Sekundenpendel
Wenn man dem vernünf­tigen Gedanken folgt, daß neuere antike Maße in vorwie­gend ratio­nalen Verhält­nissen auf älteren aufbau­ten [1], dann liegen sehr viele verwert­bare Arte­fakte vor, die zu einer Nippur­elle von 0,51835m führen, wovon der "wahre" [2] Wert nur um ein Promille abwei­chen sollte. Ich benutze im folgen­den den etwas größeren, dafür aber sieben-​glatten metro­logi­schen Wert e=0,518616m.

Alexander Thom will in noch älteren Bauwerken und Orna­menten ein steinzeit­liches Maß von 2,715 eng­lische Fuß, also 0,827532m gefunden haben, das er megali­thisches Yard nannte. [3] Wenn man ihm folgt, sollte die Nippur­elle daraus hervor­gegangen sein. [4] Die Abweichung vom Verhält­nis 5:8 beträgt nur zwei Promille. Da die Messungen nur auf ein Prozent genau waren, darf ich von einem metrolo­gischen megali­thischen Yard von m=8e/5=0,8297856m ausgehen. Das liegt wenig über 2,72 eng­lische Fuß.

Numerologen benutzen diese dreistellige Zahl für akroba­tische Ablei­tun­gen. [5] Andere glauben, man habe schon in der Steinzeit die Maße aus vermeint­lichen Natur­konstanten, also gött­lichen Gegeben­heiten abge­leitet. Beliebt sind Teilungen des Erdum­fanges, die eben falls in [5] zu bewundern sind, aber meines Erachtens vor mehr als 4000 Jah­ren nicht möglich waren. Bleibt das Pendel, das weit­gehend unab­hängig vom Gewicht bei gleicher Länge für jede Schwingung immer die gleiche Zeit benötigt.

Die Länge eines idealen Pendels mit einer Halbschwin­gungs­zeit T=1s heißt Sekunden­pendel. Bei einer Erdbe­schleuni­gung g=9,793m/s^2 knapp unter­halb des 30. Brei­tengra­des [6] ergibt sich s=g·(T/π)^2=0,99225m=375e/196 als metrolo­gischer Wert. [7] Um davon nennes­wert abzu­weichen, muß man schon auf einen hohen Berg steigen oder nach Skandi­navien reisen. Mit diesem Sekunden­pendel ergibt sich für ein idelaes Pendel der Länge l eine Halb­schwin­gungs­zeit von Sqrt(l/s) Se­kunden.

Aus m=8e/5 und s=375e/196 ergibt sich m/s=1568/1875 und damit für ein ideales Pendel von einem megali­thischen Yard eine Halb­schwin­gungs­zeit von Sqrt(1568/1875)=0,914476 Se­kunden. Das sind 94480 Schläge an Tag. Die 366-Eso­teriker [8] haben die Pendel­länge halbiert, wodurch sich 133615 Schläge ergeben, was nahe 366·366=133956 liegt. [9] Ein ideales Pendel, das 366 mal 366 mal am Tag schwingt, hat die Länge 0,412785m. Damit ist das esoterische megalithische Yard nur 0,82557m lang, also um zwei bis vier Millimeter kürzer als alle anderen Annahmen und Messungen.

In solchen Fällen versuchen Spinti­sierer gerne Anpas­sungen, die hier aber weit­gehend versagen. Man könnte ein kleineres Sekunden­pendel annehmen, müßte dazu aber auf einen hohen Berg steigen oder Rich­tung Äquator die Hoch­kultur verlassen. Nimmt man statt des synodi­schen Tages den sideri­schen, wird es nur schlimmer. Das gilt auch für die Vermu­tung, unsere Vorfahren hätten mit realen Pendeln die Länge und damit alle ihre Maße zu hoch ange­setzt. Aber leider steigt die Pendel­zeit mit ausge­dehnten Gewichten oder zu großen Aus­schlägen. Sie hätte also zu kurz, nicht zu lang gemessen.

Bleibt die Antwort auf den Einwand des aufmerk­samen Lesers: Es gab damals keine Sekunde und damit wohl auch kein Sekunden­pendel. Das ist aber nicht drama­tisch: Auch wenn ein anderes Zeit­intervall zugrunde­liegt, bleibt doch die Beziehung bestehen. Ein Beispiel auf der Basis der uralten Teilung des Tages in 360 Teile: Um in diesen 240 Se­kun­den genau 360 Schläge zu bekommen, kann ein Stab der Länge l=2s/3 pendeln. Wenn Gudea sein ideales Maß zu seinem realen ange­paßt hat, indem er dieses l in 40 Finger teilte, wäre das gleiche heraus­gekommen wie aus der Über­legung mit dem Sekunden­pendel. [10]

[1] Rolf C. A. Rottländer: Ableitung der alten Längen­einheiten und deren rechne­risches Verhältnis.
[2] Einen "wahren" Wert gibt es nicht, auch wenn unsere Vorfahren sich einen vorge­stellt haben mögen. In jedem Falle konnten sie ihn nicht so genau defi­nieren oder dar­stellen, daß jemals ent­schieden werden kann, ob rati­onale Verhält­nisse wirk­lich gegeben sind. Bemerkens­wert bleibt in jedem Falle die Genauig­keit trotz mehr­stufiger Ableitung aus den Urmaßen.
[3] Die Bezeichnung Yard ist nicht nur der Länge von etwa einem engli­schen Yard geschuldet. Vielmehr teilte sich eine Nippur­elle in 30 Finger, von denen 16 einen Fuß von 27,6 Zen­time­tern bildeten. Ein megali­thisches Yard maß damit wie das engliche drei Fuß.
[4] Man muß ihm nicht folgen, vor allem nicht den Jüngern, die in der ganzen Welt bis in graue Urzeiten dieses megali­thische Yard zu sehen glauben. Es ist aber durchaus plausibel, daß sich über die Jahr­tausende ein weit­gehend einheit­liches Grundmaß ausbrei­ten konnte.
[5] The Megalithic System. Darin eine abstruse Verbin­dung von Monats­länge (29,53d), Diffe­renz von Sonnen- und Mondjahr (10,87d) mit dem engli­schen Fuß (2,72') gemäß 29,53/10,87=2,72.
[6] Wilfried Korth: Geodynamik und Erdmessung. Meine Berech­nungen folgen der Schwerefor­mel 1967 auf Seite 33.
[7] Das metrologische Verhältnis 375:392 von Nippur­elle und Sekunden­pendel mutet nicht schön an, ist aber 7-glatt und beruht auf der Annahme, daß Gudea die Elle auf ein halbes Sekunden­pendel verkürzte und damit die nubische Königs­elle von (15/16)(50/49)e traf. Kleinzah­liger und genügend genau wären 44:23, 23:12 und 21:11, doch leider mit Primzahlen 11 oder 23.
[8] Robert Lomas: The Mystery of the Megalithic Yard Revealed. Darin eine aben­teuer­liche Beschrei­bung, wie Steine aufge­stellt werden können, um ein eigenes megali­tisches Yard auf der Basis von 366 herzu­stellen, obwohl es keinen Beleg für eine steinzeitliche Teilung des Kreises in 366 Teile gibt. Verschwiegen wird, was dabei besten­falls heraus­kommt, nämlich eine zu kleine Länge, die ich nirgendwo gefunden haben. Alle schreiben vonein­ander ab und schämen sich wohl der Ergeb­nisse aus ihren eigenen Behaup­tungen.
[9] Nur 2,5 Promille Unterschied, der aber durch Quadratur zu 5 Pro­mille in der Länge wird. In Ordnung, wenn man mit einem unge­nauen megali­thischen Yard auf der Basis der Messungen zufrieden ist. Aber zuviel, wenn man das Verhält­nis 8:5 vom megali­thischem Yard zur Nippur­elle unter­stellt, weil dann nur ein Promille Abweichung tragbar ist.
[10] Gudea meinte, ein Klafter müsse 100 statt 96 Fin­ger haben und verklei­nerte die Nippurelle um den Fak­tor 24/25 zur idealen Gudea-Elle. Für l und s ergaben sich 39,9 und 59,8 Fin­ger, knapp an zwei Pygon (Fuß zu 20 Fin­ger) bzw. zwei Ellen vorbei. Er verkürzte deshalb auf das reale Gudea-Maß und erhielt den Fuß zu 20, die Elle zu 30, die Länge des Stabpendels zu 40 und ein Sekundenpendel zu 60 Fin­ger, falls er letzteres gekannt haben sollte. Nippur­elle und megali­thisches Yard waren für ihn bereits veraltet und zwei Reformen zurück. In Konse­quenz seiner Anpas­sungen an das Pendel maßen sie krumme 31,4 bzw. 50,2 Finger.

Menschenmaß | Klafter | Wunschdenken | Gerstenkorn | Megalithisches Yard

... comment