Spiegel
Bei „Kluges und Scheiß“ [1] ging es vor ein paar Tagen auch um Spiegel­bilder, wie sie jeder von alten Spiegel­kommoden oder modernen Bade­zimmer­schränken kennt, in denen man sich einfach, doppelt oder auch sehr oft gespiegelt, frei im Raum oder immer mit der Nase hinter den Schar­nieren sehen kann. Das reizte mich zu der alten Frage, warum der Spiegel links und rechts vertau­scht, nicht aber oben und unten, um sogleich die Physik­lehrer­antwort zu erhalten, daß er in Wirk­lich­keit nur vorne und hinten ver­tausche. Spontan beförderte mein Klein­hirn meine alte Verwun­derung ins Wach­bewußt­sein, wie leicht sich Menschen doch mit wohl­klin­genden Begrün­dungen zufrie­den geben und mit welch' kurz­atmigen Antworten sie sich selbst auf die Frage nach dem Sinn des Lebens abspeisen lassen.

Sicherlich wissen wir alle, daß der plane Spiegel eine Ebene definiert, an der alles vertauscht wird. Deshalb heißt diese Ebene auch Spiegel­ebene. Und wenn wir den Halb­raum auf der spiegelnden Seite Vorder­grund oder einfach vorne nennen, den auf der matten Rück­seite aber Hinter­grund oder einfach hinten, so bringt der Spiegel tatsäch­lich vorne nach hinten, auch wenn er an der Decke hängt. Schlägt man dann noch den Atlas mit einer Welt­karte auf, stellt einen Spiegel darauf und sieht die Welt auf dem Kopf stehend, dann sind die meisten Menschen überzeugt: Der Spiegel vertauscht hinten und vorne. Und zufrieden ist der Physik­lehrer!

Bleibt nur noch für den Biologie-, Psycho­logie oder auch Philo­sophie-​Unter­rricht die Frage, warum wir Menschen trotz der Erklä­rungen unserer Physik­lehrer normaler­weise meinen, der Spiegel ver­tausche links und rechts. Dann gibt es die üblichen Versatz­stücke zu hören. Es sei eine optische Täu­schung, es liege daran, daß der Mensch einiger­maßen links-​rechts-​symme­trisch gebaut ist, die Erdan­ziehung immer nach unten weise und wir uns Dre­hungen leichter vor­stellen können als Spiege­lungen. Unsere Täu­schung sei erkennbar, wenn wir einen Spiegel in eine Modelland­schaft oder auf eine Land­karte stellen, Schrift auf trans­parenter Folie vor uns halten, uns auf einen am Boden liegenden Spiegel stellen oder mehrere Spiegel so anbringen, daß alles auf dem Kopf steht.

Gewiß können Menschen sich Drehungen leichter vorstellen als Spiege­lungen. Da man aber das Spiegel­bild eines unsymme­trischen Gegen­standes nicht allein durch Drehung im Geiste her­stellen kann, kommen wir nicht umhin, zur voll­stän­digen Erklärung des Spiegel­bildes mindestens eine Spiege­lung zur Erklärung heran­zuziehen. Zur Verär­gerung der Physik­lehrer verzichten wir nicht auf eine Drehung und spiegeln in Gedanken einfach an der Ebene des Spiegels, sondern drehen uns um 180 Grad und vertau­schen dann linke und rechte Körper­hälfte. Jeden­falls solange wir uns selbst aufrecht stehend im Spiegel betrachten. In anderen Lagen und bei anderen Szenerien erscheinen uns andere Trans­formationen möglicher­weise einfacher. Mit Hilfe dieser anders­artigen Spiegel­lagen wollen manche uns immer wieder einreden, die Links-​Rechts-​Vertau­schung sei eine Täuschung.

Es ist eigentlich immer das gleiche: Ein gespie­geltes Bild stellen wir uns fast immer nicht als einfache Spiege­lung an einer Spiegel­ebene vor, sonder als Hinter­einander­aus­führung einer Drehung und einer uns einfach erschei­nenden Spiege­lung. Als Drehachse bietet sich zumeist die Schnitt­linie zweier Ebenen an. Die eine ist die Spiegel­ebene, die andere Ebene ist situations­abhängig. Es kann die Symmetrie­ebene des Körpers, des Kopfes oder des Blickes sein, aber auch die Papier­ebene oder die eines zweiten Spiegels. Ist eine solche zweite Bezugs­ebene nicht vor­handen, trifft sie in zu spitzen Winkel auf die Spiegel­ebene oder liegt irgendwie ungün­stig, dann versagt die normale Vorstel­lung und es kommt zu Verwir­rungen oder schwan­kenden Ein­drücken, wie sie Sex­fanatike­rinnen mit Decken­spiegel haben: Sehen sie den Arsch des Missi­onars, so vertauscht der Spiegel vorne und hinten. Dreht er sich zur Seite, um sich die Zigarette danach anzu­zünden, ändert sich das schlag­artig, denn dem Spiegel­bild fehlt nicht die linke, sondern die rechte Brust.

Na also? Was will er denn? Dieses geschmack­lose Beispiel macht doch deutlich: Es hängt alles vom Betrachter und der Szenerie ab, der Eindruck kann schwanken, es ist alles eine Täu­schung. So sieht es wohl auch Wolf­gang Stöcher [2]. Er betrachtet unter anderem Menschen, die aus Glaubens­gründen aufrechts gehend immer nach Osten sehen und einen Hand­stand machen müssen, um sich ins Gesicht blicken zu können. Sie würden meinen, der Spiegel vertausche oben und unten. Abschlie­ßend gibt er drei Antworten auf die Links-​Rechts-​Frage: Zum einen die physi­kalische Antwort, daß in jedem Falle nur hinten und vorne vertauscht werde. Zum anderen die phäno­menolo­gische Antwort, daß der einiger­maßen symme­trische Mensch sich lieber eine Drehung mit anschlie­ßender Spiege­lung um die Körper­ebene vorstelle. Und zum dritten die Meta-​Antwort, daß oben und unten keine zu links und rechts gleich­wertigen Richt­ungen sind und die Frage damit unsinnig sei. Die erste Antwort geht an der eigent­lichen Frage vorbei und antwortet nur, was jeder schon weiß. Die letzte enthält einen Teil Wahrheit, drückt sich aber vor einer wirk­lichen Analyse. Und die mittlere ist zu kurz­atmig, sie kann mögliche Eindrücke anders gebauter Lebe­wesen nicht gut durch­dacht haben.

Gehen wir gedanklich in die Zukunft: Erde, Sonne und alle Planeten sind zu einer Staub­wolke zerfallen, durch die hindurch kein einziger Stern zu sehen ist. In dieser Welt überlebt haben einzig kugel­förmige Maschinen, die in alle Richtungen gleich gut sehen können, soweit der Staub es ihnen erlaubt. Sie sind gewohnt, in alle Rich­tungen gleicher­maßen zu blicken. Ihre Foto­alben kennen kein links, rechts, oben und unten. Die Bilder darin sind rund und in der Mitte drehbar befestigt. Sie erkennen sich und ihre Familie in allen Lagen im schwere­losen Raum gleich gut. Und gerade deshalb treibt sie immer wieder eine Frage um: Warum ver­tauscht der Spiegel normaler­weise die eine aber nicht die andere Richtung?

Immer wieder stellen sich zwei dieser Kugelwesen (K und K′) irgendwie neben­einander und betrach­ten sich im Spiegel. Sie haben beide die gleiche Blickrichtung (u=u′). Auch die zum Partner weisende Richtung (v bzw. v′), ist für beide wohlde­finiert. Die Kugelwesen nennen sie ihre Partner­richtung, die für beide Kugeln in entgegen­gesetzte Rich­tungen weisen (v′=−v) und senkrecht auf der Blick­richtung steht. Die dritte Richtung steht einfach senkrecht auf den anderen beiden und weist in die Richtung, da sich die Partner­richtung durch eine 90‑Grad-​Drehung (positiver Drehsinn, links herum, gegen den Uhrzei­ger­sinn) aus der Blick­richtung ergibt (w=u×v bzw. w′=u′×v′). Diese beiden Rich­tungen sind eben­falls entgegen­gesetzt (w′=−w) und werden von den Kugelwesen Dreh­richtung genannt. [3]

Weil die Kugeln auf ihrer Oberfläche sehr gleichmäßig aussehen, bemalen sie sich vor dem Spiegel stehend. Ausgehend von der Mitte, wo ihr in den Spiegel schauendes Auge sitzt, malen sie einen grünen Strich in die Partner­richtung, also auf den anderen zu, und einen roten Strich in die Dreh­richtung. Anders als die ausgestor­benen Menschen, wo immer einer links neben dem anderen stand und umgekehrt, sehen beide Kugel das gleiche Bild: Die grünen Striche laufen aufeinander zu, die roten vonein­ander weg. Nun wenden sie sich einander zu, nicht durch einen Salto mit Schraube, den sie spielend beherr­schen, sondern mit der sparsam­sten aller Bewegungen, einer einfachen Drehung um 90 Grad. Diese Drehung muß um die Drehachse erfolgen, was die Namens­gebung durch die Kugelwesen erklärt. Und als sie sich so direkt ohne Spiegel sehen, sagen beide überein­stimmend: Dein roter Strich weist nach wie vor in die gleiche Richtung, dein grüner aber in die entgegen­gesetzte.

Immer wieder, wenn sie so vor dem Spiegel stehen fragen sich die Kugel­wesen: Warum vertauscht der Spiegel die Partner­richtung, nicht jedoch die Drehrichtung? Und immer wieder antworten die Physik­lehrer: Der Spiegel vertauscht weder Partner- noch Dreh­richtung, sondern nur hinten und vorne in Blick­richtung, es ist alles eine Täuschung. Nur gibt es in der Kugelwelt keine Neunmal­klugen, die vorschlagen, den Spiegel anders anzu­bringen, um sich der Täuschung bewußt zu werden, denn alle Spiegel­lagen sind gleich­wertig. Natür­lich sind die Kugel­wesen sehr geübt, alle mögli­chen Drehungen im Raum gedank­lich auszu­führen, und haben nie eine gewisse Lage im schwer­losen Raum bevorzugt. Deshalb sind sie stärker als die Menschen davon beein­druckt, daß der Spiegel die grünen, nicht aber die roten Striche umkehrt, ganz gleich in welche Himmels­richtung sie vor dem Spiegel Platz genommen haben.

Obwohl das Spiegel­paradoxon die Kugel­wesen immer wieder verblüfft, haben sie doch eines besser gerafft als die Menschen: Die glaubten noch, es läge an ihrem links-​rechts-​symme­trischen Körperbau und ihrem darauf aufbau­enden Denken. Teil­weise glaubten sie, mit dem Kopf in der Mitte, Füßen auch nach oben und nur einem Arm würden sie sich im Spiegel oben-​unten-​vertauscht sehen. Wir Kugel­wesen wissen es besser: Wir haben Augen in alle Rich­tungen und bevor­zugen keines. Soweit die Menschen über­haupt zu solchen Gedanken bereit waren, glaubten sie mehr­heit­lich allen Ernstes, kugelige Wesen wie wir im orien­tie­rungs­losen Raum würden links, rechts, oben und unten gleich­berech­tigt sehen müssen und deshalb immer im Einklang mit der Physik­lehrer­sicht meinen, der Spiegel vertausche tatsäch­lich nur hinten und vorne.

Wir Kugelwesen wissen wie die Menschen, daß die Vorne-​Hinten-​Abspei­sung schwach­sinnig ist. Bei weitgehend parallel zur Spiegel­fläche angeord­neten Objekten geht die Blick­richtung senkrecht zum Spiegel auch uns am Arsch vorbei, wie die Menschen sagten, die nur einen hatten. Auch wir denken uns dann keine einfache Vorne-​Hinten-​Spiege­lung sondern eine Drehung gefolgt von einer Seiten­vertau­schung. Und deshalb würden Menschen mit Kopf in der Mitte, Füßen auch über dem Kopf und nur einem Arm trotz ihrer Oben-​Unten-​Symmetrie trotz fehlender Links-​Rechts-​Symme­trie im Spiegel die Partner­richtung, nämlich links und rechts ver­tauscht sehen, nicht Fuß mit Fuß. Lebten sie im schwere­losen Raum und würden sich vorzugs­weise an den Füßen begegnen, dann wäre es auch nicht oben und unten, sondern immer noch links und rechts, wenn es auch zugleich die Fußrich­tung ist. Lax könnte man sagen, es würde stets die Begegnungs­richtung vertauscht, auch wenn man allein ist und es nur im Geiste geschieht.

Insofern sollten wir Kugelwesen, die wir trotz unserer Symmetrie uns immer wieder über den Spiegel wundern, der Meta-​Antwort des Menschen Wolfgang Stöcher folgen: Der Spiegel vertauscht zwar wie an der gespie­gelten Landkarte zu sehen eigent­lich Vorder- und Hinter­grund, zumeist ist es aber von denke­rischem Vorteil, eine Vertau­schung an einer Ebene vorzu­nehmen, die senkrecht auf der Spiegel­fläche steht und eine Vorzugs­richtung bein­haltet, zumeist die eigene Körper­achse. Wenn sie von den Füßen zum Kopf, also von unten nach oben weist, dann ist links, was um 0 bis 180 Grad gegen den Uhr­zeiger­sinn gedreht ist, mit dem Uhrzeiger rechts. Und damit bleibt oben oben und unten unten, doch links und rechts werden vertauscht. Auch bei den Kugel­wesen. Nur können sie nicht sagen, welche der beiden Seiten die linke ist. Aber vertauscht werden sie schon. Und sie wissen nicht wo oben und wo unten ist, aber erhalten bleiben beide dennoch.

Kurz zusammen­gefaßt: Alle drei Antworten von Wolfgang Stöcher [2] treffen zu, doch die dritte, die Meta-​Antwort, links-​rechts sei mit oben-​unten nicht ver­gleichbar, wäre meines Erachtens ohne den Zusatz, die Frage „Warum vertauscht der Spiegel links und rechts, aber nicht oben und unten“ sei daher „so nicht sinnvoll“ [1] die tief­sinnigste gewesen.

[1] Frau Klugscheisser: Infinity. Kluges & Scheiß, 23.03.2006.

[2] Wolfgang Stöcher: Zusammen­fassung ‒ Eine Frage, 3 Antworten. Der alte Link ist tot, und der Inhalt scheint nunmehr weitgehend zusammen­hanglos auf mehrere Seiten verteilt zu sein. Also in der URL _6 durch _2 bis _5 aus­tauschen, um alles zu lesen.

[3] Um Irrtümern vorzu­beugen: Es sind nicht zwei Menschen, die vor einem Spiegel stehen und beide in die gleiche Richtung auf den Spiegel schauen, wo jeder weiß, wer von beiden links und wer rechts steht, weil ihre Körper vom Fuß zum Kopf in die gleiche Rich­tung weisen. Stünde ein Mensch mit K in der linken und K′ in der rechten Hand vor dem Spiegel, könnte er natürlich sagen, welche Kugel die linke und welche die rechte sei. Auch die Kugel­wesen könnten das, wenn sie beständig unter Menschen lebten, die alle mit dem Kopf in die gleiche Rich­tung weisen. Aber allein mit einem Spiegel im orien­tierungs­losen Raum kennen sie keine Vorzugs­richtung. Die Dreh­richtung w der ‚linken‘ Kugel K weist nach ‚unten‘, w′ der ‚rechten‘ K′ nach ‚oben‘. Doch gleichwohl die Kugelwesen nicht links, rechts, oben und unten dauer­haft festge­legt haben, können sie dennoch eine gemein­same Links-​Rechts-​Richtung (parallel zu u und u′) und auch eine Oben-​Unten-​Richtung (parallel zu v und v′) erkennen. Und wer nach diesen Ausfüh­rungen immer noch meint, eine linke und eine rechte Kugel unter­scheiden zu können, der spricht nur von seiner eigenen Vorstel­lung, seiner will­kürli­chen Zuordnung, sieht sich selbst hinter den Kugeln stehend und drückt ihnen seine Betrach­tungs­weise auf.

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Herr würg, ich habe jetzt zwei Tage über Ihren Text nachgedacht. Irgendetwas in meinem Kopf hakt aber. Falls meine Worte jetzt ein wenig dumm klingen, dann liegt das an meinem beschränkten Auffassungsvermögen.
Sie sagen, die Physiker wären mit ihrer Antwort "er vertauscht hinten und vorne" zufrieden und sähen nicht den philosophischen Aspekt. Als weitere Erklärung folgt die der optischen Täuschung. Dabei ist im Falle des Spiegels das "vorne und hinten" einfach nur eine Frage der Definition oder aber der Betrachtungsweise. Sobald ich vorne und hinten definiert habe und mir meines Standpunktes klar bin, der als Bezugspunkt für diese Definition herhalten muss, wird die physikalische Erklärung zu einer philosophischen, nicht?

Weiter bin ich bisher mit meinen Erkenntnissen nicht gekommen.

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Es macht nichts, wenn Sie nicht alles verstehen konnten. Manches ist auch noch erklärungsbedürftig. Mir ging es zunächst um zweierlei:

1. Wer die Frage stellt, warum der Spiegel links und rechts vertausche, nicht aber oben und unten, weiß selbs­verständ­lich, daß es in Wirk­lichkeit vorne und hinten ist. Auch ist ihm klar, daß ein völlig planer Spiegel links und rechts nicht gegenüber oben und unten bevor­zugen kann, die Ungleich­heit also durch Betrach­tung, Denken, Gewöh­nung oder Täuschung auftreten muß. Doch durch welche?

2. Wer vorschnell alles damit abtut, daß der Mensch höher als breit, einiger­maßen links-​rechts-​symme­trisch ist, die Schwer­kraft immer nach unten weist und wir Bilder fast immer mit der Zimmer­decke nach oben ins Album kleben, der greift zu kurz. Es ist keine Täuschung mit der man sich abzu­finden hat, auch keine Gewöh­nung, von der man sich befreien kann.

Die Grundlage des Problemes ist völlig menschenfrei. Zum Verständnis verzichte ich auf Spiegel und nehme zwei Bilder von einem Negativ. Das eine sei richtig abge­zogen, das andere spiegel­verkehrt. Liegen beide neben­einander, so gibt es ein Problem: Wie trans­formiert man im Geiste die eine Abbildung in die andere?

Zeigen die Bilder eine räumliche Szene, könnte man sich den Raum zum ersten Bild vorstellen, vorne und hinten vertauschen und dann im zweiten Bild eine zweidimen­sionale Ansicht des gespie­gelten Raumes erkennen. Doch das ist zu kompli­ziert, nicht nur für den Menschen, sondern überhaupt. Die Vorne-​Hinten-​Vorstel­lung versagt nicht nur für Menschen, sondern fast schon aus geome­trischem Grunde.

Der Mensch löst das Problem normalerweise, indem er die Bilder so neben­einander legt, daß sich eine Links-​Rechts-​Vertau­schung ergibt. So würde es jeder normale Mensch mit Schrift und Spiegel­schrift machen. In seltenen Fällen legt er sie auch über­einander, womit sich oben und unten vertauschen. Die Spiegel­schrift läuft dann normal von links nach rechts, nur stehen die Buchstaben auf dem Kopf. Wer das nicht fließend lesen kann, sollte sich nicht Schrift­setzer nennen.

Für den Menschen entsteht ein Problem, wenn die beiden Bilder nicht verschoben oder verdreht werden können und er sich die Spiegelung an einer schief zur Blick­richtung liegenden Achse vorstellen muß. Doch darum geht es nicht. Außerir­dischen oder Computern ist das möglich­weise egal. Der Geometrie so und so. Das Grund­lagen­problem ist abstrakt, nicht mensch­lich: Welche der unend­lich vielen gleich­berechtigen gedank­lichen Spiegel­ebenen wähle ich? Oder mensch­lich gesprochen: Wie klebe ich sie gemeinsam ins Fotoalbum?

Eine allgemeine Antwort kann es nicht geben, denn die grund­legende Gleich­berech­tigung verschie­dener Rich­tungen kann nicht wegdis­kutiert werden. In der überwäl­tigenden Mehrheit aller Fälle aber kommt von außen eine Ungleich­heit ins Spiel, die zu einer Bevor­zugung einer Richtung Anlaß gibt. Natürlich ist es beim Menschen die Betrach­tungs­gewohnheit. Aber das ist keine Antwort, denn es schließt sich die Frage an: Woher kommt diese Betrach­tungs­gewohnheit?

Gewiß kommt die Gewohnheit des Menschen praktisch aus seiner Lebens­welt, seinem Körperbau und seiner Sehfähig­keit. Deshalb habe ich die Kugel­wesen betrachtet, die all' diese Anhalts­punkte und Beschrän­kungen nicht besitzen. Doch sie haben eines mit uns gemeinsam: Wenn sie sich drehen oder bewegen, und sei es nur im Geiste, dann sind nicht mehr alle Richtungen gleich­berechtigt. Und weil sich die Achse einer Drehung zumindest kurz­zeitig nicht ändert, kommt sie als Spiege­lungsrichtung kaum in Betracht, eher die sowohl auf der Blick­richtung u als auch den Drehachsen ±w senkrechten Partner­richtungen ±v, die orien­tierungs­los auch dann durch v=w×v definiert sind, wenn gar kein Partner vorhanden ist. Und die würde von deutsch spre­chenden Kugel­wesen links-​rechts genannt, sofern nicht starke Gründe dagegen stehen. Um es noch einmal zu sagen: Ohne zu wissen, wer links und wer rechts steht.

Damit habe ich den Kugel­wesen noch keine vor anderen ausge­zeichnete Links-​Rechts-​Symmetrie aufge­schwatzt, weil sie sich im Gegensatz zu uns Menschen in alle Richtungen gleich gut drehen können. Sie werden aber ein körper­bezogenes Koor­dinaten­system bevorzugen, auch wenn sie es beliebig variieren können. Und wenn sie neben der Blick­richtung (vorne-​hinten) noch den geringsten Anhalts­punkt für eine andere Vorzugs­richtung wie etwa eine Drehachse (oben-​unten) haben, dann werden sie sich eine Spiegelung senkrecht zu diesen beiden Achsen (links-​rechts) denken.

Kurz: Lage und Bewegung im Raum definieren normaler­weise eine Richtung, deren Vertau­schung am einfachsten das Spiegel­bild erklärt. Sofern man diese Richtung links-​rechts nennt, vertauscht der Spiegel also wirklich links und rechts, auch wenn man nicht weiß oder wie die Kugel­wesen noch nicht einmal wissen kann, wo links und wo rechts ist. Wer sich zu dieser Bezeich­nung nicht durch­ringen mag, nenne die Achse einfach die Dumm-​Dreist-​Achse. Für ihn lautet die Frage dann: Warum vertauscht der Spiegel dumm und dreist?

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