Chien-Shiung Wu
Wer sich über die Physikerin Chien-Shiung Wu infor­mieren will, kann ein Lexikon zur Hand nehmen oder in der Wiki­pedia lesen. Hier erwähne ich sie, weil sie in einem aktuellen Artikel als siebte von elf Frauen gelistet ist, deren Ruhm Männer ernteten. [1] Es soll nicht geleugnet werden, daß Frauen bis in die Gegen­wart benach­teiligt werden. Und ganz sicher sind viele vergessen, weil ihre Ent­deckun­gen von Männern publi­ziert, wieder­entdeckt, paten­tiert oder gestohlen wurden. Doch das haben sie nicht nur mit Frauen, auch mit anderen Männern gemacht. In der Wissen­schaft sind es weniger die Femi­nisten, sondern die Wissen­schaftler selbst, viel­leicht beson­ders die weib­lichen unter ihnen, die zur Würdi­gung vergan­gener und aktu­eller Lei­stungen beitragen. [2]

Im Falle von Chien-Shiung Wu besteht das Unrecht nur in der Verlei­hung des Nobel­preises im Jahre 1957 an Tsung-​Dao Lee und Chen Ning Yang, die eine Paritäts­verletzung für möglich hielten, die im Jahre 1956 von Chien-​Shiung Wu nachge­wiesen wurde. Mehr als heute ging damals ein Nobel­preis an die Theore­tiker, aber nur wenn ihre Theorie bestä­tigt wurde. So erhielt Stephen Hawkings keinen. Albert Einstein auch nicht für die Relati­vitäts­theorie. Das mag man der allge­meinen Ungerech­tigkeit des Nobel­komitees zurechnen, insbe­sondere gegen­über Frauen.

Es ist aber keines­wegs so, daß Chien-​Shiung Wu ver­gessen ist. Ich habe ein Buch über Elementar­teilchen aus dem Regal gezogen. [3] Auf Seite 543 ist zu lesen: „Yang und Lee konnten aber belegen, daß bei diesen Erfah­rungen bzw. Prüfungen auf Spiegel­symmetrie die Prozesse der Schwa­chen Wechsel­wirkung (v.a. die β‑Radioak­tivität) noch nie genauer betrachtet worden waren. Sie konnten auch reali­sierbare Experi­mente vor­schlagen, um diese Lücke zu schließen. Allein für diese quali­fizierte Anzwei­felung einer vermeint­lichen Selbst­verständ­lichkeit oder eines Denk­verbots erhielten die beiden schon 1957 den Nobel­preis ‒ gleich nachdem die Experi­mente von C.S. Wu ihnen Recht gegeben hatten.“

Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob Wu nur eines der von Lee und Yang vorge­schla­genen Experi­mente durchge­führt hat. In jedem Falle ist ihr Name in etwas geblieben, was weit mehr erinnert wird als ein Nobel­preis, nämlich dem Wu‑Expe­riment. Und so folgen der kurzen Erwähnung der Betei­ligten zwei volle Seiten unter der Über­schrift „Das Wu‑Expe­riment: β⁻‑Strah­len werden bevor­zugt entgegen der Spin­richtung ausge­sandt“.

Auch im geschicht­lichen Abschnitt zur Paritäts­verlet­zung habe ich nichts von deren Entdeckung bereits im Jahre 1928 gefunden. Die Wiki­pedia behauptet, dies sei damals als Meßfehler abgetan worden. Es wäre doch eine schöne Aufgabe der Gerechtig­keits­forschung, diese Behaup­tung genau zu beleuchten, wenn es nicht bereits geschehen ist. Wahr­schein­lich wurde hier ein Mann um die Würdi­gung seiner Leistungen gebracht, wie viele vor ihm, die etwas entdeckten, für das die Zeit noch nicht reif war oder was schlicht in Verges­senheit geriet. Die meisten kennen wir sicher­lich nicht.

[1] Jessica Samakow: Diese 11 Frauen haben Bahn­brechendes geschafft ‒ den Ruhm ernteten Männer. Huffington Post, 31.03.2018. Link inzwischen ungültig.

[2] Wendland, Werner (Hrg.): Facettenreiche Mathematik. Vieweg+Teubner, 2011.

[3] Jörn Bleck-Neuhaus: Elementare Teilchen. Springer Spektrum, 2. Auflage 2013.

Jocelyn Bell Burnell | Lise Meitner | Rosalind Franklin

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