Damm-Schnitt
Gestern waren Damm-​Quer­schnitte zu konstru­ieren. Mit beiden Wörtern, Damm und Quer­schnitt, wußte meine Tochter nichts anzu­fangen. Wer genau wissen möchte, was damit gemeint war: Gleich­schenklige Trapeze. [1] In Teilauf­gaben a bis c war der Damm stets aus drei der fünf Größen Damm­sohle, Damm­krone, Damm­höhe, Böschungs­länge und Böschungs­winkel zu konstru­ieren. Wer meint, diese Begriffe würden sich Acht­kläßlern aus der Schuh­sohle und der Königs­krone, notfalls aus der Abbil­dung im Buch erklären, hat allen­falls jüngere Kinder. Und was konstru­ieren bedeutet, ist wahr­scheinlich auch dem Lehrer nicht klar. Darüber lasse ich mich später einmal aus. Hier soll es nur um den affen­geilen Teil d der Aufgabe gehen:

 Argumentiere, warum stets drei Bestimmungsstücke
 für die Konstruktion eines Dammes ausreichen.

Offensichtlich wollen die Schulbuch­autoren damit ihre fachliche Kompe­tenz beweisen oder Hoch­begabten auch noch einen Anreiz bieten. Ich habe gar nicht mehr versucht, meiner Tochter eine allge­meine Über­legung nahezu­legen, die auch in anderen Fällen gut funk­tio­niert, sondern nur „argumen­tiert“, wie die Anzahl 3 aus schon bekann­ten Behaup­tungen ableitbar ist, zumal zuvor ja schon mit den Kongruenz­sätzen für Dreiecke genervt wurde:

Für ein allgemeines Dreieck sind drei Bestim­mungs­größen erfor­derlich, für ein gleich­schenk­liges nur zwei. Ein Damm-​Quer­schnitt entseht durch waage­rechtes Abschneiden der Spitze in einer gewissen Höhe. Es kommt also wieder eine Bestim­mungs­größe hinzu. Damit sind es drei für den Damm-​Quer­schnitt.

Da moderne Schüler auch Lösungs­hefte (in Kopie) besitzen, hat mich die Antwort darin doch inter­essiert. Ich zitiere aus der Erin­nerung:

 Ein Damm-Querschnitt ist ein achsensymmetrisches
 Viereck und benötigt deshalb drei Bestimmungsstücke.

Eine solche Antwort erwarte ich von einer Gouver­nante, nicht von einem Mathe­matiker. Zum einen werden drei Frei­heits­grade für ein achsen­symme­tri­sches Viereck als bekannt voraus­gesetzt. Zum anderen wird nicht erklärt, noch nicht einmal behauptet, daß alle achsen­symme­trischen Vierecke (ohne Punkte auf der Achse!) Damm-​Quer­schnitte sind.

Und wie kommt man darauf, daß ein achsen­symmetri­sches Viereck drei Bestim­mungs­stücke benö­tigt? Weil es ein Damm Querschnitt ist? Ha ha! Das würde ich Schul­buch­autoren zutrauen. Und wieviele Frei­heits­grade sind es für allge­meine Vierecke? Es sind fünf. Und warum ver­nichtet die Symme­trie zwei davon? Bei Dreicken geht durch Symmetrie doch auch nur einer verloren. Wenn das Unter­richts­fach Mathe­matik und nicht Anschau­ungs­lehre heißt, dann halte ich eine allge­meine Ableitung für ange­bracht.

Ein ebenes n‑Eck ist durch die Lage seiner n Ecken bestimmt. In der Ebene hat jede Ecke zwei Koordi­naten, womit 2n Freiheits­grade ent­stehen. Da jedes n Eck noch in zwei Richtungen ver­schoben und dazu gedreht werden darf, sind im allge­meinen 2n−3 Bestim­mungs­größen erfor­der­lich und aus­rei­chend. Beim Dreieck sind es 2·3−3=3 und beim Viereck 2·4−3=5.

Bei n-Ecken mit Symmetrie­achsen kann man sich bezüg­lich Ver­schie­bungen und Dre­hungen leicht irren. Deshalb zunächst auch für allgemeine n‑Ecke eine meines Erach­tens ein­fachere Über­legung: Der erste Punkt kann auf den Ursprung eines carte­sischen Koor­dinaten­sytems gelegt werden. Er hat keinen Freiheitsgrad. Der zweite mit einem Freiheitgrad auf die x‑Achse und die übrigen n−2 mit jeweils zwei Frei­heits­graden völlig beliebig. Das ergibt wieder 0+1+(n−2)⋅2​=2n−3.

Ähnlich kommt man auch auf die Frei­heits­grade bei einer Symme­trie­achse. Die sei einfach die y‑Achse. Ein allge­meines n‑Eck kann keinen, einen oder zwei Punkte auf der y‑Achse haben, denn mit dreien oder mehr ist es schon ein über die einfache Symmetrie hinaus spe­zielles. Drei Fälle:

Keine Ecke auf der Symme­trie­achse: Die Ecken 2i−1 und 2i für i=1,…,n/2 (n muß gerade sein!) liegen symme­trisch zuein­ander. Die ersten beiden Ecken auf der x‑Achse mit einem Frei­heits­grad, die übrigen n/2−1 Paare frei in der Ebene mit zusam­men jeweils zwei Frei­heits­graden. Insgesamt sind es 1+(n/2−1)⋅2=n−1.

Eine Ecke auf der Symme­trie­achse: Diese kommt ohne Frei­heits­grad in den Ursprung. Die übrigen Ecken 2i und 2i+1 für i=1,…,(n−1)/2 (n muß unge­rade sein!) haben paarweise zusam­men je zwei Frei­heits­grade. Insge­samt sind es wieder 0+((n−1)/2)⋅2=n−1.

Zwei Ecken auf der Symme­trie­achse: Die erste im Ursprung ohne Frei­heits­grad, die zweite auf der y‑Achse mit einem, und wieder die Ecken 2i+1 und 2i+2 für i=1,…,(n−2)/2 (n muß gerade sein!) als Paare mit gemeinsam zwei Frei­heits­graden Zusam­men erneut 0+1+((n−2)/2)⋅2=n−1.

In jedem Falle sind es für ein n‑Eck mit einer Symme­trie­achse n−1 Frei­heits­grade. Das kann man sicher­lich auch ohne Fall­unter­schei­dung exakt bewei­sen. Die Über­legung ist einfach: Ein Punkt auf der Symme­trie­achse hat einen Frei­heits­grad, ein Punkte­paar außerhalb zwei. Das ist ein Frei­heits­grad pro Punkt. Und einer geht ab für die Ver­schie­bung längs der Achse.

Für n=3 sind es also zwei Bestim­mungs­stücke, zum Beispiel Höhe und Basis eines gleich­schenk­ligen Drei­eckes. Für n=4 sind es die bereits behaup­teten drei. Im Falle zweier gespie­gelter Punkt­paare (gleich­schenke­liges Trapez) kann es neben den beiden Abstän­den von der Achse die Entfer­nung der beiden Ver­bin­dungs­linien sein, also der Abstand von Sohle und Krone. Bei zwei Ecken auf der Achse (Drachen [2]) bestimmen die vier Abstände der Ecken vom Schnittpunkt der Diagonalen das Viereck. Zwei sind gleich, also drei Bestimmungsgrößen.

Mit einer Symme­trie­achse büßt ein n‑Eck also (2n−3)−(n−1)​=n−2 Frei­heits­grade ein. Das Dreieck einen von 3 auf 2, das Viereck zwei von 5 auf 3.

[1] Warum Damm-​Schnitte oder gar ganze Dämme auf beiden Seiten den gleichen Böschungs­winkel aufwei­sen, erschließt sich einem normal denkenden Menschen nicht. Und wenn See­deiche auch Dämme sind, dann ist die Wasser­seite nicht nur wesent­lich flacher, sondern auch nicht gerade.

[2] Es spielt hier keine Rolle, ob der Drachen konvex sein muß, der Diagonal­schnitt­punkt also immer­halb des Vier­eckes liegt. Auch könnte man ohne Einfluß auf die Frei­heits­grade sowohl beim Trapez als auch dem Drachen sich kreu­zende Kanten zulassen, denn die end­liche Anzahl von Eck­permu­tationen vermag keinen Frei­heits­grad zu erzeugen.

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