Chien-Shiung Wu
wuerg, 31.03.2018 23:41
Wer sich über die Physikerin Chien-Shiung Wu informieren will, kann ein Lexikon zur Hand nehmen oder in der Wikipedia lesen. Hier erwähne ich sie, weil sie in einem aktuellen Artikel als siebte von elf Frauen gelistet ist, deren Ruhm Männer ernteten. [1] Es soll nicht geleugnet werden, daß Frauen bis in die Gegenwart benachteiligt werden. Und ganz sicher sind viele vergessen, weil ihre Entdeckungen von Männern publiziert, wiederentdeckt, patentiert oder gestohlen wurden. Doch das haben sie nicht nur mit Frauen, auch mit anderen Männern gemacht. In der Wissenschaft sind es weniger die Feministen, sondern die Wissenschaftler selbst, vielleicht besonders die weiblichen unter ihnen, die zur Würdigung vergangener und aktueller Leistungen beitragen. [2]
Im Falle von Chien-Shiung Wu besteht das Unrecht nur in der Verleihung des Nobelpreises im Jahre 1957 an Tsung-Dao Lee und Chen Ning Yang, die eine Paritätsverletzung für möglich hielten, die im Jahre 1956 von Chien-Shiung Wu nachgewiesen wurde. Mehr als heute ging damals ein Nobelpreis an die Theoretiker, aber nur wenn ihre Theorie bestätigt wurde. So erhielt Stephen Hawkings keinen. Albert Einstein auch nicht für die Relativitätstheorie. Das mag man der allgemeinen Ungerechtigkeit des Nobelkomitees zurechnen, insbesondere gegenüber Frauen.
Es ist aber keineswegs so, daß Chien-Shiung Wu vergessen ist. Ich habe ein Buch über Elementarteilchen aus dem Regal gezogen. [3] Auf Seite 543 ist zu lesen: „Yang und Lee konnten aber belegen, daß bei diesen Erfahrungen bzw. Prüfungen auf Spiegelsymmetrie die Prozesse der Schwachen Wechselwirkung (v.a. die β‑Radioaktivität) noch nie genauer betrachtet worden waren. Sie konnten auch realisierbare Experimente vorschlagen, um diese Lücke zu schließen. Allein für diese qualifizierte Anzweifelung einer vermeintlichen Selbstverständlichkeit oder eines Denkverbots erhielten die beiden schon 1957 den Nobelpreis ‒ gleich nachdem die Experimente von C.S. Wu ihnen Recht gegeben hatten.“
Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob Wu nur eines der von Lee und Yang vorgeschlagenen Experimente durchgeführt hat. In jedem Falle ist ihr Name in etwas geblieben, was weit mehr erinnert wird als ein Nobelpreis, nämlich dem Wu‑Experiment. Und so folgen der kurzen Erwähnung der Beteiligten zwei volle Seiten unter der Überschrift „Das Wu‑Experiment: β⁻‑Strahlen werden bevorzugt entgegen der Spinrichtung ausgesandt“.
Auch im geschichtlichen Abschnitt zur Paritätsverletzung habe ich nichts von deren Entdeckung bereits im Jahre 1928 gefunden. Die Wikipedia behauptet, dies sei damals als Meßfehler abgetan worden. Es wäre doch eine schöne Aufgabe der Gerechtigkeitsforschung, diese Behauptung genau zu beleuchten, wenn es nicht bereits geschehen ist. Wahrscheinlich wurde hier ein Mann um die Würdigung seiner Leistungen gebracht, wie viele vor ihm, die etwas entdeckten, für das die Zeit noch nicht reif war oder was schlicht in Vergessenheit geriet. Die meisten kennen wir sicherlich nicht.
[1] Jessica Samakow: Diese 11 Frauen haben Bahnbrechendes geschafft ‒ den Ruhm ernteten Männer. Huffington Post, 31.03.2018. Link inzwischen ungültig.
[2] Wendland, Werner (Hrg.): Facettenreiche Mathematik. Vieweg+Teubner, 2011.
[3] Jörn Bleck-Neuhaus: Elementare Teilchen. Springer Spektrum, 2. Auflage 2013.
Jocelyn Bell Burnell | Lise Meitner | Rosalind Franklin
Im Falle von Chien-Shiung Wu besteht das Unrecht nur in der Verleihung des Nobelpreises im Jahre 1957 an Tsung-Dao Lee und Chen Ning Yang, die eine Paritätsverletzung für möglich hielten, die im Jahre 1956 von Chien-Shiung Wu nachgewiesen wurde. Mehr als heute ging damals ein Nobelpreis an die Theoretiker, aber nur wenn ihre Theorie bestätigt wurde. So erhielt Stephen Hawkings keinen. Albert Einstein auch nicht für die Relativitätstheorie. Das mag man der allgemeinen Ungerechtigkeit des Nobelkomitees zurechnen, insbesondere gegenüber Frauen.
Es ist aber keineswegs so, daß Chien-Shiung Wu vergessen ist. Ich habe ein Buch über Elementarteilchen aus dem Regal gezogen. [3] Auf Seite 543 ist zu lesen: „Yang und Lee konnten aber belegen, daß bei diesen Erfahrungen bzw. Prüfungen auf Spiegelsymmetrie die Prozesse der Schwachen Wechselwirkung (v.a. die β‑Radioaktivität) noch nie genauer betrachtet worden waren. Sie konnten auch realisierbare Experimente vorschlagen, um diese Lücke zu schließen. Allein für diese qualifizierte Anzweifelung einer vermeintlichen Selbstverständlichkeit oder eines Denkverbots erhielten die beiden schon 1957 den Nobelpreis ‒ gleich nachdem die Experimente von C.S. Wu ihnen Recht gegeben hatten.“
Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob Wu nur eines der von Lee und Yang vorgeschlagenen Experimente durchgeführt hat. In jedem Falle ist ihr Name in etwas geblieben, was weit mehr erinnert wird als ein Nobelpreis, nämlich dem Wu‑Experiment. Und so folgen der kurzen Erwähnung der Beteiligten zwei volle Seiten unter der Überschrift „Das Wu‑Experiment: β⁻‑Strahlen werden bevorzugt entgegen der Spinrichtung ausgesandt“.
Auch im geschichtlichen Abschnitt zur Paritätsverletzung habe ich nichts von deren Entdeckung bereits im Jahre 1928 gefunden. Die Wikipedia behauptet, dies sei damals als Meßfehler abgetan worden. Es wäre doch eine schöne Aufgabe der Gerechtigkeitsforschung, diese Behauptung genau zu beleuchten, wenn es nicht bereits geschehen ist. Wahrscheinlich wurde hier ein Mann um die Würdigung seiner Leistungen gebracht, wie viele vor ihm, die etwas entdeckten, für das die Zeit noch nicht reif war oder was schlicht in Vergessenheit geriet. Die meisten kennen wir sicherlich nicht.
[1] Jessica Samakow: Diese 11 Frauen haben Bahnbrechendes geschafft ‒ den Ruhm ernteten Männer. Huffington Post, 31.03.2018. Link inzwischen ungültig.
[2] Wendland, Werner (Hrg.): Facettenreiche Mathematik. Vieweg+Teubner, 2011.
[3] Jörn Bleck-Neuhaus: Elementare Teilchen. Springer Spektrum, 2. Auflage 2013.
Jocelyn Bell Burnell | Lise Meitner | Rosalind Franklin
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