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Gerstenkorn
wuerg, 22.06.2018 23:27
Der moderne Mensch kann froh sein, für Maße und Gewichte nicht mehr eine Riesenpalette von Bezeichnungen erlernen zu müssen, deren Umrechnung uneinheitlich oder ihm gar unbekannt ist. Da den Amerikanern ihr Durcheinander soweit geläufig ist, sich durch den Alltag schlagen zu können, erscheint die Aneignung eines zusätzlichen Systems überflüssig, mühsam und mit Angst besetzt. Müssen sie aber den vertrauten Alltagsbereich verlassen, haben sie mitunter nur ungenaue Vorstellungen. Die Größen sind nicht verinnerlicht, Bezeichnungen nicht geläufig. Für Längen unterhalb eines Zolls waren verschiedene, nicht immer eindeutige und auch vom zu messenden Objekt abhängige Maßeinheiten üblich. In moderner Zeit wurden neue hinzugedichtet. Teilweise sind sie noch im Gebrauch. Ein kleine Auswahl:
Wie realistisch ist die Gerstenkornvorstellung? Wie fett waren die Gerstenkörner damals? Wurden nur besonders schöne oder ins System passende gewählt? Schon die Sumerer teilten den Finger in 6 Gerstenkörner, allerdings der Breite nach. Das sind 8 pro Zoll. Jedem Korn von 1/8 Zoll Dicke und 1/3 Zoll Länge ist ein Quader von 1/192 Kubikzoll zugeordnet. Ich bin kein Landwirt, habe nicht Lebensmittelkunde studiert und orientiere mich für reale Körner an den mageren gefundenen Angaben. Nach [3] ist das Tausendkorngewicht 40 Gramm, das Hektolitergewicht 69 Kilogramm, die Kornlänge beträgt 8 Millimeter. Aus den Angaben für Weizen und Roggen nehme ich ein spezifisches Gewicht von 1,3 an. [4] Bilder bestätigen ein Längen-Breiten-Verhältnis von 8 zu 3.
Auf der Basis dieser Angaben sieht für mich ein „metrologisches“ Gerstenkorn wie folgt aus: Es ist 8 Milimeter lang und 3 Millimeter dick. Das Volumen umfaßt mit 31 Kubikmillimetern 43 Prozent des umschließenden Quaders von 72 Kubikmillimetern. Das Gewicht eines Kornes beträgt 40 Milligramm, die Dichte ist 1,3 Gramm pro Kubikzentimeter. Aufgeschüttet nimmt Gerste nur 53 Prozent des Volumens ein. Das ist weit weniger als die dichteste Kugelpackung, aber auch deutlich mehr als in rechtwinkliger Anordnung.
Das englische grain (64,8 mg), das römische granum (47,4 mg) und auch das sumerische Se (46,8 mg) stehen für das Gewicht eines Gerstenkornes. Wenn das stimmen soll, muß man zu allen Zeiten besonders große und runde Körner ausgewählt haben. Tatsächlich kommt man heutzutage an diese Korngewichte heran. Doch wie passen diese Körner gleichzeitig in das jeweilige Längenmaß?
Das sumerische Gewicht von 46,8 Milligramm mag noch angehen, wäre da nicht der schmale Finger von nur 17,3 Millimetern. Vielleicht wurden lange, elliptische Körner ausgewählt. Eine um 15 Prozent gesteigerte Länge und Raumfüllung würden reichen. Das ist zwar weniger als die Mehrwertsteuer, doch mußten die Körner stolze 8,8 Millimeter lang sein und fast eine elliptische Form erreichen. Im Vergleich zu wirklichen Gerstenkörner sähen sie wie Stäbe aus. Das kann glauben, wer will.
Die Römer sind mit 47,4 Milligramm realistischer, denn ihr Fuß ist etwas größer. Hier reichen 4 Prozent zur Anpassung. Es ist also durchaus denkbar, durch Auswahl schöner Körner zu den römischen Maßen zu gelangen. [5] Sie müssen 3,1 Millimeter dick und 8,6 Millimeter lang sein, dazu nur wenig runder als ein normales Gerstenkorn. Es bleibt aber dabei: Man kann eine Länge und ein Gewicht nicht anhand von Gerstenkörnern definieren. Selbst dann nicht, wenn man besonders schöne auswählt. Und das haben die Römer auch nicht getan.
Auf den ersten Blick sieht es mit 64,8 Milligramm bei den Engländern schlimmer als bei den Sumerern aus, doch legen sie nur die Länge fest, wodurch die quadratisch ins Volumen einfließende Dicke zur Anpassung zur Verfügung steht. Deshalb reicht es, Dicke und Raumfüllung um 11 Prozent zu vergrößern. Die englischen Körner wären zwar nicht ganz so stabförmig wie die sumerischen, doch wiegen sie einfach zuviel. Englisches Bier könnte vermuten lassen, die Körner seinen mit Wasser aufgepumpt. Doch das senkte das spezifische Gewicht und würde die Körner noch voluminöser machen.
Was also bleibt? Als Längenmaß steht ein Gerstenkorn für den sechsten Teil eines Fingers oder den dritten Teil eines Zolls. Im ersten Falle ist es die Gerstenkornbreite von etwa 3 Millimetern, im zweiten die Gerstenkornlänge von etwa 8 Millimetern. Die Bezeichnung dieser Längen als Gerstenkorn geht auf die Abmaße wirklicher Körner zurück, deren Regelmäßigkeit aber nicht ausreicht, um auch nur ein grobes Maß aus ihnen abzuleiten. Und nur drei große, fette Gerstenkörner wiegen ein Karat.
[1] Meilensteine der Längenmaße. Zollstockfreunde.
[2] Es ist wohl Wunschdenken aus Flächenhalbierungen und -verdoppelungen 1 rod, also 16,5 foot aus 12·√2 römischen Fuß abzuleiten. Dann wäre 1 foot gleich (8/11)⋅√2 pes. Sollte die Quadratdiagonale √2 mit 99/70 angesetzt worden sein, dann entsprächen 35 foot genau 36 pes, meinetwegen auch pedes.
[3] Acker: Kohlehydratreiche Lebensmittel. Springer, 1967. S. 58
[4] Heute muß es wohl politisch korrekt Tausendkornmasse und Hektolitermasse heißen. Und ein spezifisches Gewicht von 1,3 entspricht einer Dichte von 1300 Kilogramm pro Kubikmeter, wenn man noch vor dem Wort Massevolumendichte zurückschreckt.
[5] Es wird von mir angenommnen, daß die Römer in der Tradition der Ägypter und Sumerer den Finger ebenfalls als sechs Gerstenkörner breit gesehen haben. Allerdings habe ich keine Bezeichnung für 1/96 Fuß gefunden.
Wunschdenken | Megalithisches Yard
twip - 0,01880 mm - 1/1440 Zoll (Schrift) mil - 0,02540 mm - 1/1000 Zoll (amerikanisch) thou - 0,02540 mm - 1/1000 Zoll (englisch) douzieme - 0,18799 mm - 1/144 Pariser Zoll point - 0,37606 mm - 1/72 Zoll (Schrift) ounce - 0,39688 mm - 1/64 Zoll (Leder) line - 0,63500 mm - 1/40 Zoll (Knopfgrößen) scripulum - 1,02900 mm - 1/288 römischer Fuß poppyseed - 2,11667 mm - 1/12 englischer Zoll ligne - 2,25583 mm - 1/12 Pariser Zoll sicilicum - 6,17400 mm - 1/48 römischer Fuß barleycorn - 8,46667 mm - 1/3 englischer ZollVermutlich bei „Bares für Rares“ habe ich mehrfach gehört, daß ein Karat (200 mg) nicht nur dem Gewicht einer Frucht des Johannisbrotbaumes entspricht, sondern auch dem dreier Gerstenkörner. Und bei den Zollstockfreunden [1] habe ich gelesen, daß ein Drittel des englischen Zolls nicht nur Gerstenkorn genannt wird, sondern Edward II den Zoll tatsächlich so festgelegt haben soll. Wenn er dies wirklich und redlich in die Wege leitete, konnte der englische Zoll nur vor 1324 exakt als 36/35 römische Zoll gesehen worden sein. [2] In den letzten 200 Jahren wurde er dann mehrfach umdefiniert und endete mit genau 2,54 Zentimetern unabhängig vom römischen Fuß oder Gerstenkorn.
Wie realistisch ist die Gerstenkornvorstellung? Wie fett waren die Gerstenkörner damals? Wurden nur besonders schöne oder ins System passende gewählt? Schon die Sumerer teilten den Finger in 6 Gerstenkörner, allerdings der Breite nach. Das sind 8 pro Zoll. Jedem Korn von 1/8 Zoll Dicke und 1/3 Zoll Länge ist ein Quader von 1/192 Kubikzoll zugeordnet. Ich bin kein Landwirt, habe nicht Lebensmittelkunde studiert und orientiere mich für reale Körner an den mageren gefundenen Angaben. Nach [3] ist das Tausendkorngewicht 40 Gramm, das Hektolitergewicht 69 Kilogramm, die Kornlänge beträgt 8 Millimeter. Aus den Angaben für Weizen und Roggen nehme ich ein spezifisches Gewicht von 1,3 an. [4] Bilder bestätigen ein Längen-Breiten-Verhältnis von 8 zu 3.
Auf der Basis dieser Angaben sieht für mich ein „metrologisches“ Gerstenkorn wie folgt aus: Es ist 8 Milimeter lang und 3 Millimeter dick. Das Volumen umfaßt mit 31 Kubikmillimetern 43 Prozent des umschließenden Quaders von 72 Kubikmillimetern. Das Gewicht eines Kornes beträgt 40 Milligramm, die Dichte ist 1,3 Gramm pro Kubikzentimeter. Aufgeschüttet nimmt Gerste nur 53 Prozent des Volumens ein. Das ist weit weniger als die dichteste Kugelpackung, aber auch deutlich mehr als in rechtwinkliger Anordnung.
Das englische grain (64,8 mg), das römische granum (47,4 mg) und auch das sumerische Se (46,8 mg) stehen für das Gewicht eines Gerstenkornes. Wenn das stimmen soll, muß man zu allen Zeiten besonders große und runde Körner ausgewählt haben. Tatsächlich kommt man heutzutage an diese Korngewichte heran. Doch wie passen diese Körner gleichzeitig in das jeweilige Längenmaß?
Das sumerische Gewicht von 46,8 Milligramm mag noch angehen, wäre da nicht der schmale Finger von nur 17,3 Millimetern. Vielleicht wurden lange, elliptische Körner ausgewählt. Eine um 15 Prozent gesteigerte Länge und Raumfüllung würden reichen. Das ist zwar weniger als die Mehrwertsteuer, doch mußten die Körner stolze 8,8 Millimeter lang sein und fast eine elliptische Form erreichen. Im Vergleich zu wirklichen Gerstenkörner sähen sie wie Stäbe aus. Das kann glauben, wer will.
Die Römer sind mit 47,4 Milligramm realistischer, denn ihr Fuß ist etwas größer. Hier reichen 4 Prozent zur Anpassung. Es ist also durchaus denkbar, durch Auswahl schöner Körner zu den römischen Maßen zu gelangen. [5] Sie müssen 3,1 Millimeter dick und 8,6 Millimeter lang sein, dazu nur wenig runder als ein normales Gerstenkorn. Es bleibt aber dabei: Man kann eine Länge und ein Gewicht nicht anhand von Gerstenkörnern definieren. Selbst dann nicht, wenn man besonders schöne auswählt. Und das haben die Römer auch nicht getan.
Auf den ersten Blick sieht es mit 64,8 Milligramm bei den Engländern schlimmer als bei den Sumerern aus, doch legen sie nur die Länge fest, wodurch die quadratisch ins Volumen einfließende Dicke zur Anpassung zur Verfügung steht. Deshalb reicht es, Dicke und Raumfüllung um 11 Prozent zu vergrößern. Die englischen Körner wären zwar nicht ganz so stabförmig wie die sumerischen, doch wiegen sie einfach zuviel. Englisches Bier könnte vermuten lassen, die Körner seinen mit Wasser aufgepumpt. Doch das senkte das spezifische Gewicht und würde die Körner noch voluminöser machen.
Was also bleibt? Als Längenmaß steht ein Gerstenkorn für den sechsten Teil eines Fingers oder den dritten Teil eines Zolls. Im ersten Falle ist es die Gerstenkornbreite von etwa 3 Millimetern, im zweiten die Gerstenkornlänge von etwa 8 Millimetern. Die Bezeichnung dieser Längen als Gerstenkorn geht auf die Abmaße wirklicher Körner zurück, deren Regelmäßigkeit aber nicht ausreicht, um auch nur ein grobes Maß aus ihnen abzuleiten. Und nur drei große, fette Gerstenkörner wiegen ein Karat.
[1] Meilensteine der Längenmaße. Zollstockfreunde.
[2] Es ist wohl Wunschdenken aus Flächenhalbierungen und -verdoppelungen 1 rod, also 16,5 foot aus 12·√2 römischen Fuß abzuleiten. Dann wäre 1 foot gleich (8/11)⋅√2 pes. Sollte die Quadratdiagonale √2 mit 99/70 angesetzt worden sein, dann entsprächen 35 foot genau 36 pes, meinetwegen auch pedes.
[3] Acker: Kohlehydratreiche Lebensmittel. Springer, 1967. S. 58
[4] Heute muß es wohl politisch korrekt Tausendkornmasse und Hektolitermasse heißen. Und ein spezifisches Gewicht von 1,3 entspricht einer Dichte von 1300 Kilogramm pro Kubikmeter, wenn man noch vor dem Wort Massevolumendichte zurückschreckt.
[5] Es wird von mir angenommnen, daß die Römer in der Tradition der Ägypter und Sumerer den Finger ebenfalls als sechs Gerstenkörner breit gesehen haben. Allerdings habe ich keine Bezeichnung für 1/96 Fuß gefunden.
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