AfD
Deutschland hat östlich seiner geogra­phischen Mitte ein deutliches Geschwür, die AfD-Hochburg in Sachsen. Es strahlt in die ganze Zone aus, aber auch ins katho­lische Fulda, nach Bayern und selbst Baden-Württem­berg. Beschwerde­frei sind im wesentlichen nur das Rhein-Main-Gebiet, das Ruhrgebiet und Nord­deutschland, wo Hühner nicht Hennen heißen [1], Ausländer ihr Schul­deutsch wieder­erkennen und der Blick weit ist.

Gerne wird anhand der Wähler­schichten versucht, die Ursachen für den AfD-Erfolg zu ermitteln. Für mich ist es recht einfach. Jeder fünf­zehnte Normal-Bürger nutzte die Gelegen­heit, bei der Wahl geheim und ohne die Gefahr einer Belehrung der verordneten Willkommen­skultur zu wider­sprechen. In der DDR war Inter­nationa­lismus verordnet, weshalb es dort nach 30 Jahren immer noch eine tief verwurzelte Ausländer­feind­lichkeit gibt. Die kommt noch oben drauf.

Die SPD kümmert sich um Beamte und Angestellte, vor allem Lehrer. Sie hat die Arbeiter­klasse verraten. Die ist nicht fein genug. Arbeiter fahren nicht mit dem Auto zwischen Eigenheim, Büro, Theater und Lieblings-Italiener hin und her, sondern mit Bussen und Bahnen durch die wahre Welt, in der zwar gerne geklagt und geschimpft wird, direkte Belei­digungen aber nur selten vorkommen und manchmal das Wort Nazi enthalten.

Arbeiter zu sein allein reicht nicht für die AfD. Man sollte dazu eine dieser drei Voraus­setzungen erfüllen: Zum einen von Natur aus rechts­radikal sein, zum anderen in der Tradition der Ossis stehen oder zum dritten um beschei­denen Wohlstand fürchten. Das erklärt, warum das Geschwür nach Bayern und Baden-Württem­berg ausstrahlt, wo auch der einfache Mann zumindest meint, etwas Besseres zu sein. Und glückliche­rweise erklärt es auch, warum meine Heimat­stadt mit hoher Arbeits­losigkeit nicht über den Bundes­durch­schnitt kommt. Sie liegt an der Nordsee.

[1] König, Werner: dtv-Atlas zur deutschen Sprache. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2. Auflage, 1978. Seite 217.

... comment

 
Wenn die Einwanderung eine Form annimmt, in der es keine Grenze mehr gibt, sondern nur ein wüstes offenes Feld, liegt Staatsversagen vor. Dann kann man Reaktionen wie jene der Pegida oder der Alternative für Deutschland (AfD) metaphorisch als allergische Reaktionen deuten.

Peter Sloterdijk in einem Interview mit dem Züricher Tagesanzeiger, übrigens schon im Jhre 2016 geführt. Da hatte der Spruch "Schweizer Zeitungen sind das neue Westfernsehen" meines Wissens noch nicht die Runde gemacht. Ich finde das Bild von der (fiebrigen) Immunrektion stimmiger als Ihre Metapher vom Geschwür. Bei zeit.de haben sehr viele Kommentatoren die Frage beantwortet, warum sie AfD gewählt haben, das ist ganz interessant zu lesen. Angst um den Wohlstand war da nicht unbedingt das meistgenannte Motiv, und rechtsradikale Einstellungen waren da auch eher in der Minderheit.

... link  

 
In der modernen Physik besteht die Kunst der Datenauswertung darin, das oftmals den Löwenanteil ausmachende Grundrauschen zu entfernen oder aus diesem Rauschen selbst Informationen zu gewinnen. Hier ist allgemeiner Rechtsradikalismus das Rauschen. Den entferne ich aus den Daten. Dann verbleibt eine eindeutige Landkarte, die mehr die Form eines punktuellen Geschwüres mit Ausstrahlungen hat als die einer flächendeckenden Immunreaktion. Und da fallen mir neben der Zone die beiden deutschen Landschaften auf, deren Ureinwohner nicht bereit sind, hochdeutsch zu sprechen, und sich für etwas Besseres halten. Ist es nicht die Angst vor Verlust ihres bescheidenen Besitzes, dann die Auffassung, ihnen käme mehr zu, würde das Geld nicht in den ärmeren Bundesländern verplempert oder Zuwanderern geschenkt.

... link  


... comment
 
Auch die Zeit von Iris Gleicke als Beauftragte der Bundes­regierung für die neuen Bundes­länder ist bald um. Trotzdem mußte sie die Ossis noch einmal schön reden mit dem Hinweis auf ebenfalls 15 Prozent bei der letzten Landtags­wahl in Baden-Württemberg. Das ist Gelegenheit für Carla Baum [1], mit drei Hochburgen im Westen vom eigentlichen Krebs­geschwür abzulenken.

Immerhin erwähnt sie nicht nur Deggendorf mit seinem Asyl­bewerberheim, sondern sieht die Neigung zur AfD entlang der ganzen tschechi­schen Grenze. Das mag daran liegen, daß die Flücht­linge in diese Gebiete einfielen. Möglicher­weise aber auch an dem Geschwür selbst, von dem wir durch die Wahl­ergebnisse nur den deutschen Teil zu sehen bekommen.

In Heilbronn sieht sie den Frust der wohlhabenden Bürger, die schaffe müsse, während es andere hinein­geblasen bekommen. Neben der Befürchtung, vom eigenen Wohlstand abgeben zu müssen, ist es wohl eine im ganzen Süden fest verankerte Abneigung gegenüber Fremden, auch Deutschen, die es nicht übers Herz bringen, ihren affigen Dialekt anzunehmen.

Und in Gelsenkirchen ist es der Struktur­wandel, ein Euphemismus für Zechen­schließung. Trotzdem habe ich das Ruhrgebiet auf die Seite der Vernünf­tigen geschlagen, denn Gelsen­kirchen ist nur eine Stadt, und gemeint habe ich Nordrhein-Westfalen, was ich gerne Ruhrgebiet nenne, weil Ruhr abwertend klingt und die Gegend schön benennt, in der man jeden November für drei Monate ins Koma fällt.

Es käme mir ja gelegen, wenn nur in meiner nord­deutschen Heimat und im Rhein-Main-Gebiet, in dem ich den größten Teil meines Lebens verbracht habe, die AfD nicht über den rechts­radikalen Bodensatz gekommen wäre. Dann wäre die Unverträg­lichkeit von Protestan­tismus und AfD noch deutlicher: AfD wird dort gewählt, wo Atheisten oder Katholiken hausen.

Aber man muß gerecht bleiben. Die Karte ist nicht nur im Norden, auch im Westen Deutsch­lands deutlich heller als im Süden oder gar im Osten. Einzelne Hochburgen wie Gelsen­kirchen gibt es überall. Je kleiner man die Gebiete macht, desto leichter sind sie zu finden. So auch mein Wahlbezirk inmitten des Rhein-Main-Gebietes, wo einfach der recht beliebte AfD-Kandidat wohnt und mit dem Verfall der Bausubstanz die Ausländer­freiheit ein Ende hat.

[1] Baum, Carla: Das sind die AfD-Hochburgen im Westen. Welt-N24, 27.09.2017

... link  


... comment
 
Nach den Wahlen meldeten sich vor allem alte Männer der SPD mit guten Ratschlägen zu Wort. Nun auch in der CDU mit Kurt Biedenkopf, den ich schon über das ganze Desaster vergessen hatte. Möglicherweise ist es nur eine falsche Erinnerung, mit ihm die blühenden Landschaften im Osten zu verbinden, zumindest einen ordentlichen Wirtschaftsaufschwung. Wie konnte es nun gerade in seinem Freistaat Sachsen zu derartigen Ausfällen kommen?

... link  


... comment
 
Ich denke gerne in Schubladen und was die Menschen betrifft auch in Klassen. Und wenn mir aus einer thema­tische Karte eine regionaler Bezug ins Auge springt, dann sehe ich die Gründe auch regional. Natürlich liegt es nicht an der sächsischen Schweiz, wenn dort die AfD gewählt wird. Wohl aber an ihrer Bevölkerung. Natürlich wird dort keiner als Nazi geboren, doch die Erziehung zu einem begünstigt. Wer die regionalen Zusammen­hänge leugnet, der wird irgendwann auch behaupten, die hohe Fischfang­quote an der Küste sei nicht regional sondern sozial bedingt.

Auch die Bertelsmann-Stiftung ist nicht frei von Wissen­schaftlern, die reflex­artige Kritik an einfachen Gruppierungen fürchten, deshalb die deutsche Bevölkerung in sage und schreibe zehn Mileus teilen und diese auch noch so benennen, daß ich mich in kein einziges einordnen kann. [1] Ein mir von GMX aufge­drängter Artikel [2] nimmt sich die 13 Prozent des Milieus der bürgerlichen Mitte vor, denn vom prekären erwartet man ja so und so nichts. Es dient nur der Verwunderung, daß dessen hohe Wahl­beteiligung in den armen Gebieten den daraus berechneten Grad der sozialen Spaltung verringert hat.

Selbst wohl eher zu den Hedonisten, Sozialökos, Liberal­intellektuellen, Performern oder den euphemistisch expeditiv genannten Milieu gehörig, arbeiten sich die Wissenschaftler an den Bürgerlichen ab, die unsere gesellschaftliche Ordnung bejahen und beruflich wie sozial etabliert sein möchten, sich aber zunehmend überfordert fühlen und den Abstieg fürchten. Beides befördern die Flüchtlinge, und die AfD verspricht Abhilfe.

So ähnlich hatte ich mir das vorgestellt. Die Angst der Kleinbürger als vierte Säule der AfD neben Ostdeutschland, Armut und Rechtsradikalismus. Doch der regionale Zusammenhang wird wieder kleingeredet. Nicht die Region, sondern die Armut sei verantwortlich, obgleich die auch nicht mehr beim Namen genannt wird. Für mich ist es mehr geistige Verwahrlosung, die sich in einigen Regionen ballt. Und die wird sich bei der nächsten Wahl auch dann nicht in andere Regionen bewegen, egalisieren oder gar verflüchtigen, wenn Geld für Integrationskurse in die blühenden Landschaften gepumpt wird. Es wächst nicht zusammen, was getrennt sein will.

[1] Ich Nachgang habe ich mir die Beschreibungen der Sinus-Mileus angesehen und tatsächlich keines gefunden, dem ich angehören möchte.
[2] Kay Nietfeld: Wahlanalyse der Bertelsmann-Studie: AfD bei Bundestagswahl mit starker Mobilisierung, GMX, 06.10.2017.

... link  


... comment