Sommerzeit
Es war noch keine 100 Jahre her, daß in Deutsch­land zur Verein­fachung des Bahn­verkehrs die zeit­liche Klein­staaterei durch eine einheit­liche Mittel­euro­päische Zeit (MEZ) beendet wurde, da kamen auch bundes­deutsche Poli­tiker auf den Trichter, der DDR nachzu­eifern und die um eine Stunde vorge­hende Sommer­zeit (MESZ) einzu­führen, um damit den in Kriegs­zeiten einge­übten und von Nach­barn gepflegten Schwach­sinn ins neue Jahr­tausend zu retten. Der Grund­gedanke bestand in der Hoffnung, die Menschen würden aus reiner Gewohn­heit, aber auch durch Arbeits­zeiten und Tages­schau genötigt im Sommer einfach eine Stunde früher auf­ste­hen und an den lauen und langen Sommer­abenden weniger Strom ver­brau­chen. Die erhoffte Erspar­nis trat nicht ein. Die Men­schen blieben nach der Tages­schau ein­fach eine Stunde länger sitzen. In frühe­ren Zeiten, da um 18:30 der Super­markt, um 22 Uhr die Küche und um 23 Uhr das Lokal schloß, hätte es viel­leicht gefruch­tet.

Ich erinnere mich noch an den ersten Wech­sel zur Sommer­zeit. Eine auto­mati­sche Umstel­lung gab es nicht, den Rech­nern waren Zeit­fürze der gesam­ten Welt unbe­kannt. Ich wollte mich kor­rekt ver­hal­ten und habe zur Sommer­zeit nicht die interne Uhr, sondern nur die Zeit­zone umge­stellt. Gefähr­dete Crontab-​Ein­träge gab es nicht. Daß dadurch alte Dateien nicht mit der Winter­zeit ihrer Erzeu­gung ange­zeigt wur­den, war uner­heb­lich oder gar er­wünscht. Doch dau­erte es nicht lange, bis die erste Schreib­kraft sich über eine fal­sche Uhr­zeit beklagte. Dem deut­schen Text­ver­arbei­tungs­system ging die Zeit­zone am Arsch vor­bei. Es nahm selbst­herr­lich an, in einem Deutsch­land mit Mittel­europä­ischer Zeit zu arbei­ten und schlug der Unix-​Zeit ein­fach eine Stunde zu. Also zurück zu quick an dirty. Sich Arbeit und Gedan­ken machen, viel­leicht sogar systema­tisch vorzu­ge­hen, war wie­der ein­mal für die Katz.

Zu dieser erstmaligen Umstel­lung wei­gerte sich mein Orts­vereins­vor­sit­zen­der, seine Uhr umzu­stel­len, weil es der Regie­rung nicht zukäme, die Zeit zu ändern, auch nicht unter Hel­mut Schmidt. Ich war eben­falls der Mei­nung, man hätte die Tages­schau auf 19 Uhr legen sol­len, gewohnte andert­halb Stunden nach Laden­schluß dann um 17:30. Zur Erinne­rung lasse ich noch heute auf mei­nem Funk­tele­fon die Winter­zeit durch­lau­fen. Faul­heit führte wie so oft zu beque­men, auf den ersten Blick über­lege­nen Ent­schei­dun­gen. Man wollte kein Gesetz ändern, keine Vor­schrift jahres­zeiten­spezi­fisch ge­stal­ten und nutzte aus, daß über­all still­schwei­gend von der gerade gül­tigen Uhr­zeit aus­gegan­gen wird. Die­ses juri­sti­sche Ver­ge­hen an der Zeit hat auch in Deutschl­and Tradi­tion. [1]

Nachdem nun durch jahre­lange Übung und Automati­sie­rung die nächt­li­chen Pro­bleme an den Tagen der Umstel­lung be­herrscht wer­den, kommt man wie­der zur Ver­nunft. Doch nicht voll­stän­dig. Statt zur Normal­zeit zurück­zukeh­ren und sich durch Ver­schie­bung von Uhr­zei­ten dem moder­nen Leben anzu­pas­sen, kommt es mög­li­cher­weise durch Aus­deh­nung der Som­mer­zeit auf das ganze Jahr zu einer dauer­haf­ten Verla­ge­rung nach Osten. Stand früher die Sonne in Ham­burg auch erst um 12:20 am höch­sten, wird es in Zukunft Som­mers wie Win­ters sogar 13:20 sein. Noch eine Stunde bis zur Mekka-​Zeit. [2] Ein Blick in den Rama­dan-​Kalen­der meines türki­schen Gemüse­händ­lers belegt die Dis­kre­panz zur über­kom­me­nen 12‑Uhr-​Noon-​Vor­stel­lung: Im lau­fen­den Jahr 1439 war unter Ögle 13:30 plus­minus zwei Minuten ange­ge­ben. Und ich fragte mich, wie ich sei­ner­zeit mit mei­nem from­men Kommili­to­nen und sei­ner offen­haari­gen Schwe­ster um 20 Uhr ins Thea­ter gehen konnte, wenn er erst beten mußte und wir dann noch in Ruhe seine vorbe­reite­ten Spei­sen aßen? Es muß Mitte Sep­tem­ber gewe­sen sein. Doch in 14 Ta­gen geht die Sonne erst um 19:30 unter. Pro­blemlö­sung: Es gab noch keine Sommer­zeit!

Die Sommerzeit ganz­jäh­rig zu behal­ten und so dauer­haft in UTC+2 weit öst­lich der Orts­zeit zu fallen, ist nicht nur moslem­feind­lich. Es knüpft an die Jahre 1940 bis 1942 an und ver­letzt das Prin­zip, die Zeit­zone des Land­mas­sen­schwer­punk­tes zu wäh­len. So ist es in China ver­nünf­tig und ein­geübt, nur eine Zeit­zone zu haben. Blei­ben aber die Spa­nier und Por­tugie­sen im konti­nen­talen europä­ischen Ver­bund, dann liegen sie ganze zwei Stun­den dane­ben. Ich hoffe, die Eng­län­der wer­den bei ihrer Green­wich Mean Time (GMT) blei­ben. Eine anstän­dige Re­form wäre, über­all die Bary­zen­tri­sche Dynami­sche Zeit TDB einzu­füh­ren. Dann würden die Uhren auf der gan­zen Welt gegen­wär­tig unge­fähr GMT anzei­gen und der Schwach­sinn mit der Datums­grenze ent­fiele. Die Marsi­aner ohne Wohn­sitz in einer Zeit­zone hät­ten die glei­che Zeit. Sie könn­ten damit leben, daß 86400 Se­kunden fast einem Erden­tag entspre­chen, der Mars­tag Sol aber 40 Mi­nu­ten län­ger dau­ert. Und wer jetzt vor­ei­lig die engli­sche weiße Kolo­nial­zeit GMT ab­lehnt, möge beden­ken: Der Längen­grad, des­sen Orts­zeit mit der TDB über­ein­stimmt, wan­dert lang­sam um die Erde herum.

[1] Im ersten und zwei­ten Welt­krieg gab es bereits unre­gelmä­ßig eine Sommer­zeit. Im Jahre 1947 sogar eine um zwei Stun­den ver­scho­bene Hoch­sommer­zeit. Damals mag die Umstel­lung der Uhr das an feste Zei­ten gebun­dene Ver­hal­ten der Men­schen noch mit­genom­men haben.

[2] Soldt, Rüdiger: Mekka-Zeit aus Calw. FAZ, 15.02.2012.

Oktoberrevolution

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Schöner Beitrag.

Ich konnte jetzt nur nichts darüber finden, daß früher wenigstens das Jahr halbe/halbe aufgeteilt war - also 6 Monate Sommerzeit und 6 Monate Normalzeit.
Bevor UK darauf bestand und die EU uns auf bis Ende Oktober (statt früher Ende Sept.), also 7 versus 5 zwang.

(Ich persönlich könnte ja mit einer 5-7 Lösung (bzw. 4-8) gut leben: Sommerzeit nur von Mai bis Ende August/ oder Ende September.

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Nichts machen Wikipedia-​Autoren lieber als lange Listen anzu­ferti­gen. So auch über alle Tage, an denen die Sommer­zeit oder gar die Hoch­sommer­zeit begann und endete. Doch meine Kri­tik rich­tet sich nicht an die Ge­schichte, son­dern gegen die Unver­nunft, nach lan­gen Jahren der Ein­fach­heit wie­der eine Sommer­zeit einge­führt zu haben. Ähn­lich ist es mit den Rabatt­mar­ken, die ich nach dem Ende der Hefte für 1,50 auf 50 Mark Ein­kauf für aus­gestor­ben hielt.

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