#RKIFiles
Vorweg: Nicht alle Impfgegner und Skeptiker, die Corona als normale Grippe einord­neten, sind C‑Schwurbler. Wenn ich mir also im folgenden diese Bezeichnung erlaube, so meine ich nur solche, die unab­lässig der Corona-​Zeit gedenken und meinen, ihre Frei­heit sei gewaltsam und wider­recht­lich einge­schränkt worden, ihnen hätte man den Tod an den Hals gewünscht. Auch seien sie von Impf­schäden geplagt, sofern sie damals gezwungen oder über­redet wurden, sich impfen zu lassen.

Verschwörungstheorien gibt es massenweise, doch hört man von den meisten lange Zeit kaum etwas. Nun aber haben die RKI-​Protokolle nicht nur die C‑Schwurbler zum Leben erweckt. Andere ziehen nach, sehen keine Flugzeuge in die Zwillings­türme fliegen, aber massen­weise Chem­trails am Himmel, wundern sich, warum eine stei­nerne Kathe­drale so gut brennt und vermuten nicht nur, Putin habe den Konzer­tsaal stürmen lassen, sie wissen es. Bald wird auch die Erde wieder flach sein, und die Afri­kaner werden zugeben, Pferde ange­strichen und als Zebras ausge­geben zu haben.

Ich kenne die #RKIFiles nur von Twitter, wo begei­stert irgend­welche Auszüge „gepostet“ werden. Und ich verspüre nicht das Bedürfnis, sie umfang­reicher zu stu­dieren. Ich gehe davon aus, daß die übel­sten Teile bereits tausend­fach kopiert und ange­pran­gert wurden. Und die hauen mich nicht vom Sockel. Wer hätte denn anderes erwartet, hätte in der Rolle der Geschwärz­ten deut­lich über­legener gehan­delt? Und zwar ohne nach­gängiges Wissen und dem Ver­schwö­rungs­glauben noch nicht anheim gefallen.

Einen Kritikpunkt bilden natürlich die Impfungen. Man habe gewußt, daß sie nutzlos sind und immense Schäden anrichten werden. Trotzdem wurden Menschen durch Propa­ganda und echten Druck zur Impfung über­redet, gar gezwungen. Selbst eine Impf­plicht wurde ange­strebt. Mittlerweile sei evident, was schon damals bekannt gewesen sei: Die Impfung schützt nicht vor Erkran­kung. Deshalb hatten Länder niedriger Impf­quote weniger Tote zu beklagen. Nun leiden Geimpfte nicht nur unter Long-​Covid, sie sterben auch in jungen Jahren wie die Fliegen. Ungeimpfte wurden beschimpft, ausge­grenzt und sind trauma­tisiert.

Glücklicher­weise weiß die große Mehrheit, die sich nicht eigen­ständig zu Wort meldet und allen­falls die Absonde­rungen kommen­tiert, daß eine Impfung natür­lich die An­steckungs­gefahr deutlich mindert, eine immer noch mögliche Erkran­kung leichter verlaufen läßt und die Todes­gefahr dra­stisch redu­ziert. Und es ist auch plausibel, daß die letzlich kleine Gruppe der Unge­impften, weit mehr Viren in die große der Geimpf­ten trägt als umge­kehrt, sie die End­phase der Pan­demie trieben, wahr­schein­lich immer noch. Die gegen­gerech­neten Impf­toten oder an seeli­scher Grausam­keit Verstor­benen fallen um Größen­ord­nungen hinter denen zurück, die nicht nur mit, sondern an Corona ver­storben sind.

Der zweite mir aufgestoßene Kritik­punkt sind die Masken, die nichts genützt hätten, weil sie nicht viren­dicht seien. Und oben­drein schadeten sie, vor allem Kinder, die mit Masken in kalten Räumen unter­richtet wurden. Poli­tiker und RKI hätten von Anfang an gewußt, daß eine Masken­pflicht sinnlos ist. Auch die in die gleiche Rich­tung wei­senden Kontakt­beschrän­kungen. Schweden habe dies bewiesen. Auch sei bald klar gewesen, daß Corona kaum mehr als eine Grippe ist, die regel­mäßig vom Immun­system der Menschen erfolg­reich abge­wehrt wird.

Das stimmt nicht. Viren sind empfind­lich und werden durch Masken durchaus behindert, vor allem kann man durch Masken schlecht spucken, und sie erschwe­ren, sich gegen­seitig abzu­schlap­pern. Allein ihr Anblick mahnt zu Abstand und Vorsicht, erinnert an die noch nicht ausge­standene Krank­heit. Und selbst wenn die Masken aus heu­tiger Sicht als wenig wirksam gelten müßten: Welcher Politiker konnte das wissen, hätte den Masken­mangel mit Unwirk­sam­keit klein­reden wollen? Alle blickten auf Asiaten, die immer mit Masken rumlaufen, und nähten sich eigene. Man wußte auch nicht, ob die gering erkran­kenden Schüler eben­falls das Virus verbreiten, wollte sie aber nicht ein halbes Jahr zuhause lassen.

Sporadische, ja mit der Lupe zu suchende Zufalls­treffer von Schwurb­lern wie Bhakdi und Wodarg, die von ihren Kollegen nicht die geforderte Aner­kennung erhiel­ten und die Chance nutzten, ihnen eins auszu­wischen und sie an Promi­nenz zu über­bieten, beweisen nichts. Wenn der C‑Schwurb­ler seinem Glauben abschwörte, blieben von seinen Vorwürfen wie Betrug und Freiheitsberaubung nur Fehl­entschei­dungen. Ließe er zusätz­lich seine nach­gängig erwor­benen Kennt­nisse außen vor, könnten nur noch wenige Vorwürfe über die hinaus gemacht werden, die unab­hängig von Corona bestän­dig zutref­fen: Das Volk wird vor allem in Krisen­zeiten tenden­ziös infor­miert und geleitet, sei es wie vor drei, vier Jahren aus Angst vor möglicher Leicht­fertig­keit oder wie heute aus morali­scher Über­legen­heit.

Einer Meinung bin ich mit den Corona- und Impfskep­tikern, daß wir Bürger besser, objek­tiver und weniger inter­essen­geleitet infor­miert und regiert werden sollten. Deshalb wundert es nicht, die C‑Schwurbler im rechten Spektrum zu finden, zumal die AfD sich schnell von den anfäng­lich als zu lasch einge­stuften Maß­nahmen distan­zierte und die frei­heits­lie­benden Kri­tiker auf ihre Seite zog. Wer nicht mitzu­schwur­beln bereit ist, hat als Rechter ver­schissen. Mich stößt das ab und bestärkt mich in meiner Angst, statt einer Ampel­partei die AfD zu wählen. Und da wundern sich einige, warum die CDU so sehr vom deso­laten Zustand der Regie­rung profi­tiert. Ich rate der AfD, sich lang­fristig nicht nur von Rechts­radi­kalen und Klima­leug­nern, sondern auch von Schwurb­lern aller Art zu trennen.

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Erdenstunde
Die Tage werden wieder länger, doch der mittlere Erdentag ändert sich kaum. Zur Zeit liegt er eine halbe Milli­sekunde über den 24 Stunden bei 86400,0005 Sekunden, die mittlere Erdenstunde hat somit 3600,00002 Sekunden. Wenn wir bei unseren Uhr­zeiten bleiben, dann muß alle paar Jahre eine Schalt­sekunde einge­fügt werden, denn Jahre wie 2023, da die Tage kürzer waren und manche schon negative Schalt­sekunden kommen sahen, wird es immer seltener geben. [1]

Etwas anderes als der Erdentag ist der Tag der Erde am 22. April, einer von vielen, vor allem nonbi­nären sog. Gedenk­tagen im Jahr. [2] Auch ganze Monate und ein­zelne Stunden wurden dem jährlich wieder­keh­renden Gedenken darge­bracht. [3] Der Stolz­monat Juni, jetzt auch der Vega­nuary und neben dem Tag der Erde am 22. April heute die Stunde der Erde, in der wie seit 2009 nicht mehr während, sondern nach der Tagesschau von 20:30 bis 21:30 alle Lichter ausgehen sollen, um nicht nur ein Zeichen, sondern eine starkes Symbol zu setzen. Nicht nur für das Klima auch für die Demo­kratie. [4]

Wäre es nicht ein noch stärkeres Zeichen, wenn die ganze Welt gleich­zeitig die Lichter löschte, etwa von 11:30 bis 12:30 UTC? Das wäre für alle Zonen UTC±n mit |n|<12 auch der gleiche Tag. Leider keine gute Idee, denn was nützt es, am hellich­ten Tag die Beleuch­tung auszu­schalten? Aber eine andere Frage blieb mir beim Studium der all­wissen­den Müll­halde unbeant­wortet: Nach welchen Kriterien wird der Tag im Monat März bestimmt, auf den die Stunde der Erde fällt. In der Wiki­pedia muß ich die Erklä­rung in den seiten­langen Auslas­sungen darüber, wer so alles seine Lichter löschte, über­lesen haben. So mußte ich mir die 18 bishe­rien Tage ansehen:
Jahr des 21. Jhd.  07-08 09 10 11-12 13 14 15-16 17 18 19-20 21 22 23-24
Tag im Monat März  31 29 28 27 26 31 23 29 28 19 25 24 30 28 27 26 25 23
Fast immer ist es der letzte Samstag im Monat März. Fett sind die drei Aus­nahmen mit dem zweit­letzten Samstag.

Zunächst dachte ich, der 30. März würde stets vom 23. abgelöst, weil in der kom­men­den Nacht die Zeit umge­stellt wird. [5] Doch dann sah ich den 30.03.2019 und den 19.03.2016. Letz­teres meinte ich klären zu können: Eine Woche später, am 26.03.2016 war das Eröff­nungs­spiel Deutsch­land gegen England der Europa­meister­schaft und benötigte Flut­licht. Doch was sprach gegen den 23.03.2019? Oder ist es umge­kehrt: War es gar nicht die Zeit­umstel­lung, sondern ein wich­tiges Ereignis, was 2013 und auch dieses Jahr den 30. März ausschied? Ja, Oster­samstag, da ist Tanz- und Ver­dunke­lungs­verbot. Und damit fand ich das letzte Puzzle­stück: Auch 2016 lag es nicht am Fußball, sondern am Oster­samstag, den 26. März.

Damit habe ich nun ein Mysterium geklärt: Die Stunde der Erde ist normaler­weise von 20:30 bis 21:30 in der aktu­ellen Zeit­zone, wird aber um eine Woche vorge­zogen, wenn es ein Oster­samstag wäre. Das hätte doch auch irgendwo ganz oben stehen können. Wahr­scheinlich war ich nur zu blöd, es zu sehen oder zu finden. Dennoch war es eine schöne Übung. Und nun noch schnell hoch­geladen, bevor die Lichter ausgehen.

[1] Wenn der Mensch in den Weltraum will, sich nicht mehr so sehr für den Sonnen­höchst­stand inter­essiert und vor allem keine Schalt­sekunden mehr möchte, könnte er sich zum Beispiel auf TAI einigen und am besten die irdi­schen Zeit­zonen vergessen. Dann wäre Mittag in Hamburg eben nicht mehr um 12:20 MEZ oder 13:20 MESZ sondern zunächst gegen 11:20 TAI. Nur ganz, ganz langsam würde sich die Mittags­zeit in den ‚Nachmittag‘ (besser: Richtung 15:00 TAI) ver­schieben. Erst in 1000 Jahren müßte der Hamburger oder Deutsche die Tages­schau wieder von 19:00 TAI auf 20:00 verlegen. Eine juri­stische Ver­biegung der Zeit durch Zeit­zonen und Sommer­zeit sollte es aus Soli­darität mit Menschen und Maschinen außerhalb der Erde nicht mehr geben.

[2] In meiner lutherischen Kindheit gab es nur Geburts-, Todes-, Hochzeits-, Wochen-, Arbeits- und wenige Feier­tage. Die Katho­liken hatten nicht nur von letz­teren mehr, sondern auch noch Namens­tage. Weitere bundes­deut­sche Gedenk­tage gingen unter. Später machte sich die Unsitte breit, allem mögli­chen minde­stens einen Tag im Jahr zu spen­dieren. So haben wir inter­nati­onal heute den Welt­wetter­tag, gestern war es der Welt­wasser­tag.

[3] Natürlich gibt es auch besondere Jahre wie das Lutherjahr, Gedenk­stunden im Bundestag oder Gedenk­minuten zu trau­rigen Anlässen. Hier aber geht es nur um jähr­lich wieder­kehrende Termine.

[4] WWF: Earth Hour 2024 ‒ Deine Stunde für die Erde! „Diese eine Stunde ist ein starkes Symbol, das überall auf der Welt ver­standen wird. Dieses Jahr unter dem Motto: ‚Earth Hour ‒ Deine Stunde für die Erde!‘ ‒ Wir schalten gemein­sam das Licht aus und setzen ein Zeichen für eine klima­gerechte Gesell­schaft, einen ambitio­nierten Klima­schutz und eine starke Demo­kratie.“

[5] Das hätte ich den Strategen zugetraut: Rücksicht auf alte Menschen, die bereits nach dem Abend­essen ihre veraltete Uhr umstel­len und dann zu früh die Lichter löschen, vor allem wieder anmachen, wenn Dunkel­heit verlangt ist.

noon | Sommerzeit | Kiew-Zeit

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Gute Zahlen ‒ Schlechte Zahlen
Es gibt kleine und große Zahlen, interes­sante und belang­lose, heilige und profane, ganze und gebro­chene, gute und schlechte. Zumeist bleibt letzt­lich unklar, welche in welche Kate­grorie gehört. Ist 0,2% klein, ein 100‐Milli­arden­loch groß, 42 inter­essant, 43 aber belang­los, 3 hei­lig, 666 aber vom Bösen, 2 ganz, 4/2 ge­bro­chen? Was ist mit π, ist 1312 gut, 420 dage­gen schlecht?

Nun, es ist Folklore zu wissen, daß Zahlen an sich nicht böse sind, nur manch­mal für unan­genehme Dinge stehen, mit denen sie mehr oder minder will­kürlich ver­bunden wurden. Wenn sie aber als Kenn­ziffer oder ähnli­ches eine ver­meint­liche Ein­schät­zung einer Situa­tion beschrei­ben, so weiß man im allge­meinen schon, in welche Rich­tung es ange­nehmer aus­sieht, ob die bezif­ferte Lage als gut, schlecht oder normal anzu­sehen ist.

Und wenn der Bundeswirt­schafts­minister sagt, die Lage sei gut, nur die Zahlen schlecht, dann meint er nicht, daß 0,2% eine schlechte Zahl sei, die man nicht mehr in den Mund nehmen solle, sondern nur, daß diese Zahl die gute Realität in einem nega­tiven Licht erschei­nen läßt. Konse­quenter­weise müßte er hinzu­fügen, es handele sich um eine über­holte Kenn­ziffer, die in der Ver­gangen­heit die Wirt­schaft einiger­maßen beschrieb, für die neue Politik aber durch eine bessere zu ersetzen sei.

Herr Habeck hätte auch sagen können, daß es sich bei dem nun auf 0,2% redu­zierten 1,8% Wirt­schafts­wach­stum um zwei verschie­denen Dinge handele. Zum einen seine opti­misti­sche Erwar­tung vor einem Jahr, da die Wirt­schaft um 0,2% binnen eines halben Jahres schrumpfte. Da war die Lage so gut und die Rea­lität noch so fern, daß durchaus 1,8% für 2024 mög­lich erschie­nen. Und zum anderen die sich heran­pir­schende Rea­lität, ein paar Monate und einen Krieg später. Da sind 0,2% doch ganz anders zu bewerten, ist die Lage besser als die Zahlen auf den ersten Blick Glauben machen.

Alternativ könnte man an 0,2% Wirtschafts­wach­stum auch morbiden Gefallen finden, den Menschen verspre­chen, daß sich dem­nächst auch das Vorzei­chen umkehren wird, und es nur einer tabu­losen Einwan­derung bedürfe, dieses Ziel auch zügig zu errei­chen.

3 | 42 | 420 | 666 | 1312

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Gratismut
Ehrlich gesagt war ich schon über­rascht, wieviele in den letzten Tagen an zahl­reichen Orten gegen die AfD und ihre Remi­gra­tions-​Pläne auf die Straße gingen. Ich habe die Demo­kraten mit ihrer Will­kommens-​Kultur träger und selbst­gefäl­liger einge­schätzt. Nun prahlen sie mit vollen Plätzen, die von Bauern nur dank mäch­tiger Trak­toren gefüllt wurden.

Beide Gruppen stellen natürlich eine Minderheit der Gesamt­bevöl­kerung dar. Doch Bauern verlassen ihren Hof und fahren meilen­weit, um ihre Forde­rungen vorzu­tragen. Die Demon­stranten der letzten Tage müssen nur vor die Haustür treten. Bei den Bauern erscheint nur Lindner. Bei den Demo­kraten zumeist gar keine Bundes­poli­tiker, es sei denn sie müssen eben­falls nur vor die Tür treten, wie Scholz und Baer­bock nur einen Schal umwerfen und einen Foto­grafen bezahlen.

Mut ist dazu nur in bescheidenem Umfange erfor­der­lich, schon gar nicht den der in Anspruch genom­menen Wider­stands­kämpfer des Dritten Reiches. Die einen opfern Diesel, Geld und Arbeits­zeit oder müssen für einfache Verbeu­gungen im Dienst mit Konse­quenzen rechnen. Die anderen werden beschützt und von der Obrig­keit belobigt, sie zeigen Gratismut.

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Juli Zeh
In meiner Stadtrand­bibliothek mit ihren Spiegel-​Best­sellern griff ich zu „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban. Der Roman besteht aus einem papier­losen Schrift­wechsel zwischen einem Chef­redak­teur und einer Bäuerin. Ersterer weicht aus Über­zeu­gung und Ehrgeiz dem Druck woker Rotz­gören aus, letztere radika­lisiert sich nach rechts bis zur einer öffent­lichen Ohrfeige. Es ist ein Dialog und Streit zwischen den beiden Polen unserer Gesell­schaft, die kein Mittelmaß, kein gemisch­tes oder ausge­wogenes Urteil zuläßt: „Wenn du deine Seite nicht wählst, tun es die anderen für dich.“¹

Als die beiden das Buch schrieben, konnten sie die Aktua­lität des Themas allen­falls erahnen. Auch ich wußte vorher nicht, daß es wie die Faust aufs Auge zu den aktu­ellen Pro­testen der Bauern paßt. Die reichen kommen nicht vor, nur die armen, die nicht wissen, ob sie statt Kühe zu melken und Getreide anzu­pflanzen lieber Biogas erzeu­gen, Benzin anbauen oder gar CO₂-Zer­tifi­kate unter­pflügen sollen.

Was mir wie in vielen Romanen nicht gefiel ist, daß nach langer Entwick­lung und Beschrei­bung alles recht schnell einem konstru­ierten Ende zustrebt: Ein Bild von der Ohr­feige kommt ganz zufällig auf die Titel­seite der Erst­ausgabe. Aber wenig­stens endet es nicht mit sich andeu­tendem Sex.

 1 Juli Zeh, Simon Urban: Zwischen Welten. Luchterhand, 2023. Seite 239.

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Frank Schätzing
Ich habe mich tatsächlich hinreißen lassen und noch vor Weih­nachten geschafft, den Schwarm von Frank Schät­zing¹ insofern voll­ständig zu lesen, als ich nur kurze Abschnitte gäh­nender Lange­weile ausließ. Ich hatte keine Verfil­mung gesehen, keine Zusammen­fassung oder Rezen­sion gelesen, konnte mir aber anhand des Titels und vom Hören­sagen vorstellen, um was es geht. Nach wenigen Seiten war mir auch genauer klar, auf was es nach 1000 hinaus­laufen wird, was die schlichte Botschaft sein soll.

Besonders enttäuschend fand ich, daß mehrfach Geschichten und Filme mit der Kritik erwähnt werden, sie malten schwarz-​weiß, gute Wissen­schaftler gegen böses Militär. Und dann ist es genau das! Dazu noch wie in einem Action-​Film dauernd wech­selnde Schau­plätze, bekannte Orte, überheb­liche Ameri­kaner, viele Tote, über­lebende Einzel­kämpfer, Erfolg durch eine Wunder­waffe, eine singu­läre und trotz aller Hinder­nisse geglückte Hand­lung eines ein­zelnen.

Da wundert es nicht, daß die von mir im Nachgang zur Kenntnis genom­menen Beur­tei­lungen kein Mittel­maß kennen. Dennoch gemittelt und auf Schul­noten umge­rechnet nur eine Vier plus für das Buch, nicht die ZDF-​Ver­filmung, mit der Frank Schätzing unzu­frieden war. Das scheint mir modernes Gehabe. Wäre Goethe auch unzu­frieden? Oder kennte er den Unter­schied zwischen einem lang­atmigen Roman und einer kurz­weiligen Verfil­mung?

Eines hat er aber dadurch bewirkt. Wer nach Schätzing, Schwarm und Kritik googelt, wird mit diesem Streit zuge­müllt. Zag­hafte negative Einlassungen zum Roman selbst habe ich allen­falls in sehr frühen Rezen­sionen gefunden. Es wurde auch der moderne Vorwurf laut, plagi­iert zu haben. Doch was denken die Menschen? Daß man in einem Roman mit derart vielen Details glänzen kann, ohne sich Infor­mati­onen beschafft zu haben, die im Ergebnis wie abge­schrieben wirken und viel­leicht auch sind?

Ich hätte zur Einordnung gleich nur den mit „Dank“ über­schrie­benen Abgesang lesen sollen, in dem einer end­losen Reihe wich­tiger Menschen (nicht Yrr) für ihre Unter­stüt­zung gedankt wird. Er wird einge­leitet mit den beschei­denen Worten: „Auf über 1.000 Sei­ten ‒ prall­voll mit Wissen und Wissen­schaft ‒ sollte man die Einflüsse vieler kluger Leute erwarten, und so ist es auch.“

 1 Frank Schätzing: Der Schwarm. Kiepenheuer & Witsch, 2004.

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Böllerei
Vor drei Monaten wollte ich im Polizei­revier anfragen, was gegen die ständige Böllerei unter­nommen würde. Da ich keinen Brief­kasten vorfand und keine Lust hatte, mir am Tresen etwas von Über­lastung und anderen Schwie­rig­keiten anzu­hören, beru­higte ich mich in der Hoff­nung, das würde sich legen wie jede andere ‚Chal­lenge‘ verblö­derter Jugend­licher. Das war aber nicht der Fall.

Vor einem Monat erzählte ich beiläufig von meinem Ansinnen und wurde in die Nähe eines Block­wartes gerückt. Warum soll ich mich also anstren­gen für eine Bevöl­kerung, der abge­sehen von ein paar älte­ren Mitbür­gern, die erfolg­los bei der Polizei anrie­fen, alles am Arsch vorbei geht, bis es nur schwer rever­sible Ausmaße ange­nommen hat?

Mich stört Lärm an sich nicht. Einjäh­rige Wärme­däm­mungs­maß­nahmen an meinem Wohn­haus mit Fahr­stuhl direkt vor dem Balkon sah ich als Abwech­selung, auch wenn die Fenster­austau­scher mir Corona eintrugen und ich nun zur Parade­gruppe der Impf­gegner gehöre: Viermal geimpft und trotz­dem einmal genesen.

Selbst leise Geräusche dagegen, die auf asozi­ales Ver­halten deuten, rufen in mir Abscheu und Verär­gerung hervor. Beides relati­viere und ertrage ich, sobald sich der Gedanke breit macht und ich ihn erneut verinner­liche, daß die Polizei sich als Tanz­truppe in der Sozial­arbeit versteht und das Gros der Bevöl­kerung nicht den Arsch hoch­kriegt, es also nicht besser ver­dient hat.

So sehe und vor allem höre ich leiden­schafts­los, daß sich die seit drei Monaten anhal­tende gelegent­liche Böllerei seit Tagen zu einer perma­nenten Hinter­grund­knal­lerei gestei­gert hat, die seit gestern, erst recht heute anmutet, als sei das neue Jahr gerade einmal zehn Sekun­den alt. [1] Nun erwarte ich die Berichte über Aus­schrei­tungen, die über die bereits in Berlin abge­fackel­ten Autos hinaus gehen.

Um mir nicht sagen zu lassen, mich am Neujahrs­tag nach­gängig zu beklagen, schreibe ich nicht nur dies noch im alten Jahr, sondern auch der Polizei meiner Stadt: „Rück­sichts­losig­keiten zu verhin­dern ist zumeist nicht Aufgabe der Polizei, sie hielten sich aber in Grenzen, wenn die eindeu­tigen Ruhe­störun­gen und andere Über­griffe geahndet würden. Das scheint mir kaum der Fall. Egal ob wegen Unver­mögens, Unwil­lig­keit, Über­lastung oder Vor­gabe von oben. ... Und wenn Sie in 2024 weiterhin nichts unter­nehmen, dann wird es irgend­wann Bürger­wehren geben, die nicht nur links und recht gucken, ob die Grün­anla­gen sauber sind. Das will keiner.“

[1] Das ist natürlich über­trieben, denn bis jetzt wurden viel­leicht 10 Pro­zent dessen abge­fackelt, was um Mitter­nacht binnen einer halben Stunde über den Jordan geht. Aber dank des mensch­lichen Gehörs entspre­chen 10 Pro­zent der vielleicht mittleren 60 Dezi­bel eine halbe Stunde lang 33 auf einen Tag verteilt und 13 auf drei Monate. Das ist zwar nahe der Hörbar­keits­grenze und ginge im Alltags­geräusch unter, wären Knaller nicht punk­tuelle Ereig­nisse von eheb­licher Laut­stärke, weit über dem, was der Mensch im Wach­zu­stand aus­blen­den kann.

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