Dagen-H
Über die 500 Jahre Refor­mation habe ich die 50 Jahre Dagen-H übersehen. Am 3. September des Jahres 1967 stand in Schweden für zehn Minuten der Verkehr still, damit alle von der linken Seite auf die rechte (H wie höger) wechseln konnten. In den Folge­tagen gab es keine Verkehrs­toten und weniger Unfälle, doch normali­sierte sich das bald, denn der Mensch wechselt schnell die Seite. Beein­druckender ist der Aufwand im Vorfeld. Ampeln waren zu instal­lieren, Verkehrs­zeichen neu zu plazieren, Auto­scheinwerfer einzustellen. Polizisten hatten zuvor Rechts­verkehr geübt, Busse erhielten Türen auf der rechten Seite oder wurden in britische Kolonien verkauft.

Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, daß nur noch wenige Länder Links­verkehr betreiben. Neben Groß­britanien im wesent­lichen noch Australien, Indien und Teile Süd- und West­afrikas. Und natürlich ein kleines Gebiet der USA, die amerika­nischen Jungfern­inseln, obgleich die Genfer Verein­barung landes­weite Einheit­lichkeit vorsieht.

Eine kurze Wieder­holung der vermuteten geschicht­lichen Entwicklung: Die meisten Menschen sind Rechts­händer. Das Schwert steckte links in seiner Scheide, um rechts zuschlagen zu können. Und so ist es besser, den anderen, in dem damals noch der schlechtere vermutet werden durfte, rechts vorbei­ziehen zu lassen. Außerdem kann man links von Schwert und Gegen­verkehr unbehindert auf sein Pferd steigen. So gesehen ist der rechts­händige Mensch für den Links­verkehr gemacht. [1]

In dieser frühen und von Sexismus freien Zeit schlackerte der Mann nicht mit seinem Schwert den Frauen zwischen den Beinen. Er ging links und möglichst auf der rechten Straßen­seite, um das schwache Geschlecht vor dem Straßen­verkehr zu schützen, der nicht erst in der Neuzeit gefährlich wurde, weshalb auch das gemeine Fußvolk schon damals gegen die Fahrt­richtung, also auf der rechten Seite lief. [2]

Mit der franzö­sischen Revo­lution mußten sich alle der Mehrheit anpassen und nicht nur rechts laufen, sondern auch fahren. Das kam dem Links­händer Napoleon gelegen, der den Rechts­verkehr auf weite Teile Europas ausdehnte, auf England aber leider nicht. Den kontinen­talen Rest erledigte dann Adolf Hitler.

Das metrische System war den Ameri­kanern zu franzö­sisch, der Rechts­verkehr offen­sichtlich nicht, denn auf dem Weg gen Westen saßen die Rechts­händer auf dem linken Pferd oder links auf dem Kutsch­bock, um die Peitsche rechts führen zu können. Gegen­verkehr von links war dann angenehmer.

Nun gibt es heute nur noch wenige Kutschen, doch das Lenkrad weiterhin Richtung Straßen­mitte. Das mag einem wie Gewohnheit vorkommen, doch Irland machte mir klar, daß es besser ist. Wenn man auf einer engen irischen Straße links eine Steinmauer hat und rechts ein Lastwagen entgegen­kommt, dann ist man für die Rechts­lenkung des Miet­wagens dankbar. Mir hat das Spaß gemacht.

Auch wenn die Freude an der Anders­artikeit dann wegfiele, ist eine weltweite Verein­heit­lichung von Vorteil. Und so regelt die Genfer Verein­barung auch viele Details des Straßen­verkehrs. Insbe­sondere muß jedes Fahrzeug einen Führer haben. Wahrschein­lich darf das in Zukunft auch ein Computer sein. Und der vertauscht spielend die Seiten. So befördert der Fort­schritt das Überleben der Anders­artikeit, die kul­turelle Vielfalt, die Buntig­keit der Welt.

Könnte man kosten­frei alles auf einen Schlag verein­heitlichen, wäre der Links­verkehr von Vorteil, weil er weniger Unfälle produziert. Das ist wohl nicht dem links­händigen Schalt­knüppel zu verdanken, nicht der Rechts­füßigkeit, da das Gaspedal immer rechts ist, und auch nicht der Fahrer­tür, die zur Straßen­mitte zeigen sollte. [3] Eher liegt es daran, daß der Mensch immer noch die Zügel in der rechten Hand von links auf sein Pferd steigt. Und im Links­verkehr hat der Fahrrad­fahrer den Bürger­steig links. [4]

Meiner Meinung nach darf es einem Menschen durchaus zugemutet werden, links und rechts zu vertauschen. Man sollte auch Buch­rücken lesen können, die von unten nach oben beschriftet sind, und wissen, daß im Regal die Seiten­nummern von rechts nach links laufen, weshalb der Bücher­wurm sich vom Beginn bis zum Ende eines Lexikon den ersten und den letzten Band sparen kann. Viel­leicht würden Schrift­setzer gespie­gelt von rechts nach links lesen, wenn es wegen der Gravi­tation nicht besser wäre von unten nach oben zu setzen, also auf dem Kopf von links nach rechts zu lesen.

Weniger zufrieden mit der Links-Rechts-Vertau­schung bin ich aber, wenn jeder meint, selbst entscheiden zu können, welche Straßen­seite er heute benutzt und weder rechts vor links noch keep left beachtet, sondern auf sein dickeres Auto oder sein höheres Kasten­zeichen vertraut. Ich bin ein Freund der Verein­heit­lichung, der Stan­dardi­sierung, der Normierung, der Klarheit, der Gleich­behandlung, der Gerech­tigkeit, ein Anhänger von Regel und Ausnahme, von Normalität und Abweichung.

Und wenn es um Abweich­ungen und Rück­ständig­keiten geht, dann fällt immer wieder ein Band von Ost nach West auf. Zumeist dabei sind die Staaten von Arabien über Indien bis Indo­nesien. Durch Afrika zieht es sich entlang des Mittel­meeres oder über die Ostküste. Im Westen strahlt es gerne in die USA aus, und im Osten nach Australien, China oder Japan. Manchmal sind nur kläg­liche Reste geblieben wie beim Links­verkehr oder dem metri­schen System. Aber es gibt ja auch noch Stromnetze, Monarchien, Todesstrafe, lateinische Schrift, Kalender, Alphabeti­sierung und vieles andere mehr.

[1] Das ist kein Othering des Links­händers, er ist auch kein gesell­schaft­liches Konstrukt. Es ist eine Asym­metrie, denn auch der links­händige Tisch­tennis­spieler bevorzugt rechts­händige Gegner.
[2] Die rechte Seite für Frauen oder Höher­gestellte könnte man über­denken. Immer mehr schwert­lose Männer haben gerne den rechten Schlagarm frei.
[3] Für die Schweden war der Rechtsverkehr sicherer, da ihre Autos vorwiegend links gelenkt wurden.
[4] Es gibt Scheren für Links­händer. Doch warum haben Fahrräder die Kette immer rechts und den Lenker vorne?

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Kette rechts
wird gern damit erklärt, dass man sich einer abgesprungenen Kette oder einem ähnlichen Defekt auf der verkehrsabgewandten Seite widmen kann.

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Daß Sie auf das Reizwort Fahrrad reagieren, habe ich erwartet. Sie waren sogar schneller als meine letzte Korrektur.

Das mit der abgesprungenen Kette habe ich noch nicht gehört. Es leuchtet aber ein, jedenfalls für den Rechtsverkehr. Und anders als bei teuren Autos stellt man für den Linksverkehr keine Minderheiten-Variante her.

Ich gehe aber davon aus, daß der englische Radfahrer die Rechtskettigkeit nicht als Nachteil empfindet. Es wird nicht an der rechtsseitigen Kette liegen, daß fast alle ihr Fahrrad links schieben. Viele sind in der Lage, es allein mit der rechten Hand am Sattel zu lenken, mit der linken aber nicht.

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