jeder - alle
wuerg, 18.06.2007 01:24
Da sitzen sie wieder bei Sabine Christiansen, beklagen sich über Löhne, von denen man nicht leben kann, und die in Deutschland besonders ausgeprägte Auswahl nach Herkunft und Geschlecht, gehören aber selbst vorwiegend zu denen, die es zu einem bescheidenen bis üppigen Auskommen gebracht haben. Die schlechten Randbedingungen überhöhen geradezu ihr Credo: Jeder kann es zu etwas bringen!
Überrepräsentiert ist wieder einmal der Sport, hier als ein Mittel, sich an die Spitze zu kämpfen, erfolgreich und bekannt zu werden, zumindest aber eiserne Disziplin zu üben. Und doch ist gerade der Sport ein Beleg für das Gegenteil, denn die Zahl der erringbaren Titel an der Spitze steigt nur unwesentlich, wenn alle die Sportlerlaufbahn einschlagen. Jeder kann Olympiasieger werden, aber eben nicht alle.
Immer wieder wird ausgenutzt, daß zwischen "jeder" und "alle" nicht unterschieden wird. Es werden einige vorgeführt, die irgend etwas können oder haben. Dann wird behauptet, jeder könne dies ebenfalls, wenn er nur wolle. Und das Volk glaubt tatsächlich, alle könnten es so zu etwas bringen. Wohlstand, ja Reichtum für alle!
Für diesen falschen Schluß von "jeder" auf "alle" wird gerne die Mathematik herangezogen: Gilt etwas für jedes x, so gilt es auch für alle x und umgekehrt. Das stimmt: Ist jeder reich, sind alle reich. Aus den täglichen Leben aber wissen wir: Alle Menschen sind gleich. Aber "jeder Mensch ist gleich" wird sofort als fehlerhaft formuliert erkannt. Ist das wieder ein Beispiel für die Beschränktheit der Mathematik?
Das mögen einige oder die meisten gerne weiterhin glauben. Sie meinen ja auch, jeder könne etwas werden, wenn nicht sogar alle.
Überrepräsentiert ist wieder einmal der Sport, hier als ein Mittel, sich an die Spitze zu kämpfen, erfolgreich und bekannt zu werden, zumindest aber eiserne Disziplin zu üben. Und doch ist gerade der Sport ein Beleg für das Gegenteil, denn die Zahl der erringbaren Titel an der Spitze steigt nur unwesentlich, wenn alle die Sportlerlaufbahn einschlagen. Jeder kann Olympiasieger werden, aber eben nicht alle.
Immer wieder wird ausgenutzt, daß zwischen "jeder" und "alle" nicht unterschieden wird. Es werden einige vorgeführt, die irgend etwas können oder haben. Dann wird behauptet, jeder könne dies ebenfalls, wenn er nur wolle. Und das Volk glaubt tatsächlich, alle könnten es so zu etwas bringen. Wohlstand, ja Reichtum für alle!
Für diesen falschen Schluß von "jeder" auf "alle" wird gerne die Mathematik herangezogen: Gilt etwas für jedes x, so gilt es auch für alle x und umgekehrt. Das stimmt: Ist jeder reich, sind alle reich. Aus den täglichen Leben aber wissen wir: Alle Menschen sind gleich. Aber "jeder Mensch ist gleich" wird sofort als fehlerhaft formuliert erkannt. Ist das wieder ein Beispiel für die Beschränktheit der Mathematik?
Das mögen einige oder die meisten gerne weiterhin glauben. Sie meinen ja auch, jeder könne etwas werden, wenn nicht sogar alle.
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the great gate,
18.06.2007 15:20
Auch auf die Gefahr hin, als Klugscheißer in diesen thread einzugehen, aber um zu vermeiden, dass die völlig richtige Beobachtung womöglich kulturpessimistisch missverstanden wird und ihr informativer Gehalt einfach so verweht, folgende Bemerkung:
Der vorgestellte Volksaberglaube ist nicht vom Himmel gefallen, sondern war einer der großen Propagandaschlager im Erfolgsprogramm der Rot-Grünen Regierung.
Der Bundeskanzler Schröder machte bekanntlich keinen Hehl daraus, dass er mit seiner Regierung dort anknüpfen und weiter machen wollte, womit und wofür seinerzeit Ludwig Erhardt sozusagen "berühmt" geworden war: bei der Modernisierung der "sozialen Marktwirtschaft".
Freilich: Nicht "Wohlstand für alle!" (Erhardt) sollte die Devise und das Ziel der unter dem Titel "Agenda 2010" von Schröder angeordneten Reformen sein, sondern eben "Chancen für alle!"
Dieses Programm hielten 1998 ff. viele für super und einen angeblich guten Fortschritt gegenüber der vermeintlich anderen, nämlich "soziale Kälte" ausstrahlenden Sozial-und Wirtschaftpolitik, die in der BRD unter der Führung Helmut Kohls in den Jahren 1983 bis 1998 offiziell angesagt war. (Inoffiziell wurden die von Kohl durchadministrierten Maßnahmen schon in der letzten Legislatur der sozialliberalen Koalition eingeleitet.)
Schröders Erfolgsprogramm "Chancen für alle! ist nun beinahe zehn Jahre alt, und die Ergebnisse seines Einsatzes für die "Neue Mitte" (so hieß ein anderer inzwischen etwas verwelkter Propagandaschlager dieser Zeit) können nun also besichtigt werden.
Diese eine Facette seiner Regierungspolitik bzw. ihrer erfolgeichen Durchsetzung ist Ihnen offenbar gestern abend im offiziellen Verlautbarungsfernsehen aufgefallen.
Aber ich sage Ihnen sicher nichts Neues mit dem Hinweis, dass es außer der völlig selbstverständlichen Verwechslung von "alle" und "jeder" nicht nur in öffentlich-rechtlichen Rundfunksendungen – (wo dies im Übrigen seit Goebbels ihn seinerzeit erfunden hat, sozusagen zum guten Ton gehört, die Alternative hieß früher "zersetzend", heute sagt man "kontraproduktiv", "destruktiv" oder "schlecht zu vemitteln" dazu) – noch jede Menge vergleichbar grobe, freilich schwerer wiegende Irrtümer gibt, die in der Öffentlichkeit nicht nur gerne geglaubt werden, sondern sie sozusagen konstituieren.
Die Behauptung, dass "wir ein Volk sind" fällt mir zum Beispiel ein, um mal mit einem ganz großen dummen Irrtum anzufangen, der im Grunde freilich nicht mehr nur ein Irrtum, sondern eine durchaus dreiste geschmacklose Lüge ist.
Wird freilich trotzdem auch immer noch und immer wieder gerne geglaubt. Aber das wäre jetzt ein anderes Thema.
Der vorgestellte Volksaberglaube ist nicht vom Himmel gefallen, sondern war einer der großen Propagandaschlager im Erfolgsprogramm der Rot-Grünen Regierung.
Der Bundeskanzler Schröder machte bekanntlich keinen Hehl daraus, dass er mit seiner Regierung dort anknüpfen und weiter machen wollte, womit und wofür seinerzeit Ludwig Erhardt sozusagen "berühmt" geworden war: bei der Modernisierung der "sozialen Marktwirtschaft".
Freilich: Nicht "Wohlstand für alle!" (Erhardt) sollte die Devise und das Ziel der unter dem Titel "Agenda 2010" von Schröder angeordneten Reformen sein, sondern eben "Chancen für alle!"
Dieses Programm hielten 1998 ff. viele für super und einen angeblich guten Fortschritt gegenüber der vermeintlich anderen, nämlich "soziale Kälte" ausstrahlenden Sozial-und Wirtschaftpolitik, die in der BRD unter der Führung Helmut Kohls in den Jahren 1983 bis 1998 offiziell angesagt war. (Inoffiziell wurden die von Kohl durchadministrierten Maßnahmen schon in der letzten Legislatur der sozialliberalen Koalition eingeleitet.)
Schröders Erfolgsprogramm "Chancen für alle! ist nun beinahe zehn Jahre alt, und die Ergebnisse seines Einsatzes für die "Neue Mitte" (so hieß ein anderer inzwischen etwas verwelkter Propagandaschlager dieser Zeit) können nun also besichtigt werden.
Diese eine Facette seiner Regierungspolitik bzw. ihrer erfolgeichen Durchsetzung ist Ihnen offenbar gestern abend im offiziellen Verlautbarungsfernsehen aufgefallen.
Aber ich sage Ihnen sicher nichts Neues mit dem Hinweis, dass es außer der völlig selbstverständlichen Verwechslung von "alle" und "jeder" nicht nur in öffentlich-rechtlichen Rundfunksendungen – (wo dies im Übrigen seit Goebbels ihn seinerzeit erfunden hat, sozusagen zum guten Ton gehört, die Alternative hieß früher "zersetzend", heute sagt man "kontraproduktiv", "destruktiv" oder "schlecht zu vemitteln" dazu) – noch jede Menge vergleichbar grobe, freilich schwerer wiegende Irrtümer gibt, die in der Öffentlichkeit nicht nur gerne geglaubt werden, sondern sie sozusagen konstituieren.
Die Behauptung, dass "wir ein Volk sind" fällt mir zum Beispiel ein, um mal mit einem ganz großen dummen Irrtum anzufangen, der im Grunde freilich nicht mehr nur ein Irrtum, sondern eine durchaus dreiste geschmacklose Lüge ist.
Wird freilich trotzdem auch immer noch und immer wieder gerne geglaubt. Aber das wäre jetzt ein anderes Thema.
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wuerg,
19.06.2007 01:40
Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß für alle erreichbar ist, was jeder erreichen kann. Wenn man zu allen nur zählt, wer guten Willens ist, und die Latte nicht zu hoch hängt, dann ist in diesem Sinne Wohlstand für alle möglich, zumindest in Deutschland. Das erforderte aber eine sehr soziale Gesellschaft.
Die Spruchweisheit, jeder könne es zu etwas bringen, ist seines Glückes Schmied, meint dagegen, man könne in der bestehenden Gesellschaft aus eigener Kraft seine Zukunft derart gestalten, daß der eigene Erfolg den der meisten Menschen übersteigt. Das schließt geradezu aus, daß alle dieses Ziel erreichen.
Nicht nur der Erfolglose hat in seinem Leben Gelegenheiten vertan, die ihm ein besseres Leben hätten bescheren können. Und da man die ausgelassene Variante nicht nachstellen kann, ist es natürlich leicht zu behaupten, es gäbe eine Chance für jeden, ja mehrere Chancen für alle.
Doch das ist Augenwischerei, vor allem derer, die es ohne bürgerliche Herkunft, Geld und Beziehungen zu etwas gebracht haben. Sie meinen zurecht, es sei Fleiß und Disziplin gewesen, vergessen aber das Glück, ohne das sie trotz allen Bemühens nicht im Fernsehen prahlen könnten. Auf jeden Aufsteiger kommen zehn, die es eher verdient und mit weniger, aber immerhin etwas Glück härter gearbeitet hätten.
Die Spruchweisheit, jeder könne es zu etwas bringen, ist seines Glückes Schmied, meint dagegen, man könne in der bestehenden Gesellschaft aus eigener Kraft seine Zukunft derart gestalten, daß der eigene Erfolg den der meisten Menschen übersteigt. Das schließt geradezu aus, daß alle dieses Ziel erreichen.
Nicht nur der Erfolglose hat in seinem Leben Gelegenheiten vertan, die ihm ein besseres Leben hätten bescheren können. Und da man die ausgelassene Variante nicht nachstellen kann, ist es natürlich leicht zu behaupten, es gäbe eine Chance für jeden, ja mehrere Chancen für alle.
Doch das ist Augenwischerei, vor allem derer, die es ohne bürgerliche Herkunft, Geld und Beziehungen zu etwas gebracht haben. Sie meinen zurecht, es sei Fleiß und Disziplin gewesen, vergessen aber das Glück, ohne das sie trotz allen Bemühens nicht im Fernsehen prahlen könnten. Auf jeden Aufsteiger kommen zehn, die es eher verdient und mit weniger, aber immerhin etwas Glück härter gearbeitet hätten.
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