Dagen-H
wuerg, 05.11.2017 18:02
Über die 500 Jahre Reformation habe ich die 50 Jahre Dagen-H übersehen. Am 3. September des Jahres 1967 stand in Schweden für zehn Minuten der Verkehr still, damit alle von der linken Seite auf die rechte (H wie höger) wechseln konnten. In den Folgetagen gab es keine Verkehrstoten und weniger Unfälle, doch normalisierte sich das bald, denn der Mensch wechselt schnell die Seite. Beeindruckender ist der Aufwand im Vorfeld. Ampeln waren zu installieren, Verkehrszeichen neu zu plazieren, Autoscheinwerfer einzustellen. Polizisten hatten zuvor Rechtsverkehr geübt, Busse erhielten Türen auf der rechten Seite oder wurden in britische Kolonien verkauft.
Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, daß nur noch wenige Länder Linksverkehr betreiben. Neben Großbritanien im wesentlichen noch Australien, Indien und Teile Süd- und Westafrikas. Und natürlich ein kleines Gebiet der USA, die amerikanischen Jungferninseln, obgleich die Genfer Vereinbarung landesweite Einheitlichkeit vorsieht.
Eine kurze Wiederholung der vermuteten geschichtlichen Entwicklung: Die meisten Menschen sind Rechtshänder. Das Schwert steckte links in seiner Scheide, um rechts zuschlagen zu können. Und so ist es besser, den anderen, in dem damals noch der schlechtere vermutet werden durfte, rechts vorbeiziehen zu lassen. Außerdem kann man links von Schwert und Gegenverkehr unbehindert auf sein Pferd steigen. So gesehen ist der rechtshändige Mensch für den Linksverkehr gemacht. [1]
In dieser frühen und von Sexismus freien Zeit schlackerte der Mann nicht mit seinem Schwert den Frauen zwischen den Beinen. Er ging links und möglichst auf der rechten Straßenseite, um das schwache Geschlecht vor dem Straßenverkehr zu schützen, der nicht erst in der Neuzeit gefährlich wurde, weshalb auch das gemeine Fußvolk schon damals gegen die Fahrtrichtung, also auf der rechten Seite lief. [2]
Mit der französischen Revolution mußten sich alle der Mehrheit anpassen und nicht nur rechts laufen, sondern auch fahren. Das kam dem Linkshänder Napoleon gelegen, der den Rechtsverkehr auf weite Teile Europas ausdehnte, auf England aber leider nicht. Den kontinentalen Rest erledigte dann Adolf Hitler.
Das metrische System war den Amerikanern zu französisch, der Rechtsverkehr offensichtlich nicht, denn auf dem Weg gen Westen saßen die Rechtshänder auf dem linken Pferd oder links auf dem Kutschbock, um die Peitsche rechts führen zu können. Gegenverkehr von links war dann angenehmer.
Nun gibt es heute nur noch wenige Kutschen, doch das Lenkrad weiterhin Richtung Straßenmitte. Das mag einem wie Gewohnheit vorkommen, doch Irland machte mir klar, daß es besser ist. Wenn man auf einer engen irischen Straße links eine Steinmauer hat und rechts ein Lastwagen entgegenkommt, dann ist man für die Rechtslenkung des Mietwagens dankbar. Mir hat das Spaß gemacht.
Auch wenn die Freude an der Andersartikeit dann wegfiele, ist eine weltweite Vereinheitlichung von Vorteil. Und so regelt die Genfer Vereinbarung auch viele Details des Straßenverkehrs. Insbesondere muß jedes Fahrzeug einen Führer haben. Wahrscheinlich darf das in Zukunft auch ein Computer sein. Und der vertauscht spielend die Seiten. So befördert der Fortschritt das Überleben der Andersartikeit, die kulturelle Vielfalt, die Buntigkeit der Welt.
Könnte man kostenfrei alles auf einen Schlag vereinheitlichen, wäre der Linksverkehr von Vorteil, weil er weniger Unfälle produziert. Das ist wohl nicht dem linkshändigen Schaltknüppel zu verdanken, nicht der Rechtsfüßigkeit, da das Gaspedal immer rechts ist, und auch nicht der Fahrertür, die zur Straßenmitte zeigen sollte. [3] Eher liegt es daran, daß der Mensch immer noch die Zügel in der rechten Hand von links auf sein Pferd steigt. Und im Linksverkehr hat der Fahrradfahrer den Bürgersteig links. [4]
Meiner Meinung nach darf es einem Menschen durchaus zugemutet werden, links und rechts zu vertauschen. Man sollte auch Buchrücken lesen können, die von unten nach oben beschriftet sind, und wissen, daß im Regal die Seitennummern von rechts nach links laufen, weshalb der Bücherwurm sich vom Beginn bis zum Ende eines Lexikon den ersten und den letzten Band sparen kann. Vielleicht würden Schriftsetzer gespiegelt von rechts nach links lesen, wenn es wegen der Gravitation nicht besser wäre von unten nach oben zu setzen, also auf dem Kopf von links nach rechts zu lesen.
Weniger zufrieden mit der Links-Rechts-Vertauschung bin ich aber, wenn jeder meint, selbst entscheiden zu können, welche Straßenseite er heute benutzt und weder rechts vor links noch keep left beachtet, sondern auf sein dickeres Auto oder sein höheres Kastenzeichen vertraut. Ich bin ein Freund der Vereinheitlichung, der Standardisierung, der Normierung, der Klarheit, der Gleichbehandlung, der Gerechtigkeit, ein Anhänger von Regel und Ausnahme, von Normalität und Abweichung.
Und wenn es um Abweichungen und Rückständigkeiten geht, dann fällt immer wieder ein Band von Ost nach West auf. Zumeist dabei sind die Staaten von Arabien über Indien bis Indonesien. Durch Afrika zieht es sich entlang des Mittelmeeres oder über die Ostküste. Im Westen strahlt es gerne in die USA aus, und im Osten nach Australien, China oder Japan. Manchmal sind nur klägliche Reste geblieben wie beim Linksverkehr oder dem metrischen System. Aber es gibt ja auch noch Stromnetze, Monarchien, Todesstrafe, lateinische Schrift, Kalender, Alphabetisierung und vieles andere mehr.
[1] Das ist kein Othering des Linkshänders, er ist auch kein gesellschaftliches Konstrukt. Es ist eine Asymmetrie, denn auch der linkshändige Tischtennisspieler bevorzugt rechtshändige Gegner.
[2] Die rechte Seite für Frauen oder Höhergestellte könnte man überdenken. Immer mehr schwertlose Männer haben gerne den rechten Schlagarm frei.
[3] Für die Schweden war der Rechtsverkehr sicherer, da ihre Autos vorwiegend links gelenkt wurden.
[4] Es gibt Scheren für Linkshänder. Doch warum haben Fahrräder die Kette immer rechts und den Lenker vorne?
Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, daß nur noch wenige Länder Linksverkehr betreiben. Neben Großbritanien im wesentlichen noch Australien, Indien und Teile Süd- und Westafrikas. Und natürlich ein kleines Gebiet der USA, die amerikanischen Jungferninseln, obgleich die Genfer Vereinbarung landesweite Einheitlichkeit vorsieht.
Eine kurze Wiederholung der vermuteten geschichtlichen Entwicklung: Die meisten Menschen sind Rechtshänder. Das Schwert steckte links in seiner Scheide, um rechts zuschlagen zu können. Und so ist es besser, den anderen, in dem damals noch der schlechtere vermutet werden durfte, rechts vorbeiziehen zu lassen. Außerdem kann man links von Schwert und Gegenverkehr unbehindert auf sein Pferd steigen. So gesehen ist der rechtshändige Mensch für den Linksverkehr gemacht. [1]
In dieser frühen und von Sexismus freien Zeit schlackerte der Mann nicht mit seinem Schwert den Frauen zwischen den Beinen. Er ging links und möglichst auf der rechten Straßenseite, um das schwache Geschlecht vor dem Straßenverkehr zu schützen, der nicht erst in der Neuzeit gefährlich wurde, weshalb auch das gemeine Fußvolk schon damals gegen die Fahrtrichtung, also auf der rechten Seite lief. [2]
Mit der französischen Revolution mußten sich alle der Mehrheit anpassen und nicht nur rechts laufen, sondern auch fahren. Das kam dem Linkshänder Napoleon gelegen, der den Rechtsverkehr auf weite Teile Europas ausdehnte, auf England aber leider nicht. Den kontinentalen Rest erledigte dann Adolf Hitler.
Das metrische System war den Amerikanern zu französisch, der Rechtsverkehr offensichtlich nicht, denn auf dem Weg gen Westen saßen die Rechtshänder auf dem linken Pferd oder links auf dem Kutschbock, um die Peitsche rechts führen zu können. Gegenverkehr von links war dann angenehmer.
Nun gibt es heute nur noch wenige Kutschen, doch das Lenkrad weiterhin Richtung Straßenmitte. Das mag einem wie Gewohnheit vorkommen, doch Irland machte mir klar, daß es besser ist. Wenn man auf einer engen irischen Straße links eine Steinmauer hat und rechts ein Lastwagen entgegenkommt, dann ist man für die Rechtslenkung des Mietwagens dankbar. Mir hat das Spaß gemacht.
Auch wenn die Freude an der Andersartikeit dann wegfiele, ist eine weltweite Vereinheitlichung von Vorteil. Und so regelt die Genfer Vereinbarung auch viele Details des Straßenverkehrs. Insbesondere muß jedes Fahrzeug einen Führer haben. Wahrscheinlich darf das in Zukunft auch ein Computer sein. Und der vertauscht spielend die Seiten. So befördert der Fortschritt das Überleben der Andersartikeit, die kulturelle Vielfalt, die Buntigkeit der Welt.
Könnte man kostenfrei alles auf einen Schlag vereinheitlichen, wäre der Linksverkehr von Vorteil, weil er weniger Unfälle produziert. Das ist wohl nicht dem linkshändigen Schaltknüppel zu verdanken, nicht der Rechtsfüßigkeit, da das Gaspedal immer rechts ist, und auch nicht der Fahrertür, die zur Straßenmitte zeigen sollte. [3] Eher liegt es daran, daß der Mensch immer noch die Zügel in der rechten Hand von links auf sein Pferd steigt. Und im Linksverkehr hat der Fahrradfahrer den Bürgersteig links. [4]
Meiner Meinung nach darf es einem Menschen durchaus zugemutet werden, links und rechts zu vertauschen. Man sollte auch Buchrücken lesen können, die von unten nach oben beschriftet sind, und wissen, daß im Regal die Seitennummern von rechts nach links laufen, weshalb der Bücherwurm sich vom Beginn bis zum Ende eines Lexikon den ersten und den letzten Band sparen kann. Vielleicht würden Schriftsetzer gespiegelt von rechts nach links lesen, wenn es wegen der Gravitation nicht besser wäre von unten nach oben zu setzen, also auf dem Kopf von links nach rechts zu lesen.
Weniger zufrieden mit der Links-Rechts-Vertauschung bin ich aber, wenn jeder meint, selbst entscheiden zu können, welche Straßenseite er heute benutzt und weder rechts vor links noch keep left beachtet, sondern auf sein dickeres Auto oder sein höheres Kastenzeichen vertraut. Ich bin ein Freund der Vereinheitlichung, der Standardisierung, der Normierung, der Klarheit, der Gleichbehandlung, der Gerechtigkeit, ein Anhänger von Regel und Ausnahme, von Normalität und Abweichung.
Und wenn es um Abweichungen und Rückständigkeiten geht, dann fällt immer wieder ein Band von Ost nach West auf. Zumeist dabei sind die Staaten von Arabien über Indien bis Indonesien. Durch Afrika zieht es sich entlang des Mittelmeeres oder über die Ostküste. Im Westen strahlt es gerne in die USA aus, und im Osten nach Australien, China oder Japan. Manchmal sind nur klägliche Reste geblieben wie beim Linksverkehr oder dem metrischen System. Aber es gibt ja auch noch Stromnetze, Monarchien, Todesstrafe, lateinische Schrift, Kalender, Alphabetisierung und vieles andere mehr.
[1] Das ist kein Othering des Linkshänders, er ist auch kein gesellschaftliches Konstrukt. Es ist eine Asymmetrie, denn auch der linkshändige Tischtennisspieler bevorzugt rechtshändige Gegner.
[2] Die rechte Seite für Frauen oder Höhergestellte könnte man überdenken. Immer mehr schwertlose Männer haben gerne den rechten Schlagarm frei.
[3] Für die Schweden war der Rechtsverkehr sicherer, da ihre Autos vorwiegend links gelenkt wurden.
[4] Es gibt Scheren für Linkshänder. Doch warum haben Fahrräder die Kette immer rechts und den Lenker vorne?
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mark793,
05.11.2017 18:09
Kette rechts
wird gern damit erklärt, dass man sich einer abgesprungenen Kette oder einem ähnlichen Defekt auf der verkehrsabgewandten Seite widmen kann.
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wuerg,
05.11.2017 18:37
Daß Sie auf das Reizwort Fahrrad reagieren, habe ich erwartet. Sie waren sogar schneller als meine letzte Korrektur.
Das mit der abgesprungenen Kette habe ich noch nicht gehört. Es leuchtet aber ein, jedenfalls für den Rechtsverkehr. Und anders als bei teuren Autos stellt man für den Linksverkehr keine Minderheiten-Variante her.
Ich gehe aber davon aus, daß der englische Radfahrer die Rechtskettigkeit nicht als Nachteil empfindet. Es wird nicht an der rechtsseitigen Kette liegen, daß fast alle ihr Fahrrad links schieben. Viele sind in der Lage, es allein mit der rechten Hand am Sattel zu lenken, mit der linken aber nicht.
Das mit der abgesprungenen Kette habe ich noch nicht gehört. Es leuchtet aber ein, jedenfalls für den Rechtsverkehr. Und anders als bei teuren Autos stellt man für den Linksverkehr keine Minderheiten-Variante her.
Ich gehe aber davon aus, daß der englische Radfahrer die Rechtskettigkeit nicht als Nachteil empfindet. Es wird nicht an der rechtsseitigen Kette liegen, daß fast alle ihr Fahrrad links schieben. Viele sind in der Lage, es allein mit der rechten Hand am Sattel zu lenken, mit der linken aber nicht.
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