Mathematik des Islam
Wenn man die Flutung Deutsch­lands mit großen­teils zivili­sations­fernen Menschen nicht vollum­fänglich für erforder­lich hält, infor­miert man sich zwangs­läufig auch dort, wo rechtes Gedan­kengut nicht gerade fern ist. Neben den Verschwö­rungs­theorien trifft man auf die tradi­tionelle Europa­feind­lichkeit. Es gibt keinen Klima­wandel, Auto­abgase schaden nicht, Trump ist gut für die Welt. Die Achse des Guten halte ich in diesem Spektrum für einiger­maßen moderat. Daß auch sie die gegen­wärtige aggres­sive und von sehr vielen Moslems gelebte Ausprä­gung des Islam als Haupt­quelle des Übels erkannt hat, berechtigt aber nicht, alles gering zu schätzen, was mit dem Islam im Zusammen­hang steht.

Dort wider­spricht Paul Nellen [1] der gängigen Auffas­sung, der Islam hätte die antike Kultur über das Mittel­alter gerettet. Zurecht rüttelt er an der schön­geistigen Vorstel­lung, der Islam habe aus sich heraus in seinem ersten Jahr­tausend im Rahmen einer Hoch­kultur auch das Wissen der Antike bewahrt und fortent­wickelt, denn in Wirklich­keit hat er nur große Teile der Welt erobert [2] und in diesem Rahmen wie jede andere Groß­macht auch große kultu­relle Leistun­gen hervor­gebracht. Die Römer waren nicht fried­licher und auch keine großen Geister. Trotzdem oder deshalb blicken wir heute auf ihre Bauwerke, nicht auf die eines kleinen galli­schen Dorfes.

Natürlich wäre ohne den Islam die Antike eben­falls bewahrt worden, selbst von Katho­liken des Mittel­alters, die vieles nur unter Verschluß hielten. Auch mögen fromme Moslems ganze Biblio­theken nieder­gebrannt haben. Doch haben sie auch viel Gedan­kengut erobert und käuf­lich erworben. Anderes ist in ihrem großen Reich einfach nur gewandert, wie die arabi­schen Zahlen von Indien nach Europa und letzt­lich in die ganze Welt. Die eigenen Leistun­gen mögen aus heutiger Sicht nicht so berau­schend sein, aber das waren sie im Rest der Welt noch viel weniger.

Wie es um die Dicht­kunst, die Musik, die Malerei oder Kalli­grafie bestellt war, entzieht sich noch mehr meiner Kenntnis als die Geschichte der Natur­wissen­schaften vom Ende der Antike bis zum Beginn der Neuzeit. [3] Wirkliche Fortschritte waren mühsam. Was durch Nach­denken und ein­fache Natur­beobach­tung zu ergründen ist, war durch Euklid, Aristo­teles und andere mehr oder minder korrekt ausge­schöpft. Eine geeig­nete Sprache der Wissen­schaft gab es nicht. Alles wurde blumen­reich beschrieben, allge­meines Geschwur­bel über­deckte gute Gedanken. Glaube jedweder Art behin­derte, weniger durch Verfol­gung, mehr durch Vernebe­lung des Geistes. Er beförderte aber auch Erkennt­nisse und Fähig­keiten, die seiner Herrschaft förder­lich waren. Und mancher forschte auch zur Ehre Gottes.

Kurz: Es ist ungerecht, die unter islami­scher Herr­schaft erbrach­ten geisti­gen Leistun­gen klein zu reden, nur weil wir uns heute noch von der Unbarm­herzig­keit des Islam bedroht fühlen dürfen, der die Moslems zwingt, die Ungläu­bigen mit der gleichen Gnaden­losig­keit zu unter­werfen und auszu­rotten wie sie selbst ihrem Gott ausge­liefert sind und sich ihm ergeben müssen. Ohne sie wäre es anders, doch nicht unbe­dingt besser gekommen. Die frühen Moslems müßten wissen­schaft­lich noch nicht einmal dann hinter ihren Zeit­genossen ver­stecken, wenn sie nur erobert, gekauft, gesammelt, über­setzt und verbrei­tet hätten. Ihr Pech besteht darin, daß in der Renais­sance latei­nische Überset­zungen leichter zu lesen waren als ara­bische.

In seinem Buch zur Geschichte der Mathe­matik [4] über­schreibt Hans Wußing 41 Seiten mit "Mathe­matik in den Ländern des Islam". Dort nennt er viele Mathe­matiker, die auch wegen der merkwür­digen Namen kaum einer kennt. Beson­ders heraus­gestellt wird Al-Hwarizmi, nach dessen al-gabr die moderne Alge­bra benannt ist. Es folgen immer­hin noch 36 Seiten zur "Mathe­matik im Euro­päischen Mittel­alter" mit Namen, die heute auch keiner mehr kennt. Und auf Seite 276 kommt er zu dem Schluß: "Bei aller Aner­kennung für die eigen­stän­digen Leistun­gen in der Mathe­matik des Früh­mittel­alters bleibt doch die histo­rische Tatsache, dass der eigent­liche Auf­schwung der euopä­ischen Mathe­matik kausal an die Bekannt­schaft mit der islami­schen Mathe­matik gebunden war, ..."

Eine Aufgabe für Schüler: Berechne mit Papier und Bleistift den Sinus von einem Grad in Taschen­rechner-Genau­igkeit. Da das 120-Eck mit Zirkel und Lineal konstru­ierbar ist, und Al-Kashi Quadrat­wurzeln ziehen konnte, kannte er den Sinus von 3 Grad sehr genau. Für eine Sinus-Tafel von Grad zu Grad hat er den 3-Grad-Winkel gedrit­telt und den Sinus von einem Grad auf Basis einer Glei­chung dritten Grades aus dem Wert für 3 Grad iterativ, also mit einem Al-gorithmus auf 18 Stellen berechnet. Seine 14 Stellen für π hielten fast 200 Jahre den Rekord. Wer hätte heute dafür die Kennt­nisse und den Fleiß?

[1] Paul Nellen: Hat der Islam und die antike Kultur und Wissenschaft gebracht? Achgut, 22.03.2018.
[2] Bill Warner: Stimmt das mit den unzäh­ligen Kreuz­zügen gegen den Islam? Youtube, "genug ist genug", 07.05.2017. Original vom Center for the Study of Poli­tical Islam?
[3] Die Wikipedia sieht das Mittel­alter vom 6. bis zum 15. Jahr­hundert. Für mich endet die Antike mit der Schlie­ßung der Plato­nischen Aka­demie im Jahre 529. Die Neuzeit beginnt mit dem modernen Buchdruck im Jahre 1450.
[4] Hans Wußing: 6000 Jahre Mathematik. Band 1: Von den Anfängen bis Leibniz und Newton. Springer, Berlin Heidel­berg 2008.

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