Humorlosigkeit
Vielleicht liegt es an meinem Alter, in dem ich die volle Realität nicht mehr wahrnehme, schon gar nicht mehr die der Jugend­lichen. Doch meine ich, im Verlaufe meines Lebens eine Verfla­chung des Humors, der Satire, einen Nieder­gang des Kabaretts, des Witzes beob­achtet zu haben. Wo früher noch drei­stufig "Kommt eine Frau zum Arzt ..." erzählt wurde, reicht heute der einzei­lige Flachwitz "Deine Mudda ist so ..."

Umgekehrt werden die meisten Jugend­lichen gähnen, wenn sie alte Sketche mit Rudi Carell sehen. Aber denen gebrach es damals schon an Tief­gang. Auch andere Aufnahmen vergan­gener Zeiten und viele alte Spiel­filme wirken oftmals künstlich, gestelzt oder verstaubt, weil das Bild keine Farbe hatte, die Aufnahme­technik noch nicht ausge­reift war und mit weniger Erfah­rung und Mitteln gedreht wurde.

Während man heute im Erdkunde­unterricht eine Moschee besucht, fuhren wir üblicher­weise in die Reichs­haupt­stadt Berlin, um im Osten das ärmliche Leben zu sehen und an der Grenze ordent­lich gefilzt zu werden. Als ausglei­chende Indok­trina­tion wurden die Stachel­schweine besucht. Sie und die Münchener Lach- und Schieß­gesell­schaft erzielten hohe Einschaltquoten, obwohl eine gewisse poli­tische Kenntnis zum Verständnis erforder­lich war. Erfah­rungen aus dem Zusammen­leben von Mann und Frau allein reichten nicht.

Und wie ist es zur Zeit? Wenn Satire sich nicht völlig politik­frei mit Frauen, Männern und Handys beschäf­tigt, sondern mit Politik und Tagesge­schehen, dann reichen politi­sche Späße und Spitzen, so einseitig sie auch sein mögen, nicht aus. Vielmehr wird strecken­weise ganz humorlos morali­siert. Bei Oliver Welke einge­leitet durch "Jetzt mal im Ernst", in der Anstalt seit dem Abgang von Priol mit durch­gängigen Beleh­rungen, soweit ich es gesehen habe, denn ich mußte immer bald abschalten, weil mir schlecht wurde.

Vor diesem Hintergrund und Zeitgeist verwundert eigentlich nicht, daß poli­tische Satire nur noch einseitig produ­ziert, zumindest aber gesehen und einge­ordnet wird. Für die einen ist es eine treffende Kritik und Veral­berung des Gegners, für diesen eine unge­heure Verun­glimpfung. So auch ein harm­loses Youtube-Filmchen des "Bohemian Browser Bal­lett" [1], in dem die Volksauf­läufe in Chemnitz auf den Arm genommen werden. Ich verstehe nicht, warum man sich über andert­halb Minuten sofort erkenn­barer Satire aufregen kann, wenn zur besten Sende­zeit echte Lügen als Dokumen­tationen verkauft werden. [2]

Jedenfalls habe ich es mir ansehen und danach noch eine ganze Reihe weiterer Filmchen, die im Gegen­satz zu vielem Youtube-Mist gut gemacht sind. Sicher­lich mit Geld des Funk-Kanales, in den Zwangs­gebühren von ARD und ZDF fließen, um Jugend­liche bei der Stange zu halten. Aber um Klassen besser als sich ebenfalls an diesen Töpfen labende "Jäger & Sammler" mit 90 Prozent Daumen nach unten. [3] Deren Beiträge sind nicht nur einseitig, sondern auch noch abartig und strunz­dumm.

Um Verwechselungen vorzubeugen: Es geht nicht um das Video, in dem ein AfD-Stand vorge­täuscht wird, von dem ein Afri­kaner gejagt wird. [4] Hier handelt es sich offen­sicht­lich um eine Handy-​Aufnahme von Drehar­beiten für "Volksfest in Sachsen". Darin ist der AfD-Stand für drei Sekunden im Bild. Im Vorder­grund wird ein Afri­kaner durchs Bild gehetzt und kommt bei #wirsindmehr vorbei, wo freie Getränke für alle ange­priesen werden. Einen weiteren Auftritt hat der Afrikaner, als er für eine Sekunde vor dem ange­ketten Nazi flieht. Alles von Anfang an als Satire erkenntlich!

[1] Volksfest in Sachsen. Youtube, "Bohemian Browser Ballett", 17.09.2018. Lohnt sich schon wegen des Polizisten mit deutschem Anglerhut und den Hitlergrüßen für 10 Euro, aber auch wegen des Nazis an der Hundeleine und dem "bleib hier" aus dem Zeckenbiß-Video.
[2] "Schlecky Silberstein": Blogger wird nach Satiredreh von AfD bedroht. Zeit, 18.09.2018.
[3] Zivile Rebellen | Jäger & Sammler. Youtube, "Jäger & Sammler", 27.08.2018.
[4] NEUES FAKE-VIDEO AUFGEDECKT! Youtube, Afd Berlin, 12.09.2018.

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