Hohlmaße
wuerg, 18.04.2018 17:22
Die wesentlichen Maße sind die des MKS-Systems, der Meter, das Kilogramm und die Sekunde. Da die Sekunde allen Maßsystemen gemein ist, sind eigentlich nur zwei Festlegungen erforderlich, eine für die Länge und eine für die Masse. Wenn da nicht die Hohlmaße wären, für die sich heute keiner mehr interessiert, denn wir leben in einer Zeit, da ein Liter ein Kubikdezimeter ist, nicht mehr und nicht weniger. Deshalb gibt es die Hohlmaße eigentlich nur noch aus historischer Sicht, schon gar nicht unterschieden nach Flüssigkeitsmaßen für Wasser, Bier, Wein, Öl und Trockenmaßen für Getreide, Mehl, Kohle, Holz. Das ist alles Geschichte aus einer Zeit, da man diese Maße kannte, benutzte oder gar besaß, aber nur ungenau oder gar nicht eines in das andere umrechnen konnte.
Ich persönlich mag die Bezeichnung Liter außerhalb von Tankstellen und Getränkeläden nicht besonders, denn ein Liter ist heutzutage einfach eine alternative Bezeichnung für einen Kubikdezimeter. Sie hält sich aber auch in der Wissenschaft hartnäckig, und es ist für manche eine Glaubensfrage, ob der Liter mit großem oder kleinem L abzukürzen ist, weshalb man sich immer noch nicht zu einer Normung hat entschließen können. In meiner Kindheit war der Liter ein echtes Hohlmaß, also ein Volumen, das über die Masse eines Stoffes festgelegt wurde. Für den Liter war es Wasser, und zwar das Volumen von einem Kilogramm Wasser bei höchster Dichte, zuletzt bei 4 Grad. [1]
In dieser Zeit hatte der Liter 1,000025 bis 1,000028 Kubikdezimeter. Daß dieser Wert fast genau bei 1 liegt, ist dem Urkilogramm zu verdanken, das möglichst gut der Masse von einem Kubikdezimeter Wasser entsprechen sollte. Zuvor war der Urmeter als der zehntausendste Teil des Meridians durch Paris vom Nordpol zum Äquator angefertigt worden. Es stellte sich auch hier eine Abweichung heraus. Der Meridian ist 2 Kilometer länger. Mit diesen beiden Definitionen orientierte man sich zwar am Wasser und an der Erde, legte durch sog. Verkörperungen aber Einheiten fest, die genauer waren als die bisherigen Ableitungen aus vermeintlichen Naturkonstanten.
Noch während meiner Schulzeit hat man eingesehen, daß der Unterschied zwischen Liter und Kubikdezimeter zwar im Alltag ohne Bedeutung ist, aber bei genauen Messungen eine Quelle von Verwechselungen darstellt. Und da es recht sinnlos ist, zwei Raummaße mit nur 0,03 Promille Unterschied zu verwenden, wurde der Liter wieder zu einem Kubikdezimeter gemacht, wie er 1793 in Frankreich definiert wurde. Doch weil selbst der Revolutionär an altem Schwachsinn hängt, wurde neben dem Kilogramm ein Grave definiert, der Masse von von einem Liter Wasser, also etwa 0,999975 Kilogramm.
In England verfuhr man ähnlich. Ein Pfund bestand aus 16 Unzen. Die Gallone zu 160 Flüssig-Unzen war als das Volumen von 10 Pfund Wasser definiert, allerdings bei 62 Grad Fahrenheit, was fast 17 Grad Celsius entspricht und wo die Dichte des Wassers nur noch 0,998836 Gramm pro Kubikzentimeter beträgt. Inzwischen sind das Pfund mit exakt 453,59237 Gramm und die Gallone mit exakt 4,54609 Kubikdezimeter an die SI-Einheiten angeschlossen. Damit ist die Bindung an das Wasser bei 62 Grad Fahrenheit aufgegeben. Eine Flüssigkeits-Unze Wasser mit der Masse einer Gewichts-Unze muß nunmehr eine Dichte von 0,997763 Gramm pro Kubikzentimeter haben, wozu ich einer Tabelle 71,7 Grad Fahrenheit entnommen habe.
Da auch der Zoll mit exakt 2,54 Zentimeter an das SI-System angeschlossen ist, haben wir eine weitere Bezeichnung für Volumina auf der Basis von Kubikzoll. Im angloamerikanischen System sind also zwei Raummaße gebräuchlich, das normale Volumenmaß auf der Basis des Zolls und die Hohlmaße auf der Basis von Gallonen. Damit umfaßt eine Gallone 277,4194328 Kubikzoll. Und das ist keine Folge des Anschlusses an die SI-Einheiten. Ein Faktor von etwa 277 war immer schon im angloamerikanischen Maßsystem angelegt, wenn auch nur den wenigsten bewußt. Wir haben dieses Problem nicht, weil wir die Hohlmaße praktisch weggeworfen haben, was uns durch eine gute Definition des Kilogramms erleichtert wurde.
Daß eine Flüssigkeits-Unze 28,41306 Kubikzentimeter, eine Gewichts-Unze aber nur 28,349523 Gramm hat, fällt natürlich nicht auf, wenn man sich ausschließlich im angloamerikanischen System bewegt. Man mag sich auch an viele verschiedene Umrechnungsfaktoren wie 4, 5, 11, 12, 16 usw. gewöhnen, doch die Abbildung der Hohlmaße auf normale Volumina mit einem ganz krummen Faktor ist eine alte und selbstgemachte Schwäche. Die Engländer fanden die Kraft, sich zumindest offiziell zu metrisieren und die alten Maße aufzugeben. Die Amis konnten sich dazu noch nicht durchringen und leisten sich beim Anschluß an das SI-System auch noch Extrawürste.
[1] Der Druck ist nicht so wichtig wie die Temperatur. Einmal ist es der Normaldruck von 1013,25 Hektopascal, ein andermal nur 0,6 Hektopascal am Tripelpunkt mit 0,01 Grad Celsius.
[2] Wolfgang Trapp und Heinz Wallerus: Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung. Reclam, Stuttgart, 6. Auflage, 2012.
Venti | Menschenmaß | Metrisierung
Ich persönlich mag die Bezeichnung Liter außerhalb von Tankstellen und Getränkeläden nicht besonders, denn ein Liter ist heutzutage einfach eine alternative Bezeichnung für einen Kubikdezimeter. Sie hält sich aber auch in der Wissenschaft hartnäckig, und es ist für manche eine Glaubensfrage, ob der Liter mit großem oder kleinem L abzukürzen ist, weshalb man sich immer noch nicht zu einer Normung hat entschließen können. In meiner Kindheit war der Liter ein echtes Hohlmaß, also ein Volumen, das über die Masse eines Stoffes festgelegt wurde. Für den Liter war es Wasser, und zwar das Volumen von einem Kilogramm Wasser bei höchster Dichte, zuletzt bei 4 Grad. [1]
In dieser Zeit hatte der Liter 1,000025 bis 1,000028 Kubikdezimeter. Daß dieser Wert fast genau bei 1 liegt, ist dem Urkilogramm zu verdanken, das möglichst gut der Masse von einem Kubikdezimeter Wasser entsprechen sollte. Zuvor war der Urmeter als der zehntausendste Teil des Meridians durch Paris vom Nordpol zum Äquator angefertigt worden. Es stellte sich auch hier eine Abweichung heraus. Der Meridian ist 2 Kilometer länger. Mit diesen beiden Definitionen orientierte man sich zwar am Wasser und an der Erde, legte durch sog. Verkörperungen aber Einheiten fest, die genauer waren als die bisherigen Ableitungen aus vermeintlichen Naturkonstanten.
Noch während meiner Schulzeit hat man eingesehen, daß der Unterschied zwischen Liter und Kubikdezimeter zwar im Alltag ohne Bedeutung ist, aber bei genauen Messungen eine Quelle von Verwechselungen darstellt. Und da es recht sinnlos ist, zwei Raummaße mit nur 0,03 Promille Unterschied zu verwenden, wurde der Liter wieder zu einem Kubikdezimeter gemacht, wie er 1793 in Frankreich definiert wurde. Doch weil selbst der Revolutionär an altem Schwachsinn hängt, wurde neben dem Kilogramm ein Grave definiert, der Masse von von einem Liter Wasser, also etwa 0,999975 Kilogramm.
In England verfuhr man ähnlich. Ein Pfund bestand aus 16 Unzen. Die Gallone zu 160 Flüssig-Unzen war als das Volumen von 10 Pfund Wasser definiert, allerdings bei 62 Grad Fahrenheit, was fast 17 Grad Celsius entspricht und wo die Dichte des Wassers nur noch 0,998836 Gramm pro Kubikzentimeter beträgt. Inzwischen sind das Pfund mit exakt 453,59237 Gramm und die Gallone mit exakt 4,54609 Kubikdezimeter an die SI-Einheiten angeschlossen. Damit ist die Bindung an das Wasser bei 62 Grad Fahrenheit aufgegeben. Eine Flüssigkeits-Unze Wasser mit der Masse einer Gewichts-Unze muß nunmehr eine Dichte von 0,997763 Gramm pro Kubikzentimeter haben, wozu ich einer Tabelle 71,7 Grad Fahrenheit entnommen habe.
Da auch der Zoll mit exakt 2,54 Zentimeter an das SI-System angeschlossen ist, haben wir eine weitere Bezeichnung für Volumina auf der Basis von Kubikzoll. Im angloamerikanischen System sind also zwei Raummaße gebräuchlich, das normale Volumenmaß auf der Basis des Zolls und die Hohlmaße auf der Basis von Gallonen. Damit umfaßt eine Gallone 277,4194328 Kubikzoll. Und das ist keine Folge des Anschlusses an die SI-Einheiten. Ein Faktor von etwa 277 war immer schon im angloamerikanischen Maßsystem angelegt, wenn auch nur den wenigsten bewußt. Wir haben dieses Problem nicht, weil wir die Hohlmaße praktisch weggeworfen haben, was uns durch eine gute Definition des Kilogramms erleichtert wurde.
Daß eine Flüssigkeits-Unze 28,41306 Kubikzentimeter, eine Gewichts-Unze aber nur 28,349523 Gramm hat, fällt natürlich nicht auf, wenn man sich ausschließlich im angloamerikanischen System bewegt. Man mag sich auch an viele verschiedene Umrechnungsfaktoren wie 4, 5, 11, 12, 16 usw. gewöhnen, doch die Abbildung der Hohlmaße auf normale Volumina mit einem ganz krummen Faktor ist eine alte und selbstgemachte Schwäche. Die Engländer fanden die Kraft, sich zumindest offiziell zu metrisieren und die alten Maße aufzugeben. Die Amis konnten sich dazu noch nicht durchringen und leisten sich beim Anschluß an das SI-System auch noch Extrawürste.
[1] Der Druck ist nicht so wichtig wie die Temperatur. Einmal ist es der Normaldruck von 1013,25 Hektopascal, ein andermal nur 0,6 Hektopascal am Tripelpunkt mit 0,01 Grad Celsius.
[2] Wolfgang Trapp und Heinz Wallerus: Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung. Reclam, Stuttgart, 6. Auflage, 2012.
Venti | Menschenmaß | Metrisierung
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