Hetzjagd
Jeder normale Mensch kennt den Unter­schied zwischen jagen und verjagen, auch zwischen einer normalen und einer Hetz­jagd, bei der das Opfer verfolgt wird, bis es in die Enge getrieben oder erschöpft ist. Wer so jung ist, dies nicht mehr zu wissen, der sollte seinen Blick über den Rand von Face­book und Twitter Richtung Wiki­pedia schweifen lassen.

Jeder normale Mensch kennt auch den Unter­schied zwischen eine realen Jagd auf Menschen und Tiere, der Jagd nach dem Glück und der geistigen Jagd mit dem Ziel, Denk­gebäude anderer einzu­reißen, ohne sie zu schika­nieren oder körper­lich zu beein­träch­tigen. Zu dieser Jagd hat die AfD aufge­rufen. Dabei kommt es auf beiden Seiten, vom Jäger und vom Gejagten zu beschä­menden Über­trei­bungen.

Wenn man in einer geistigen oder poli­tischen Ausein­ander­setzung gerade mit dem Arsch an der Wand steht, sollte man erwägen, klein­laut stehen zu bleiben, viel­leicht ein Ofer darzu­bieten oder notfalls die Waffen zu stecken, statt unter Getöse den Angreifer noch ein letz­tesmal abzu­wehren, um dann an der nächsten Ecke wieder gestellt zu werden. Am Geldau­tomatem mit Syrern im Rücken sieht das anders aus.

Wir alle wissen, daß es am Rande von Demon­stra­tionen und Menschen­aufläufen zu Gewalt­taten, zu Panik und auch Toten kommen kann, zumeist durch Herz­kasper und Unfälle. In Chemnitz aber war trotz Handy-Seuche nur einziges Filmchen in Sekunden­länge zu sehen, weshalb die Bundes­regie­rung zumin­dest einen spon­tanen Auflauf als Hetz­jagd einstufte. Das war mit dem Arsch an der Wand dumm, weil nur die immer weniger werdenden Jünger einen solchen Schwach­sinn glauben. [1,2]

Und nun ist es passiert: Auch der "sprach­lose Schwätzer" [3] Kretschmer, der beim Bürger­gespräch durch verle­genes Auswei­chen und bei Anne Will durch freche Bevor­mun­dungen auffiel, hat zuge­geben oder besteht sogar darauf, daß es in Chemnitz "keinen Mob, keine Hetz­jagd und keine Pogrome" gab. Natür­lich im Verein mit Beschimp­fung von Rechten, Relati­vierung von Chemnitz auf ganz Deutsch­land und Auffor­derung an die auf seiner Seite gewähnte schwei­gende Mehr­heit. Mit dem Arsch an der Wand müssen eben Opfer gebracht werden, auch wenn sie Merkel heißen.

[1] Henryk M. Broder: Chemnitz: Die Regie­rung leistet einen Offen­barungseid. Achgut, 05.09.2018. Darin wird Herr Seibert zitiert: "Ich werde hier keine seman­tische Debatte führen. Wenn die General­staats­anwalt­schaft das sagt [keine Hetz­jagd], dann nehme ich das natür­lich zur Kenntnis." Und wenn Herr Broder in Zukunft nicht nur seine elektro­nische Post klein schreibt, dann kann ich ihn nicht mehr lesen. Das ist ja schlimmer als Stern, Unter­strich und Binnen­versalien zusammen!
[2] Am schmie­rigsten fand ich den beleh­rend menschen­deln Lanz, der noch nicht die Sprache gefunden hat, gewisse Dinge zu artiku­lieren und es nicht für möglich hielt, daß Ausländer über eine vier­spurige Straße getrieben werden. Gut, einer wurde in einem sehr weiten Sprach­sinne auf eine(r) mehr­spurige(n) Fahrbahn gejagt. Nur hat ihn keiner verfolgt, und alle standen auf der Straße, die deshalb nicht befahren wurde.
[3] BRODER ÜBER SACHSENS REGIERUNGSCHEF: "Der Mann ist ein sprach­loser Schwätzer" Welt, 30.08.2018.

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