Juli Zeh
wuerg, 12.01.2024 21:12
In meiner Stadtrandbibliothek mit ihren Spiegel-Bestsellern griff ich zu „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban. [1] Der Roman besteht aus einem papierlosen Schriftwechsel zwischen einem Chefredakteur und einer Bäuerin. Ersterer gibt aus Überzeugung und Ehrgeiz dem Druck woker Rotzgören nach, letztere radikalisiert sich nach rechts bis zur einer öffentlichen Ohrfeige. Es ist ein Dialog und Streit zwischen den beiden Polen unserer Gesellschaft, die kein Mittelmaß, kein gemischtes oder ausgewogenes Urteil zuläßt: „Wenn du deine Seite nicht wählst, tun es die anderen für dich.“ [1, S. 239]
Als die beiden das Buch schrieben, konnten sie die Aktualität des Themas allenfalls erahnen. Auch ich wußte vorher nicht, daß es wie die Faust aufs Auge zu den aktuellen Protesten der Bauern paßt. Die reichen kommen nicht vor, nur die armen, die nicht wissen, ob sie statt Kühe zu melken und Getreide anzupflanzen lieber Biogas erzeugen, Benzin anbauen oder gar CO₂-Zertifikate unterpflügen sollen.
Was mir wie in vielen Romanen nicht gefiel ist, daß nach langer Entwicklung und Beschreibung alles recht schnell einem konstruierten Ende zustrebt: Ein Bild von der Ohrfeige kommt ganz zufällig auf die Titelseite der Erstausgabe. Aber wenigstens endet es nicht mit sich andeutendem Sex.
[1] Zeh, Urban: Zwischen Welten. Luchterhand, 2023.
Als die beiden das Buch schrieben, konnten sie die Aktualität des Themas allenfalls erahnen. Auch ich wußte vorher nicht, daß es wie die Faust aufs Auge zu den aktuellen Protesten der Bauern paßt. Die reichen kommen nicht vor, nur die armen, die nicht wissen, ob sie statt Kühe zu melken und Getreide anzupflanzen lieber Biogas erzeugen, Benzin anbauen oder gar CO₂-Zertifikate unterpflügen sollen.
Was mir wie in vielen Romanen nicht gefiel ist, daß nach langer Entwicklung und Beschreibung alles recht schnell einem konstruierten Ende zustrebt: Ein Bild von der Ohrfeige kommt ganz zufällig auf die Titelseite der Erstausgabe. Aber wenigstens endet es nicht mit sich andeutendem Sex.
[1] Zeh, Urban: Zwischen Welten. Luchterhand, 2023.
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wuerg,
25.07.2024 11:50
Glücklicherweise hatte ich schon einige Romane von Juli Zeh gelesen, bevor ich sie in Talkshows zu sehen bekam [1] und sogar hörte, man könne sich sie als Bundespräsidentin vorstellen. Warum nicht? Schlechter als Steinmeier kann sie nicht sein, und irgendwann ist eine Frau dran. Lieber gleich eine vernünftige als später aus reinem Feminismus irgendeine, vielleicht in einem Aufwasch gleich eine Transe.
Gestern soll sie bei Markus Lanz anläßlich des Grundgesetzes über das weit verbreitete Gefühl gesprochen haben, es dürfe nicht mehr alles gesagt werden. Schnell waren wohl die Spezialdemokraten dabei zu sagen, man dürfe bis an den Rand der Straffälligkeit natürlich alles sagen und müsse auch Kritik ertragen können. Das klingt nach der berümten Täter-Opfer-Umkehr, die bis hin zum Messerabstich den Täter versteht und die Schuld dem Opfer zuspricht, das durch verwerfliches Gedankengut provoziert habe.
Frau Zeh fiel auf solche Verniedlichungen nicht rein und wies darauf hin, daß solche Banalitäten eben nicht gemeint seien, sondern seit Corona und mit der jüngeren Politik Meinungen einem nicht nur Kritik eintragen können, sondern breite moralische Ablehnung, die nicht selten zum Ende alter Freundschaften führe. Es ist eben nicht der berühmte Diskurs, sondern vor allem im Spannungsverhältnis links–rechts eines von Gouvernante und Kind, von Demokrat und Nazi.
Und es fehlt die zu Corona-Zeiten noch vorhandene Symmetrie, da sich Befürworter und Gegner von Maßnahmen wechselweise beschimpften und später sich Impfgegner und -befürworter gegenseitig den Tod wünschten. Doch heute auf der einen Seite die woken, migrationsfreudigen Ampelanhänger mit Kriegsbereitschaft und Klimakatastrohe, die allenfalls entsetzt oder enttäuscht sind, wenn ihre guten Gedanken auf Ablehnung stoßen und sie für blöd, naiv oder verpeilt gehalten werden. Auf der anderen Seite aber muß man nicht nur mit Beschimpfungen als Nazi rechnen, sondern auch mit echter Verfolgung einfacher Sprache, im privaten Umfeld mit Enttäuschung, Mißachtung und Ausschluß aus dem Kreise der Gutmenschen.
Kurz: Der Maulkorb gilt vor allem in eine Richtung. Wird er abgelegt, bleibt es oftmals nicht bei Kritik. Schnell werden Äußerungen hinter die Strafbarkeitsschranke gedrückt, während man auf Seite derer, mit denen man mangels Masse sich verbünden muß, beide Augen zudrückt.
[1] Da ich nicht fernsehe, besser: Bevor ich von ihr in Berichten über Talkshows las oder sie gar in kurzen Auszügen reden hörte.
[2] Als Lanz über Meinungsfreiheit spricht, schüttelt Juli Zeh den Kopf: „Macht jeden krank“. Focus, 25.07.2024.
Gestern soll sie bei Markus Lanz anläßlich des Grundgesetzes über das weit verbreitete Gefühl gesprochen haben, es dürfe nicht mehr alles gesagt werden. Schnell waren wohl die Spezialdemokraten dabei zu sagen, man dürfe bis an den Rand der Straffälligkeit natürlich alles sagen und müsse auch Kritik ertragen können. Das klingt nach der berümten Täter-Opfer-Umkehr, die bis hin zum Messerabstich den Täter versteht und die Schuld dem Opfer zuspricht, das durch verwerfliches Gedankengut provoziert habe.
Frau Zeh fiel auf solche Verniedlichungen nicht rein und wies darauf hin, daß solche Banalitäten eben nicht gemeint seien, sondern seit Corona und mit der jüngeren Politik Meinungen einem nicht nur Kritik eintragen können, sondern breite moralische Ablehnung, die nicht selten zum Ende alter Freundschaften führe. Es ist eben nicht der berühmte Diskurs, sondern vor allem im Spannungsverhältnis links–rechts eines von Gouvernante und Kind, von Demokrat und Nazi.
Und es fehlt die zu Corona-Zeiten noch vorhandene Symmetrie, da sich Befürworter und Gegner von Maßnahmen wechselweise beschimpften und später sich Impfgegner und -befürworter gegenseitig den Tod wünschten. Doch heute auf der einen Seite die woken, migrationsfreudigen Ampelanhänger mit Kriegsbereitschaft und Klimakatastrohe, die allenfalls entsetzt oder enttäuscht sind, wenn ihre guten Gedanken auf Ablehnung stoßen und sie für blöd, naiv oder verpeilt gehalten werden. Auf der anderen Seite aber muß man nicht nur mit Beschimpfungen als Nazi rechnen, sondern auch mit echter Verfolgung einfacher Sprache, im privaten Umfeld mit Enttäuschung, Mißachtung und Ausschluß aus dem Kreise der Gutmenschen.
Kurz: Der Maulkorb gilt vor allem in eine Richtung. Wird er abgelegt, bleibt es oftmals nicht bei Kritik. Schnell werden Äußerungen hinter die Strafbarkeitsschranke gedrückt, während man auf Seite derer, mit denen man mangels Masse sich verbünden muß, beide Augen zudrückt.
[1] Da ich nicht fernsehe, besser: Bevor ich von ihr in Berichten über Talkshows las oder sie gar in kurzen Auszügen reden hörte.
[2] Als Lanz über Meinungsfreiheit spricht, schüttelt Juli Zeh den Kopf: „Macht jeden krank“. Focus, 25.07.2024.
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