Evolution
Da sitzen sie nun bei Maybrit Illner und verur­teilen einstimmig die Ausschrei­tungen von Chemnitz. Vier sülzen, nur einer ist die Furcht anzumerken, etwas falsches zu sagen. Ob sie im Verlaufe der Sendung ihre Grundsatz­position zementieren konnte, um auch einmal einen alter­nativen Gedanken zu äußern, weiß ich nicht, denn mir wurde schlecht und mußte abschalten.

Was ich überhaupt nicht hören kann, ist das Gerede von Trauer, die auch zu einer fried­lichen Kund­gebung hätte Anlaß geben dürfen. Doch wenn ich einmal von Verwandten, Bekannten, Arbeits- und Wohn­umfeld abesehe, kann ich keinen Grund erkennen, der einen normal veran­lagten Menschen zur Traurig­keit bewegen sollte, denn Tote, auch Ermordete und in letzter Zeit Gemes­serte sind Alltag unter Millionen von Menschen.

Wut ist daher das rich­tigere Gefühl. Sie gründet nicht auf Mitleid oder persön­licher Betroffenheit. Sie kommt einfach hoch, wenn wieder einmal Verhält­nisse sichtbar werden, die wir nicht wollen, gegen die nichts getan wird, ja verharm­lost werden. Gewiß fallen die meisten eher von einer Haushalts­leiter oder sterben hinter dem Steuer als das sie von einem Gold­stück abge­stochen werden. Doch ist die Evolution offen­sichtlich nicht der Meinung, daß solche Relati­vierungen, Populis­musfrei­heit und gutmensch­liche Ignoranz in jedem Falle zu favori­sieren sind.

Gewiß hat der Mensch es weit gebracht und sich in funktio­nierenden National­staaten so gut organi­siert, daß der Gerech­tigkeit weit­gehend im Detail nachge­gangen werden kann, auch keine Über­griffe oder gar Hetz­jagden geduldet werden müssen, weder in Chemnitz, noch in Hamburg. Aber der Staat kann nicht alles regeln. Vieles bleibt alten Formen der Selbst­organi­sation über­lassen. Dazu gehören vor allem unsere Familien, in die nur ungern einge­griffen wird und in denen viel Unrecht und Gewalt herrscht. Warum regt man sich also über ein paar über­griffige Priester oder Ausländer­schubse­reien auf?

Da die Evolution moralfrei arbeitet, schämt sie sich nicht, in kleinen Bereichen ein Optimum anzu­streben, obgleich viel größere Probleme von ihr nicht in Angriff genommen werden. Sie hat kein besseres Deutsch­land aus Barleys und G20-Gegnern hervor­gebracht, sondern eines mit Rechten und Ausländer­feinden. In uns allen steckt mehr oder minder die Furcht vor dem Fremden. Wie wertvoll diese uns einge­pflanzte Vorsicht ist, können wir seit Jahren zunehmend erkennen. Sie verhindert, von anderen einfach über­schwemmt zu werden.

Jahrtausende hat man in Vertei­digung investiert und Kriege geführt, um nicht von anderen verdrängt zu werden. Und weil man auch selbst gerne andere eroberte, durfte und darf man davon ausgehen, daß die Fremden, die Feinde genauso gestrickt sind. Es ist geradezu menschen­verachtend anzunehmen, die anderen seien Dummköpfe, hättem ihre Schwerter zu Pflug­scharen geschmiedet und seinen begierig, sich unsere Kultur über­stülpen zu lassen.

Der Nationalstaat kann sich zwar in Detail­gerech­tigkeit üben, doch sind alle übrigen Mecha­nismen der Evolu­tion eher statisti­scher Natur. Es ist ganz normal und bisher durch keine gesteu­erte Gesell­schaft überboten, gute und schlechte Erfah­rungen wertend mit allge­meinen Prin­zipien oder Menschen­gruppen zu verbinden. Wenn Frauen vor mir Angst haben, nur weil ich ein Mann bin, so muß ich damit leben und dankbar sein, daß trotz der Gewalt­tätig­keit meiner Geschlechts­genossen unsere Ausrot­tung nicht von evoluti­onärem Vorteil zu sein scheint.

Als Ausländer muß man selbst in Deutschland damit leben, für vieles verant­wortlich gemacht zu werden, was einige Fremde sich leisten: Lärm, Müll, Extra­würste, Messer­steche­reien. So funkti­oniert nun einmal die Evolution. Und es gibt Ausländer, die dieses Prinzip verstanden haben, die nicht belei­digt sind, wenn ihret­wegen eine Frau die Straßen­seite wechselt. Sie wissen: Das gilt nicht mir, sondern meinen hier einge­fallenen Artge­nossen. Ich muß damit leben oder der Situa­tion auswei­chen, zum Beispiel in meiner Heimat.

Früher war auch ich beseelt von umfas­sender Detail­gerech­tigkeit, habe sogar an eine kommu­nistische Gesell­schaft geglaubt. Inzwischen habe ich meinen Frieden mit der Evolu­tion und ihrer Krone, dem Menschen gemacht. Es gibt überall ernorme Reibungs­verluste, in der Familie, in der Schule, zwischen Arm und Reich, zwischen Einhei­mischen und Zugewan­derten. In Erman­gelung wirklich funktio­nierender Alter­nativen gab und gibt es Reli­gionen, Adelige, Super­reiche, die sog. Märkte, National­stolz, Fremden­angst.

Noch immer bin ich der Meinung, den Reichen stünde ihr weit­gehend leistungs­loses Einkommen und ererbter Besitz nicht zu, habe deshalb aber nie den gerne unter­stellten Neid empfunden und bin der Meinung, daß es bei aller Kritik, notwen­digen Beschnei­dungen und dringend erforder­lichen Rege­lungen derzeit kein besseres System zu sehen ist, das sich mit evolu­tionärem Vorteil durch­setzen könnte. Wir müssen damit leben, den Reichen den Arsch zu putzen, um an das Geld zu kommen, was sie moralisch verwerf­lich den weniger Betuchten abge­nommen haben. Eine Alter­native sieht die Evolu­tion derzeit wohl nicht.

Und ich sehe derzeit auch kein System, das mir auf der Straße zu jedem sofort anzeigt, ob er gewalt­bereit ist oder nicht. Auch keines, das Krimi­nelle automa­tisch ausson­dert oder an der Umsetzung ihrer Bösar­tigkeit hindert. Wir können die Gefahr nur stati­stisch mindern, zum Beispiel gefähr­liche Situa­tionen meiden. Aber solange wir uns noch in der Öffentlichkeit bewegen wollen und dürfen, bleibt vor allem die Einschät­zung nach dem Aussehen, so ungerecht sie auch sein mag: Der Tote von Chemitz mag ein netter und hilfs­bereiter Mensch gewesen sein, doch seinem Aussehen nach hätte ich ihm nicht gerne im Dunkeln begegnen wollen.

Das Problem mit unseren anonymen Mitmen­schen kann der einzelne kaum lösen, noch nicht einmal für sich selbst. Jeden Menschen für zivili­siert zu halten, kann ich keinem raten, auch wenn die meisten es sind. Persön­lich kann man allen­falls gefähr­lichen Begeg­nungen aus dem Wege gehen, auch wenn man es haßt, daß wider­wärtige Menschen Räume besetzen, die ihnen nicht zustehen. Doch vom National­staat als Spitzen­leistung der Evolu­tion können wir verlangen, daß er wenigstens die Statistik verbes­sert, indem er krimi­nelles und gewalt­tätiges Handeln hart bestraft, Täter ausson­dert und unsere Ängste durch eine sinn­volle Politik mindert.

Für die in den letzten Jahren alles domi­nierende Ausländer­proble­matik heißt das: Kein Bonus für fremde Krimi­nelle, sofor­tige Abschie­bung oder Fest­setzung bei ille­galem Aufent­halt, Begren­zung der Einreise, Auswahl nach Qualifi­kation und Gold­gehalt. Doch nicht nur wir und unsere Obrig­keit können etwas tun. Viele Ausländer können demon­strative Anders­artig­keit ablegen, sich zivili­siert kleiden und benehmen. Wunder bewirkt auch die Höflich­keitsform. Wenn die Sippen­haft reduziert werden soll, dann rate ich allen auslän­dischen Gruppen und Vertre­tungen, weniger zu jammern, zu leugnen und zu fordern, sondern am eigenen Image zu arbeiten und die Diszi­plinie­rung ihrer schwarzen Schafe in Angriff zu nehmen.

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