Herbert Wehner
Im Blog Religionsfreiheit [1] schlug mir ein allgegen­wärtiges modernes Übel entgegen, nämlich die Welt als eine Ansamm­lung von Einzel­heiten zu sehen, von denen einige auch noch Rück­sicht­nahme und beson­dere Würdi­gung verlangen. Dazu gehören viel­fältige Klein­gruppen der Gesell­schaft, Lobby­isten aller Art. Manche leiden am Rest der Welt, einige verachten ihn und halten sich für über­legen, wieder andere wollen ihn bestrafen oder zumin­dest belehren. Dazu verbiegen sie gerne die Sprache samt Inhalt und defi­nieren Norma­lität vom Rand her. Leider finden daran viele Gefallen und mißachten die fakti­schen Verhält­nisse.

In diesem Zusammenhang fiel mir Herbert Wehner ein, der auf meiner Strauß-​Wehner-​Schall­platte den Abgeord­neten der CDU erklärt: „Es gibt eine norma­tive Kraft des Fakti­schen, das haben wir alle in diesem Hause erlebt. Es gibt jedoch keine Fakten erset­zende Kraft des Phraseo­logischen.“ Und heute lese ich zu meiner Über­raschung einen Aufsatz von Wilhelm von Stern­burg in der Frank­furter Rund­schau zum 100. Ge­burts­tag Herbert Wehners. Nichts darin von der sonst so üblichen Lobhu­delei oder Verbeu­gung vor der Größe. Kaum auch Ver­ständnis, das man doch so gerne selbst Gewalt­tätern entgegen­bringt.

[1] Meine Erwähnung von Herbert Wehner im Zuge einer Gender-​Diskussion im Blog Religionsfreiheit.

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Vielleicht wird einem eine Figur
wie Wehner mit größer werdendem zeitlichen Abstand fremder. Unterschätzen Sie auch nicht das Bedürfnis mancher Schreiber, mal einen eigenen, neuen originellen Dreh in ein Thema zu kriegen. Und das Klischee "der knorrige SPD-Gigant und Ex-Kommunist" ist nun mal schon oft bemüht worden, dass man jetzt mal andere Seiten zeigen möchte. Keine Ahnung - mir war Wehner (bei aller Bewunderung für seine rethorischen Fähigkeiten) seit jeher total fremd geblieben. Das mit etwaigem Verständnis für Gewalttäter aufzurechnen, scheint mir etwas fragwürdig. Oder hat WvS zuvor Ed Gein oder Charles Manson verständnisvoll porträtiert?

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Herbert Wehner hat sicherlich einiges auf dem Kerbholz. Bei aller Bewun­derung vor allem als Kontrast­programm zu Franz Josef Strauß war er von kaum einem geliebt. Vielmehr stand er immer im Verdacht, ein Spion der Sowjet­union gewesen zu sein. Für mich war er allen­falls ein Über­zeugungs­täter. Insofern hat die Geschichte ihn rehabi­litiert. Er war stets Partei­soldat, der die objek­tiven Inter­essen der Arbeiter­klasse vertrat. Nur ermittelte er sie zumeist eigen­mächtig.

Herbert Wehner war nicht groß, mächtig und zu Lebzeiten beliebt genug für eine Lobesrede wie sie John F. Kennedy zu seinem 100. Ge­burts­tag zu erwarten hat, der Vietnam mit Napalm über­ziehen ließ. Wehner wird kaum ange­rechnet, in seiner Zeit und Über­zeugung gefangen gewesen zu sein. Eher versteht man schon seinen Ober­befehls­haber Stalin. Daß es früher einen in Parteien organi­sierten Klassen­kampf gab, für den man auch hobelte und Späne fallen ließ, erscheint heute unver­ständlich.

An Wehners Geburtstag muß wohl ausgeteilt werden, weil es kaum andere Gelegen­heiten gibt. Er ist eben nicht groß und bedeutend genug für eine Ausbreitung der unange­nehmen Fakten in den Jahren zwischen den runden Geburts­tagen, auf daß man an ihnen auch einmal des Lobes voll sein zu kann.

Wen WvS sonst noch wie porträtiert hat, weiß ich nicht und inter­essiert mich auch nicht. Der Vorwurf der Lobes­hymne für Gewalt­täter bezog sich mehr auf die Leser, besser die Menschen allgemein, die gerne einmal einem Hurenbock anhimmeln, Bin Laden wenig­stens seine Moti­vation zurechnen, einen auf Ver­ständnis für alles und jeder­mann machen, Friedens­nobel­preise an Kriegs­führer verleihen und zumindest gebiets­weise Dikta­toren jubelnd folgen.

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