Zwanzighundert
Eigentlich war es abzusehen, daß man nach Neunzehn­hundert­neunund­neunzig das nächste Jahr nicht Zwanzig­hundert nennen wird, schließ­lich war und ist das beim Geld nicht anders. Ein ein­facher Unter­schichten­fern­seher kostet dreizehn­hundert, ein Hartz‑IV-​kompa­tibler aber über zwei­tausend und nicht etwa mehr als zwanzig­hundert Euro. Für mich liegt das einfach daran, daß mit 19 ein Zahlraum beendet wird, in dem wir uns eine unsyste­mati­sche Bezeich­nung leisten, in dem wir die Zahl­wörter noch als eine Einheit und nicht als zusammen­gesetzt sehen.

In unserer Zeit der Alles-​Abkürzer folge ich auch gerne dem silben-​ökono­mischen Argu­ment, daß zwei­tausend eben eine Silbe weniger hat als zwanzig­hundert. So war es glück­licher­weise mit dem Jahr­tausend­wechsel selbst­verständ­lich, daß man das soeben ange­brochene Jahr Zwei­tausend­sechs nennen wird, nicht Zwanzig­hundert­sechs und auch nicht Zwanzig-​null-​sechs. Wodurch könnte das nun noch gefährdet werden?

Angeregt durch die lautliche Verwandt­schaft der Zahl 6 mit dem Haupt­interesse des Menschen, wird die Jahreszahl vermehrt im Munde geführt und läuft Gefahr, doch noch ein Opfer des modernen Menschen zu werden, der eine analoge Uhr nicht lesen will und für den die Tages­schau nicht um 20 Uhr 15, sondern um zwanzig-​fünfzehn beginnt. Seine Faulheit verdrängt das Wort Uhr aus seinem Wort­schatz, und er sagt dann statt 20 Uhr nicht etwa zwanzig-​null​nul, sondern zwanzig-​hundert. Hier lauert die Gefahr für unsere Jahres­zahlen.

Unterstützt wird diese Entwicklung wieder einmal von unseren amerika­nischen Freunden, die mit Uhrzeiten nach 12 noch Anfänger­schwierig­keiten haben und meinten, wir würden die Doppel­punkte nur zum Spaß zwischen die Stunden und Minuten schreiben. So bürgerte sich für 20 Uhr 15 neben der sinn­vollen Schreib­weise 20:15 leider auch 2015 ein und ver­breitet sich über die ganze Welt: Die Mittel­europä­ische Sommerzeit ist „GMT+0200“, und eine Prozedur doof.sh startet man um 2 Uhr 15 mit „at 0215 doof.sh“ besser nicht, sonst läuft sie einmal im Jahr doppelt und ein andermal gar nicht.

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Darüber hinaus
haben wir ja auch ein Benennungsproblem, nach den 80ern und 90ern das laufende Dezennium einigermaßen griffig zu bezeichnen: Nullerjahre?

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Wie bezeichnete man denn die Jahre von 1900 bis 1909? Und wie die von 1910 bis 1919? Wahr­schein­lich gar nicht, weil es noch keine Chart-​Shows gab. Und was kommt bei den Italie­nern nach dem Nove­cento?

Dieter Herberg: Namenlose Jahrzehnte?

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