Heidewitzka, Herr Kapitän
Im Jahre 1950 setzte Konrad Adenauer die dritte unter den National­sozialisten ungesungene Strophe des Liedes der Deutschen als National­hymne durch, um bei Staats­empfängen im Ausland keine Karnevals­lieder mehr hören zu müssen. Aber das deutsche Volk ist nicht im Handstreich zu nehmen. Zur Fußball­welt­meister­schaft 1954 sang es die erste Strophe und 1958 mußte ich alle drei Strophen zehnmal abschreiben, weil ich sie nicht auswendig gelernt hatte. Mit der Wieder­vereini­gung wurde die dritte Strophe als National­hymne bekräftigt, obgleich die der DDR die schönere ist.

Es gab und gibt mehr oder minder gute Gründe, die National­hyme zu verändern. Vom dreistro­phigen Lied der Deutschen, sangen die National­sozialisten nur noch die erste, gefolgt vom Horst-​Wessel-​Lied. Nach dem Krieg folgte wieder eine hymnen­lose Zeit, in der Konrad Adenauer in den USA mit „Heide­witzka, Herr Kapitän“ begrüßt wurde. In der BRD erklärte Heuss die dritte Strophe des Liedes der Deut­schen zur National­hymne. In der DDR wurde eine neue gedichtet und kompo­niert. Dort gefiel das Wort „einig“ bald nicht mehr, weshalb „Aufer­standen aus Ruinen“ danach unge­sungen blieb. Mit der Wieder­vereini­gung wurde versäumt, aus beiden Hymnen eine zu bilden, obgleich Versmaß und Melodie dem kaum im Wege standen.

Begehr­lich­keiten liegen auf der Hand. Zur Zeit wieder ans Licht der Öffent­lichkeit gezerrt werden die frauen­feind­lichen Wendungen „Vater­land“ und „brüderlich“. Sie sollen durch „Heimatland“ und „couragiert“ ersetzt werden. [1] Ich traue unserem Bundes­präsi­denten zu, sich dazu breit­schlagen zu lassen. Dann haben wir eine verän­derte Hymne, die sich in zwanzig Jahren viel­leicht durchge­setzt hat. Schließ­lich haben wir uns ja auch an „erlöse uns von dem Bösen“ und „von dort wird er kommen“ gewöhnt. In der Zwischen­zeit mag jeder „Heimat“ singen, wo vom Nachbarn „Vater“ tönt, wie der Prote­stant von der christ­lichen Kirche spricht, wo sie für die Katho­liken immer noch katho­lisch ist.

Doch wird es keine zwanzig Jahre mehr dauern, bis aus rassi­sti­schen Gründen eine weitere Ände­rung erfolgen muß. Die Vertreter der heimatlos gewor­denen Migranten werden auch das Heimat­land bean­standen. Auch das Herz trägt nicht Kulturen Rech­nung, in denen die Seele im Bauch oder ganz woan­ders zu finden ist. Eigent­lich kann so und so jeder neben seinem Geschlecht auch den Ort seiner Seele bestimmen. Und noch bevor eine engli­sche Version die deut­sche ablöst, werden die E aus „Glanze“ und „Glückes“ zu „bluehe“ verschoben. Zum allge­meinen Verständ­nis wird auch Unter­pfand durch Garantie ersetzt.

Spaß beiseite, ich habe mich gefragt, was an Vater und Bruder schlecht ist und welcher Bedeu­tungs­wandel eintritt, wenn man sie durch Mutter und Schwester oder gar Eltern oder Geschwister ersetzt. Bekannt sind die Mutter­sprache und das Vater­land. Mutter als Präfix verweist auf Herkunft und Ursprung, etwa Deutsch­land als Mutter­land des Sauer­krauts. Vater dagegen meint mehr die Zuge­hörig­keit. Wenn man einmal Begriffe wegläßt, in denen es wirklich um Mütter und Väter geht (Mutter­milch, Vater­schafts­test), dann überwiegt die Zahl der Bildungen mit Mutter: Mutter­erde, -boden, -land, -mal, -kirche, -partei, -sprache, -seelenallein. Auf der anderen Seite nur: Vater­haus, -land, -stadt, -unser. Beide gibt es nicht nur bei -land: Die Amerikaner haben ihre Mutter aller Bomben in Afghani­stan einge­setzt, die Russen den doppelt so starken Vater aller Bomben wohl noch nicht. Nichts im Verg­leich zu Little Boy und Fat Man. [2]

Will man einen Text gändern, so bietet sich Heimat­land statt Vater­land an, sofern man das Wort Heimat über die Lippen bringt. Mit brüder­lich ist es etwas problema­tischer, da geschwi­ster­lich zu schwe­ster­lich klingt und es nicht ins Versmaß paßt. Und wer will sich in eine Zeit zurück­denken, da auch Mädchen Brüder waren? Ein Fremd­wort wie coura­giert mag den Migranten aus franzö­sischen Kolonien keine Probleme bereiten. Wie aber sieht es mit den Fußball­fans bei Länder­spielen aus? Oder sollten die Deut­schen nur der Musik lauschen und wie die spani­schen Spieler lautlos auf dem Platz stehen? Zu „Heini­witzka, Frau Kapi­tänin“ [3] können wir auch nicht zurück. Die Auflö­sung der National­staaten aber wird alle diese Probleme aus der Welt schaffen. Außer „Gott mit dir, du Land der Bayern“ wird dann mit Rück­sicht auf fana­tische Muslime nur noch getrom­melt.

[1] Cornelia Geissler: Deutsche Hymne bald ohne "Vater­land"? Frank­furter Rund­schau, 04.03.2018. Sie erwähnt auch, daß die erste Strophe Deutsch­land zu groß sieht und die zweite recht feminin wirkt. Doch das trügt seit „Avenidas“ an der Wand.

[2] Stanislaw Lem: Imaginäre Größe. Suhrkamp, Frankfurt 1981. Seite 106: „Tabelle LXXIX ‒ Repro­duktion des Stich­wortes MAMA aus dem Wörter­buch der Null­sprache, vorher­gesagt für das Jahr 2190 […] ‒ MAMA Subst. weibl. Geschl. 1. Mini­atom­bombe, illeg. Prod. […] 2. Frau, die ein Kind geboren hat (unge­bräuch­lich).“

[3] Frank Behling: Aida befördert Frau zum Kapitän. Kieler Nach­richten, 04.03.2018.

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