Rote Bärte
In der Regel hatten die Germanen rote Bärte. Trotzdem habe ich lange Zeit nur wenige gesehen. Vielmehr schienen alle Männer Terro­risten oder Hipster mit schwarzen Haaren und schwarzem Bart sein zu wollen. Ich kann nicht glauben, daß allein die kultu­relle Berei­cherung mein Klein­hirn zu diesem Eindruck verlei­tete. Vor allem die Werbung hat dazu beige­tragen. Weniger die mageren drei Prozent deut­scher Männer, die sich die Haare färben. Und ganz sicher wurde mein Eindruck durch die gestie­gene Anzahl der Bärte beein­flußt. Die müssen nicht gefärbt sein. Es reicht, wenn nur die Schwarz­haarigen sich einen wachsen lassen, wie nur die Langpim­meligen sich bei "Naked Attrac­tion" bewerben.

Warum schreibe ich das? Weil ich nicht als Prophet gelte, wenn ich eine Mode mitmache, sondern sie vorher­sage: Männer werden sich auch im Gesicht wieder rasieren. Und wenn sie es nicht tun, dann darf der Bart auch wieder rotsti­chig sein. Meine Erwar­tung grün­dete sich zunächst auf die wach­sende Zahl der Rotbarte in der Werbung. Selbst rote Haare waren wieder dabei. Und diese Woche habe ich mir die Gesichter realer junger Männer ange­sehen: Kaum einer trägt noch einen Vollbart, und der ist oftmals nicht mehr schwarz. Bald gibt es wieder gut rasierte Blonde, auch wenn unser Deniz sie für blöd hält. Viel­leicht auch rot behaarte Säcke bei "Naked Attraction".

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Rasieren ist ein auf und ab,
um das Thema mal auszuweiten: Zur Zeit ist ja die Ganzkörperrasur total hipp. Gleichzeitig gibt es aber auch schon Gegenbewegungen. Madonna war eine der ersten Damen, die sich nicht mehr unter den Achseln rasierten, der Fachmann spricht auch vom Achselbusch. Auch der andere Busch, weiter unten, ist wieder im kommen. Es soll Pornoseiten geben, die sich speziell auf Frauen mit Busch bzw. Büschen konzentrieren. Hat man mir gesagt, ich kenne mich da überhaupt nicht aus.

Und wenn wir mal weit zurückgehen: Die alten Römer rasierten sich, die Germanen nicht. Wer hat auf Dauer überlebt?

Gehen wir noch weiter zurück: Bereits die alten Ägypter rasierten sich am ganzen Körper, inklusive Haupthaar. Sie setzten stattdessen (Achtung!) rote Henna-Perücken auf. Und die Pharaonen klebten sich Bärte an ihre ganzrasierten Körper. Sollte ihnen wohl Autorität verleihen. Ob die rot waren, weiß man nicht, aber wahrscheinlich. Ob auch Kleopatra so einen Bart hatte? Die war übrigens Griechin und stammte aus einer Dynastie griechischer Eroberer-Pharaonen. Ob die rote Haare hatten? Zumindest waren die Griechen überzeugt, von den Thrakern abzustammen, und die hatten rote Haare.

Hoffe ich habe nicht gelangweilt mit meinen umfassenden Bart- und Busch-Kenntnissen.

Gruß, Pommes
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Allgemeine Vorstellungen der Menschen von Schönheit schwanken natür­lich sehr stark in der Raum­zeit. Wo der gesell­schaft­liche Druck schwach ist, können insbe­sondere bei der Behaa­rung persön­liche Vorlieben ausge­lebt werden. Dazu müssen die meisten nur sich selbst anschauen. Als Schüler hatte ich straff nach hinten gekämmte und gefet­tete Haare, weil es weit­gehend so üblich war. In meinen Revo­lutiuons­jahren ließ ich das Fett weg und die Haare bis zur Schulter wachsen. Nur kurze Zeit später sah ich aus wie Bertolt Brecht. Lange Zeit hatte ich auch einen Vollbart, den ich nur alle drei Monate beim Friseur stutzen ließ, denn eines kam für mich nicht infrage: Doppel­belastung durch Rasur und Bart­pflege. Seit vielen Jahren trage ich keinen Bart mehr. Und nachdem ich mich einmal ordent­lich geschnit­ten hatte, habe ich auch die Naß­rasur aufge­geben. So wird es bleiben. Haare auf dem Kopf habe ich noch, weil die blöden Hell­haari­gen [1] nicht zu Vollglatzen neigen. Um die üppig wachsen­den Augen­brauen und Haare in den Ohren kümmert sich der Friseur. Gelegent­lich müssen die mit zuneh­menden Alter aus der Nase wach­senden Haare gestutzt werden. Der Rest bleibt dran, denn auf den Zähnen habe ich keine.

Niemals in den Sinn käme mir eine Hühner­brust oder gar eine Täto­wierung. Auch die Sack­haare bleiben dran. Nur einmal ließ ich eine Frau ein kleines Stück entfernen, damit ihr Chef die Kastra­tion durch­führen konnte. Ekel­haft finde ich nicht einzelne Menschen, wenn sie nicht gerade als schwanz­gepiercter Nackt­mull [2] bei "Naked Attrac­tion" im Plastik­käfig stehen, sondern massen­haftes gleich­geschal­tetes Nach­laufen modischer Erschei­nungen. Eine Zeit lang war es der sidecut genannte Nazi­haar­schnitt, der Segel­ohren so schön zur Geltung bringt und mich an meinen Deutsch­lehrer erinnert. Nicht tot zu kriegen sind sog. Dreitage­bärte, die Frauen­herzen höher schlagen lassen, gleichwohl sie nicht nur die Bett­wäsche durch­scheuern. Und in letzter Zeit sind es die schwarzen Voll­bärte. Ohne Horn­brille, Turn­schuhe und Fixie, imitieren sie einen Nafri oder Terro­risten, die bei den Frauen noch besser anzu­kommen scheinen als der Drei­tagebart.

Glücklicherweise gehen diese Zeiten ihrem Ende entgegen. Es wird wieder eine gesunde Mischung geben. Nicht alle Waxing-Studios, Tätowier-Höhlen und orien­tali­schen Männer­friseuere werden verschwinden, auch Sonnen- und Nagel­studios wird es weiterhin geben. Doch wer sie meidet, wird nicht mehr auto­matisch als unge­pflegt oder gestrig gelten. Einige lassen sich wieder überall die Haare wachsen, stehen sogar darauf oder leben schon lange unter der Bären­flagge. [3] Daß man Achsel­haare als Achsel­busch bezeich­net, ist mir neu. Auch haben meine nicht die Ausmaße eines Busches. Natür­lich kenne ich diese Bezeich­nung für die weib­liche Scham­behaarung auch von Demon­stran­tinnen gegen George W. Bush. In meiner Jugend hieß der Busch Bär. Daran erinnert mich ein Witz: Welcher Bär springt am höch­sten? Der von Ulrike Mey­farth. [4]

[1] Deniz Yücel: Blond, blöd, gewalttätig. Taz, 21.05.2014. Die Über­schrift hat ein unbe­kannter Redak­teur vorange­stellt.
[2] Nadia Wattad: Mulle groß in Mode. "Du und das Tier" 04/2107.
[3] Die Interna­tional BärenFlagge. Auch nicht gerade schön, aber konsequent.
[4] Erst wollte ich den geneigten Leser die Antwort bei Google suchen lassen. Doch findet er dort zumeist nur eine billige Kopie mit Heike Henkel, die es nicht in mein Gedächt­nis schaffte. Diese Ehre gebührt Ulrike Mey­farth, der ein­zigen Sport­lerin, die mir neben Steffi Graf spontan ein­fällt.

Selektive Wahrnehmung | Nafri | Feuerbärte

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