Null
Die Null ist sicher­lich eine sehr interes­sante Zahl. Sie steht für nichts und damit für etwas, eigent­lich für das erste, von dessen Existenz ich aus­gehen kann, wenn ich von meiner eigenen Person absehe. Es gibt also etwas und nicht nichts. [1]

Immer wieder wird behauptet, die Null sei irgendwo in Indien erfunden worden und dann über die Araber nach Europa gekommen, obwohl es nichts oder keins sicher­lich schon ewige Zeiten gab. Gemeint ist die Ziffer 0, also die Verwen­dung eines eige­nen Symbo­les für das Feh­len eines Ziffern­zeichens, wo zuvor besten­falls Leer­raum gelassen oder ein Platz­halter notiert wurde. Eine rich­tige Zahl Null als Rechen­größe oder Ergän­zung der natür­lichen Zahlen, soll es selbst bei den Baby­loniern weder sprach­lich, noch als allein­ste­hende Ziffer, noch als null­stel­lige Ziffern­folge gegeben haben. [2] Die Römer umgingen dieses Problem durch die Verwen­dung verschie­dener Zeichen für die verschie­denen Stellen. Griechen und Juden waren mit ihrer Darstel­lung von Zahlen durch Buch­staben noch schlechter und beför­derten dadurch die aber­gläubi­sche Unsitte, Wörter als Zahlen und Zahlen als Wörter oder gar Namen zu inter­pre­tieren.

Es mag uns heute unverständlich erscheinen, warum in einem schon vorhan­denen Posi­tionssystem die Leer­stellen nicht schon sehr früh mit einem unschein­baren Zeichen, zum Beispiel einem Punkt gekenn­zeichnet wurden. Doch denke man nur an das Leer­zeichen. Lange Zeit ließ man gar keinen Freiraum zwischen den Wörtern. Solange man mit der Hand schrieb, hatte man einen sinn­vollen Abstand im Griff. Ob mit Spatien gesetzt oder mit Leer­taste und Tabu­lator maschi­nell geschrieben, beim Lesen gab es keine Probleme. Mit der Daten­verar­beitung ploppten sie aber dank sich nicht vom Hinter­grund abset­zender Leer­zeichen hervor: Falsche Zeilen­einzüge, beschissen ausse­hender Block­satz, häß­lich gesperrte Wörter, inkon­sistente Tabu­lator-​Expansion.

Drucker produzieren heute kaum noch Freizeilen, das CR‑LF-​Problem tritt aber immer wieder auf. Auch scheitert selbst teure Software manchmal an Umlauten. Wer hier bei blogger.de nicht nur liest oder ein paar Absätze schlichten Textes schreibt, sollte eigent­lich ein Lied davon singen können, wenn Frei­zeilen einge­fügt werden, die normaler­weise nur der Glie­derung des Quell­textes dienen. Unsere Vorfahren konnten Leer­stellen nicht durch Text­markie­rung hervor­heben, sie hatten auch kein karier­tes Papier, keine festen Bild­schirm­posi­tionen, die früher auch gerne markiert wurden, wie heute auf Personal­ausweisen < ein Leer­zeichen ersetzt.

Anders als zu den natürlichen Zahlen berichtet die Wikipedia nicht bereits in der Einlei­tung, durch welche Zahlen die Null einge­rahmt wird und daß sie sowohl eine Quadrat- als auch Kubik­zahl, aber keine Prim­zahl ist. [3] Dafür steht ganz vorne, sie sei die Kardi­nalität der leeren Menge, also die Anzahl ihrer Elemente. Andere würden sagen, die Null sei die durch Bijek­tion gegebene Äqui­valenz­klasse aller Mengen, die zur leeren Menge gleich­mächtig sind. Oder einfach 0={}. Alles schöne Vor­schläge, einfache und seit ewigen Zeiten bekannte Dinge durch recht neumodi­schen Kram wie Mengen­lehre zu begründen oder zu verein­nahmen.

Und weiter mit der Wikipedia: „Die Null ist das neutrale Element der Addition in vielen Körpern, wie etwa den ratio­nalen Zahlen, reellen Zahlen und kom­plexen Zahlen, selbst wenn andere Elemente nicht mit gängigen Zahlen identi­fiziert werden.“ Was soll uns das sagen? Daß es auch Körper über die genannten hinaus mit ungän­gigen Zahlen gibt oder die kom­plexen größten­teils keine gän­gigen Zahlen sind? Warum nicht einfach: Die Null ist das neu­trale Element der Addi­tion ganzer Zahlen und ihrer Erweite­rungen. Nicht nur in gän­gigen Körpern, sondern in allen Struk­turen mit additiv geschrie­bener zwei­stel­liger Verknüp­fung nennt man ein (eindeutiges) neutrales Ele­ment eine (die) (Links-,Rechts-)Null, ohne die Zahl Null sein zu müssen. [4] Schreibt man die Verknüp­fung multi­plikativ, so nennt man das neu­trale Element Eins. Mehr steckt nicht dahinter.

Wer die Eins für eine Primzahl hält oder gar aus esote­rischen Gründen zwei und drei aus­schließt, könnte auch die Frage stellen, ob denn die Null prim oder zusammen­gesetzt sei. Ist die Null prim, weil sie keine Einheit und wie die posi­tiven Prim­zahlen nicht Produkt zweier kleinerer natür­licher Zahlen ist? Ist sie keine Prim­zahl, weil sie nicht genau zwei Teiler hat? Und wieviele Teiler hat die Null über­haupt? Wegen 0·n=0 unend­lich viele, also mehr als zwei, obwohl die natür­lichen Zahlen doch null­teiler­fremd sind. Ist sie deshalb zusammen­gesetzt, oder zählt eine Multi­plika­tion mit sich selbst nicht? Müßte dann nicht auch bei allen posi­tiven Prim­zahlen p die Zerlegung 1·p=p außen vor bleiben, womit p gar keine (echten) Teiler hätte? Gehört die Null einem vierten Geschlecht an, da sie weder prim, noch zusammen­gesetzt, noch eine Einheit ist? Im Bereich der natürlichen Zahlen nicht, weil die Null keine ist und die Frage nach ihrer Prima­lität sich gar nicht stellt. [5] Einige mögen das anders sehen. Dann muß man die Begriff­lich­keiten abgleichen. Mit Außer­irdischen wird das gelingen, mit modernen Sprach­gouver­nanten nicht unbedingt.

[1] George Englebretsen: Sommers' proof that something exists. Notre Dame Journal of Formal Logic 16, 1975.

[2] Ein Problem, das sich noch heute bemerkbar macht, weil Zahlen normaler­weise ohne führende Nullen geschrie­ben werden, es bei der 0 selbst aber nicht geht, auch nicht bei den Ameri­kanern, die eine 0 vor dem Dezimal­punkt weglassen. Das führt zum Bei­spiel dazu, daß in der OEIS die Folge A002275 der Einser­kolonnen (Schnaps­zahlen aus Einsen, repunits) nicht mit 111, nicht mit 11 und auch nicht mit 1 beginnt, sondern (zum Spaß?) mit 0, der 0‑fachen Wieder­holung der Ziffer 1 oder (10−1)/9 für n=0.

[3] Erst weiter unten ist in unerwarter Genauig­keit zu lesen: „Als ganze Zahl ist die Null Nachfol­gerin der Minus‐Eins und Vorgän­gerin der Eins.“ Eine völlig witzlose Infor­mation, doch wenig­stens mit Rück­sicht darauf, daß die Null als nicht-​nega­tive ganze Zahl keinen Vor­gänger hat. Und im Anschluß weitere uner­wartete Eigen­heiten der Null: „Auf einer Zahlen­geraden trennt der Null­punkt die posi­tiven von den nega­tiven Zahlen. Die Null ist die einzige reelle Zahl, die weder posi­tiv noch nega­tiv ist. Die Zahl Null ist gerade.“

[4] Wie im täglichen Leben kann es durchaus sehr viele Nullen geben.

[5] The On-Line Encyclopedia of Integer Sequences. Natür­liche Zahlen A000027 und nicht-​nega­tive ganze Zahlen A001477.

1 | Minus 0 | Jahr 0 | 00 | Unterstrich

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