Altachtundsechziger
Wenn Höcke von versifften Altacht­undsech­zigern spricht, dann meint er damit nicht nur welt­fremde Linke der sechziger Jahre, die in gamme­liger Klei­dung umher­liefen und keinen produk­tiven Beitrag zu unserer Gesell­schaft leiste­ten. Wenn der mir auf den Wecker gehende Konstan­tin auf links­grünver­siffter altacht­undsech­ziger Gutmensch erhöht, obwohl es damals weder Grüne noch Gutmen­schen gab, dann entlarvt sich der Altacht­undsech­ziger als Wort­hülse. Und wenn dazu Slomka dem die konser­vative Revolu­tion ausru­fenden Dobrindt vorwirft, sich an den Altacht­undsech­zigern abzuar­beiten, dann fragt man sich schon, was ein Altacht­undsech­ziger denn ist, ob er vornehm­lich als Witz­figur taugt, die nur noch erinnert wird, weil der aktu­elle linke Main­stream bedeu­tungs­loser Neun­undacht­ziger ohne theore­tische Hinter­lassen­schaft geblieben ist.

Für mich ist ein Altacht­undsechs­ziger stets das gewesen, woran ich knapp vorbei­gerutscht bin. Er hat 1968 studiert, wurde also um 1945 geboren und glaubte an die Weltrevo­lution. Leider bin ich etwas jünger und war nur Lehr­ling. Ich darf mich aber ohne den Zusatz "alt" als Achtund­sechziger sehen, weil wir Seit an Seit mit den Studenten den Kampf gegen das Estab­lishment geführt haben und ich mich nicht scheue, die Umbrüche dieser Zeit nach dem Jahr 1968 zu bezeichnen. Manche mögen meinen, 67 sei richtiger, alles habe noch viel früher begonnen, Studenten­bewegung oder gar -revolte sei die bessere Bezeich­nung, wenn nicht mit Protest­bewegung auch den Prole­tariern Rech­nung getragen werden soll.

Wenn heute über die damaligen Zeiten gesprochen wird, dann zumeist von Leuten, die deut­lich jünger sind, eher aus der Genera­tion 89, die es eigent­lich nur wegen der 180-Grad-Dre­hung der 68 gibt. Sie bestehen aus minde­stens zwei Gruppen: Den sog. Rechten, die sich selbst als Pragma­tiker sehen, und den Linken mit dem Arsch an der Wand, denen es gewalt­bereit und ohne geistige Ergüsse eigent­lich nur um sich selbst ging. Beide haben den Marsch durch die Institu­tionen hinter sich. Einige wurden wie Dobrindt konser­vative Revolu­tionäre, andere sind vom Baumhaus an der Startbahn in eine Altbau­wohnung gezogen und bilden den linken Main­straem, die meisten blieben herzlich desinter­essiert. Mit der Gene­ration Prak­tikum wird nichts besseres nach­kommen.

Die Generation 89 ist gerechte Folge der Achtund­sechziger. Nach ihrem Jahr­zehnt des Protestes gegen den Vietnam­krieg, die Notstands­gesetze, das System, die Unter­drückung war der Geist der west­lichen Welt ein anderer. Doch schon nach einem weiteren Jahr­zehnt der Gewalt waren in den acht­ziger Jahren viele auf ihrem Marsch durch die Insti­tutionen angekommen und zogen eine Gene­ration von Hedo­nisten mit Tisch­tennis­abitur, Basis­note zwei und Golf heran. Die Mehrheit völlig unpo­litisch, eine linke Minder­heit selbst­verliebt und gewalt­bereit. Wer heute von seiner linken Vergan­genheit faselt, ist zumeist kein achtund­sechziger Besser­wisser im Renten­alter. Er muß noch zehn bis zwanzig Jahre arbeiten, und vergessen sind die Zeiten seines Wider­standes, den man heute eher Life­style nennen würde.

Ich bin froh, deutlich älter zu sein. Wir haben uns damals für vieles begei­stert, daran geglaubt und auch einiges verän­dert. Nicht alles wendete sich zum Guten. Wir haben den Schah von Persien verachtet. Es brachte uns Khomeini und den heutigen Iran. Wir hatten jede Woche im Spiegel verfolgt, was Che Guevara in den boli­viani­schen Wäldern voll­brachte. Heute wissen wir, es war nichts. Wir glaubten an das jugo­slawi­sche Modell. Heute wissen wir, daß es keine Jugo­slawen gibt. Wir schmierten Wände gegen die Notstand­gesetze voll. Und heute weiß keiner mehr, in welchem bedeu­tungs­losen Gesetz sie unter­kamen.

Auch damals mußte man nicht alles mit­machen, ich jeden­falls nicht. Als Biafra unab­hängig werden wollte, überwogen meine Zweifel an der Redlich­keit. Die sexu­elle Revolu­tion ging an mir vorüber und erbrachte über­zogene sexuelle Früh­erzie­hung bis hin zur Pädo­philie der Altgrünen, um den Zusatz "alt" wieder einmal abwer­tend zu verwenden. Und man mußte nicht Gewalt gut­heißen, die im Namen des Klassen­kampfes ausgeübt wurde, von klamm­heim­licher Freude ganz zu schweigen. Auch für gemeine Laden­diebe, die offen mit ihrer System­schädi­gung prahlten, hatte ich kein Verständ­nis. Sie waren nur zu feige, Kauf­häuser anzu­zünden, wie es in Frank­furt vor genau 50 Jahren am 2. April 1968 geschah.

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Als ich letzten Donnerstag aus der Toilette kam, sah ich an der Wand ein Bild, auf dem ich Rudi Dutschke zu erkennen glaubte. Wer ähn­lichen Ausse­hens hätte sonst dort hängen können. Am Grün­donners­tag, den 11. April des Jah­res 1968 wurde er ange­schossen. Es folgten Unruhen mit zwei Toten. Sechs Tage später, heute vor 50 Ja­hren starb Klaus Frings an den Folgen eines Stein­wurfes, einen Tag darauf Rüdiger Schreck nach einem Schlag mit einer Börner-Latte. [1] Es ist durch­aus möglich, daß beide Todes­fälle auf das Konto von Poli­zisten gingen, die Pflaster­steine auch zurück­warfen und kräftig zuschlu­gen. Daran sollte sich erin­nern, wer heute von Polizei­terror faselt.

[1] Es war über 10 Jahre später als Holger Börner von Demon­stranten bedrängt sagte, früher auf dem Bau hätte man das mit einer Dach­latte erledigt.

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