Juli Zeh
In meiner Stadtrand­bibliothek mit ihren Spiegel-​Best­sellern griff ich zu „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban. [1] Der Roman besteht aus einem papier­losen Schrift­wechsel zwischen einem Chef­redak­teur und einer Bäuerin. Ersterer gibt aus Über­zeu­gung und Ehrgeiz dem Druck woker Rotz­gören nach, letztere radika­lisiert sich nach rechts bis zur einer öffent­lichen Ohrfeige. Es ist ein Dialog und Streit zwischen den beiden Polen unserer Gesell­schaft, die kein Mittelmaß, kein gemisch­tes oder ausge­wogenes Urteil zuläßt: „Wenn du deine Seite nicht wählst, tun es die anderen für dich.“ [1, S. 239]

Als die beiden das Buch schrieben, konnten sie die Aktua­lität des Themas allen­falls erahnen. Auch ich wußte vorher nicht, daß es wie die Faust aufs Auge zu den aktu­ellen Pro­testen der Bauern paßt. Die reichen kommen nicht vor, nur die armen, die nicht wissen, ob sie statt Kühe zu melken und Getreide anzu­pflanzen lieber Biogas erzeu­gen, Benzin anbauen oder gar CO₂-Zer­tifi­kate unter­pflügen sollen.

Was mir wie in vielen Romanen nicht gefiel ist, daß nach langer Entwick­lung und Beschrei­bung alles recht schnell einem konstru­ierten Ende zustrebt: Ein Bild von der Ohr­feige kommt ganz zufällig auf die Titel­seite der Erst­ausgabe. Aber wenig­stens endet es nicht mit sich andeu­tendem Sex.

[1] Zeh, Urban: Zwischen Welten. Luchterhand, 2023.

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Glücklicherweise hatte ich schon einige Romane von Juli Zeh gelesen, bevor ich sie in Talkshows zu sehen bekam [1] und sogar hörte, man könne sich sie als Bundes­präsi­dentin vorstellen. Warum nicht? Schlechter als Stein­meier kann sie nicht sein, und irgend­wann ist eine Frau dran. Lieber gleich eine vernünf­tige als später aus reinem Femi­nismus irgend­eine, viel­leicht in einem Aufwasch gleich eine Transe.

Gestern soll sie bei Markus Lanz anläßlich des Grund­gesetzes über das weit verbreitete Gefühl gesprochen haben, es dürfe nicht mehr alles gesagt werden. Schnell waren wohl die Spezial­demo­kraten dabei zu sagen, man dürfe bis an den Rand der Straf­fällig­keit natür­lich alles sagen und müsse auch Kritik ertragen können. Das klingt nach der berümten Täter-​Opfer-​Umkehr, die bis hin zum Messerabstich den Täter versteht und die Schuld dem Opfer zuspricht, das durch verwerf­liches Gedan­kengut provo­ziert habe.

Frau Zeh fiel auf solche Verniedlichungen nicht rein und wies darauf hin, daß solche Banali­täten eben nicht gemeint seien, sondern seit Corona und mit der jünge­ren Politik Mei­nungen einem nicht nur Kritik ein­tragen können, sondern breite mora­lische Ableh­nung, die nicht selten zum Ende alter Freund­schaf­ten führe. Es ist eben nicht der berühmte Diskurs, sondern vor allem im Span­nungs­ver­hältnis links–rechts eines von Gouver­nante und Kind, von Demokrat und Nazi.

Und es fehlt die zu Corona-​Zeiten noch vorhan­dene Symme­trie, da sich Befür­worter und Gegner von Maß­nahmen wechsel­weise beschimpf­ten und später sich Impf­gegner und -befür­worter gegenseitig den Tod wünsch­ten. Doch heute auf der einen Seite die woken, migra­tions­freu­digen Ampel­anhänger mit Kriegs­bereit­schaft und Klima­kata­strohe, die allen­falls entsetzt oder ent­täuscht sind, wenn ihre guten Gedanken auf Ableh­nung stoßen und sie für blöd, naiv oder ver­peilt gehalten werden. Auf der anderen Seite aber muß man nicht nur mit Beschimp­fungen als Nazi rechnen, sondern auch mit echter Verfol­gung ein­facher Sprache, im privaten Umfeld mit Ent­täu­schung, Mißach­tung und Aus­schluß aus dem Kreise der Gutmen­schen.

Kurz: Der Maulkorb gilt vor allem in eine Rich­tung. Wird er abgelegt, bleibt es oftmals nicht bei Kritik. Schnell werden Äuße­rungen hinter die Straf­barkeits­schranke gedrückt, während man auf Seite derer, mit denen man mangels Masse sich ver­bünden muß, beide Augen zudrückt.

[1] Da ich nicht fernsehe, besser: Bevor ich von ihr in Berichten über Talk­shows las oder sie gar in kurzen Auszügen reden hörte.

[2] Als Lanz über Meinungs­freiheit spricht, schüttelt Juli Zeh den Kopf: „Macht jeden krank“. Focus, 25.07.2024.

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