Menschenmaß
Weder ist der Krieg Vater, noch der Mensch Maß aller Dinge. Für ihn liegt es aber nahe, die Welt am dem zu messen was er bei sich trägt, besten­falls im Kopf. Sein Gewicht, seine Kraft, seine Höchst­geschwin­digkeit sind weniger geeignet, die Welt zu messen. Doch Körper­maße trägt jeder mit sich herum. Größe und Bauch­umfang sind unprak­tisch, weil sich keiner wie ein Meßstab hinlegen oder abrollen will. Es bleiben aber minde­stens drei Bereiche: Hand, Körper, Gang. Ich habe mich ausge­messen:

A Fingerspitzenbreite: 1,8 cm
B Daumenbreite: 2,4 cm
C Handbreite ohne Daumen: 9,5 cm
D Spannweite der Hand: 22 cm
E Länge einer Sandale: 29 cm
F Fingerspitze bis Ellbogenspitze: 46 cm
G Spannweite ausgestreckter Arme: 180 cm

Aus A:B≈3:4, B:C≈1:4, B:D≈1:9, C:E≈1:3, E:G≈1:6, F:G≈1:4 ergeben sich Verhältnisse wie unter den englischen Längenmaßen:
A : B : C : D : E : F : G = 3 : 4 : 16 : 36: 48 : 72 : 288
= digit : inch : hand : span : foot : cubit : fathom

Trägt man eine Verdoppelung nach rechts und eine Verdreifachung nach oben ab, so ergibt sich eine Rechteck von Maßeinheiten, die allesamt in einem 3-glatten Verhältnis [1] stehen:

  5,715 cm
nail
  23,11 cm
span
46,22 cm
cubit
92,44 cm
yard (yd)
182,88 cm
fathom (fm)
  1,905 cm
digit
  7,62 cm
palm
15,24 cm
shaftment
30,48 cm
foot (ft,')
 
0,3175 cm
part
    2,54 cm
inch (in,'')
5,08 cm
stick
10,16 cm
hand
 
  0,2117 cm
line
0,4233 cm
pica
0,8467 cm
barleycorn
     
3,528 μm
point
           

Dieses Schema hat sich über Jahrtau­sende erhalten. Zumeist blieben die 3-glatten Verhält­nisse, nur das Grundmaß wurde variiert:

Art des Fußes
Eigenname
Länge in Meter
cm
italischer Fuß pous italikos 0,518616 · 25/49 26,46
 mesopotamischer Nippurfuß    0,518616 · 16/30 27,66
Wuerg-Fuß    mittlerer Meßwert  29,30
römischer Fuß pes monetalis 0,518616 · 16/28 29,64
englischer Fuß  (imperial) foot  12 · 0,25400 30,48
amerikanischer Fuß survey foot 1200 / 3937  30,48006 
Pariser Fuß [2] pied 144 / 443,296 32,484

Die 5000 Jahre alte Nippur­elle wird mit 3-glatten 518616 Mikro­metern ange­setzt. Das liegt im Rahmen der Toleranz gemes­sener Werte. [3] Diese Nippur­elle bestand aus 30 Fingern, wovon 16 den mesopo­tami­schen Nippur­fuß bildeten. Davon leiten sich in mehreren Stufen fast alle antiken Systeme ab. Statt voll­ständig neuer Maße bevorzugte man eine gleich­mäßige Vergrö­ßerung oder Verklei­nerung der vorhan­denen. [4] Eigent­lich ist es schade, daß ein derart altes System nun im Zuge der Metri­sierung verschwin­det. Aber es gibt gute Gründe für eine welt­weite Verein­heit­lichung auf der Basis von Dezimal­zahlen, auch für Ameri­kaner.

[1] Ein Zahl heißt 3-glatt, wenn sie als Produkt von Zeier- und Dreier­potenzen darge­stellt werden kann. Zum Beispiel: 6, 9/8, 524288/531441. Letzteres ist das Pytha­goräi­sche Komma. Heute sind musi­kalische Inter­valle zumeist 5-glatt. Die Metro­logen bevor­zugen 7-glatte Zahlen, um viele Nachkomma­stellen zu vermeiden.
[2] Die Franzosen leben nicht nur auf großem Fuß, meiner Erinne­rung nach haben sie auch zu lange Kondome als EU-Norm durch­gesetzt. Erst 2002 wurde auf 16 Zen­time­ter redu­ziert.
[3] The measure of the Nippur cubit". Die Verhält­nisse sind richtig darge­stellt, obgleich im Umfeld dieser Seite neue Systeme propa­giert werden, die sich noch weniger durch­setzen werden als neue Pronomen.
[4] Das mag auf den ersten Blick wenig sinnvoll erscheinen, doch machen wir es heute ähnlich: Wieder­holt meinte man, im Sommer Energie zu sparen, indem alle mit der Schule und der Arbeit eine Stunde früher beginnen, um am Abend eher den Hammer fallen zu lassen und die Tages­schau um sieben Uhr zu sehen. Da der Mensch jedoch an seinem alten Stiefel hängt, hat er einfach die Zeitzone, also die Abbil­dung seines Denk­schemas auf die Reali­tät geändert.

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Bärenkunde
Wer in den Kosmos, das Erdinnere oder die Welt der Atome blicken will, kommt mit Selbst­bespie­gelung nicht weit. Selbst­versuche dienen kaum noch dem medi­zini­schen Fort­schritt. Wer Selbst­bespie­gelung in der allwis­senden Müll­halde sucht, wird mit aller­lei Narziß­mus bis zur Selfie­sucht konfron­tiert. Volks­hochschul­kurse zur Selbst­bespiege­lung für Frauen sind schon lange durch Bären­bilder im Internet abgelöst. Warum also erregt jetzt eine Mösen­selbster­vorschung des AStA-Referates Bieberkunde in einer Stadt, die es gar nicht gibt, soviel Aufmerk­samkeit? [1]

Weil Spinner­*innen bis über die Grenzen der Satire ihre Wahn­vorstel­lungen im univer­sitären Umfeld weiter ausbauen wollen. Nicht etwa in arbeits­inten­siven Bereichen wie Gynä­kologie oder Uro­logie. Eher vom Schlage Event­mangement mit Schwer­punkt Kinder­geburts­tag, Para­psycho­logie, kriti­sche Weiß­seinsfor­schung, Flücht­lings­hilfe, Migrations­kunde, Gleich­stellung oder polymorphe Sexualität, wo man im Gegensatz zu anderen Pseudo­wissen­schaften wie Rasen­kunde, Homöo­pathie, Theologie und Islam­wissen­schaft kaum etwas lernen muß. Manche auf der Suche nach einer Essenz, die andere für Urin halten.

Wenn Frauen ihren Orgas­mus ausbauen wollen, indem sie zu ihren Aus­flüssen stehen, sie kontrol­lieren, einset­zen oder gar medizi­nisch erfor­schen, handelt es sich um ein verständ­liches bis ehren­wertes Anliegen. Daß Männer nicht nur von den prak­tischen Übungen ausge­schlossen sind, bedarf keiner beson­deren Begrün­dung. Aber warum ist man so scharf auf Trans*en? Dürfen auch lang­schwän­zige Frauen teil­nehmen? Muß es in der Kurs­beschrei­bung nicht "jede*" statt "jede*r" heißen? [2] Wird man als Viert­kläßler immer noch für doof gehalten, wenn man Fotze mit V schreibt? Und wann gibt es ein Ober­seminar für Männer zum Thema Hinter­fotzig­keit?

[1] AStA veran­staltet Mastur­bations-​Kurs. Bild, 26.04.2018.
[2] Möseale Ejaku­lation - Die Votzen spritzen zurück! Linke Land­schaft Biele­feld. Fire­fox 14 nicht erwünscht.

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Theorie und Praxis
Als Kind wollte ich unbedingt einen Schachtel­satz finden, der sich mit jeder Itera­tion nicht nur um ein Stück verlän­gert, sondern seine Länge verdoppelt. Beginnt man mit

Theorie muß in Praxis, Praxis in Theorie umge­setzt werden.

und ersetzt mehrfach die kursiven Wörter gemäß

Theorie --> die Theorie, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen,
Praxis --> die Praxis, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen,

so erhält man

(1) Die Theorie, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, muß in Praxis, die Praxis, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Theorie umge­setzt werden.

(2) Die Theorie, die Theorie, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Praxis, die Praxis, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Theorie umzu­setzen, muß in Praxis, die Praxis, die Theorie, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Praxis, die Praxis, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Theorie umzu­setzen, in Theorie umge­setzt werden.

(3) Die Theorie, die Theorie, die Theorie, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Praxis, die Praxis, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Theorie umzu­setzen, in Praxis, die Praxis, die Theorie, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Praxis, die Praxis, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Theorie umzu­setzen, in Theorie umzu­setzen, muß in Praxis, die Praxis, die Theorie, die Theorie, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Praxis, die Praxis, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Theorie umzu­setzen, in Praxis, die Praxis, die Theorie, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Praxis, die Praxis, Theorie in Praxis, Praxis in Theorie umzu­setzen, in Theorie umzu­setzen, in Theorie umzu­setzen, in Theorie umge­setzt werden.

und so weiter, nachdem man den kursiven Text gerade und den ersten Buch­staben groß geschrie­ben hat. Schachtel­sätze, die sich nur am Ende um ein immer gleiches Stück verlän­gern, sind überschau­barer, doch nicht so inter­essant. Aber man kann einfache Ausgangs­sätze wie

Ein Mann traf letztes Jahr einen Mann, der sagte, ein Mann traf letztes Jahr einen Mann, der sagte, ein Mann traf letztes Jahr einen Mann, der sagte, ein Mann ...

aufmotzen, indem man jeden zweiten Mann zur Frau macht oder noch besser jedes zweite Teil­stück in einer fremden Sprache schreibt. Wenn man dann jede Doppel­periode auf ein Möbius­band schreibt, so enthält es nicht nur den unend­lichen Satz, sondern auf der Rückseite auch die Über­setzung. Das hat Clifford Stoll unter [1] demon­striert.

Ansatzweise kommen solche Schachtel­sätze nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis vor:

Darf man heute noch Neger sagen? [2]
Darf man heute noch 'Darf man heute noch Neger sagen?' sagen?
Darf man heute noch "Darf man heute noch 'Darf man heute noch Neger sagen?' sagen?" sagen?

Die Antworten lauten "nein", "nein, nein" und "nein, nein, nein".

[1] Clifford Stoll: The Never­ending Story (and Droste Effect) - Number­phile. Youtube, Number­phile, 16.09.2017.
[2] "Darf man heute noch Neger sagen?": MDR Sachsens setzt Radio­sendung über poli­tische Korrekt­heit nach Kritik ab. Meedia, 18.04.2018.

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Hohlmaße
Die wesent­lichen Maße sind die des MKS-Systems, der Meter, das Kilo­gramm und die Sekunde. Da die Sekunde allen Maß­systemen gemein ist, sind für Umrech­nungen von einem zum anderen eigent­lich nur zwei Festlegungen erfor­derlich, eine für die Länge, eine für die Masse. Wenn da nicht die Hohl­maße wären, für die sich heute keiner mehr interes­siert, denn wir leben in einer Zeit, da ein Liter ein Kubik­dezimeter ist, nicht mehr und nicht weniger. Deshalb gibt es die Hohlmaße eigent­lich nur noch aus histo­rischer Sicht, schon gar nicht unter­schieden nach Flüssig­keits­maßen für Wasser, Bier, Wein, Öl und Trocken­maßen für Getreide, Mehl, Kohle, Holz. Das ist alles Geschichte aus einer Zeit, da man diese Maße kannte, benutzte oder gar besaß, aber nur ungenau oder gar nicht eines in das andere umrech­nen konnte.

Ich persönlich mag die Bezeich­nung Liter außer­halb von Tank­stellen und Getränke­läden nicht beson­ders, denn ein Liter ist heute wieder einfach eine alter­native Bezeich­nung für einen Kubik­dezimeter. Sie hält sich aber auch in der Wissen­schaft hart­näckig, und es ist für manche eine Glaubens­frage, ob der Liter mit großem oder kleinen L abzu­kürzen ist, weshalb man sich immer noch nicht zu einer Normung hat entschlie­ßen können. In meiner Kindheit war der Liter ein echtes Hohlmaß, also ein Volumen, das über die Masse eines Stoffes fest­gelegt wurde. Für den Liter war es Wasser, und zwar das Volumen von einem Kilo­gramm Wasser bei höch­ster Dichte, zuletzt bei 4 Grad. [1]

In dieser Zeit hatte der Liter 1,000025 bis 1,000028 Kubik­dezimeter. Daß dieser Wert fast genau bei 1 liegt, ist dem Urkilo­gramm zu verdan­ken, das möglichst gut der Masse von einem Kubik­dezimeter Wasser entspre­chen sollte. Zuvor war der Urmeter als der zehn­tausendste Teil des Meri­dians durch Paris vom Nordpol zum Äquator ange­fertigt worden. Es stellte sich auch hier eine Abwei­chung heraus. Der Meridian ist 2 Kilometer länger. Mit diesen beiden Defi­nition orien­tierte man sich zwar am Wasser und an der Erde, legte durch sog. Verkör­perungen aber Einhei­ten fest, die genauer waren als die bishe­rigen Ablei­tungen aus vermeint­lichen Natur­konstanten.

Noch während meiner Schulzeit hat man einge­sehen, daß der Unter­schied zwischen Liter und Kubik­dezimeter zwar im Alltag ohne Bedeu­tung ist, aber bei genauen Messungen eine Quelle von Verwech­selungen dar­stellt. Und da es recht sinnlos ist, zwei Raum­maße mit nur 0,03 Pro­mille Unter­schied zu verwenden, wurde der Liter wieder zu einem Kubik­dezimeter gemacht, wie er 1793 in Frank­reich defi­niert wurde. Doch weil selbst der Revolu­tionär an altem Schwach­sinn hängt, wurde neben dem Kilo­gramm ein Grave defi­niert, der Masse von von einem Liter Wasser, also etwa 0,999975 Kilo­gramm.

In England verfuhr man ähnlich. Ein Pfund bestand aus 16 Unzen. Die Gallone zu 160 Flüs­sig-​Unzen war als das Volumen von 10 Pfund Wasser defi­niert, aller­dings bei 62 Grad Fahrenheit, was fast 17 Grad Celsius entspricht und wo die Dichte des Wassers nur noch 0,998836 Gramm pro Kubik­zenti­meter beträgt. Inzwischen sind das Pfund mit exakt 453,59237 Gramm und die Gallone mit exakt 4,54609 Kubik­dezimeter an die SI-Ein­heiten ange­schlossen. Damit ist die Bindung an das Wasser bei 62 Grad Fahren­heit aufge­geben. Eine Flüssig­keits-Unze Wasser mit der Masse einer Gewichts-​Unze muß nunmehr eine Dichte von 0,997763 Gramm pro Kubik­zenti­meter haben, wozu ich einer Tabelle 71,7 Grad Fahren­heit entnom­men habe.

Da auch der Zoll mit exakt 2,54 Zen­ti­meter an das SI-System ange­schlossen ist, haben wir drei Umrech­nungen und damit eine weitere für Volu­mina auf der Basis von Kubik­zoll. Im anglo­amerika­nischen System sind also zwei Raum­maße gebräuch­lich, das normale Volu­menmaß auf der Basis des Zolls und die Hohl­maße auf der Basis von Gallo­nen. Damit umfaßt eine Gal­lone 277,4194328 Kubik­zoll. Und das ist keine Folge des Anschlus­ses an die SI-Ein­heiten. Ein Faktor von etwa 277 war immer schon im anglo­amerika­nischen Maßsystem angelegt, wenn auch nur den wenig­sten bewußt. Wir haben dieses Problem nicht, weil wir die Hohl­maße prak­tisch wegge­worfen haben, was uns durch eine gute Defi­nition der Masse­einheit Kilo­gramm erleich­tert wurde.

Daß eine Flüssigkeits-​Unze 28,41306 Kubik­zenti­meter, eine Gewichts-​Unze aber nur 28,349523 Gramm hat, fällt natür­lich nicht auf, wenn man sich ausschließ­lich im anglo­amerika­nischen System bewegt. Man mag sich auch an viele verschie­dene Umrechnungs­faktoren wie 4, 5, 11, 12, 16 usw. gewöhnen, doch die Abbil­dung der Hohl­maße auf normale Volu­mina mit einem ganz krummen Faktor ist eine selbst­gemachte Schwäche, die durch Strei­chung von Gallone, Pint und Konsor­ten zu besei­tigen nun zu spät ist, da zumin­dest in Groß­britan­nien das alte Maßsystem offi­ziell aufge­geben wurde und das neue den Menschen schmack­haft gemacht werden soll. Die Amis konnten sich dazu noch nicht durch­ringen und leisten sich beim Anschluß an das SI-System noch Extra­würste.

[1] Der Druck ist nicht so wichtig wie die Tempe­ratur. Einmal ist es der Normal­druck von 1013,25 Hek­to­pascal, ein ander­mal nur 0,6 Hek­to­pascal am Tripel­punkt mit 0,01 Grad Celsius.
[2] Wolfgang Trapp und Heinz Wallerus: Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeit­rechnung. Reclam Stutt­gart, 6. Auf­lage, 2012.

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Score
Ich finde das Buch nicht mehr oder habe es wohl zurecht wegge­worfen, in dem frech behauptet wurde, Natur­wissen­schaftler würden alles messen wollen und meßbar machen, was nicht meßbar ist. Hinter diesem in sich wider­sprüch­lichen Vorwurf steckte wohl die geistes­wissen­schaft­liche Einbil­dung, die wesent­lichen Aspekte der Welt seien nicht quanti­fizierbar. Dem kann ein Natur­wissen­schaftler zustimmen und beschränkt deshalb seine Arbeit auf den meßbaren Teil. Nicht so die diskutie­renden Wissen­schaftler, die aus homöo­pathi­schen Mengen tenden­ziös erfaßter Daten eine sog. Stati­stik zaubern und jeden Furz nicht nur benennen, sondern auch bezif­fern, und sei es nur in Form einer Rang­liste.

Solche Ranglisten kommen den Menschen entgegen. Zumeist beruhen sie auf ermit­telten Zahlen, deren Zustande­kommen nicht sonder­lich interes­siert, denn es kommt beim Schwanz­vergleich nur auf die Relation zum Nachbarn an. Vor allem für den Sport, die Musik und das Geld gibt es Top-xxx-Listen. Für die Top-16 im Snooker benötigt man neben Talent viel Training. Wer darin ist, muß sich für ein Turnier nicht mehr quali­fizieren. Wer in den Single-Top-1000 ist, interes­siert mich nicht die Bohne. Und nach welchen Krite­rien die 25  pein­lich­sten TV-Momente ausge­wählt wurden, möchte ich gar nicht wissen.

Eine High-Score-Liste sollte nicht nur die Plätze, sondern auch einen wie auch immer gebildeten Score ausweisen. Darüber­hinaus ist es schön, wenn sie zwanzig Einträge aufweist, denn Score steht für die Zahl 20, die manche als Stiege kennen. In Zahl­wörtern macht sie sich bis heute bemerkbar. Ab 20 kleben wir Einer und Zehner nicht mehr anein­ander und sagen neunund­zwanzig, nicht neun­zwanzig. Wenn Fran­zosen die baby­loni­sche 60 über­wunden haben, dann fügen sie bis 100 zwei Blöcke zu 20 an, woraus sich das berühmte quatre-vingts für 80 ergibt. Und die King-James-Bibel schreibt in der Offen­barung, Kapitel 13, Vers 18 die Zahl 666 als "Six hundred three­score and six".

Früher gab es in England Score nicht nur als Zahl 20, sondern auch als Volumen und Gewicht. Wer sich dazu im Internet kundig machen möchte, findet viele vonein­ander abwei­chende Angaben. Das liegt wohl nicht nur am unge­nauen, zeitlich und örtlich unter­schied­lichen Festlegungen, sondern auch an der mühsamen Arbeit, die rich­tigen Größen aus alten Unter­lagen zusammen­zutragen. Verläßlich erscheint mir allein:

1 score = 21 chaldron (UK) = 6048 gallon (UK) = 27,49475232 Kubikmeter

Das soll nicht heißen, daß vor Jahrhun­derten mit dieser Genauig­keit gemessen werden konnte. Vielmehr ist es wie bei vielen sehr genau festge­legten Konstan­ten: Ihr Wert liegt möglichst gut bei dem vorge­stellten oder gebräuch­lichen und ist irgend­wann im Sinne der Vergleich­barkeit sehr genau festge­legt worden. Deshalb hat eine imperial gallon nicht ungefähr, sondern genau 4,54609 Li­ter. Das 288-fache Chaldron ist noch in meinem Reclam-Heft vermerkt. [1] Daß ein Score nicht 20, sondern 21 mal so groß ist, liegt an dem einge­arbei­teten Rabatt: Wer 60 Säcke Kohle kauft, der bekommt drei umsonst.

Rabatte und Aufschläge sind in England beliebt. Bei meinem ersten Besuch war ich froh, daß wir nach den Rabatt­marken der Nach­kriegs­zeit dieses Zeit­alter überwunden hatten. Doch wie Täto­wie­rungen kamen mit Payback und Konsorten auch die Rabatte und mit ihnen die Schnäpp­chen­jäger wieder aus ihren Löchern gekrochen. Die Undurch­sichtig­keit und Viel­falt verwirrt den normalen Kunden und begün­stigt den rechen­fähigen Kaufmann oder Steuer­eintrei­ber. So wurden die Maßein­heiten immer zahl­reicher, auch dank vieler Zusätze wie short, long, merchant, troy, apothe­caries, tower, London, Newcastle.

[1] Wolfgang Trapp und Heinz Wallerus: Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeit­rechnung. Reclam Stutt­gart, 6. Auf­lage, 2012. Seite 127.

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Metrisierung
Die Amis wissen, daß sie sich von ihrem Maß­system verab­schieden müssen. In vielen Bereichen wird bereits metrisch gear­beitet, auch bei der Nasa. Doch solange das anglo­ameri­kanische System von anderen noch verwendet wird, bleiben Verwech­selungen mit katastro­phalen Folgen nicht aus. Bei Youtube habe ich einige Filmchen gesehen, die das metrische System anpreisen und erklären. Das fand ich nicht immer ange­messen, jeden­falls nicht für Anfänger wie die Ameri­kaner. Ich meine danach aber zu verstehen, warum manche uns simpel erschei­nende Umstände zumindest schlichten Gemütern Schwierig­keiten und auch Angst bereiten können.

Eine Angst besteht darin, in allen Bereichen des Lebens mit neuen Einhei­ten konfron­tiert zu werden und dauernd umrechnen zu müssen. [1] Sie ist aber wenig begründet. So sind auch in Deutsch­land immer noch veral­tete Einheiten nicht nur auf Spezial­gebieten, sondern auch im Alltag gebräuch­lich. Dank doppelten Angaben ist eine Umrech­nung zumeist nicht erforder­lich. Gesetz­liche Einhei­ten und weitere Vorschrif­ten schaffen Klarheit und Vergleich­barkeit, ohne alte Maße schlag­artig zu verdrän­gen. [2] Für den amerika­nischen Alltag sind die neuen Einhei­ten eigent­lich nur Meter, Kilo­gramm und Liter.

Im metri­schen System bildet man klei­nere und größere Einheiten durch Vorsilben, was uns natür­lich einfacher erscheint als eine konfuse Palette von Maßen und ihren Bezie­hungen. Die sind vielen Ameri­kanern auch nur soweit geläufig, wie sie in ihrem Leben von Bedeu­tung sind. Nun viele Präfixe wie dezi, centi, milli, mikro, nano, deka, hekto, kilo, mega, giga zu verinnerlichen, erscheint als mühsame Belastung. [3] Wer diese Systematik zu sehr anpreist und ausbreitet, macht es den Menschen zu schwer. Für den Anfang reichen cm, m, km, g, kg, mL und L. Zwar ist der Liter im SI-System zugelassen, doch eigentlich überflüssig. Unschön ist auch das große L nach Chemiker-Art. Aber man hat sich offen­sicht­lich darauf einge­schossen.

Obwohl in vielen Bereichen wie Geld und Hundert­meter­zeiten mit Nachkomma­stellen gerechnet wird, sind sie bei groben und alltäg­lichen Maßan­gaben im anglo­amerikani­schen System eher selten. Brüche wie ½, ¼, ¾ werden bevor­zugt, sogar mit Achteln und Sechzehn­teln. Obwohl das metri­sche System die Addition von Maßen deutlich verein­facht, ist der Dezimal­punkt gefürch­tet, weshalb einige die austra­lische Vorschrift, alle Baumaße in Milli­metern anzu­geben, für über­legen halten, ja sogar meinen, ein Schul­lineal wäre falsch beschrif­tet, wenn es von 0 bis 30 und nicht von 0 bis 300 ginge.

Einen Kilometer können sich die meisten Ameri­kaner vorstellen, auch miles per hour und Kilometer pro Stunde in eine angemes­sene Rela­tion setzen. Daß es sich bei einem Kilo­meter um 1000 Meter handelt, ist schön zu wissen. Es reicht aber, den Kilo­meter mit der Meile und den Meter mit dem Yard zu verglei­chen. Daß ein Meter aus 100 Zen­time­tern besteht, sollte leicht zu verstehen sein, schließlich hat ein Dollar ja auch 100 Cent. Und mit Geld können die meisten gut rechnen. Eigent­lich müssen die Ameri­kaner sich nur an ein norma­les Lineal gewöh­nen, das wie unsere alten Zoll­stöcke zusätz­lich eine Teilung in Zoll tragen kann.

Die Flächen­maße werden zumeist stief­mütter­lich behan­delt, wenn das metri­sche System schmack­haft gemacht wird. Viel­leicht aus Angst, ein Quadrat­zenti­meter könnte für den hundersten Teil eines Quadrat­meters gehalten werden. Leichter ist es auch hier, centi einfach als Vorsilbe zu nehmen und sich den Quadrat­zenti­meter getrennt vom Quadrat­meter vorzu­stellen. Außerdem ist den Amerikanern das Bezeich­nungs­schema bekannt. Voran­stellung von square hat die gleiche Bedeu­tung wie die von Quadrat. Zur Belohnung dürfen sie die Kreis­flächen mit vorange­stelltem circular vergessen.

Zwar kennen die Amerikaner auch die Raummaße mit voran­gestell­tem cubic, doch hat man sich für Liter statt Kubik­dezimeter und Milli­liter statt Kubik­zenti­meter entschie­den. Das vermeidet zumindest die Vorsilbe dezi. Und die Vorstel­lung könnte ganz einfach sein: Ein Liter ent­spricht einem Kilo­gramm Wasser, ein Milli­liter einem Gramm. Beides aber ist Ameri­kanern nicht geläu­fig, weshalb sie sich zunächst an g und kg so gewöhnen müssen wie an m und km, indem sie sich eine bild­liche Vorstel­lung erar­beiten. Zu einem Gramm haben viele Deutsche auch kein Bild im Kopf, es ist etwas mehr als ein halbes dram. Und ein Kilogramm ist etwas mehr als zwei pound.

Eigentlich müssen die Ameri­kaner sich nur einen Ruck geben, denn so schwer ist eine Umstel­lung nicht, zumal weite Bereiche verschont bleiben oder sich bereits eta­bliert haben. Neue Zeitein­heiten sind nicht zu lernen, auch Fest­platten­größen und Über­tragungs­raten bleiben. Von einem Tera­byte haben die Deutschen keine genau­eren Vorstel­lungen als die Ameri­kaner. Beide sind sicher, daß 100 Mega­bit pro Sekunde mehr als 10 sind, obgleich sie nicht wissen, ob Mega für 1.000.000 oder 1.048.576 steht, schon gar nicht, wieviele Bits ein Byte hat. Haupt­sache das Bild des 65-Zoll-Fern­sehers ist groß genug. Wieviele Zenti­meter wo gemes­sen werden, muß man nicht wissen, solange der Nachbar nur 55 Zoll hat.

[1] Es sind nicht nur alte Leute, die bei einem Preis von 8 Euro für einen Eisbecher sagen: Das sind ja 16 Mark.

[2] Wer die alten Einheiten nicht kennt, hat zumeist auch mit den neuen Schwierig­keiten. Eine Nachhilfe­schülerin, die heute mehr als 50 Jahre alt sein müßte, konnte mir nicht spontan sagen, wieviel Pfund ein Zentner hat. Meine Angabe von 500 Gramm und 50 Kilo­gramm half auch nicht. Und es stellte sich heraus, daß ihre Vorstel­lung von 125 Gramm Leber­wurst die Realität so schlecht traf wie die von einem viertel Pfund.

[3] Leider habe ich auch gesehen, wie dem einfachen Amerikaner Deka­gramm oder Hekto­pascal verkauft werden sollte. Offen­sicht­lich wußten die Vortra­genden nicht, daß Deka­gramm abseits öster­reichischer Koch­bücher ausge­storben ist und keiner die Wetter­karte besser versteht, wenn er weiß, daß hekto für 100 steht und Pascal für Newton pro Quadrat­meter.

Venti | Lsd

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Lsd
Auch wenn ich den Amis, Liberianer und Burmesen rate, möglichst schnell zum metri­schen System zu wechseln, so habe ich an meinen ersten Besuch in London doch keine schönere Erinne­rung als die an das £sd-System und Bezeich­nungen wie farthing, ha'penny, sixpence, half crown für Münzen. Lege ich den Kurs aus dem Jahre 1970 von 8,74 Mark für ein Pfund zugrunde, so erhielt ich für einen Zehnmark­schein magere £1-2s-10½d, wahrschein­lich ausge­zahlt als pound, half crown, three pence, penny und ha'penny. Ob es damals auch noch Münzen zu andert­halb pence (penny ha'penny) gab, weiß ich nicht. Um 1975 mußte man für ein Pfund nur noch einen Heier­mann hinlegen. Heute reichen 1,15 Euro.

Mein Besuch war kurz vor dem Decimal Day 15.02.1971, an dem sich Großbri­tannien vom karolin­gischen Münz­system verabschie­dete, das von Karl dem Großen im Jahre 793 oder 794 einge­führt wurde. [1] Er legte das Gewichts­pfund irgendwo zwi­schen 406 und 408 Gramm fest. Ein solches Karls­pfund aus reinem Silber bildete das Pfund (£) als Zahlungs­mittel. Heute bekäme man es für 175 Euro. Es teilte sich in 20 solidi zu je 12 denarii. Ein solidus (Schilling) aus Silber hätte ein Gewicht von etwas mehr als 20 Gramm gehabt, auch noch zu schwer und wertvoll für den normalen Beutel. Einen dena­rius (Pfennig) aber gab es als Münze aus 1,7 Gramm Silber, das heute einen Wert von 75 Euro­cent hat.

Das £sd-System überlebte in Großbri­tannien. Ein pound sterling zu 20 shil­ling bzw. 240 pence, in denen sich 1970 bei einem Wert von 2 Euro­cent kein Silber mehr befand. Auch die Stücke­lung der darauf basie­renden Münzen war lustig. An einen farthing (¼d) und florin (2s) kann ich mich nicht erinnern, aber an den half penny oder ha'penny (½d), den penny (1d), an three pence (3d), six­pence (6d), shilling (1s), half crown (2s-6d) und crown (5s). Größere Werte waren Bank­noten. Nur noch als Rechnungs­einheit gab es die Guinee (guinea). Sie dient bis heute als psycho­logischer Preis, weil sie mit 21 Schil­ling das Pfund um nur 5 Pro­zent über­steigt. Zu verdanken haben wir sie dem Physiker Isaac Newton, der als Leiter des Münz­amtes diese Gold­münze für 21 Schil­ling unter ihrem Material­wert auf den Markt warf.

Da die Amis mit Dollar und Cent zumin­dest beim Geld dezimal denken, sind sie nicht die letzten im £sd-System. Das ist der Malteser­orden ohne Staats­gebiet. Man sollte nicht nur sein Währungs­system einfach vergessen. Er trägt auch nichts mehr dazu bei, daß so schöne Bezeich­nungen wie two and six nicht in Verges­senheit geraten. Die half crown aus zwei shilling und sechs pence gibt es als Umlauf­münze nicht mehr. Aber two and six können immer noch zwei Fuß und sechs Zoll (2'6") sein. Auch nach Ende der Über­gangs­zeit zum metri­schen System ist eine british imperial door normaler­weise two and six, also 76,2 Zen­ti­meter breit. Die Höhe ist 6'6", die Dicke 1 und 3/8 Zoll. Mit dem metri­schen System wurden die Türen höher und dicker.

[1] Dank der Mohammedanerin wissen wir, daß im Jahre 793 die Wikinger in England ein­fielen.

Venti

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