im Schrank.
Neben wirtschaftlichen Gründen spielt sicherlich auch Angst eine Rolle. Und sei es nur wegen der vielen Polizisten, die nicht mehr in der Menge untergehen. Möglicherweise leiden ältere Menschen mehr unter dieser Angst oder nutzen sie als Vorwand, nicht mit ihren Enkeln zur Dippemess gehen zu müssen. Davon bleiben auch Ausländer nicht verschont, denn deren Großfamilien sind so gut wie verschwunden. Vielleicht ist es einfach zu teuer.
Daß es kein Riesenrad mehr gibt, hatte ich schon vorher gehört. Personalmangel liegt nahe. Und während unseres Besuches der Dippemess gab ich noch zum besten: Früher hing an jedem Autoscooter ein Schild "Junger Mann zum Mitreisen gesucht". Vielleicht sucht man ihn heute immer noch, findet aber keinen, der für wenig Geld nicht nur während der Fahrt Mädchen beeindrucken will, sondern auch auf- und abbauen kann.
Natürlich gehört die Dippemess wie der Zirkus zu den Vergnügungen mit abnehmender Anziehungskraft, wodurch auch das Angebot dünner wird. Akrobatik verlagert sich in geschlossene Räume mit Bewirtung, Fahrvergnügen in große Freizeitparks, Dippeverkauf ins Internet. Und ich war auch kein guter Kunde. Namenstassen vergangener Jahre und Ehen verstauben im Schrank.
Neben wirtschaftlichen Gründen spielt sicherlich auch Angst eine Rolle. Und sei es nur wegen der vielen Polizisten, die nicht mehr in der Menge untergehen. Möglicherweise leiden ältere Menschen mehr unter dieser Angst oder nutzen sie als Vorwand, nicht mit ihren Enkeln zur Dippemess gehen zu müssen. Davon bleiben auch Ausländer nicht verschont, denn deren Großfamilien sind so gut wie verschwunden. Vielleicht ist es einfach zu teuer.
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wuerg,
03.10.2018 17:58
Noch öder als in Frankfurt ist es wohl im Darmstadt. Dort kann man als Schausteller gar nichts mehr verdienen und muß froh sein, die Standgebühr zahlen zu können. [1] Gründe gibt es viele: Zu teuer für die einfachen Menschen, zu prollig für die Bessergestellten, kein Spektakel. Dazu zunehmend angstbesetzt, obgleich weniger gefährlich als früher, wenn ich daran zurückdenke, daß in meiner Heimatstadt sich zum Jahrmarkt stets deutsche Matrosen und amerikanische Soldaten zu einer Prügelei trafen.
Stimmt der Eventcharakter, auf daß man unbedingt dabeigewesen sein muß, dann fallen Absperrungen mit schweren Betonblöcken gar nicht auf. Im Vorbeigehen meine Bemerkung: Nein, es hat sich nichts verändert! Und ja, es gab sie schon früher mit geringerem Gewicht, um die Autos abzuhalten, vor allem große mit eingebauter Parkerlaubnis für einen kurzen Weg zum privilegierten Aussichtsplatz.
Bis zum nächsten Anschlag geschieht dies alles für die Psyche und das Geschäft. Jeder kann sich mit fünf Kilo Sprengstoff im Rucksack in aller Ruhe eine schönen Stelle aussuchen, um etwa zwanzig Besucher zu töten, die nach Ende der Veranstaltung in alle Richtungen drängen und jeden Polizeieinsatz unmöglich machen. Schon wegen der Panikgefahr muß man die Massen und damit auch den Attentäter laufen lassen.
So war es auf dem Frankfurter Altstadtfest. Nicht nur mit Riesenrad, sondern auch mit Schiffen, von denen man sich eine gute Aussicht auf das Spektakel mit 110 Drohnen versprach. [2] Nun ja, die künstlerische Umsetzung auch dieser Technik steckt noch in den Kinderschuhen. Da macht es nichts, hinter einem Baum neben Johann Wolfgang nur eine Reihe von Logos der Sponsoren gesehen zu haben.
[1] Frank Horneff: "Unterirdische" Bilanz der Darmstädter Herbstmess. Echo, 02.10.2018.
[2] Christoph Manus: Das Konzept hinter der Drohnen-Show. Frankfurter Rundschau, 30.09.2108. Das Bild ist weitgehend gemalt. Kein Publikum, kein Riesenrad, keine Mainschiffe, zu gleichmäßige und zu große Lichtpunkte. Die beigefügte Bildergalerie zeigt die Realität.
Stimmt der Eventcharakter, auf daß man unbedingt dabeigewesen sein muß, dann fallen Absperrungen mit schweren Betonblöcken gar nicht auf. Im Vorbeigehen meine Bemerkung: Nein, es hat sich nichts verändert! Und ja, es gab sie schon früher mit geringerem Gewicht, um die Autos abzuhalten, vor allem große mit eingebauter Parkerlaubnis für einen kurzen Weg zum privilegierten Aussichtsplatz.
Bis zum nächsten Anschlag geschieht dies alles für die Psyche und das Geschäft. Jeder kann sich mit fünf Kilo Sprengstoff im Rucksack in aller Ruhe eine schönen Stelle aussuchen, um etwa zwanzig Besucher zu töten, die nach Ende der Veranstaltung in alle Richtungen drängen und jeden Polizeieinsatz unmöglich machen. Schon wegen der Panikgefahr muß man die Massen und damit auch den Attentäter laufen lassen.
So war es auf dem Frankfurter Altstadtfest. Nicht nur mit Riesenrad, sondern auch mit Schiffen, von denen man sich eine gute Aussicht auf das Spektakel mit 110 Drohnen versprach. [2] Nun ja, die künstlerische Umsetzung auch dieser Technik steckt noch in den Kinderschuhen. Da macht es nichts, hinter einem Baum neben Johann Wolfgang nur eine Reihe von Logos der Sponsoren gesehen zu haben.
[1] Frank Horneff: "Unterirdische" Bilanz der Darmstädter Herbstmess. Echo, 02.10.2018.
[2] Christoph Manus: Das Konzept hinter der Drohnen-Show. Frankfurter Rundschau, 30.09.2108. Das Bild ist weitgehend gemalt. Kein Publikum, kein Riesenrad, keine Mainschiffe, zu gleichmäßige und zu große Lichtpunkte. Die beigefügte Bildergalerie zeigt die Realität.
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wuerg,
13.12.2018 13:05
Nach Dippemess und Drohnenschau schon wieder Weihnachtsmarkt. Ich habe mich nur am Rande eines Ausläufers aufgehalten, und schon kamen mir zwei Polizisten entgegen, einer mit Maschinengewehr. Nein, wir lassen unser Leben nicht vom Terror leiten, wir bleiben bei unserem unbeschwerten Alltagsleben! Nein, es hat sich nichts geändert!
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