NUMB3RS
wuerg, 07.09.2005 01:42
Gestern startete in Deutschland die Kriminalfilmserie NUMB3RS, in der ein Ermittler durch die genialen mathematischen Methoden seines höchstbegabten Bruders seine Fälle löst. Natürlich lassen sich die Produzenten auch billiger Filme fachlich beraten, weshalb die präsentierte Mathematik nicht unbedingt weiter von der Realität entfernt ist als der ganze Rest. Nur interessiert es mich mehr. Und deshalb zwei Bemerkungen:
Zum einen werden allgemeine Versatzstücke mit dem Klischee vom genialen Mathematiker vermengt. Er ist in jungen Jahren Professor, seine Doktorandin streichelt seine Formeln, doch er bemerkt oder würdigt es nicht und steht stundenlang mit Kopfhörern vor der Tafel und löst Probleme durch das Anschreiben von Formeln. Er hat keinen Führerschein und steigt aus einer Seifenkiste, deren aerodynamische Form er eigenhändig berechnet hat. Natürlich besser als alle anderen zusammen mit Computern und teuren Experimenten im Windkanal. Mit Baseball kennt er sich als Amerikaner natürlich auch aus.
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die dargestellte mathematische Methode, aus den Tatorten eines Serientäters auf seinen Wohnort oder Ausgangspunkt zu schließen. Gewiß kann man mit zunehmender Anzahl der Delikte das Gebiet einkreisen, wenn der Täter den gemachten Annahmen über deren Verteilung folgt. Sicherlich kann man vor allem unter Berücksichtigung der Topographie und mit Computereinsatz etwas besser sein, als wenn man einfach nur den Schwerpunkt der Tatorte ermittelt. Es wäre also alles im Rahmen, wenn man im Film nicht hätte Glauben machen wollen, aus zwölf Tatorten ableiten zu können, daß der Täter aus zwei recht kleinen Gebieten heraus handelte.
Ohne großartig gerechnet zu haben, würde ich folgendes für realistisch halten: Wenn ein Triebtäter sieben Frauen in einer Stadt mit 100.000 Einwohnern und weitere sieben im Umland ermordet, dann hielte ich es für sehr gut, wenn man einen Stadtteil mit 5.000 Einwohnern ausmachen könnte, von wo aus er mit 70‑prozentiger Wahrscheinlichkeit operiert. Nimmt man andere Merkmale hinzu, so bleiben vielleicht 1.000 Personen übrig. Zwar sind dann 99 von 100 ausgeschieden, doch sind 1000 immer noch zuviel. Und wenn Mathematik noch eine Verbesserung bringen kann, dann ist es nicht eine einsame Formel in der Nacht, sondern die computergestützte Umsetzung einfacher Verfahren und guter heuristischer Ansätze.
Zum einen werden allgemeine Versatzstücke mit dem Klischee vom genialen Mathematiker vermengt. Er ist in jungen Jahren Professor, seine Doktorandin streichelt seine Formeln, doch er bemerkt oder würdigt es nicht und steht stundenlang mit Kopfhörern vor der Tafel und löst Probleme durch das Anschreiben von Formeln. Er hat keinen Führerschein und steigt aus einer Seifenkiste, deren aerodynamische Form er eigenhändig berechnet hat. Natürlich besser als alle anderen zusammen mit Computern und teuren Experimenten im Windkanal. Mit Baseball kennt er sich als Amerikaner natürlich auch aus.
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die dargestellte mathematische Methode, aus den Tatorten eines Serientäters auf seinen Wohnort oder Ausgangspunkt zu schließen. Gewiß kann man mit zunehmender Anzahl der Delikte das Gebiet einkreisen, wenn der Täter den gemachten Annahmen über deren Verteilung folgt. Sicherlich kann man vor allem unter Berücksichtigung der Topographie und mit Computereinsatz etwas besser sein, als wenn man einfach nur den Schwerpunkt der Tatorte ermittelt. Es wäre also alles im Rahmen, wenn man im Film nicht hätte Glauben machen wollen, aus zwölf Tatorten ableiten zu können, daß der Täter aus zwei recht kleinen Gebieten heraus handelte.
Ohne großartig gerechnet zu haben, würde ich folgendes für realistisch halten: Wenn ein Triebtäter sieben Frauen in einer Stadt mit 100.000 Einwohnern und weitere sieben im Umland ermordet, dann hielte ich es für sehr gut, wenn man einen Stadtteil mit 5.000 Einwohnern ausmachen könnte, von wo aus er mit 70‑prozentiger Wahrscheinlichkeit operiert. Nimmt man andere Merkmale hinzu, so bleiben vielleicht 1.000 Personen übrig. Zwar sind dann 99 von 100 ausgeschieden, doch sind 1000 immer noch zuviel. Und wenn Mathematik noch eine Verbesserung bringen kann, dann ist es nicht eine einsame Formel in der Nacht, sondern die computergestützte Umsetzung einfacher Verfahren und guter heuristischer Ansätze.
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wuerg,
13.09.2005 01:23
Eine Woche später ist es nicht besser. Erst wird ein Bankraub exakt vorhergesagt, und als der Zugriff mit zwei toten Polizisten endet, wird Heisenberg aus dem Hut gezaubert, dessen Unschärferelation unvermittelt den Mikrokosmos verläßt, um einen Mißerfolg der Polizeiarbeit zu erklären. Der enttäuschte Mathematiker flüchtet in das große P‑NP-Problem, dessen Lösung er sich nahe glaubt, um einen Tag später ebenso selbstverständlich von dessen Unlösbarkeit zu faseln.
Und weiter geht es mit einer netten Erkenntnis, daß das allen PC‑Besitzern bekannte Spiel Minesweeper NP‑vollständig ist und somit theoretisch, praktischerweise jedoch eher nicht zur Betrachtung des P‑NP-Problemes beitragen könnte. Wie in einem Werbefilm wird dieses Spiel erklärt und in die wirkliche Welt übertragen: Das Spielfeld ist Los Angeles und die Bomben sind Banken. Aber wie weiter? Mit der Unschärfebeziehung natürlich:
Mathematiker und Polizei denken, was die Bankräuber denken könnten, was die Polizei sind wohl denkt und machen könnte. Und sie sind natürlich erfolgreicher als die Bösewichte, so wie man meint, der bessere Schachspieler denke einfach einen Halbzug weiter, obwohl er nur die Lage besser im Urin hat. Die Unschärfebeziehung nützt dabei eigentlich gar nichts. Sie ist nicht nur ein schlechter Vergleich, sondern eigentlich ein Beispiel für das Gegenteil: Wie sehr man sich auch bemüht, man kann die Unschärfe nicht austricksen.
Und weiter geht es mit einer netten Erkenntnis, daß das allen PC‑Besitzern bekannte Spiel Minesweeper NP‑vollständig ist und somit theoretisch, praktischerweise jedoch eher nicht zur Betrachtung des P‑NP-Problemes beitragen könnte. Wie in einem Werbefilm wird dieses Spiel erklärt und in die wirkliche Welt übertragen: Das Spielfeld ist Los Angeles und die Bomben sind Banken. Aber wie weiter? Mit der Unschärfebeziehung natürlich:
Mathematiker und Polizei denken, was die Bankräuber denken könnten, was die Polizei sind wohl denkt und machen könnte. Und sie sind natürlich erfolgreicher als die Bösewichte, so wie man meint, der bessere Schachspieler denke einfach einen Halbzug weiter, obwohl er nur die Lage besser im Urin hat. Die Unschärfebeziehung nützt dabei eigentlich gar nichts. Sie ist nicht nur ein schlechter Vergleich, sondern eigentlich ein Beispiel für das Gegenteil: Wie sehr man sich auch bemüht, man kann die Unschärfe nicht austricksen.
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wuerg,
25.09.2005 20:23
In der dritten Folge wird der Trick der ersten erneut angewendet: Statt nach einem Zentrum für Sexualstraftaten wird nach einem Ausgangspunkt für die Verbreitung eines Virus gesucht, was Gelegenheit bietet, Graphen über die mögliche Ausbreitung ins Spiel zu bringen. Ein Durchbruch gelingt wie in der ersten Folge durch die Annahme zweier Ausgangspunkte, gleichwohl dies mehr kriminalistischer Arbeit als den mathematischen Fähigkeiten des Bruders zu verdanken ist, der ab dieser Folge nicht mehr der naive Wissenschaftler ist, sondern sich als geheimer Mitarbeiter der NSA entpuppt.
Als das anfängliche Bild des Verbreitungsgraphen gezeigt wurde, mußte man kein Mathematiker sein, um zwei Teilbäume zu erkennen, einen großen Richtung Norden, einen kleinen Richtung Süden, beide ausgehend vom Hauptbahnhof. Jeder nicht gerade in Los Angeles beheimatete Zuschauer wird sich denken, daß die Verbreitung in Ost-West-Richtung durch die Bahngleise behindert wurde und im Süden die Ausbreitung schwächer war, weil der Virus zunächst vom Nord- zum Südeingang des Bahnhofes mußte.
Dann aber entdeckt man im Süden und Norden zwei verschiedene Virentypen, und schwups ist die Theorie bereit, daß der eine Virus im Norden und der andere im Süden entlang einer Buslinie verbreitet wurde. Da frage ich mich, was das mathematische Modell denn nun genützt hat und ob es denn nicht reale Fälle gibt, in denen mathematische Methoden entscheidend zur Aufklärung beigetragen haben.
Als das anfängliche Bild des Verbreitungsgraphen gezeigt wurde, mußte man kein Mathematiker sein, um zwei Teilbäume zu erkennen, einen großen Richtung Norden, einen kleinen Richtung Süden, beide ausgehend vom Hauptbahnhof. Jeder nicht gerade in Los Angeles beheimatete Zuschauer wird sich denken, daß die Verbreitung in Ost-West-Richtung durch die Bahngleise behindert wurde und im Süden die Ausbreitung schwächer war, weil der Virus zunächst vom Nord- zum Südeingang des Bahnhofes mußte.
Dann aber entdeckt man im Süden und Norden zwei verschiedene Virentypen, und schwups ist die Theorie bereit, daß der eine Virus im Norden und der andere im Süden entlang einer Buslinie verbreitet wurde. Da frage ich mich, was das mathematische Modell denn nun genützt hat und ob es denn nicht reale Fälle gibt, in denen mathematische Methoden entscheidend zur Aufklärung beigetragen haben.
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wuerg,
27.09.2005 01:24
Ich mag keine Kriminalfälle mit Opfern oder Tätern im Dunstkreis der Ermittler ohne einen vernünftigen Grund dafür. Schon in der vierten Folge von NUMB3RS ist es soweit. Der Selbstmord eines Studenten bereitet dem Mathematiker Gewissensbisse, weil er ihm einmal nicht zuhörte. Als Wiedergutmachung findet er heraus, was der Student schon wußte. Simulationen ergeben die Anfälligkeit eines Hochhauses gegen Wind aus einer gewissen Richtung. Daraus wird Pfusch am Bau gefolgert und auch gefunden. Nur eine Frage bleibt: Wie konnte in der Simulation diese Schwachstelle berücksichtigt werden, wo man sie doch noch gar nicht kannte? Und dann noch zum Schluß die Bestätigung meiner prophetischen Gabe: Es wird nachträglich ein Schwingungsdämpfer eingebaut.
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wuerg,
11.10.2005 20:37
Angesichts der Vogelgrippe soll nun der Erreger der spanischen Grippe wiederbelebt werden. Vielleicht passiert dann in Los Angeles doch noch, was in der dritten Folge von NUMN3RS geschildert wurde: Ein verwirrter Wissenschaftler will Millionen retten und testet schon einmal den Erreger im Echtbetrieb.
Markus Becker: US-Forscher beleben altes Killervirus. Spiegel Wissenschaft, 05.10.2005.
Markus Becker: US-Forscher beleben altes Killervirus. Spiegel Wissenschaft, 05.10.2005.
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wuerg,
15.07.2024 18:44
Corona ist vorüber, und wir haben gesehen, was all die tollen Methoden gegen die Ausbreitung eines Virus helfen, wenn man nicht konsequent vorgeht. Die Ausbreitungsszenarien der Wissenschaftler des RKI und anderer Institute mögen für einen Kriminalfilm ausreichen, vielleicht auch eine gute kurzfristige Prognose abgeben haben, doch langfristig scheiterten sie daran, was auch meine Erwartungen immer wieder über den Haufen warf: Die Menschen und die Politik, weshalb man letztlich mit „Augen zu und durch“ auch nicht viel schlechter gefahren wäre.
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