Was ist P(8|9)?
Hier eine unausge­gorene Aufgabe zu line­aren Funk­tionen und ihrer Dar­stellung, wenn ich mich einmal derart schlicht und direkt aus­drücken darf:
Der Graph einer linearen Funktion geht durch
die Punkte P(8|9) und Q(1|2).
a) Bestimme den Term einer proportionalen Funktion,
   deren Graph parallel zu dem Graphen von f ist.
b) Bestimme den Term der linearen Funktion h,
   deren Graph parallel zu dem Graphen von f ist
   und durch den Punkt R(2|-3) geht.
Dem Mathematiker fällt reflex­haft die Bezug­nahme auf eine nicht bezeich­nete Funktion f auf, denkt sich aber sofort, daß wohl die lineare Funktion f durch die Punkte P und Q gemeint ist. Er setzt in Teil a der Aufgabe sofort eine propor­tio­nale Funktion g an und wundert sich somit nicht über das Erscheinen von h im Teil b. Auf der anderen Seite bemerken selbst Schul­buch­autoren gar nicht die Unbe­stimmtheit von f und wundern sich auch nicht über das Fehlen von g, obgleich doch von f und h die Rede ist. Und Lehrer stehen auf dem Schlauch, wenn Schüler sie um eine Erläu­terung bitten. Zur Schul­buch­kritik oder Streichung der Aufgabe fehlt es oft an Souve­ränität.

Wer das so liest, könnte mich für pingelig halten, sollte aber beachten, daß er mögli­cher­weise den kleinen Schwach­punkt ohne meine Erläu­terung einfach über­sehen hätte oder bei der Lösung an ganz anderen Kleinig­keiten geschei­tert wäre, zum Beispiel an dem feinen Unter­schied zwischen linear und propor­tional oder an dem breiten Graphen-​Geschwafel. Selbst­verständ­lich können nicht nur Mathe­matiker solche leichten Schwächen korri­gieren, und es wäre mir auch lieb, wenn in der Schule eine derartige Fehler­toleranz geübt würde, auf daß jeder Abitu­rient in der Lage wäre, auch sehr formale Sach­verhalte weit­gehend in geläu­figer Umgangs­sprache exakt zu beschrei­ben. Doch leider sehe ich eher das Gegen­teil: In der Schul­mathe­matik werden Begriffe und Bezeich­nungen einge­führt, die in der wirk­lichen Mathe­matik unge­bräuch­lich oder ein­fach unsin­nig sind, um mich anderer Vokabeln zu ent­halten. Auch das demon­striert die eingangs erwähnte Aufgabe.

Den flüchtigen Leser wird „die Punkte P(8|9) und Q(1|2)“ gar nicht irri­tieren. Ich aber frage mich, was an der tradi­tionellen Schreib­weise „die Punkte P=(8,9) und Q=(1,2)“ auszu­setzen ist. Etwa die Gleich­setzung der Punkte P und Q mit den Paaren (8,9) und (1,2)? Soll der senk­rechte Strich irgend­etwas andeu­ten? Daß es sich um Koor­dinaten handelt? Soll P(8|9) etwa für  Punkt P mit Abszis­se 8 und Ordi­nate 9“ stehen? Oder P einfach für Punkt? Nein, letzteres geht nicht, dann wäre Q(1,2) ja ein Qunkt! Und da man diese Unge­reimt­heiten einem Acht­kläßler zu erklären nicht in der Lage ist, bleibt wieder einmal kritik­lose Aneig­nung von Schul­konven­tionen, wo schlichtes Ver­stehen so einfach wäre.

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